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IF Magazin #X Annual

Magazin für angewandte Fantastik

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Kategorie: Literatur

Das kleine, aber dafür umso gehaltvollere IF-Magazin geht unter dem Titel „Mythos" in seine zehnte und in der Form leider letzte Ausgabe. Das aufwändige Vorhaben eines halbjährlichen Kurzgeschichten- und Theorie-Organs wird es in dieser Form leider nicht mehr geben, wenngleich der Kleinverlag ansonsten auf Hochtouren fährt. Genau genommen ist auch schon die Abschlussausgabe anders als die vorhergehenden Hefte, kommt sie doch im komfortablen Taschenbuchformat daher.

Bis auf das leicht veränderte Format wird dem gewohnten Konzept die Treue gehalten. Acht hochwertige Kurzgeschichten und vier Artikel bleiben dem Motto der „angewandten Fantastik“ treu. Das Ganze geschieht in außerordentlich gelungenem Satz und ist mit einigen Illustrationen – unter anderem auch einem Doppelseiter von Johan Tieldow – versehen.

Schreibpraxis

Den Großteil des Heftes macht fraglos die praktische Literatur aus. Anfang und Ende stellen dabei Geschichten von Herausgeber Tobias Reckermann dar. In Landunter geht er dem Motiv des Mythos als Flaschenpost nach und überbrückt dabei mehrere Jahrtausende. Hier wird nicht nur Literatur selber zum Gegenstand, sondern auch weiter auf die Rolle von und das Unbehagen am Mythos reflektiert. Eine kurze aber starke Geschichte. Noch kürzer fallen die Reprints der Vignetten in seinen Sages of the Train aus, die aus mehreren Perspektiven die Wappenmaschine des Verlags – den mystischen Zug – beleuchten. Wortgewaltig skizziert Reckermann hier eine düstere, mythische Zukunft und die ewige Suche der Vertriebenen in einer „Gänsefüsschenrealität“ (S. 177). Die kurzen, ausdrucksstarken Einblicke sind nicht nur typisch für den Stil Reckermanns, sondern stellen einen mehr als würdigen Abschluss der Reihe dar.

Auch die weiteren Geschichten sind durchweg gelungen und abwechslungsreich. Cadaverin von Christian Veit Eschenfelder fällt vergleichsweise klassisch aus. Mit geschickten Zeitsprüngen folgt unser Protagonist den Nachforschungen eines ominösen Dr. Bennett, der sich für Forschungen in die nördliche Wildnis Amerikas zurückgezogen hat. Hier geht es wenig verwunderlich nicht ganz mit rechten Dingen zu, wobei die beängstigende Entdeckung, die gemacht wird, gelungen in den amerikanischen Mythos passt. Auch Mein fremder Name von Erik R. Andara arbeitet mit Lokalkolorit und Mythologie. Am österreichischen Kaffeetisch erfährt der weibliche Hauptcharakter Aaina, was Furcht vor Verwandtschaft bedeuten kann. Andara überzeugt dabei nicht nur mit einer bildhaften Beschreibung der Szenerie, sondern einer geschickt eingeflochtenen Vorgeschichte. Während sich der Mythos bei Andara langsam aufbaut, geht Adam Hülswehs Colonia semper urbs lamiarum gleich in die Vollen. Aus den Augen eines Ghuls werden wir Zeuge eines brutalen Opferungsrituals. Die Leseprobe aus Klunga und die Ghule von Köln ist vielversprechend und überzeugt durch ungewöhnliche Wendungen, ist aber nichts für schwache Mägen.

In Das Werden widmet sich Ulf R. Berlin noch einmal nachdrücklich dem Thema Mythos, indem er uns den Schöpfungsmythos eines unaussprechlichen Götterpantheons präsentiert. Berlin bettet diese Erzählung noch einmal in eine phantastische Umgebung ein und betreibt so einen Mythos der zweiten Stufe. Dabei macht er unter anderem von seiner Sprachkreation Gārßōrkōtz Gebrauch, die zu Göttern wie Khōnōrmagnarȳk führen. Wer schon Nyarlatothep für unaussprechlich gehalten hat, wird hier eines besseren belehrt. Als netter Nebeneffekt weiß ich nun immerhin, was ein Makron ist. Verloren in Mictlán von Frank Tumele kommt ohne solche Makrons aus. Der Protagonist Volker muss sich aber immerhin mit mangelnden Spanischkenntnissen herumschlagen. Im „Oficina Federal para la Administraciión del Más Allá Aztecas“ sieht er sich darüber hinaus mit der beunruhigenden Tatsache konfrontiert, dass er in so etwas wie der administrativen Vorhölle gelandet ist. Unter Einbeziehung diverser lateinamerikanischer Mythologien begleiten wir Volker auf seinen Trip durch die Verwaltungshölle und seiner Reise durch das Jenseits. Trotz makaberen Inhalts ist der Ton der Geschichte leicht und fast humorvoll. Auch Petz‘ Meditationen über eine Lücke in der Mauer von Felix Woitkowski lesen sich eher spielerisch als bedrückend. In seiner „kafkischen Collage“ beobachten wir eine Gruppe von (vermenschlichten?) Tieren, die mit Erschrecken feststellen müssen, dass sich eine große Lücke in einer sonst verlässlichen Mauer aufgetan hat. Was aber ist dahinter? Wo befinden wir uns? Und sollen wir hindurchschreiten? Mit diesen Gedanken entspinnt sich eine rege Diskussion, in der in Rückblicken unter anderem eine kafkische Wächterfigur auftritt, und die Figuren letztlich von unverständlichen äußeren Faktoren abhängen. Die Kurzgeschichten geben einen Einblick in die aktive und bunte deutschsprachige Phantastik und wissen durchweg zu unterhalten.

Denkpraxis

Neben Kurzgeschichten beschäftigt sich das IF-Magazin auch auf eher theoretischer Weise mit der angewandten Phantastik. Bereits auf den ersten Seiten wird so das Leitmotiv des Bandes: der Mythos diskutiert. Der offenkundig anonyme Autor mit Doktorwürde (Dr. Donald Fuck Darko) reißt manifestartig verschiedene Bestimmungen des Mythos an und regt so gelungen zum Einbetten der kommenden Stories ein.

Umfangreicher fallen die zwei großen Artikel aus. Den Einstieg macht hier der Bauzeichner und Illustrator David Staege, der sich unter Mitwirkung von Reckermann, Dr. Rainer Zuch und Jörg Kleudgen der Frage widmet, was „Fantastische Architektur“ sein kann. Der Artikel gibt die Antwort gleich im Titel mit: „Gibt es nicht“. Auf den knapp zehn passend illustrierten Seiten unternimmt der Artikel einen par-force Ritt durch die Architekturgeschichte. Angefangen bei der Urhütte geht es mit einem Tigersprung in die Gotik, bevor an den Fassaden des Jugendstils und den substanzlosen Glücksspielpalästen von Las Vegas vorbeiflaniert wird. Im Hintergrund steht die Frage, wo wir wahrhaft fantastische Architektur finden. Dabei wird eine Minimaldefinition der Phantastik von Todorov angepasst und als Maßstab angelegt. Dementsprechend müsste sich in einem Betrachter „ein echter Zweifel regen, ob das gesehene (oder begangene) und in diesem Sinne wirkliche Gebäude real existiert oder nicht, bzw. ob es auf dem Boden der Naturgesetze steht oder übernatürlich, ja, wunderbar ist.“ (S. 144) Eine solche Minimaldefinition erweist sich jedoch als Maximalanforderung und führt dahin, dass letztlich nur noch reine Fantasiekonstrukte, wie die unmöglichen Bauten Eschers wahrhaft phantastisch genannt werden können. Im Endeffekt wird sogar all das als zu real verworfen, was kommuniziert wird, da jeder Buchstabe die Fantasie beschränken würde. Staeges Versuch ist ambitioniert, aber kann mich nicht überzeugen. Der Zug reist hier in einem außerordentlichen Eiltempo voran und macht an recht zufälligen Orten Halt. Dabei werden dann schon einmal wahrhaft utopische Bauten wie der Kenotaph für Isaac Newton unvermittelt neben Albert Speers Großmachtphantasien und dem vermeintlichen Humanismus des Faschisten LeCorbusier gestellt. Weitaus spannendere – und wie ich finde passendere – Projekte wie die sozialistische Avantgarde oder die unter anderem auch durch Sci-fi Autor Simak inspirierte Städteplanungsdebatte und utopische Architektur des Situationismus geraten dabei aus dem Blick. Problematischer sind die Risse im theoretischen Fundament. Mit grobem Pinselstrich werden Architekturansätze mit dem Ideal reiner Fantastischer Architektur abgeglichen und dann verworfen. Das ist die notwendige Konsequenz aus einem – irgendwie – materialistischen Architekturverständnis auf der einen Seite und einem Konzept rein geistiger Fantastik auf der anderen. Damit stößt der Artikel auf die grundlegende Frage, wie es um das Verhältnis von Phantasie und Realität bestellt ist, was hier allerdings auf eine leere und unendlich abstrakte Differenz zwischen Fantastik und Realität hinsteuert. Eine Differenz zwischen schnöder Realität und dem Phantasma einer freien Fantasie mit der wir uns „über die Fesselnd der Realität erheben“ (S. 135) können führt jedoch in eine Sackgasse und wäre in letzter Konsequenz nicht einmal mehr sagbar. Auch – oder gerade – weil ich dem Artikel nicht zustimmen kann, regt er eine höchst phantastische Debatte an und zeigt das theoretische Selbstverständigung der Phantastik notwendig und immer noch lebendig ist.

Weniger streitbar ist der Artikel von Dr. Rainer Zuch, der die geläufigen Begriffe „futuristisch“ und „surrealistisch“ anhand einer Einführung in die beiden Kunststile erläutert. Hier gibt es wenig zu rütteln. Die Auswahl der repräsentativen Autor*innen und Werke ist treffsicher und man merkt die langjährige Beschäftigung des Autors mit dem Thema durchgehend. Gerade die Blicke auf die gesellschaftliche Verortung sind gelungen, könnten meines Erachtens aber noch schärfer ausfallen. Auch eine Verzahnung zu den Auswirkungen auf die (gegenwärtige) Phantastik bleibt leider weitgehend aus.

Ebenfalls im theoretischen Teil angesiedelt ist schließlich die Besprechung von Röckels Der Vogelgott durch Björn Bischoff. Statt einer tristen Besprechung legt Bischoff eine Interpretation der Vogelmotivik des Buches vor, die es mühelos schafft, Interesse am Buch zu wecken und gleichzeitig eine gelungene theoretische Reflexion anstößt. Literaturkritik im besten Sinne des Wortes.

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