X

Cookie Notice

Wir nutzen auf unserer Website Cookies und andere Technologien, um zu analysieren wie Sie unsere Webseite nutzen, Inhalte zu personalisieren und Werbung zu schalten. Durch die weitere Nutzung erklären Sie, dass Sie mit der Nutzung von Cookies einverstanden sind. Beachten Sie bitte, dass dieser Hinweis und die Einstellungen nur für die AMP Version unserer Seite gelten. Auf der regulären Website treffen Sie die Auswahl über den Cookiebot.

Startseite
Brett- und Kartenspiele Cosplay Filme Games Intern Interview Kurzgeschichten LARP Literatur Musik Pen & Paper Rezepte Sonstiges Tabletop Veranstaltungen

Mutant: Jahr Null

Rollenspiel am Ende aller Tage

Zur klassischen Webseite

Kategorie: Pen & Paper

Die einen sagen, es wäre ein Rollenspiel am Ende aller Tage, die anderen hingegen sprechen vom Jahr Null. Eins ist sicher, das spröde Gleichgewicht, das sich die Bewohner der Arche aufgebaut haben, ist zu Ende. Der Älteste schafft es kaum mehr, den Kontakt mit den anderen Bewohnern aufrecht zu erhalten und da sich die Bevölkerung nicht auf natürlichem Wege vermehren kann, droht die Zivilisation ein weiteres Mal ausgelöscht zu werden. Es hilft also alles nichts, die Arche muss ausgebaut werden und es müssen Schritte in die „gefährliche Zone" – also alles außerhalb der sicheren Grenzen – gewagt werden.

Das ist in etwa die Ausgangssituation von Mutant: Jahr Null. Nachdem eine Apokalypse die Menschheit dezimiert hat und in kleine Enklaven – die Archen – zurückgedrängte, droht der bittere Existenzkampf. Die Charaktere – Mutanten, die völlig im ungewissen über den Ursprung ihrer Sonderfähigkeiten sind – bilden die natürliche Avantgarde. Sie lenken die Geschicke ihrer Arche, wagen sich aber auch in die gefährlichen Zonen vor, um am Ende vielleicht sogar das sagenumwobene Projekt Eden zu finden – oder zumindest ihrer eigenen Geschichte auf den Grund zu kommen.

Von Archen, Zonen und Eden

Im Gegensatz zu den meisten anderen Rollenspielen ist der Plot einer Kampagne von Mutant: Jahr Null relativ klar vorgegeben. Sicher, Gruppe und Spielleitung haben viel Spielraum, um festzulegen, welche Aspekte in einer Kampagne am wichtigsten sind. Mit einer Mutant-Runde ist aber immer auch ein bestimmter Spielstil verbunden, der im Kern aus Aufbau und Erkundung besteht.

Spielerisch kommt das System daher unter anderem mit Regeln für den Archenausbau daher. Die sind schlank und charakterbezogen. Zu Beginn eines jeden Spieleabends wird üblicherweise ein Rat ausgerufen, bei dem eines von 55 vordefinierte Projekten angegangen wird. Solche Projekte beeinflussen die Werte der Arche, die sich auf Kultur, Technologie, Nahrungsquelle und Kriegsführung reduzieren. Außerdem will die Bevölkerungszahl stabil gehalten werden. Dementsprechend legen wir Ackerland an, bauen ein Waffenarsenal auf, entwickeln eine Sonnenuhr, Papier und Tinte – oder ganze neue Wirtschafts- und Sozialsysteme. Dadurch gewinnt die Arche an Profil und wir haben immer etwas zu tun, zumal unsere aktive Mitarbeit gefordert ist, damit die Projekte wirklich vorankommen. Auf diese Art kommt ein äußerst gelungener Aufbaucharakter ins Spiel, der Mutant deutlich von anderen Systemen abhebt und ein Sandbox-Setting, also freies und vorbereitungsarmes Spiel begünstigt. Die Spieler drücken der Runde ebenso den Charakter auf wie die Spielleitung. Lediglich eine übersichtliche Projekttabelle oder gar eine Baumstruktur fehlt, die Projekte sind aber auch ohne solche Listen schnell überblickt.

Eines dieser Projekte ist schließlich eine Zonenexpedition. Die Erkundung der Zone sollte das Hauptgewicht des Spiels ausmachen, schließlich ist das der Teil, bei dem es zu den intensivsten Konflikten und Entdeckungen kommt. Kein Wunder also, dass der Großteil der SL-Informationen die Zonenerkundung betrifft. Hier fühlt sich Mutant: Jahr Null etwas wie ein Open-World-Computerspiel an. Die Spieler verfügen anfangs nur über eine Karte mit groben Umrissen und einigen markanten Orten. Vielleicht hat ein Kartograph noch ein paar nützliche Hinweise oder Warnungen hinterlassen, grundsätzlich ist die Außenwelt den Spielern aber ebenso wie den Charakteren unbekannt. Sie können sich frei, wenn auch beschwerlich über die Karte manövrieren und dabei auf besondere Sektoren stoßen. So könnten sie ein Kraftwerk finden, ein Versteck von Nomaden oder wichtige Bauten aus der grauen Vorzeit. Zudem können Artefakte früherer Zivilisationen gefunden werden, die nicht nur Geheimnisse der Vergangenheit lüften, sondern äußerst mächtig sein können. Generöse Charaktere können diese Objekte auch der Arche überlassen und sind so vor eine Wahl zwischen Ego und Gemeinschaft gestellt.

Um der Freiheit der Spieler Herr zu werden, liefert bereits das Grundbuch zahlreiche Zufallsbegegnungen und -szenen sowie vorbereitete Orte. Auch sind zwei ganze Zonenkarten in die Buchinnenseiten gedruckt, die genutzt werden können. Ein Kartenpaket erlaubt sogar, dass die Spieler ihre Erkundungen in diesen Zonen komfortabel festhalten und die Karte fast wie im Computerspiel freispielen. Grundsätzlich ist Mutant: Jahr Null also nicht abenteuerbasiert, sondern geht von der Welt selbst aus, die über Begegnungen, besondere Orte und Machtkonstellationen erschlossen wird.

Trotz der Vielzahl an Zufallsereignissen ist Mutant: Jahr Null bemüht, eine spannende Geschichte zu erzählen. Das gelingt durch einen Metaplot. Der soll hier nicht verraten werden, dient aber neben Entdeckungslust und Archenausbau als große letzte Motivation für die Gruppe. Insbesondere steht hier die Suche nach Eden im Vordergrund. Durch den Metaplot und eine zumindest assoziative Vernetzung der Ereignisse kann eine lebendige Welt entstehen, die prinzipiell ohne große Abenteuervorbereitung umgesetzt werden kann. Mit geübter und kreativer Spielleitung kann das Spiel ohne große Vorarbeit gespielt werden und bietet dann auch für die Spielleitung selber Überraschungen. Mutant: Jahr Null liefert also ein Gesamtpaket aus Regeln, Welt und Kampagne.

Regeln

Das Regelsystem von Mutant: Jahr Null ist schmal und speziell auf die Bedürfnisse des Settings ausgelegt. Charaktere verfügen über vier Attribute (Stärke, Geschicklichkeit, Verstand und Empathie); dazu kommen Fertigkeiten (zwölf Basisfertigkeiten, eine Handvoll Spezialfertigkeiten) und spezialisierte Talente sowie Mutationen.

Proben werden mit Spezialwürfeln durchgeführt, bei denen 1er und 6er um Symbole ergänzt wurden. Dadurch sind sie durch verschiedenfarbige W6 ersetzbar, was dann aber nicht mit dem gleichen Komfort einhergeht. Bei einer Probe werden (gelbe) Basiswürfel in Höhe des Attributs, die passende Anzahl grüner Fertigkeitswürfel und ggf. schwarze Ausrüstungswürfel geworfen. 6er sind bei allen Würfeln Erfolge, lediglich die 1er unterscheiden sich je Würfeltyp. Attributswürfel können bei einer 1 die Mutation aktivieren, Ausrüstungswürfel hingegen führen bei einer 1 zur Beschädigung eben jener.

Diese negativen Effekte kommen jedoch nur zum Vorschein, wenn sich ein Charakter entscheidet, seinen Wurf zu strapazieren. Das ist kein Sonderfall, sondern fest im System verankert. Entscheidet man sich, einen Wurf zu strapazieren, werden alle nicht-Symbole neu gewürfelt, was für mehr Erfolge sorgen kann. Das ermöglicht wiederum „Stunts“, da jeder Extraerfolg einen fertigkeitsspezifischen Bonus – eben einen Stunt – aktivieren kann. Stunts sind für jede Fertigkeit detailliert und spielnah geschildert, lassen sich aber je nach Gruppe auch flexibel interpretieren. Dafür bringen alle 1er am Ende einer Strapazierung ihre Nachteile mit sich. Hervorzuheben ist zuletzt die Möglichkeit, in allen Situationen Gegenstände zu nutzen. Leider ist die Ausrüstungsliste dafür etwas spärlich und nutzt das Potential nicht ganz aus.

Das Poolsystem ist schlank und unterscheidet sich insbesondere durch die Interpretation der Ergebnisse. So gibt es keine Patzer, sondern nur Misserfolge, diese erlauben dem Spielleiter aber direkt das Ergebnis einer Probe festzulegen, während die Spieler bei einem Erfolg unmittelbar entscheiden, was gelingt. Kritische Erfolge sind hingegen durch die Stunts abgedeckt, die so auch außerhalb des Kampfes einen spezifischeren Effekt haben. Durch die Möglichkeit, Würfe zu strapazieren, ermöglicht das System zudem kontinuierlich spannende Entscheidungen.

Auch sonst folgt das System einer schlanken, narrativen und gut verzahnten Designphilosophie. So besitzen die Charaktere beispielsweise keine Lebenspunkte. Stattdessen werden die Attribute direkt betroffen. Sinkt eines auf null, gilt ein Charakter als „gebrochen“ und muss wieder „auf die Beine kommen“, bevor er handeln kann. Dabei wird allen Attributen eine bestimmte Art an Belastung zugewiesen. Stärke ist auf Nahrung angewiesen, Geschick auf Wasser, Verstand auf Schlaf und Empathie auf Zuwendung bzw. Hoffnung. Das kann sicherlich stellenweise etwas Fantasie benötigen, um Reduzierungen sinnvoll zu interpretieren, wird aber im System konsequent umgesetzt und vermeidet plumpe Heiltränke und konsequenzlose Schlägereien.

Kämpfe sind übrigens ähnlich flott aufgebaut. Ungewohnt ist, dass sich ein Charakter jede Runde für Angriff oder Verteidigung entscheiden muss, was die Initiative besonders wichtig macht. Auch können Stunts für mehr eingesetzt werden als bloßen Bonusschaden. Als cooler Randeffekt wird das simple Rüstungssystem genutzt, um Deckung zu zerlegen. Insgesamt ergibt sich so ein schnelles und actionreiches Kampfsystem ohne große Überraschungen.

Genrespezifisch sind zuletzt nicht nur die zu aktivierenden Mutationen, sondern auch der Bedarf an Wasser und Nahrung (Fraß), der mit einem simplen Gewichtssystem gekoppelt ist. Auch die ständige Bedrohung von Fäulnis wird mit einem simplen Wert und klaren Konsequenzen verknüpft.

Charaktere

Der Charakterbau wird durch eine schnelle Verteilung von Punkten und eine zufällige Mutation umgesetzt. Risikofreundliche Spieler wenden sogar einen Attributspunkt für eine zweite Mutation auf. Grundsätzlich muss dabei einem von bisher acht Archetypen gefolgt werden. Die sind auf je zwei Seiten übersichtlich vorgestellt und heben sich durch eine Spezialfertigkeit und ein besonders ausgeprägtes Haupttalent ab. Die Klassen sind zwar etwas klischeebehaftet, aber insgesamt offen genug, um eine plausible Welt zu ermöglichen. Wie bei vielen moderneren Systemen werden bei der Charaktererstellung gleich Verhältnisse zu NPCs und den anderen Charakteren festgelegt. Letztlich werden die Spieler angeregt, einen Satz über jeden anderen Spielercharakter abzugeben und einen Freund, Feind und zu beschützenden NSC zu bestimmen. Auch sich aktiv in die Grundgestaltung der Arche und erster NPCs einzubringen, wird begünstigt. Das geht flink und macht die Gruppe und Arche gleich vom ersten Abend an lebendiger.

Design und Layout

Schon auf den allerersten Blick weiß das Buch optisch zu überzeugen. Das Layout ist angenehm luftig und erschlägt nicht mit Bleiwüsten. Haupttext, Beispiele und Infoboxen sind übersichtlich abgegrenzt und optisch passend zum Thema gestaltet. Dabei wurde ein gutes Gleichgewicht aus Atmosphäre und Übersichtlichkeit getroffen. Eingestreute Grafiken, Seitenhintergründe und Überschriftsakzente sind atmosphärisch, übertreiben es aber nicht. Das ist leider keine Selbstverständlichkeit und macht im vorliegenden Fall direkt Lust aufs Lesen.

Auch am Spieltisch zahlt sich das Layout aus. Bereits beim ersten Blättern hat man das Gefühl, sich im Buch zurechtzufinden. Dazu trägt sicher die farbliche Trennung von Spieler- und Spielleiterteil bei, insbesondere aber auch die äußerst klaren Überschriften, die auf jeder Doppelseite zu finden sind. Äußerst schön ist auch das großzügige Inhaltsverzeichnis. Zwar werden nur die 16 Hauptkapitel angegeben, dafür wird jedes Kapitel mit einem passenden Bild eingeführt und Spieler- und Spielleiterteil wird jeweils eine eigene Doppelseite gewidmet. Die Details der Kapitel finden sich im ausführlichen (aber leider um eine Seite verrutschten) Index, der ebenso wie die abschließenden Tabellen für eine optimale Nutzung am Spieltisch sorgen dürfte. Auch die zwei farblich abgestimmten Lesebändchen helfen hier fraglos weiter. Spielbögen liegen als Schwarzweiß- und Farbvarianten am Buchende als Kopiervorlage vor und können natürlich auch heruntergeladen werden. Auch hier ist das Design treffsicher. Kleine Wermutstropfen sind die nicht immer akkurate Seitenzahlenverweise, die man jedoch durch die klare Aufteilung verschmerzen kann. Ebenso stört ein beständiger Wechsel zwischen Trenn- und Gedankenstrichen – schade, aber etwas, an das man sich schnell gewöhnt.

Das Artwork greift den insgesamt übersichtlichen Stil treffend auf. Im Gegensatz zum düster-realistischen Coverbild ist das innere Artwork in einem (erwachsenen) Comicstil gehalten. Dadurch wird das Setting nicht zu ernst und beklemmend, es geht aber durchaus herb zur Sache. Neben ganzseitigen Illustrationen finden sich hier hauptsächlich freigestellte Charaktere, Gegner und Waffen, jeweils in Vollfarbe. Die Zeichnungen sind durchweg sauber ins Seitenlayout eingepflegt und tragen zum positiven Gesamteindruck bei. Text wird durch Zeichnungen nur in Einzelfällen eingerückt und es gibt keinerlei unangenehme Zeilenumbrüche. Hier waren echte Profis am Werk.

Material

Da Mutant: Jahr Null aus einem Kickstarter hervorgegangen ist und auf einer mittlerweile 30 Jahre bestehenden, schwedischen Vorlage beruht, kommt es bereits am Veröffentlichungstag mit einigen Zusatzmaterialen daher. Die Kickstarterliste ist lang und hat allerhand zu bieten gehabt. Alles für das Spiel relevante Material kann aber ohne enorme Mehrkosten normal bezogen werden; man hat lediglich einige Gimmicks verpasst. Das kann der Rollenspielern eigenen Sammellust etwas wehtun, insgesamt scheint das Projekt aber vom Kickstarterformat profitiert zu haben. Es ist ein rundes Produkt herausgekommen, das sich auch ohne Zusatzmaterial vollständig anfühlt und zu spät Gekommenen keine wichtigen Materialien vorenthält.

Die fast 300 Seiten des Grundregelwerks bieten alleine schon alles, was zum Spielen benötigt wird. Mit der Rollenspielern eigenen Fantasie lässt sich hiermit schon viel anstellen und es lassen sich auch gut eigene Ideen umsetzen. Allein ein oder mehrere Sets Sonderwürfel dürften dem Spiel sehr gut tun, die sind aber leider noch nicht im Handel. Ein Kartendeck für Bedrohungen, Mutationen und Artefakte kann das Spiel visuell deutlich aufwerten, das Regelwerk ist aber ebenso für klassisches Aufschreiben ausgelegt und nicht auf das Zubehör angewiesen. Anstatt klassischer Abenteuer sind übrigens bereits drei sogenannte Zonenkompendien auf dem Markt. Das Format verspricht viel und passt zum Gesamtansatz.

Weitere Artikel: