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Neues aus der Feendrachenhöhle 2

Der Memory-Effekt

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Kategorie: Kurzgeschichten Literatur Sonstiges

Neulich, ich hatte gerade meine Tür geöffnet, um Familie Wollmaus endgültig zum Auszug aus meinen heimischen Gefilden zu bewegen, stand urplötzlich wieder das kleine Menschenmädchen vor mir.

   „Hallo“, sagte Kai.
   „Hallo“, gab ich zur Antwort.
   „Schicke Schürze“, meinte Kai.
   Mit einer schnellen Bewegung riss ich mir den Putzfummel vom Leib und pfefferte ihn in die Ecke hinter der Tür.
   „Was gibt es?“, fragte ich so gelassen wie möglich und hoffte, dass ich das Rauchwölkchen, welches sich soeben in meiner Nase anbahnte, unterdrücken konnte.
   „Da bin ich wieder …“, meinte Kai. 
   „Das sehe ich“, bestätigte ich diese offenkundig wahre Aussage.
   „… und ich habe was mitgebracht“, ergänzte Kai. „Ball oder Memory?“
   Das hatte ich nicht gesehen. Ich war so erschro … erstaunt darüber gewesen, dass Kai tatsächlich wiedergekommen war, dass ich den Ball, welchen sie unter dem einen Arm geklemmt hielt, und die Schachtel, die sie in der anderen Hand trug, gar nicht  wahrgenommen hatte. 
   „Ball oder Memory?“, wiederholte Kai.
   ‚Pest oder Cholera‘, war alles, was mir dazu einfiel.
   „Ich hatte ja gesagt, dass wir was zusammen machen“, fuhr Kai fort. „Und da ich nicht wusste, was du lieber magst, habe ich einfach zwei Dinge mitgebracht.“
   Ballspielen, ausgerechnet! Drachen können kein Ballspielen! Es gibt einen Grund, warum es kein Gemälde von uns gibt, das uns ballspielend zeigt. Jedes Mal wenn wir es tun, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns ungelenk einen Flügel ausrenken oder unsere Umgebung durch ungewolltes Niedertrampeln niedertrampeln, ins Unermessliche. Das schadet unserem coolen Image enorm. Deshalb spielen Drachen kein Ball, niemals. Es soll zwar vor Urzeiten Drachen gegeben haben, die angeblich mit den Helmen der von ihnen besiegten Ritter spielten; das nannte sich dann „Dragon Ball“. Aber das ist eigentlich nur eine Grusel-Nacht-Geschichte, die Drachenmütter ihrem frischgeschlüpften Nachwuchs erzählen.
   Dann schon lieber Memory. Wobei … mit dem Erinnern hatte ich es noch nie so gehabt. Eigentlich sind Drachen gut im Erinnern, die meisten von uns können das besser als Elefanten. Müssen wir auch, denn wir werden schließlich weitaus älter. Aber Erinnern ist persönlich nicht so meins, ich hatte damit leider schon immer Probleme. Ich vergesse in aller Regelmäßigkeit nicht nur, warum ich mir einen Knoten ins Taschentuch mache, ich vergesse gleich das ganze Taschentuch. Deshalb bin ich auch beim Rätseln, was uns Drachen normalerweise im Blut liegt, wirklich aufgeschmissen. Ich konnte mir Rätsel einfach noch nie merken. Und selbst wenn, vergesse ich immer die Antwort – was in dramatischen Situationen eher unsouverän rüberkommt. Memory kam damit auch nicht in Frage. Aber Ballspielen war ausgeschlossen.
   „Also?“, hakte Kai nach.
   Ich atmete hörbar aus, die Entscheidung war gefallen.
   „Also … Memory“, gab ich mich geschlagen und trat mit einer einladenden Geste beiseite.
  „Sehr schön“, sagte Kai zufrieden und war bereits im Innern meiner Höhle.
   Kurz darauf hockten wir auf dem Boden. Zwar habe ich auch einen Tisch, aber Kai meinte, für das Spielgefühl wäre der Boden besser. Mir war es gleich. Familie Wollmaus war, zumindest für die nächste Zeit, rausgeworfen und der Boden daher so gut wie keimfrei.
   „Du weißt, wie Memory geht?“, fragte Kai, während sie die umgedrehten Kärtchen verteilte.
   „Hm-mh“, bestätigte ich nickend. Ich war hochkonzentriert. Allein dieses verschnörkelte Muster auf den Rückseiten brachte mich bereits durcheinander.
   „Okay, kann ich anfangen?“, frage Kai weiter.
   Ich nickte erneut.
   „Fein. Also das ist mein Lieblingsmemory“, erklärte Kai, während sie das erste Pärchen umdrehte. Ein Pegasus und eine Sphinx. „Da sind alle meine Lieblingsfabelwesen drauf.“
   „Aha“, machte ich geistesabwesend. Nun war ich dran. Ein Zentaur und ein Phönix.
   „Greif und Chimäre …“, begann Kai nebenbei aufzuzählen, als sie wieder an der Reihe war. Sie deckte den zweiten Phönix auf. „… Hippocampus und Zerberus …“, fuhr sie entspannt fort und fand zielsicher meinen eben erst offengelegten Phönix wieder. Sie hatte damit das erste Pärchen komplett. „…und Einhorn und Drache natürlich“, beendete Kai dann ihre Aufzählung, während sie nochmals zwei weitere Kärtchen umdrehte. Ein sechsbeiniger Feuersalamander und ein Basilisk. „Kennst du eigentlich auch noch andere Drachen als dich selbst?“
   Ich hatte gerade einen Zentaur aufgedeckt. In meinem Kopf ratterte es. Den hatte ich schon mal gesehen, aber wo nur? Zuerst hatte ich oben den Basilisken aufgedeckt und dann war da irgendwo der sechsbeinige Greif. Halt, Moment, hatten Greifen überhaupt sechs Beine? Ich war mir da nicht mehr so sicher. Es gab zwar Unterarten und ich hatte das Zentaureneinhorn mit dem Drachen …
   „He“, machte Kai mit Nachdruck, „kennst du eigentlich auch noch andere Drachen?“
   „Drachen, ja“, murmelte ich, starrte aber stur auf die Kärtchen. Der beschwichtigende Gedanke, dass Kais Erzählerei mit Sicherheit einfach nur kindliche Neugier war, schob sich irritierenderweise zwischen meine Kartenüberlegungen.
   „Du kennst also auch einen Wasserdrachen?“, fragte Kai aufgeregt.
   „Ja“, meinte ich und hoffte, dass sich der erste Zentaur auf der Karte befand, die ich gerade umdrehte. Aber es war eine Sphinx abgebildet. Missmutig drehte ich die Karten wieder zurück.
   „Jetzt sag mal“, forderte Kai mich auf, während sie das Zentaurenpärchen ohne mit der Wimper zu zucken aufdeckte. „Was machen Wasserdrachen so?“
   „Die baden gerne“, antwortete ich grummelig und musste zusehen, wie Kai ein weiteres Hippocampus umdrehte und danach wie selbstverständlich nach dem ersten griff.
   „Und Feuerdrachen?“, schob Kai hinterher, als sie eine zweite Sphinx aufdeckte und natürlich die erste ohne eine Sekunde zu zögern dazulegen konnte.
   „Die grillen gerne“, antwortete ich mittlerweile lustlos, weil Kai immer weitere Karten umdrehte. Sie wusste nicht nur, wo das entsprechende Partnerkärtchen lag, sie hatte auch noch Glück mit neuen Motiven. „So macht das keinen Spaß. Ich hab die Schnauze voll.“
   „Dann spucks halt aus“, sprach Kai ungerührt und drehte soeben die beiden letzten Drachen-Karten um. Sie hatte alle Pärchen richtig kombiniert. Wenn ich nicht eingeschnappt gewesen wäre, hätte ich sie dafür bewundert.
   „Ich hab gewonnen“, stellte Kai stolz fest.
   „Glückwunsch“, konnte ich mir gerade noch so abringen. Zwar hatte ich diesen Ausgang des Spiels geahnt, aber ein oder zwei Pärchen hätte ich als Ehrenrettung auch gerne zusammenbekommen. Wenigstens war die Sache jetzt ausgestanden.
   „So, das hätten wir“, meinte ich und erhob mich.
   „He, Moment“, sagte Kai. „Ich bin die Gewinnerin, ich darf mir was wünschen.“
   „Ach … ja?“, fragte ich.
   „Ja, das weiß doch jeder. Wer beim Memory gewinnt, darf sich was wünschen. Als Preis.“
   Ich kratzte mich mit der Klaue hinter meinem rechten Horn. Diese Regel war mir unbekannt, aber vielleicht konnte ich mich auch nur mal wieder nicht erinnern.
   „Na gut“, lenkte ich ein. „Was wünschst du dir?“
   Kais Augen leuchteten.
   „Könnten wir mal einen Wasserdrachen besuchen?“
   „Einen Wasserdrachen? Ich kenn' keinen Wasserdrachen“, antwortete ich ehrlicherweise.
   „Aber du hast doch eben gesagt, dass du einen kennst“, sagte Kai und zog die Stirn in Falten.
   „Wann?“
   „Na eben, beim Memory-Spiel.“
   „Hab ich nicht.“
   „Doch, hast du.“
   „Nein.“
   „Doch.“
   „Ich kann mich nicht erinnern“, gab ich etwas hilflos zu und kam ins Grübeln.
   „Aber du hast es gesagt.“
   Da war er wieder, mein persönlicher Memory-Effekt! Als Drache ist man mit solch einem Gedächtnis wahrlich gestraft.
   „Du hast wohl ein selektives Wahrnehmungsvermögen ganz besonderer Art?“, fragte Kai und beobachtete mich genau.
   „Selektives Wahrnehmungsvermögen?“, wiederholte ich hölzern. „Hab ich nicht.“ Woher kannten Kinder nur solch schlimme Begriffe?
   „Na, macht ja nichts“, sagte Kai abwinkend und räumte das Memory-Spiel zusammen. „Dann wünsche ich mir, jemanden kennenzulernen, den du kennst. Zum Beispiel jemanden aus deiner Nachbarschaft.“
   „Aus meiner Nachbarschaft? Bloß nicht“, rutschte es mir heftiger heraus, als ich gewollt hatte.
   „Wieso?“ Kais Interesse war geweckt.
   „Weil … ich … ich kenn' die eigentlich gar nicht“, stammelte ich nervös. Ich spürte, wie sich die Rauchwölkchen bereits formierten.
   „Du flunkerst doch nicht etwa?“, bohrte Kai.
   „Ich? Neeeeinn“, wehrte ich ab, konnte aber das erste Rauchwölkchen nicht verhindern.
   „Dann ist es gerade gut, wenn wir sie besuchen. Um sie kennenzulernen.“
   Kai hatte sich erhoben und steuerte die Höhlentür an.
   „Lieber nicht, so doll sind die gar nicht“, versuchte ich das Unvermeidliche abzuwenden, während ich neben Kai herhoppelte und paffte.
   „Ach, ich denke, du kennst sie gar nicht? Woher weißt du dann, dass sie nicht so doll sind?“
   ‚Mist‘, dachte ich. Ich hatte ja nicht nur ein Problem mit dem Erinnern, ich hatte auch ein Problem mit dem Lügen. Das war mir entfallen.
   „Mach dir mal keine Sorgen“, beruhigte Kai mich. „Das kriegen wir schon hin.“
   „Was kriegen wir hin?“
   Ich wusste nicht mal mehr, worüber wir geredet hatten. Außerdem konnte ich nichts mehr sehen, weil Rauch in meine Augen stach. Was war hier eigentlich los?
   „Du hast wirklich ein selektives Wahrnehmungsvermögen“, sprach Kai.
   „Seltsam, das hat mir schon mal jemand gesagt“, meinte ich nachdenklich.
   „Ja, das war ich.“
   „Nein, daran könnte ich mich erinnern.“
   „Wie auch immer … bis zum nächsten Mal“, hörte ich eine Stimme rufen und dann knallte die Tür.
   Ich stand allein in meiner verrauchten Feendrachenhöhle. Was war gerade passiert? War überhaupt was passiert? Was sollte als nächstes passieren?
   „Ach ja“, sagte ich laut, weil es mir soeben wieder eingefallen war. Ganz so schlimm war das mit meinem Gedächtnis offenbar doch nicht. „Ich wollte die Wollmäuse rauswerfen.“ Jetzt musste ich nur noch meine Schürze finden.

 

„… und ich habe was mitgebracht“, ergänzte Kai. „Ball oder Memory?“

 

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