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Neuer Stern

Eine Hommage an Edgar Allan Poe

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Kategorie: Literatur

Alle 10 Jahre gibt es für Freunde der Horrorliteratur gleich zwei ‚Jubiläen‘ zu feiern. Denn dann jährt sich nicht nur das Todes-, sondern auch das Geburtsjahr des gerade einmal 40 Jahre alt gewordenen Begründers der Kurzgeschichte und amerikanischen Horrorliteratur: Edgar Allen Poe. Ein 210. Geburtstag und das 170. Todesjahr sind nicht unbedingt die runden Zahlen, die in der Medienlandschaft für Aufsehen sorgen, doch ein kleines Fanzine aus Leipzig widmet dem Autoren pünktlich zum Todestag eine Sonderausgabe. Und um Poe zu lesen, ist schließlich immer das richtige Jahr …

Edgar Allen Poe gehört neben Lovecraft zu den großen Figuren der phantastischen Landschaft. Die beiden Neu-Engländer haben die Grundsteine für vieles gelegt, was die heutige Popkultur – von Literatur über Comics, Serien hin zu Rollenspieltischen – belebt. Dominiert die Phantastiklandschaft zurzeit der vermeintliche Gentleman aus Providence (Lovecraft), ist Poe aus der Anglistik und Popkultur nicht mehr wegzudenken und war nicht weniger als indirekter Namensgeber eines eigenen Footballteams. Jenseits von trockener Wissenschaft und Massenkultur genießt Poe darüber hinaus bei Literaturkennern einen respektvollen Ruf als Gründungsfigur der Horrorliteratur, Science-Fiction und sogar der Detektivgeschichte. Der Neue Stern für Edgar Allan Poe vollführt genauso einen Kniefall vor dem Altmeister und gibt einen Einblick in Werk und Wirkung des Autors.

Der Neue Stern

Der Neue Stern ist ein etwas eigenes Format, das man wohl am besten als Fanzine beschreiben kann. Im strengen Sinne ist es ein Rundbrief des immerhin 30 Jahre alten „ANDROMEDA Science Fiction Club Halle“ (ASFC). Man muss aber nicht aus Halle oder Umgebung kommen, um sich zu den „Freunden des Vereins“ zählen und das kleine Heftchen schätzen zu können. Statt Vereinsnews findet man hier nämlich Artikel, die sich aus der gesammelten Erfahrung und Begeisterung des Clubs schöpfen.

Den Einstieg macht so etwa niemand geringeres als Poe-Experte und Übersetzer Günter Gentsch. Mit einer Leichtigkeit die sich nur aus über 30 jähriger Übersetzungsarbeit erklären lässt, stellt er die Besonderheiten und Wirkungen des Poe‘schen Werkes, sowie dessen Übersetzungs- bzw. Veröffentlichungsgeschichte in Deutschland vor.

Direkt darauf folgt die Erzählung eines weiteren Gastes: Erik R. Andara. Der kann als Geheimtipp der deutschsprachigen Weird-Fiction gelten und sorgt mit seinem Garten Numen für einige Begeisterung. Die Kurzgeschichte In Finsternis ruhen versteht sich als Hommage an Ligeia, eine der unbekannteren Geschichten Poes, die sich tief aus der Ideenwelt der Frühromantik speist. Hier soll nicht viel vorweggenommen werden. Andaras Interpretation funktioniert jedenfalls auch ohne Kenntnis der Vorlage und überzeugt durch eine tiefe bedrohliche Stimmung, die in einem ungewöhnlichen kontemporären Szenario angesiedelt wurde. Eine höchst unterhaltsame Kurzgeschichte im besten Sinne.

Mit Tekeli-Li! Tekeli-Li! von Peter Schünemann setzt dann auch schon der eher theoretische Teil des Heftes ein. Hier wird der Erzählung des Arthur Gordon Pym aus Nantucket nachgehorcht. Die immer mit der Spannung zwischen Seemannsgarn und Wahrheit spielende Erzählung einer Antarktisexpedition erweist sich als Gründungstext einer ganzen Reihe an Reisen ins ewige Eis. Schünemann blickt auf die nicht immer gelungene Weitererzählung durch Jules Verne und die Verarbeitung des Motivs durch Lovecraft in den berüchtigten „Bergen des Wahnsinns“. Die so nachvollzogenen Fäden helfen nicht nur, die Geschichte der Phantastikliteratur zu würdigen, sondern geben auch den jeweiligen Erzählungen einiges an Tiefe. Nicht zuletzt motivieren solche Artikel sicherlich auch zu den Klassikern zu greifen.

Solche Inspiration liefert auch der (Mit-)Herausgeber Thomas Hofmann in seinen „Fake-News“. Vor dem Thema Wahrheit und Fiktion bespricht er Kein Rabe so schwarz von Joel Rose und das eigensinnige Werk Hohlwelt von Rudy Rucker. Werke, die nicht jeder Phantastin bekannt sein dürften, aber zweifelsohne eine nähere Betrachtung wert sind. Das Gleiche gilt sicher auch für die Graphic-Novel Umsetzung Berenice und Paul Austers New-York-Trilogie. Letztere verbindet sich wiederum gut mit dem kurzen Reisebericht nach New York, in dem Hofmann dem Ursprung der Bezeichnung „Gotham“ für New York nachgeht. Eine erstaunlich abenteuerliche Begriffsgeschichte, passend mit Fotos vom Gotham Comedy Club und einer gleichnamigen Pizzeria begleitet.

Auf interessante Kleinode und vergessene Geschichten hinzuweisen ist eine der Stärken solch eines Heftes. Wer schließlich selber tiefer in den Maelstrom von Poes Werken abdriften möchte, findet mit der von Bernd Wiese besprochenen illustrierten Sammlung Das Reich des Grauens einen guten Einstieg. Zur Hintergrundbemalung ist das bewundernswerte Konzeptalbum Tales of Mystery and Imagination des „Allan Parsons Project“ nur zu empfehlen. Mike Röder macht auf diesen musikalischen Klassiker aufmerksam, den wirklich kein Horrorfan übersehen sollte. Eine so gelungene musikalische Umsetzung eines literarischen Stoffes ist äußerst selten und war so vielleicht nur in den phantastikbegeisterten und experimentierfreudigen 70er Jahren möglich ...

Theoretisch anspruchsvoller wird noch einmal die Abhandlung zu „Eureka“ von Holger Marks. Bei „Eureka“ handelt es sich um Poes Ein Essay über das materielle & spirituelle Universum, das naturwissenschaftliche und philosophische Überlegungen seiner Zeit diskutiert. Die Arbeit ist ebenso interessant wie anspruchsvoll, weshalb Marks‘ Diskussion mehr als gelegen kommt. Ihm gelingt es, den Text in seinem Zeitkontext und vor heutigen Erkenntnissen zu würdigen. Das ist sicherlich keine leichte Aufgabe, da Poe eine ganz eigene Form des Essays wählt. Der oft bissige Text arbeitet so etwa mit einem Brief aus der Zukunft, der sich anspielungsreich über die Philosophiegeschichte lustig macht und sich ohne großes Federlesen über Franz Schinken (Francis Bacon) und Aris Tottle amüsiert und Immanuel Kant ohne große Subtilität zu Immanuel Cunt macht … Um die Diskussion jenseits solcher Wortwitze zu verstehen, braucht es schon einige Sachkenntnis. Die Theoriearbeit ist aber mehr als Lohnenswert, will man Poe als mehr als ‚bloßen‘ Autoren würdigen.

Den Abschluss des Heftes machen schließlich ein Gedicht von Jörg Herbig und ein bewusst subjektiver Bericht über einen Karl-May-Vortrag in Leipzig. Die deutsche Wild-Westverklärung von Karl May ist eine ganz eigene Welt und erfreut sich einer eigenen Fankultur. Das Thema „Die Karl-May-Szene und die Stasi“ ist aber so ungewöhnlich, dass der Blick über den Tellerrand auch von außen lohnt. Auch wenn man als Nicht-Szene-Kenner die Details schnell aus den Augen verlieren kann (Thomas Hofmann ging es als Berichterstatter genauso), haben wir es mit der hochspannenden Singularität einer offenbar von Stasi-Mitarbeitern maßgeblich bestimmten Karl-May-Szene in der DDR zu tun …

Aufmachung

Machen wir uns nichts vor. Der Neue Stern ist ein nicht kommerzielles Fanzine, das zwar dank Computertechnologie nichts mehr mit selbstkopierten Heften zu tun hat, aber eben auch nicht mit größeren Projekten mithalten kann. Abgesehen von der überzeugenden Coverillustration von Alvaro Ramirez ist das Heft in schwarz/weiß gehalten und bedient sich weitgehend aus dem Fundus von Illustrationen alter Poe-Ausgaben und eigener Zeichnungen und Fotografien. Diese lockern den Lesefluss auf und gerade die Eigenarbeiten stechen teilweise sehr positiv heraus, im Mittelpunkt steht aber zweifelsohne der Text. Das Heft entsteht eben in Eigenregie und wird dafür dann zum Eigenkostenpreis vertrieben.

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