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Im Spielzeugland

Das 11. Türchen des Kurzgeschichten-Adventskalenders

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Kategorie: Kurzgeschichten Literatur

Hinter dem elften Türchen unseres Kurzgeschichten-Adventskalenders lässt euch Ann einen exklusiven Blick in den ersten Moment werfen, wie neue Wichtel*ienen ihren Arbeitsplatz im Spielzeugland erleben.

Lola kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
   Vor ihren Augen legte sich das Licht sanft auf bunte Wälder und gestreifte Hügel. Sie ließ den Blick schweifen. Linker Hand erblickte sie die mit Zuckerwatte und Eis bedeckten Schokoladenberge, rechts den Brausesee samt Kandisstrand. Weite Blumenwiesen waren von mehreren Limonadenflüssen durchzogen. Das Wasser glitzerte unter den Strahlen der Spielzeuglandsonne.
   „Das wird also ab sofort euer neuer Arbeitsbereich sein. Ich darf gratulieren“, sagte die Fee Maatell soeben.
   Sie hatte die Neuankömmlinge in der Schwanenlagune in Empfang genommen und diese nach einer kurzen Begrüßungsrede zum phantastischen Plateau geführt. Maatell wusste, wie überwältigend der erste Eindruck des Spielzeuglandes sein konnte, und gab ihren neuen Schützlingen daher einen Moment Zeit. Sie musste in sich hineinlächeln, als sie in die Gesichter der Wichtel und Wichtelinen sah. Mit großen Augen und teilweise offenen Mündern starrten diese auf die traumhafte Landschaft, die da vor ihnen lag.
   ‚Es ist doch immer wieder dasselbe‘, dachte Maatell warmherzig und flog über den Rand des Plateaus hinaus, um wieder die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
   „Ich weiß, dies ist alles sehr beeindruckend und ihr könnt euch gar nicht sattsehen daran. Aber ihr werdet noch genug Zeit haben, euch alles anzuschauen und zwar aus der Nähe. Es ist wirklich eine ganze Menge, was hier vor sich geht, und ihr werdet an euren Arbeitsplätzen einiges erleben. Das kann ich jetzt schon versprechen.“
   Maatell flog zurück auf das Plateau und landete leichtfüßig, wie es ihrer Art entsprach, neben der kleinen Gruppe. Sie hielt dabei ihren Zauberstab, der von einem eleganten Stern gekrönt war, in den zusammengelegten Händen.
   Lola musste kurz mit den Augen zwinkern, so als wäre sie sich nicht sicher, ob sie wach war. Doch es war wahr, sie hatte es geschafft! Lola war eine der wenigen Ausgewählten, die ab sofort im Spielzeugland Spielzeuge, Bücher und Süßigkeiten für die Menschenkinder herstellen durfte. Es war der Traum eines jeden Wichtels und jeder Wichteline hier zu sein, aber man benötigte viel Glück. Nur einmal im Jahrhundert konnte man sich zu einem bestimmten Zeitpunkt melden, denn da nur äußerst selten Plätze frei wurden, wurden auch nur selten neue Arbeitskräfte benötigt.
   „Wenn ihr mir dann bitte folgen wollt“, forderte Maatell die kleine Wichtelgruppe freundlich auf und setzte sich in Bewegung. Wie es sich für eine Fee gehörte, flog sie. Doch sie hielt sich dabei, aus Rücksicht gegenüber den Wichteln, nahe über dem Boden. Lola und die anderen gingen hinter der Fee her, die sie über einen gewundenen Pfad vom Plateau herab führte.
   „Wir werden unsere Führung gleich hier unten beginnen. Mit einem Modellboot fahren wir über einen der Flüsse, damit ihr euch einen ersten Eindruck verschaffen könnt. Natürlich werden wir uns heute nicht alles ansehen können, dafür ist das Spielzeugland einfach zu groß.“
   Die kleine Truppe war unter der Führung von Maatell wohlbehalten am Fuße des Plateaus angelangt und stand bereits an einem der Flüsse, die Lola eben noch von oben bewundert hatte. Am Ufer lagen mehrere, kleine Modellschiffe vor Anker und schwappten auf dem Wasser. Das Wasser selbst war glasklar und roch fruchtig-süß nach Limone. Viele Fische schwammen darin herum.
   „Im Brausesee und den Limonadenflüssen leben die Fische, die bei so manchem Kind im Aquarium landen“, erklärte Maatell.
   „Oder im Klosett, wenn die Kinder vergessen, sie zu füttern.“
   Ein langbärtiger Zauberer mit spitzen Ohren und einem noch spitzeren Hut wurde wie aus dem Nichts sichtbar. Lola erkannte ihn sofort aus dem Vorbereitungsfolianten.
   „Ja, ja unser Legoholas“, meinte Maatell mit einem Lächeln, dass Lola nicht zu deuten vermochte, „immer für einen Scherz gut.“
   „Aber meine liebe Maatell“, der Zauberer verneigte sich kurz, „ich scherze nie.“
   „Hm“, machte Maatell und schien sich nicht weiter für Legoholas zu interessieren. „Nun sind wir komplett und können losfahren. Kommt meine lieben Wichtelinen und Wichtel, stellt euch schön in einer Reihe auf.“
   Dann schwang die Fee ihren Zauberstab und eines der Modellboote, ein Dampfer, wurde innerhalb eines Zwinkerns so groß, dass alle bequem darauf Platz haben würden. Rasch stiegen die Wichtel, die Fee und der Zauberer ein. Als alle saßen, schwang die Fee ein weiteres Mal ihren Zauberstab und der Anker zog sich selbst nach oben.
   „Ach … äh, … wie ist dein Name bitte?“, wandte sich Maatell an Lola, die sich nach hinten an die Reling gesetzt hatte.
   „Lola“, antwortete Lola.
   „Sehr schön“, sagte Maatell und lächelte Lola bezaubernd an. „Wärest du bitte so freundlich und würdest einige der Karamellbruchstücke, die in dem Korb neben dir liegen, in die Rohröffnung gleich daneben werfen? Dann können wir nämlich ablegen.“
   Lola tat, worum sie gebeten wurde. Als sie das Karamell in das Rohr geworfen hatte, blubberte es sofort und ein herrlicher Duft stieg auf. Der Dampfer setzte sich in Bewegung, aus seinem Schornstein zog eine lange Karamellschwade.
   „Wie ihr mit Sicherheit aus eurem Buch wisst, ist das Spielzeugland einer der wichtigsten Orte, denn hier werden die Weihnachtsgeschenke für die Kinder hergestellt. Weihnachten ist zwar ein Fest für alle Menschen, doch im Speziellen ist es ein Fest für die Kinder. Und Kinder lieben Spielzeug.“
   „Ja, vor allem die Kinder mit Bärten oder Stöckelschuhen“, ergänzte Legoholas.
   Maatell warf ihm einen strengen Blick zu.
   „Es stimmt, es gibt nicht wenige Erwachsene, die sich ebenfalls für Autos, Figuren, Puppen und dergleichen interessieren. Und das ist auch völlig in Ordnung. Aber …“, Maatell wandte sich wieder den Wichteln zu „… die Kinder gehen, was das Spielzeug anbelangt, vor.“
   Ein Wichtel, der neben Lola saß, hob die Hand.
   „Ja?“, lächelte Maatell ihn an.
   „Wurz mein Name. Stimmt es, dass die Sachen für die erwachsenen Menschen woanders hergestellt werden?“
   „Das ist richtig, Wurz“, nickte Maatell. „Das Spielzeugland liegt, wie ihr alle wisst, hinter dem Traumland. Das hat seinen Grund, denn hier ist der Einfluss der Phantasie am größten und das ist es letztlich, was ein gutes Spielzeug ausmacht. Was ist weiterhin wichtig, um ein gutes Spielzeug herzustellen? Wer weiß es?“
   Lola hob die Hand.
   „Ja, Lola“, sagte Maatell.
   „Zeit.“
   „Richtig“, nickte Maatell. „Für ein wirklich gutes Spielzeug braucht es Zeit für die Entwicklung und Zeit für die Herstellung. Wenn ihr einmal nach links blicken wollte, könnt ihr einen Blick auf unsere Plüschtierwiesen werfen.“
   Lola und die anderen folgten dem ausgestreckten Arm der Fee und sahen, wie über leuchtend grüne Graswiesen alle Arten von Kuscheltieren verteilt waren. Manche wurden von den Hütewichteln gestreichelt, andere Kuscheltiere tollten übermütig mit ihnen herum.
   „Wir lassen unseren Plüschtieren so viel Zeit, wie sie benötigen, bis ihr Fell ganz dicht und flauschig gewachsen ist. Nur so können wir sicher sein, dass das Kind, welches eines unserer Kuscheltiere bekommt, viel Freude mit ihm haben wird. Ja, und hier beginnen bereits die Puppenblumenfelder.“
   Wie alle anderen war Lola sehr beeindruckt, die Plüschtierwiesen unmittelbar zu sehen. Insgeheim hoffte sie, dass sie hierhin oder vielleicht zu den Puppenblumen kam.
   „Oh, was ist das denn?“, fragte eine der anderen Wichtelinen erstaunt und deutete auf die Blumen. In jedem Blütenkelch saß eine Puppe und blickte munter in die Umgebung. Zwischen den Blumen schwirrten viele kleine Feen, die sich um die Puppen kümmerten. Aber eine der Feen war gar nicht so klein. Es war ein Wichtel, dessen Gesicht unbeholfen mit Lidschatten und Lippenstift angemalt war und der ein grobzusammengenähtes Feenkleid trug. Er flog dicht an der Uferstelle, an der der Dampfer gerade vorbeituckerte, und kämmte einer langbeinigen, blonden Modepuppe, die in einer Sonnenblume saß, die Haare. Die Flügel des Wichtels surrten schwerfällig wie die einer dicken Hummel.
   Legoholas räusperte sich.
   „Im Spielzeugland arbeiten wir nach dem Wunsch-Rotationsprinzip“, erklärte er. „Nach einem Jahrzehnt wird, wenn gewünscht, durchgetauscht. Natürlich muss man sich dann an die neue Einsatzstelle und an die jeweils dort vorherrschende Kleiderordnung anpassen. Allerdings wollen Wichtel nur selten zu den Puppenblumenfeldern.“
   ‚Aber ich will hier unbedingt hin‘, dachte Lola und blickte dem Feen-Wichtel und seinem Schützling sehnsüchtig hinterher, als der Limonadenfluss eine Biegung machte und die Puppenblumenfelder hinter sich ließ.
   „Also ich würde gerne Klemmbausteine in den Plastikminen abbauen“, meldete sich nun Wurz zu Wort. „Das ist die einzig wahre Arbeit für Wichtel.“
   „Ah!“ Legoholas rieb sich die Hände. „Eine sehr gute Entscheidung. Da bist du bei mir genau richtig. Wir sollten uns gleich mal darüber unterhalten.“
   „Legoholas!“, mahnte Maatell. „Du sollst die Neuankömmlinge nicht immer gleich in Beschlag nehmen! Sie wissen doch noch gar nicht, was ihnen liegt. Und außerdem ist das Klemmbausteineabmeißeln die mit Abstand anstrengendste Arbeit. Das machen bei uns normalerweise die Steinriesen.“
   „Aber er hat doch selbst gesagt …“, setzte der Zauberer mit aufgesetzter Unschuldsmine an.
   „Nichts da.“ Maatell blieb rigoros. „Das werden wir nicht jetzt entscheiden.“
   Der Zauberer tat so, als würde er sich geschlagen geben und drehte sich von der Fee weg. Doch während er sich abwandte, suchte er den Blick von Wichtel Wurz und zwinkerte ihm verschwörerisch zu.
   In diesem Moment verdunkelte sich der Himmel.
   „Was ist denn jetzt … ach du Schreck! Sofort alle auf den Boden legen!“, rief Maatell und warf sich der Länge nach hin. Die anderen taten es ihr gleich.
   Nur wenige Herzschläge später sausten mit einem lauten Windgeräusch viele fliegende Pinguine über den Dampfer hinweg. Jeder Pinguin hielt in seinem Schnabel den Zipfel einer riesigen Plane, die zwischen den Vögeln schwer durchhing. Die Tiere flogen so dicht über das kleine Boot hinweg, dass die Luftwogen den Dampfer gefährlich ins Wanken brachten. So schnell wie sie gekommen waren, waren sie auch wieder verschwunden. Maatell flog in die Luft.
   „Also, das ist doch unerhört! Hier herrscht Tiefflugverbot für euch!“, rief sie den Pinguinen hinterher und schüttelte entrüstet den Kopf. Dann fasste sie sich wieder und kehrte zum Dampfer zurück, der wieder gemächlich weitergeschippert war.
   „Geht es allen gut?“, fragte Maatell besorgt. „Sind alle wohlauf?“
   „Ach meine Knochen“, ächzte der Zauberer. „Ich werde zu alt für solche Spielchen.“
   „Hab dich nicht so“, kanzelte Maatell Legoholas schroff ab. „Ich hab genau gesehen, wie du dich blitzschnell kleingezaubert hast, anstatt dich hinzulegen. Das ist halb so schlimm.“
   „Ja und?“, meinte nun der Zauberer übertrieben. „Geht das Klein- und Großzaubern etwa nicht an die Substanz?“
   Maatell ignorierte die Frage und lächelte hingegen die Wichtel und Wichtelinen an.
   „Das war unser Polarexpress“, erklärte sie. „Die fertigen Spielzeuge, Bücher und Süßigkeiten werden von den Pinguinen zum Nordpol gebracht. Sie tragen die Geschenke auf den Planen dorthin, wo sie dann verpackt werden.“
   Wurz lehnte sich zu Lola hinüber, die wieder ihren Platz eingenommen hatte.
   „Da hab ich lange gearbeitet, in der Geschenke-Einpack-Abteilung“, sagte der Wichtel wichtig. „Aber seitdem dort die Abläufe umgestellt werden, geht alles drunter und drüber und ich wollte nur noch weg. Ich wurde sogar einmal in das Puppenpackpapier eingewickelt und hing an einer Rolle fest.“
     Wurz nickte ernst, aber die Wichteline war keineswegs beeindruckt. Er redete noch weiter auf sie ein, doch Lola hörte nicht mehr zu. Sie interessierte sich nur für das, was die Fee erzählte. Während diese davon berichtete, wo die Spielzeugautos und Puppenhäuser hergestellt wurden, wie die Schokolade von den Bergen geschmolzen und der Zucker aus dem Kandisstrand gesiebt wurde, blickte Lola bereits wieder voller Staunen auf die traumschöne Landschaft, die an ihnen vorbeizog.

 

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