Erik R. Andara hat sich mittlerweile einen festen Namen in der deutschsprachige Horror-Literaturszene gemacht. Immer wieder sprengt er mit seinen ungewöhnlichen "Weird Fiction"-Erzählungen Genregrenzen, die den kosmischen Horror in verschiedene Erzähltraditionen einfließen lässt und den Lesenden gerne mit einem fehlerhaften, besorgten und leidenschaftlichen Protagonisten konfrontiert, der die Grenzen des Denkbaren herausfordert und nicht selten dabei scheitert. In Der Holmgang setzt er diese Tradition innerhalb der Welt des Pen & Paper-Systems Malmsturm fort und lässt den Lesenden grübelnd, verwirrt und berührt zurück. Dieses Buch ist definitiv eine absolute Empfehlung, wenn man bereit ist, sich auf ein Stück Weirdness einzulassen.
Die Geschichte umfasst gerade einmal 189 Seiten und spielt in der Welt des Rollenspiels Malmsturm. Grob ist sie unter dem Label „Sword and Sorcery" einzuordnen. Der Leser begleitet Birger, einen sogenannten "Holmgaenger", der als kriegerischer, reisender Richter mit göttlichen Befugnissen und einer magischen Klinge Streitfälle und Unrecht aufklärt und gerechte Urteile fällt.
Zu Beginn der Geschichte befindet sich Birger auf einer Reise im eisigen Norden. Er weiß selbst nicht mehr genau, was ihn dorthin getrieben hat, spürt jedoch die dringende Notwendigkeit, vor Ort ein Urteil zu fällen. Dort trifft er auf Janahr, einen Magiebegabten aus dem Volk der Imperialen, zu dem er eine Verbindung sowohl bezüglich des Urteilsspruchs als auch seiner verlorenen Erinnerungen spürt. Nach einigem Zögern beschließt Birger, sich auf eine gemeinsame Reise zum mysteriösen "Zahn der Welt" mit Janahr einzulassen, an dem Bilger angeblich Antworten erwarten. Diese Entscheidung verwickelt ihn in eine Kette undurchsichtiger Ereignisse, dämonischer Entitäten und realitätsverschiebender Vorkommnisse.
Ein Aspekt, der diesen Roman besonders interessant macht, ist der Einfluss des Rollenspiels Malmsturm. Die faszinierende Welt von Malmsturm zeichnet sich durch ihre beseelte, wechselhafte und formbare Natur aus. Sie wird durch die Sehnsüchte, Hoffnungen und Ängste der Menschen, die sie bewohnen, immer wieder neu erfunden.
Hier finden wir ganz nach der Tradition des „Sword & Sorcery“-Genres keine strahlenden Helden, sondern Protagonisten, die sich zwar durch Geschick und Können auszeichnen, aber gleichzeitig ihre eigenen Gefühle, Sorgen und Schwächen in den Kampf gegen höhere Mächte führen. Die wechselhaften Entitäten und verborgenen Geheimnisse dieser Welt bieten den perfekten Nährboden für Andaras Geschichte.
Fans des Spiels werden die vertrauten Elemente und Bezüge erkennen und sich noch tiefer in die Welt hineinziehen lassen. Die verschiedenen Völker, aus denen Birger und Janahr stammen, die Kreaturen und das Konzept des Holmgaengers sind beispielsweise fest im Regelwerk von Malmsturm verankert.
Gleichzeitig gelingt es Andara, die Geschichte so zu gestalten, dass sie für Lesende ohne Vorkenntnisse zugänglich ist. Andara integriert subtil alle notwendigen Informationen in seine Erzählung, sodass man die Geschehnisse auch ohne entsprechendes Hintergrundwissen zu Malmsturm verstehen kann.
Andara schreibt hier auf eine kurzweilige, actiongeladene Art. Er versteht es, eine düstere, actiongeladene Atmosphäre aufzubauen, die einen bis zur letzten Seite gefangen hält. Seine Beschreibungen sind detailreich und bildhaft, sodass man sich die Welt um Birger, die Kämpfe und unsagbare Schrecken erstaunlich lebhaft vorstellen kann. Besonders beeindruckend ist auch seine Fähigkeit, komplexe philosophische und existenzielle Themen in die Handlung einzuflechten, ohne dabei den Lesefluss zum Stocken zu bringen.
Dabei wird die Geschichte ausschließlich aus Birgers Perspektive erzählt. Der Leser sieht, was er sieht, hört, was er hört, und weiß, was er weiß – auch wenn das manchmal sehr wenig ist.
Dieser Ansatz macht es einerseits schwierig, der verworrenen, teilweise unstringenten Handlung zu folgen. Andererseits betont er jedoch auch eines der wichtigsten Elemente, die den kosmischen Horror ausmachen: die Nichtigkeit und Verlorenheit des Protagonisten angesichts übermächtiger Entitäten, mit denen er sich eingelassen hat. Man spürt die Mühen, den eigenen Verstand wenigstens für eine kurze Zeit aufrechtzuerhalten, während alles, was einem entgegenschlägt, an dem Gefüge der Realität und dem eigenen Ich zerrt.
Der Holmgang ist – wie jedes Werk von Erik Andara, das ich bisher gelesen habe – keine seichte Lektüre für einen entspannten Sonntagnachmittag auf dem Balkon. Wer am Ende eine klare Conclusio oder Auflösung erwartet, wird möglicherweise enttäuscht sein. Denn dieses Buch handelt von dem fragilen Zustand des eigenen Ichs angesichts wirklichkeitsverzehrender Mächte und von der Stärke, die eigenen Leitlinien auch vor kosmischen Schrecken zu wahren.
Insgesamt ist Der Holmgang ein intensives und fesselndes Leseerlebnis für jeden, der sich auf die düsteren, tiefenpsychologischen und komplexen Strukturen einlassen möchte. Erik R. Andara beweist erneut sein Talent für atmosphärische und spannende Geschichten.
Wer sich in die düstere Welt von Malmsturm begeben möchte und Lust auf eine unkonventionelle und tiefgründige Erzählung hat, wird mit diesem Buch bestens bedient. Aber Achtung: Dies ist keine leichte Kost, sondern ein Buch, das zum Nachdenken anregt und den Leser noch lange nach dem Zuklappen beschäftigt.
Der Roman ist Dezember 2022 im Verlag Whitetrain erschienen. Um eine der limitierten Ausgaben zu erhalten, ist eine E-Mail an luxfactum@hotmail.com notwendig.