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Kurzgeschichte: Winterbrüder und Drachentöter

Die Kurzgeschichte des Monats vom Phantastik-Autoren-Netzwerk

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Kategorie: Kurzgeschichten Literatur

Was verbindet einen Drachen und einen Fuchs, die in schwierigen Zeiten und unter gefährlichen Umständen aufeinandertreffen? Das erzählt Jörg Fuchs Alameda in der PAN-Kurzgeschichte des Monats September.

 Lord Robert Daly of Dunsandle Castle – Der Schwur

»Bitte, Lord Daly, Ihr dürft nicht aufstehen! Der Arzt hat es ausdrücklich verboten. Der Stumpf muss sich erst an die Prothese gewöhnen.«

»Das ist mir egal!«, schrie Robert und zog sich an seinem Diener aus dem Bett. Nach zweimonatiger Ruhe war es das erste Mal, dass er aufrecht stand. Das Holz der Prothese drückte wie ein riesiger Felsbrocken auf den verbliebenen Stumpf seines Oberschenkels. Die Schwärze drohte, ihn zu übermannen. Da legte er allen Zorn, den er aufbringen konnte, über den reißenden Schmerz. »Mein Kettenhemd, meine Hose!« Er stieß Fergus Richtung Schrank.

Wortlos half der Diener dem Lord in seine Kleider. Dann stützte er ihn vom Schlafgemach bis in die große Empfangshalle.

»Bring mir mein Schwert!«

»Mylord …«

»Mein Schwert, sofort! Oder muss ich erst meine Fäuste sprechen lassen?« Er kehrte Fergus den Rücken zu und humpelte allein zum Ausgang. Sein Holzbein, das mit jedem Schritt über den harten Steinboden schliff, schallte unheilvoll durch die Flure der Burg.

Gehorsam eilte Fergus mit dem Schwert zu seinem Herrn und legte es ihm an. Der Lord stieß die Tür auf. Ein eisiger Wind schlug ihm entgegen. Alles war weiß. Dicke Schneeflocken rieselten vom Himmel und verschluckten die Geräusche des umgebenden Waldes.

Fergus stellte sich ihm in den Weg. »Mylord, Sie können unmöglich zur Drachenjagd. Die Tiere haben sich längst zurückgezogen.«

Taub vor lauter Hass schob Robert ihn zur Seite. Er trat nach draußen, seinen Blick stur auf die kahlen Wipfel der Bäume gerichtet, so als würde er dort etwas sehen, was für die Augen des Dieners verborgen blieb. »Schwarzer Drache, du wirst bezahlen! Dein Leben für mein Bein.« Er zog sein Schwert aus der Scheide, legte die linke Hand auf die Klinge und drückte zu, bis das Blut zwischen seinen Fingern hervorquoll und auf den Schnee tropfte. »Bei meinen Ahnen, ich, Lord Robert Daly of Dunsandle Castle, schwöre, dass ich die irischen Wälder der Grafschaft Galway von allen Drachen befreien werde. Sobald dieser verfluchte Winter vorbei ist.«

 

***

 

Im Fuchsbau

Vor lauter Sorge vergaß der kleine Fuchs seinen Hunger. Seine Mutter war dermaßen schwach, dass sie kaum mehr den Kopf heben konnte. Das wenige Mondlicht, das den Weg durch die Röhre in den Kessel des Fuchsbaus fand, reichte nicht aus, um ihr Befinden zu prüfen. So presste sich Graupfötchen dicht an ihren Bauch, um wenigstens ihr Atmen zu spüren.

Der Winter war unerwartet gekommen, früher und härter als es die Füchse gewohnt waren. Für Graupfötchen war es der erste. Die Vorräte waren längst aufgebraucht, deshalb war sein Vater zum Revier des Schwarzdrachen aufgebrochen. Nur dort, wo es Drachenfeuer gab, bestand die Möglichkeit, in dem ansonsten vollständig vereisten Wald Nahrung zu finden.

Vater war schon lange weg. Graupfötchen winselte bei dem Gedanken, dass der Drache ihn erwischt haben könnte. Er hatte große Angst, bald ganz allein zu sein. Nur das leise Schnaufen seiner Mutter beruhigte ihn ein wenig.

 

Mit der Kälte kroch auch Traurigkeit in die Glieder des kleinen Fuchses. Er dachte an den Frühling, der ihm sein graubraunes Welpenkleid gegen rötliches Fell getauscht und damit erlaubt hatte, mit seinen Geschwistern den Bau zu verlassen.

Im Schutz der Bäume hatte er damals den Waldboden erkundet. Sein erster Fund war eine Rinde gewesen, die er aufgeregt angekaut hatte. Sein Bruder und seine Schwester hatten sich sogar auf die Lichtung getraut und im Gras getollt. Es war wundervoll gewesen – bis ein widerliches Krächzen die Füchse aus dem Spiel gerissen hatte.

Über den Baumwipfeln kreiste ein Schatten. Sein Vater bellte Alarm. Graupfötchen rannte, so schnell er konnte, in die Röhre. Ängstlich blickte er aus dem Erdloch.

Ein schwarzer Drache stürzte zwischen dem Geäst hinab. Im Vorüberflug griff das Ungetüm seine Geschwister und stieg mit ihnen in die Höhe. Die kleinen Füchse kreischten bitterlich.

Spitzzähnchen befreite sich aus der Kralle und fiel in die Tiefe. Graupfötchen eilte zu ihm, stellte sich schützend über ihn und musste zusehen, wie der Drache mit Weißöhrchen davonflog. Er heulte verzweifelt, denn er wusste, dass der Schwarzdrache seine Schwester fressen würde, und er konnte nichts dagegen tun. Schon bald war sie nur noch ein Fleck am Horizont.

»Steh auf!«, flehte er seinen Bruder an.

Spitzzähnchen öffnete die Augen. Mehr und mehr Blut floss aus seinen Wunden. Sein Körper bebte nicht mehr. Sanftmütig sah er Graupfötchen an. Ein letztes, ersticktes Bellen, und die schwarzen Äuglein starrten leblos in den Himmel.

»In den Bau!«, befahl der Vater.

Graupfötchen legte sich auf den noch warmen Körper. Ihm war es egal, ob der Drache wiederkäme und auch ihn töten würde. Er wollte Spitzzähnchens Nähe spüren – noch ein einziges Mal. Sein Vater musste ihn mit Gewalt in das sichere Erdloch ziehen.

 

Die Stille des Winters war grausam, brachte sie ihm doch all die schmerzlichen Erinnerungen zurück. Er versuchte, sie abzuschütteln.

Da spürte er, dass seine Mutter unruhig wurde, als träumte sie von der Jagd. Unvermittelt endete ihr leises Schnaufen mit einem Seufzer.

Zitternd richtete sich Graupfötchen auf. »Mama!« Er stupste sie an – immer und immer wieder. Doch sie rührte sich nicht. Der kleine Fuchs wusste, was das zu bedeuten hatte. »Gute Reise«, flüsterte er in ihr Ohr. Er schmiegte sich an ihren Kopf und weinte.

 

Graupfötchen musste eingeschlafen sein. Tageslicht drang durch die Röhre in den Bau, als ihn ein schleifendes Geräusch weckte. Kurz darauf hörte er das raue Pusten seines Vaters.

Rückwärts trat dieser in den Kessel, denn er versuchte, etwas hineinzuzerren. »Jetzt wird alles gut. Wir müssen nicht verhungern.«

»Mama ist …« Graupfötchen schluchzte. Er konnte kaum sprechen. »… gegangen.«

Sein Vater ließ von der Beute ab. Mit gesenktem Haupt drehte sich der Fuchs zu seiner Fähe. Er schnupperte kurz an ihr. Traurig jaulte er und verfluchte sich dafür, dass er sich nicht verabschiedet hatte.

Nach einer Weile sagte sein Vater: »Niemand soll sie fressen. Wir werden sie tief in einer Fluchtröhre vergraben. Direkt neben Spitzzähnchen.«

 

Es war harte Arbeit gewesen, die Erde von den Wänden zu kratzen und den Gang, in dem seine Mutter lag, damit zu verschließen. Graupfötchen schmerzten die Krallen. Vor Erschöpfung vergaß er für einen Moment sein Leid. »Ich habe Hunger.«

Sein Vater nickte. Er verschwand im Vorratsgang und zerrte seinen Fund in den Hauptbau. »Der Schwarzdrache hat ihn aus dem Nest geworfen. Beinahe hätte ich ihn im Schnee übersehen. Friss, mein Junge.«

Graupfötchen staunte. Die meisten Drachen waren grün. Rote hatte er auch schon gesehen. Doch ein weißer Drachenwelpe war ihm noch nie begegnet.

»Seine Eltern wollten ihn nicht. Er hat wohl die falsche Farbe«, sagte der alte Fuchs und biss in den hinteren Schenkel.

In diesem Moment öffnete der Drache seine Augen. Sanftmütig sah er Graupfötchen an.

»Spitzzähnchen«, flüsterte der kleine Fuchs. Er dachte an seinen Bruder, der einst genauso vor ihm gelegen hatte wie dieser Drache. All die Liebe und Wut und Trauer jenes schicksalhaften Tages, an dem seine Geschwister gestorben waren, stiegen mit voller Wucht in ihm empor.

Die Lider des Drachen fielen schwer herab. Der Verstoßene schlief weiter.

Der Vater kaute, doch konnte er die zähe Haut des Drachens kaum durchbohren.

»Halt!«, schrie Graupfötchen und drängte sich dazwischen. »Der Welpe lebt.«

Der alte Fuchs fletschte die Zähne. »Geh mir aus dem Weg! Ich will fressen.«

»Nein!« Graupfötchen wich nicht zurück.

»Es ist nur gerecht, mein Junge. Oder hast du vergessen, was seinesgleichen uns angetan hat?«

Graupfötchen legte sich auf den Welpen und knurrte entschlossen.

Der alte Fuchs blickte über ihn hinweg zu der Fluchtröhre, wo seine Fähe und sein erstes Kind vergraben lagen. Traurig senkte er den Kopf. »Mein Sohn, du nimmst den Hunger auf dich. Du stellst dich gegen meinen Zorn. Dann soll es so sein. Du hast diesem Drachen das Leben gerettet. Dadurch bist du für immer mit ihm verbunden. Nun ist es an dir, deinen Winterbruder gesund zu pflegen.«

 

In den nächsten Tagen erholte sich der weiße Drache von dem Sturz aus dem Nest. Graupfötchen gab ihm den Namen Feuermündchen, denn mit seinem Drachenfeuer wärmte er fortan den Fuchsbau. Auch das Eis draußen konnte er mühelos schmelzen, sodass sie genügend Nahrung im eigenen Revier fanden und der Vater nicht mehr in das Gebiet des Schwarzdrachen eindringen musste.

 

***

 

Getrennte Wege

Die Kälte verging und der Frühling hielt Einzug ins Land. Aus Graupfötchen und Feuermündchen wurden schon bald Graupfote und Feuermund – ein stolzer Fuchs, der sich vor nichts und niemandem fürchtete, und ein weißer Drache, der erhaben durch die Lüfte glitt. Die Tiere des Waldes staunten über die ungleichen Brüder.

Im Sommer, als lang gezogene, einsilbige Drachenrufe Feuermund zum Drachenfelsen lockten, trennten sich ihre Wege. Graupfote, der noch keinen Drang zur Paarung verspürte, ließ seinen Winterbruder schweren Herzens ziehen.

 

Mit jedem Monat vermisste Graupfote seinen Bruder mehr. Als seine Sehnsucht allzu groß wurde, verließ er sein Revier, um Feuermund zu suchen. So kam es, dass er auf einen Menschen traf.

Schreie des Kampfes erfüllten den Wald. Er horchte auf. Ein Drache und ein fremdes Brüllen. In Sorge, dass sein Bruder in Gefahr sein könnte, folgte Graupfote dem Lärm.

Er sah einen Mann, der mit einem seltsam glänzenden Stab auf einen grünen Drachen einschlug. Graupfote kannte Menschen nur von den Erzählungen seines Vaters. Sie fressen keine Füchse, hatte er gesagt, sie töten einfach nur, weil sie Freude dabei empfinden.

Mit dem nächsten Hieb fiel der Drache zu Boden und verstummte. Der Mann setzte sich auf das besiegte Tier, zog einen kleineren, glänzenden Stab aus seinem Fell und rieb damit über den Hals des Drachen. Neugierig schlich Graupfote näher an ihn heran.

Der Mann riss den abgetrennten Drachenkopf und den glänzenden Stab in die Höhe, als zeigte er der ganzen Welt, dass er gewonnen hatte.

Sein Vater hatte recht gehabt. Erschrocken wich Graupfote zurück. Seine hintere Pfote trat auf eine kalte, glatte Scheibe. Es knackte. Etwas schnappte zu. Die spitzen Zähne einer menschlichen Falle durchbohrten sein Fleisch. Beißender Schmerz breitete sich in seinem Hinterbein aus. Er jaulte. Jeder Versuch, sich zu befreien, machte es nur noch schlimmer.

Der Mann bemerkte Graupfote, ließ den Drachenkopf fallen und schritt langsam auf ihn zu. Er schob den kleinen, glänzenden Stab in sein seltsames Fell und sprach Worte, die der Fuchs nicht verstand.

Vorsichtig streckte der Mann ihm das Bein entgegen. Sofort schnappte Graupfote zu. Es schmeckte nach Holz. Im nächsten Moment wickelte sich ein Fell um seine Schnauze und seine Augen. Mit aller Kraft versuchte er, sich dagegen zu wehren, doch der Mensch war stark.

Graupfote merkte noch, dass der Biss der Falle nachließ, dann entschwanden ihm alle Sinne.

 

***

 

Robert und der Fuchs

Der Arzt schüttelte den Kopf. »Tellereisen zählen nicht grundlos zu den Totfangfallen.«

»Hör auf mit dem Geschwafel!« Robert packte ihn am Kragen. »Der Fuchs kann auch mit drei Beinen weiterleben. Immerhin schaffe ich das nur mit einem.«

»Sehr wohl, Lord Daly. Aber ich kann wirklich nichts versprechen.«

»Rette den Fuchs und du wirst gut bezahlt.« Robert wedelte mit einem Säckchen vor dem Gesicht des Mannes.

»Für die Behandlung eines wilden Tieres?« Der Arzt nahm den Beutel und wiegte ihn in der Hand. »So viele Münzen?«

»Es war meine Falle. Sie galt den Drachen und nicht den Füchsen. Drachen reißen unsere Schafe und Kühe. Sie brennen unsere Dörfer nieder und töten unsere Kinder beim Spielen im Wald.« Er beugte sich zu dem Käfig und sah dem Fuchs in die Augen. »Ich kann es spüren, ihm wurde auch etwas genommen – genau wie mir.«

 

Dem Arzt gelang es, das kaputte Bein zu amputieren und einen hölzernen Ersatz herzustellen. Die nächsten Wochen verbrachte Robert mit der Pflege des Fuchses und vergaß darüber sogar die Drachenjagd.

Er teilte sein Essen und sein Bett mit dem Tier, das immer zutraulicher wurde. Der Fuchs lernte, mit der Prothese zu laufen, und folgte ihm auf Schritt und Tritt. Robert beschloss, seinen neuen Gefährten mit auf die Jagd zu nehmen.

 

***

 

Auf Leben und Tod

Graupfote spürte es ganz deutlich. Seitdem die Tage kürzer wurden, der Winter vor der Tür stand und der Schwarzdrache fast täglich über den Baumwipfeln des Waldes kreiste, hatte sich sein Mensch verändert. Der Mann, der noch vor wenigen Wochen so liebevoll zu ihm gewesen war, hatte nun keine Zeit mehr, um ihm das Fell zu bürsten.

Umso fröhlicher stimmte es Graupfote an diesem Morgen, dass er seinen Menschen zum ersten Mal in den Wald begleiten durfte. Einzig der glänzende Stab, den der Mann am Leibe trug, trübte die Freude. Er dachte an den grünen Drachen, der einst damit getötet worden war. Graupfote glaubte zwar fest daran, dass der grüne Drache zuerst angegriffen und der Mann sich nur verteidigt hatte, trotzdem hoffte er, seinen Feuermund nicht an diesem Tage wiederzutreffen, nicht wenn dieser tödliche Stab dabei war.

Auf freiem Feld konnte Graupfote mit Ross und Reiter kaum mithalten. Immer wieder warteten sie auf ihn. Im Unterholz war es anders. Trotz der Prothese war er zwischen Bäumen und Büschen schneller als das Pferd.

Er versuchte, den Drachentöter so weit wie möglich vom Drachenfelsen wegzulocken, denn dorthin war sein Winterbruder vor geraumer Zeit zur Paarung aufgebrochen.

Eine Weile streifte er ziellos umher. Dann überquerte er das Revier seines Vaters und lief in die Richtung, in der sich das Nest des Schwarzdrachens befand. Sein Mensch folgte ihm.

Ein Krächzen durchschnitt die Ruhe des Waldes. Graupfote erkannte den wütenden Ruf sofort und dachte an seine verstorbenen Geschwister. Er sah hinauf zu den Kronen dreier Bäume, die mit Geäst ungewöhnlich dicht ineinander verflochten waren.

Der Hengst blieb neben ihm stehen. Graupfote verstand immer noch nicht die Worte seines Menschen, doch er deutete sein Verhalten sowie den Klang der Stimme und vermutete, dass sein Freund ihn lobte, weil er das Nest des Schwarzdrachen gefunden hatte.

Über ihnen raschelte es. Der Mann zog seinen glänzenden Stab aus einer Hülle, streckte ihn in die Höhe und brüllte.

Der Schwarzdrache stürzte von den Baumwipfeln in die Tiefe. Er traf den Menschen wie eine riesige Faust. Der Reiter fiel, seine Waffe wirbelte durch die Luft und das Pferd rannte davon.

Feuer schoss auf den Mann zu. Er rollte zur Seite. Seine Blicke suchten den Waldboden ab. Graupfote verstand, lief zu dem glänzenden Stab und bellte.

Doch der Drache landete zwischen ihm und dem Mann. Graupfote versuchte, den Stab mit dem Maul zu seinem Menschen zu zerren. Aber er war zu schwer.

Immer wieder wich der Mann den Flammen aus und rückte dabei Stück für Stück so nahe an das Ungetüm heran, dass es sogar aufhörte Feuer zu speien.

Der Drache stellte sich auf die Hinterbeine und streifte mit seinen Krallen das silberne Fell des Mannes. Dem schien es nicht viel auszumachen. Er bewegte sich langsam um das Tier herum.

Endlich war der Weg zu Graupfote frei. Der Mann schritt rückwärts auf seinen Stab zu. Er kniete sich auf den Boden und tastete nach der Waffe.

Der Drache schnellte nach vorne. Er schlug die Zähne in den Arm des Mannes. Dieser schrie laut auf.

Graupfote schnappte nach dem schuppigen Hals des Drachen, doch er wurde von einem Flügel weggestoßen.

Der Mann zog einen kleineren Stab aus seinem Fell und rammte ihn in die Drachenschnauze. Fauchend löste das Ungetüm den Biss.

Der Mann sackte auf die Knie. Graupfote konnte das Blut an seinem Arm herunterrinnen sehen.

Nun schlug der Drache mit den Flügeln auf den Mann ein und hielt ihn auf diese Weise vor seiner Mitte fest. Aus den Nüstern drang Rauch. Er öffnete sein riesiges Maul. Feuer brodelte darin und drohte auszubrechen. Der Mann lag am Boden und hielt seine Arme schützend über den Kopf.

Graupfote rannte los. Das Lodern im Hals des Ungetüms schwoll an. Der Fuchs sprang über seinen Freund auf das Gesicht des Drachen zu.

Reißzähne packten ihn und schleuderten Graupfote gegen einen Baum. Er konnte kaum Atmen. Er dachte an Spitzzähnchen und Weißöhrchen. Bald würde er seine Geschwister wiedersehen.

Ein Schatten huschte über den Waldboden. Graupfote erkannte die Konturen. Neue Hoffnung keimte in ihm auf. Trotz der Schmerzen richtete er sich auf. Er bellte, bis sich der Drache von dem Menschen abwandte und Graupfote anvisierte.

Der Fuchs sah direkt in den brennenden Schlund der Bestie. Eine Säule aus Feuer schoss auf ihn zu. Da rauschte sein Bruder im Sturzflug über ihn hinweg. Die Flammen prallten wirkungslos am weißen Drachen ab. Feuermund, der verstoßene Sohn, rammte seinen Vater.

Die Drachen kämpften mit ihren Flügeln. Wieder und wieder stachen sie sich die Krallen gegenseitig in die Leiber.

Der Schwarzdrache biss zu. Feuermund sackte zusammen.  Immer tiefer bohrten sich die Zähne des Schwarzdrachen in seine Schulter.

Graupfote kletterte auf seinen Bruder. Sein Herz pochte wild. Der Schmerz war wie ausgestellt. Er rannte über den Rücken des weißen Drachens. Er sprang. Seine Pfoten schlugen in das Auge des Schwarzdrachens.

Feuermund riss sich los. Er stieg ein Stück weit in die Luft, drehte sich und stürzte mit Wucht auf seinen Gegner. Feuermund presste den Schwarzdrachen auf den Boden.

Blitzschnell war der Drachentöter bei seinem Stab. Er hob ihn auf und schlug damit auf den Schwarzdrachen ein.

Der Schwarzdrache wimmerte unter Feuermund. Er öffnete sein Maul. Flammen formten sich in seinem Rachen.

Noch bevor das Ungetüm Feuer spucken konnte, brüllte der Mann, so wie es Graupfote noch nie von ihm gehört hatte, und stieß den Stab in den Drachenhals. Er drehte die Waffe und zog sie blutig heraus. Ein letztes Röcheln, dann bewegte sich das Tier nicht mehr.

Auch aus dem Bauch von Feuermund rann das Blut wie ein kleiner Bach. Er kippte um und blieb auf der Seite liegen.

Graupfote winselte. Er kroch zu dem weißen Drachen und leckte ihm über das Gesicht.

Es war noch nicht vorbei. Der Mann erhob den tödlichen Stab über Feuermund.

Graupfote knurrte. Was der Winter vereint hatte, durfte nie mehr getrennt werden, auch nicht von einem Drachentöter.

Der Fuchs stieg auf seinen Bruder, blickte an seinem Menschen hoch und bellte. Noch nie hatte sich Graupfote gegen ihn gestellt. Doch er würde kein zweites Mal dabei zusehen, wie eines seiner Geschwister getötet wurde. Er war bereit, für und mit seinem Feuermund zu sterben.

Der Mann schnaubte – beinahe wie ein Drache. Doch er zögerte und bebte und Graupfote verstand, diesen Kampf führte der Mensch mit sich selbst.

Mit einem Schrei ließ der Mann den Stab hinabsausen. Die Waffe bohrte sich in den Waldboden und blieb neben den Winterbrüdern stecken.

Sein Mensch fiel auf die Knie. Mit beiden Händen packte er Graupfote, zog ihn zu sich heran und vergrub sein Gesicht in dem roten Fell.

Vorsichtig streichelte der Drachentöter auch Feuermund. Er sprach etwas und verschwand.

Graupfote war schwach. Auch Feuermund rührte sich kaum noch. Sie schmiegten sich eng aneinander und schliefen vor Erschöpfung ein.

Als Graupfote aufwachte, war sein Mensch wieder da. Er hatte den Heiler mitgebracht. Sie versorgten ihn und den Drachen mit Salben und Verbänden.

Tief in seinem Herzen hatte Graupfote es schon immer gewusst: Auch Drachentöter können Winterbrüder sein.

 

 

Über den Autor

Jörg Fuchs Alameda lebt mit seiner Frau, seinen Kindern und zwei verfressenen Katern in einem kleinen Dorf im Hessischen Spessart. Wenn er mal nicht in den unendlichen Weiten der katalytisch bedingten Stoffumwandlungen forscht, schreibt er fantastische Geschichten für Jugendliche und Erwachsene. So ritten seine Heldinnen und Helden bereits auf Einhörnern und Arinorossen, bestritten die härtesten Spiele der Sieben-Welten-Gemeinschaft, revolutionierten das Totenreich eines karrieregeilen Sensenmannes, kämpften als Phönix gegen einen Geheimbund von Hexen, begleiteten die Amazone Gaga auf ihrer Nahrungssuche, verbrüderten einen verwaisten Drachen mit einem dreibeinigen Fuchs, schickten die schrulligsten Superhelden aller Zeiten in ihre letzte Schlacht, begaben sich in einem Horror-Freizeitpark auf eine Expedition zum Unheiligen Gral, hüteten ein Succubus-Baby, überlebten ein Vorstellungsgespräch bei Herrn Ramses in der Cheops-Pyramide, tauchten in der schweren See durch einen verwunschenen Turm und reisten mit einer Dimensionsschleuse zur schrägsten Kneipe der Galaxis, dem Waypoint FiftyNine. Wenn Du mehr über seine Geschichten erfahren möchtest, besuche ihn auf seiner Website

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