Leseprobe: Sword Catcher – Das erste High-Fantasy-Werk für erwachsenes Publikum von Cassandra Clare
2007 machte, die heutige Weltbestsellerautorin, Cassandra Clare, mit ihrem Fantasyroman »City of Bones«, Debüt und verzauberte Fantasy Lesende rund um die Welt. Auch ihre darauf folgenden Romane waren große Bestseller. Nun können wir uns auf einen neuen High-Fantasy-Roman von ihr freuen. Um euch einen kleinen Vorgeschmack zu geben, worauf man schon so gespannt sein kann, haben wir in diesem Artikel eine kleine Leseprobe für euch.
Aus dem Prolog
Plötzlich entstand an der Tür eine leichte Unruhe. Kel blickte auf und sah im Gang eine Gruppe von Kastellwächtern, die wie das Auflodern von Flammen wirkte. In ihrer Mitte befand sich ein Junge, der die Tür passierte und sie fest hinter sich schloss.
Bensimon richtete sich auf; er wirkte nicht überrascht. »Prinz Conor.«
Kel spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. Das hier war also der Junge, den er verkörpert hatte. Ein Junge, der offensichtlich nicht krank gewesen war. Das bedeutete vermutlich, dass das alles nur ein Test gewesen war – und dass sie nun irgendwie zum letzten Teil des Tests kamen.
Der Kronprinz war ganz in Stahlblau gekleidet, genau wie Kel. Zwar trug er keinen goldenen Reif, aber Kel hätte ihn trotzdem für einen Prinzen gehalten. Er war groß für sein Alter, hatte die feinen Gesichtszüge seiner Mutter, und in seinen Augen loderte eine Art Feuer. Außerdem trug er einen lachenden Ausdruck im Gesicht, der in Kel den Wunsch weckte, ihn anzulächeln – was an sich schon ziemlich verblüffend war. Er wusste, dass der Junge eigentlich furchterregend sein sollte; schließlich war er von königlichem Blut. Und irgendwie war er auch furchterregend, aber dennoch wollte Kel den Prinzen anlächeln.
Obwohl er nicht älter war als Kel, wirkte Conor um Jahre reifer, als er mit leichtem Schritt den Raum durchquerte und fragte: »Und, wie war es? Mich darzustellen?«
Ein unerwarteter Schmerz erblühte wie eine Blume in Kels Brustkorb. Ich möchte so sein wie er, dachte er. Ich möchte durch die Welt gehen, als würde sie sich um meine Träume und Wünsche herum neu formieren. Ich möchte den Eindruck erwecken, als könnte ich die Sterne mit leichten Fingern berühren und sie als meine Spielzeuge auf die Erde ziehen.
Es war seltsam, etwas so sehr zu wollen, von dem man bis vor einem Moment noch nicht gewusst hatte, dass man es überhaupt wollte.
Kel nickte nur, als wollte er sagen, dass alles in Ordnung sei. Conor legte den Kopf leicht auf die Seite, wie ein neugieriges Rotkehlchen. Dann trat er näher an Kel heran, ergriff ohne Scheu seine Hand und drehte sie um.
Im nächsten Moment stieß Conor einen erschrockenen Laut aus: In Kels Handfläche waren die Spuren zahlreicher Messerschnitte zu sehen.
»Ich habe versucht, mich wach zu halten«, erklärte Kel. Er betrachtete seine Hand und die des Prinzen. Seine eigene Haut schimmerte etwas dunkler, weil er viel in der Sonne gespielt hatte, und Conors Handflächen waren glatt und frei von Narben oder Blasen.
»Ja, das habe ich gesehen«, sagte Conor. »Ich habe zugeschaut, den ganzen Abend über. Hinter einem Wandschirm.«
Er gab Kels Hand frei.
»Das zeugt wirklich von beeindruckender Entschlossenheit«, sagte Bensimon. »Und von großer Widerstandsfähigkeit gegenüber Schmerzen.«
Conors Blick war fest, klar und grau. Deine Augen stimmen nicht überein, hatte Bensimon gesagt. »Lass uns allein, Mayesh«, befahl er. »Ich möchte mit Kel allein sprechen.«
Eigentlich hätte Kel erwartet, dass der Berater protestieren würde. Doch stattdessen schien Mayesh Bensimon ein Lächeln zu unterdrücken. »Wie Ihr wünscht«, sagte er und verschwand in einer Wolke aus grauem Mantelstoff.
Als er den Raum verlassen hatte, fehlte er Kel sofort. Bensimon war die Person, die er im Palast am längsten kannte. Conor war ein Fremder, auch wenn Kel den Abend damit verbracht hatte, vorzugeben, er wäre der Prinz. Er beobachtete, wie Conor zum Tisch ging und einen der Dolche nahm, dann einen weiteren. Vielleicht war dies hier ja das Ende seines Abenteuers, dachte Kel bestürzt. Erst die Reise, dann das merkwürdige Abendessen … und jetzt würde der Kronprinz ihn erstechen.
»Magst du Waffen?«, fragte Conor. »Ich könnte dir einen Dolch schenken, wenn du willst.«
Kel war enorm erfreut, dass er die Dolche richtig erkannt hatte. Trotzdem erschien ihm das Ganze nicht sehr vielversprechend. »Wofür?«, hakte er misstrauisch nach.
Conor grinste schief. »Ich weiß nicht, was du magst«, erklärte er. »Und ich überlege gerade, wie ich dich zum Bleiben überreden kann.«
»Bleiben? Hier? Im Palast?«
Conor setzte sich auf die Kante des kleineren Betts. »Mein Vater ist als Kind am Hof von Malgasi aufgewachsen«, sagte er. »Dort pflegt man eine Tradition: Wenn ein Prinz zehn Jahre alt wird, bekommt er eine Art … Leibwächter. Királar nennen sie ihn. Schwertfänger. Er soll den Prinzen vertreten, um … um ihn vor Gefahren zu schützen. Er lernt, wie der Prinz zu gehen und zu reden, sich wie er zu kleiden. Und er wird so behandelt, dass er aussieht wie er.«
»Behandelt, um wie er auszusehen?«, wiederholte Kel.
»Durch Talismane, Anhänger, Metatropfen, die die Farbe der Augen verändern.« Er seufzte. »Das alles klingt nicht sehr verlockend, aber ich habe mir vorgenommen, ehrlich zu sein. Alles andere hätte keinen Sinn. Letztendlich würdest du es ja doch herausfinden.«
»Du willst, dass ich dein Schwertfänger bin«, sagte Kel gedehnt.
Conor nickte. »Mein Vater könnte es dir befehlen, aber ich will niemanden, der zögert, sondern jemanden, der es tun möchte. Außerdem will ich niemanden auswählen, der aus seiner Familie gerissen wurde. Und deshalb … du kommst doch aus einem Waisenhaus, oder?«
Kel nickte. Er war zu verblüfft für eine Antwort.
Conor entspannte sich ein wenig. »Das ist gut. Zumindest hat Jolivet mich nicht angelogen.« Er sah Kel an. »Was hältst du davon?«
»Ich finde, das klingt gefährlich und wahrscheinlich auch schwierig«, erwiderte Kel. »Und wenn du jemanden suchst, der es machen möchte, könnte das ebenfalls schwierig werden.«
Conor seufzte schwer. »Wie du meinst.«
Er wirkte niedergeschlagen, was Kel das Seltsame an der Situation wieder ins Bewusstsein rief. Er hatte nicht gewusst, was er von einem Treffen mit dem Kronprinzen von Castellan erwarten sollte, aber er hatte sicher nicht erwartet, dass dieser deprimiert wäre. »Na ja, du könntest versuchen, mich zu überzeugen. Mir erzählen, was daran gut wäre«, schlug er vor.
Sofort schaute Conor auf und seine Augen leuchteten. »Wirklich?« Er setzte sich aufrecht hin. »Nun, du würdest im Palast leben. Du könntest alles haben, was du willst, zumindest meistens. In angemessenem Rahmen, aber Kleidung oder Bücher oder … na ja, eigentlich alles. Wenn du etwas in einem Schaufenster siehst, würde ich es für dich besorgen. Es sei denn, es wäre ein Elefant aus Jade oder etwas ähnlich Riesiges.«
»Ein Elefant aus Jade erscheint mir ziemlich unpraktisch«, sagte Kel ernst und unterdrückte ein Grinsen.
»Wir würden zusammen lernen«, fuhr Conor fort. »Jolivet ist nicht der angenehmste Kerl, aber er ist der beste Schwerttrainer, den es gibt. Du würdest ein erfahrener Kämpfer werden. Und meine Lehrmeister bringen mir alles bei, was es zu wissen gibt; sie würden auch dich unterrichten. Du würdest ein Dutzend Sprachen sprechen, die Geschichte von ganz Dannemore kennen, die Konstellationen der Sterne, alle großen Gleichungen.«
Trotz Kels Bedenken flammte etwas in ihm auf: klein und hell, ein fernes Signalfeuer. Dieses Gefühl erschreckte ihn. Er hatte nicht erwartet, wirklich in Versuchung zu geraten.
»Du wärst nie hungrig«, sagte Conor leise. »Und du wärst nie einsam. Du würdest hier schlafen, neben mir; wir sind immer zusammen. Und dein Leben wäre außergewöhnlich.«
Kel lehnte sich mit dem Rücken gegen den Tisch. Außergewöhnlich. Er kannte das Wort – hauptsächlich aus dem Unterricht.
Aufgeregt beugte Conor sich vor. »Du lernst Könige aus aller Welt kennen, Menschen, die von berühmten Helden abstammen. Du wirst den größten Tänzern beim Tanzen zusehen, den besten Musikern zuhören. Du würdest Dinge sehen, die kaum jemand jemals zu Gesicht bekommt. Du könntest die ganze Welt bereisen.«
Kel dachte an den Weißen Felsen in der Nähe des Orfelinats. Dieser Fels war das Schiff gewesen, mit dem er mit Cas über imaginäre Meere gesegelt war. Er dachte an die Murmeln, mit denen sie ihre Landkarte in dem endlosen Spiel Wo willst du hin? beschwerten. Dabei hatten sie beide immer gewusst, dass sie diese fernen Länder nie zu Gesicht bekommen würden.
»Die Welt bereisen«, sagte er. »Mit … dir?«
Conor nickte eifrig. »Die meiste Zeit müsstest du nicht so tun, als wärst du ich. Du wirst eine andere Identität erhalten. Den Namen eines Adligen. Und wenn ich König werde, bist du nicht länger mein Schwertfänger. Dann wirst du wie Jolivet, der Anführer der besten Soldaten von Castellan. Der Anführer der Pfeilschwadron. Und eines Tages kannst du dich in Ehren und mit großem Reichtum zur Ruhe setzen.«
Ehre klang langweilig, großer Reichtum dagegen interessant.
»Aber vielleicht hast du ja schon andere Pläne? Und willst Kaufmann oder Zunftmeister werden?«, fragte Conor unsicher. Er wirkte müde. Kel hätte nicht gedacht, dass reiche Jungs jemals so müde aussehen konnten. »Ich werde dich nicht gegen deinen Willen hierbehalten. Das habe ich meinem Vater gesagt.«
Das habe ich meinem Vater gesagt. Dass er damit den König meinte, war schon seltsam genug. Aber noch seltsamer war die Tatsache, dass Conors Hände zitterten, obwohl er sie verschränkt hatte. Der Prinz brauchte ihn wirklich, dachte Kel erschrocken. Er war noch nie zuvor gebraucht worden. Cas war sein Freund, aber Cas brauchte ihn nicht, und das Gleiche galt für Schwester Bonafilia und die anderen. Eltern brauchten ihre Kinder, aber er hatte nie Eltern gehabt. Er hatte nicht gewusst, was es bedeutete, von einem anderen Menschen gebraucht zu werden: dass es in einem den Wunsch weckte, den anderen zu beschützen. Und zu seiner eigenen Überraschung wollte er diesen Jungen, den Prinzen von Castellan, beschützen. Er wollte zwischen ihm und einem Wald gefährlicher Fléchettes stehen. Wollte jeden Feind, der Conor Aurelian etwas antun wollte, niederstrecken und vernichten.
Dieser Wunsch war das Erste, was er seit Betreten des Palastes wirklich tun wollte. Gut, außer essen vielleicht.
Aber vielleicht hast du ja schon andere Pläne? Und willst Kaufmann oder Zunftmeister werden? Sobald Kel sechzehn wurde, würde das Orfelinat ihn mittellos in die Welt entlassen. Das Waisenhaus existierte, um Kindern zu helfen – aber nur Kindern. Ohne Ausbildung und weitgehend ohne Schulbildung gab es auf den Straßen von Castellan keine Zukunft für ihn. Selbst Matrosen wurden von klein auf ausgebildet. Er könnte sich als Laternenanzünder durchschlagen oder als Schiffsjunge, wenn er Glück hatte, und wäre dennoch sein Leben lang bettelarm. Oder er könnte ein Verbrecher werden, Taschendiebstähle begehen oder sich den Kletten anschließen – das Höchste, wovon er je zu träumen gewagt hatte – und am Galgen des Tully enden.
Er holte tief Luft. »Außergewöhnlich, hast du gesagt?«
Und Conor begann zu lächeln.
Dieser Artikel ist erschienen bei: Zauberwelten-Online.de
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