Die junge Göttin Circe ist eines von vielen Kindern des Helios und nicht gerade beliebt. Eines Tages jedoch fallen ihr über Umwege die magischen, mit Titanblut durchtränkten Molys-Kräuter in die Hand. Ab dem Zeitpunkt stellt sich eigenes Leben ziemlich auf den Kopf und man erfährt, wie es zu der Verbannung kam, zur Romanze mit Odysseus und warum Seemänner in Schweine verwandelt wurden.
Circe ist wohl die unscheinbarste Nymphe unter den vielen Kindern des Helios. Nicht besonders hübsch sowie "gestraft" mit einer menschenähnlichen Stimme, ist sie nicht sonderlich populär unter den Meeresgöttern. Ihre "Jugendjahre" verbringt sie antriebslos und oftmals im Mittelpunkt der Grausamkeiten ihrer Geschwister. Doch eines Tages nimmt ihr Leben eine unerwartete, radikale Wendung. Pharmaka, Blumen aus dem Blut des Titanen Kronos entstanden, finden ihren Weg in die Hände der jungen Göttin. Mithilfe der Pflanzen gelingt ihr das ein oder andere Wunder, das selbst die Fähigkeiten der Olympier übersteigt. Helios muss sich Zeus Willen beugen und verbannt seine Tochter, bis in alle Ewigkeit, auf die einsame Insel Aiaia.
Meine Insel, meine Löwin und ich
Langsam begreift Circe, welche Konsequenzen ihre Verbannung hat und anstatt zu verzweifeln sieht sie die Chance auf ein neues, recht „ungöttliches“ Leben. Neben dem Umgang mit der Einsamkeit widmet sie sich der Hexenkunst und erfährt mehr über ihre neu gewonnenen Fähigkeiten sowie über sich selber als Person. Ihre Insel, dem menschlichen Auge nicht verborgen, lässt mit der Zeit die ein oder andere Mannschaft an ihre sonst so ruhige Küste stranden. Die junge Göttin muss dadurch auf grausame Art und Weise erfahren, dass nicht alle Menschen gottesfürchtig sind und zu welchen Gräueltaten sie fähig sind. Ab jenem Tage betritt sie den Pfad der berüchtigten Schweinehexe.
Das Schicksal ist mit Circe aber eh noch lange nicht fertig und sendet ihr in Gestalt von Odysseus die nächste Wendung in ihrem Leben.
How I met your father
Früh erkennen beiden, dass ein besonderes Seelenband sie verbindet und jeder auf seine besondere Art und Weise dem anderen ebenbürtig ist. Aus Freundschaft wird Zuneigung und letztendlich Liebe, sodass kurz nachdem Odysseus nach Ithaka aufbricht, Circe ihren ersten und einzigen Sohn Telegonosm zur Welt bringt. Wieder wird das Leben der Nymphe auf den Kopf gestellt: eine dunkle Prophezeiung und eine Göttin, die nach dem Leben ihres Sohnes trachtet, treibt Circe an den Rand ihrer Kräfte und lässt sie eine (fast) unmögliche Tat vollbringen.
Soviel mag an dieser Stelle gesagt sein, die Geschichte um die Hexe von Aiaia ist an diesem Punkt jedoch noch lange nicht zu Ende.
Frischer Wind in der antiken Sagenwelt
Madeline Miller nimmt kräftig Anlauf und wirbelt die sonst sehr männerzentrierten, teils sehr frauenfeindlichen Göttergeschichten mit ihrer Neuinterpretation der Sage um die ungeliebte Tochter des Helios, kräftig durcheinander. Ohne den Blick fürs Wesentliche zu verlieren, formt sie mit ihren Worten eine alternative Version von der Gestalt der Circe und ihrem Werdegang zu der populären Schweinehexe. Weit entfernt vom Klischee der halbnackten, manipulativen Verführerin erzählt uns die Autorin die Geschichte einer sehr ungöttlichen, rebellischen Frau, die allen Regeln zum Trotz ihren eigenen, steinigen Weg bestreitet.
Der Stoff, aus dem Held*innen sind
So wie Circe ihre Welt wahrnimmt, so wird man bei den Worten von Madeline Miller als Leser*in an die Hand genommen und erlebt neben den bildgewaltigen Schauplätzen einige der berühmtesten Helden und Götter in einem völlig neuem Licht. Circe – als krasser Gegensatz zu jenen göttlichen Attributen – wirkt fast menschlich, in ihren Gedankengängen und Taten durchaus nachvollziehbar und äußerst sympathisch. Das Buch gibt einiges zu schmunzeln, trägt aber auch den klassischen Kern einer Tragödie in sich, die mit einem wundervollen offenen Ende belohnt.
Für alle Liebhaber*innen der klassischen griechischen Sagenwelt, aber auch alle Neueinsteiger*innen in dieses Genre, ist dieses Juwel ein absolutes Muss. Millers Art und Weise zu schreiben fesselt einen förmlich ans Buch und macht auf neue Begegnungen und Orte Lust, die unter ihrer Feder entstehen. Ein tolles Werk, das unter den aktuellen Umständen der Pandemie nicht so fern von der eigenen Realität abrückt und zum Nachdenken anregt.
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Zauberwelten-Online.de