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Hedge Knights

Theater trifft Point&Click-Adventure

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Kategorie: LARP

Das Stück startet in einem abgedunkelten Raum. Wie eine kleine Insel ist das schwache Scheinwerferlicht um eine Schauspielerin zentriert, die ein jämmerliches Bild bietet. Sie trägt nur einen Schuh, der zweite liegt mit abgebrochenem Absatz vor ihr – ebenso wie der ausgeschüttete Inhalt ihrer Handtasche. In einem Monolog wiederholt sie immer wieder in leichten Variationen den Satz „Was soll ich nur machen, ich kann doch nicht mit nur einem Schuh beim Vorstellungsgespräch auftauchen." Die Szene löst sich erst auf, als einer der Teilnehmer den Absatz des defekten Schuhs mit einem Kaugummi (aus dem Handtascheninhalt) befestigt.

Bei diesem Einstieg konnten die Teilnehmer nicht nur den ersten Arbeitstag der Börsenanalystin Denise retten, sondern auch gleich das Konzept von Hedge Knights kennenlernen, denn auf diese Weise geht es auch in den folgenden 90 Minuten weiter. Die eigentliche Story spielt in einem Büro im 47. Stock einer großen Bank. Hier verwaltet August Mohr einen großen Hedge Fonds, jagt gemeinsam mit der eben erwähnten Analystin das ganz große Geld und lässt sich von seiner Lebensgefährtin Clara in Insidergeschäfte verstricken. Mit rasanten Zeitsprüngen folgt die Story dem Auf und Ab der Aktienmärkte, von Börsenboom über Spekulationsblasen bis in die Abgründe der Finanzkrise. Wer von den drei Protagonisten am Ende profitiert, wer scheitert und alles verliert, ist offen und wird von den Handlungen der Teilnehmer mitbestimmt.

Hier ist vieles anders als im normalen Theater. Nicht nur, dass die Zuschauer direkt mit den Schauspielern in der Kulisse stehen (in diesem Fall dem Büroszenario), sie können auch den Ablauf des Stücks mitbestimmen. Immer wieder stockt der Handlungsablauf und erfordert Eingriffe. Mal muss ein Gegenstand gefunden und den Schauspielern in die Hand gedrückt werden, mal gilt es eine Geschäftsentscheidung zu treffen – eben echtes Mitmach-Theater.

Unterstützt wird das Erlebnis durch ein komplexes System von Sensoren, Elektronik und Computerprogrammen, die dafür sorgen, dass die Umgebung auf bestimmte Aktionen sogar interaktiv reagiert.

Hinter dem Projekt steckt machina eX, ein junges Theaterkollektiv, das Theater mit Computerspielelementen verknüpft. Ihre Vorbilder sind klassische Point&Click-Adventures wie Monkey Island oder Zak McKracken.

Entstanden ist die Idee fast aus Zufall, wie Philip Steimel, einer der beiden Geschäftsführer der Truppe, berichtet: Laura Schäffer, die Regisseurin unseres Teams, hatte Geburtstag und wollte sich selbst dazu ein bisschen Spaß mit Freunden gönnen. Es war recht schnell klar, dass es etwas mit Gaming sein sollte – irgendwohin fahren mit Leuten und gemeinsam zocken, so was wie ein Spielplatz für Erwachsene. Aber irgendwie war bis auf Paintball-Areas und Kletterparks nichts zu finden, was auch nur annähernd in diese Richtung ging. Da wir beide unser Abschlussprojekt für unser Studium im Fachbereich Szenische Künste in Hildesheim planen mussten, beschlossen wir daraufhin einfach, genau das als Abschluss zu machen: Ein Live Game in Form eines Point and Click Adventures. Unsere Erinnerungen waren immer, dass wir Adventuregames, obwohl technisch eigentlich SinglePlayer Games, immer zu mehreren Rätselnden gespielt hatten, uns dabei um die Maus und über die besten Ideen zur Lösung der Rätsel gestritten haben.

Zu den Beiden gesellten sich schnell weitere junge, experimentierfreudige Theatermacher und der Grundstein für die Gruppe war gelegt. Seit der Gründung im Jahr 2010 hat sie bereits neun unterschiedliche Stücke umgesetzt, von denen Hedge Knights das aktuellste ist.

Trotz einiger Ähnlichkeit ist das, was machina eX umsetzt, kein LARP. Wichtigster Unterschied ist, dass die Zuschauer zwar mitspielen, aber keine Rollen verkörpern. Sie können miteinander kommunizieren, jedoch nicht mit den Schauspielern. Diese nehmen zwar beispielsweise Gegenstände entgegen und reagieren auf die manipulierte Kulissen und Requisite. Die Anwesenheit der Teilnehmer ignorieren sie jedoch.

In diesem Zusammenhang sind bei zukünftigen Projekten weitere Annäherungen möglich, dennoch soll das Format nach Aussagen der Macher bewusst Theater bleiben. Schließlich will überhaupt nicht jeder der Teilnehmer eine Rolle spielen. Eine der größten Herausforderungen des Teams ist es, ein Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen der unterschiedlichen Teilnehmergruppen zu schaffen: Einerseits sollen sich diejenigen, die in erster Linie wegen des spielerischen Anteils kommen (häufig Computerspielfans) nicht langweilen, andererseits dürfen sich klassische Theatergänger nicht überfordert fühlen. Beide Gruppen machen bei den Inszenierungen jeweils ungefähr die Hälfte der Teilnehmer aus.

Bisher funktioniert die Gradwanderung gut und sogar auf eine Weise, bei der sich die Unterschiede in der Herangehensweise sogar ergänzen. Die Computerspieler stürzen sich direkt auf die Gegenstände und fangen an zu rätseln, beschreibt Philip seine Beobachtungen. Die klassischen Theatergänger beobachten eher Schauspieler und Mitspieler und nehmen eben auch die Begeisterung der Mitspieler und deren Ideen als Teil der Performance wahr.

Auch für die Macher selbst ist das Beo­bachten ein spannender Teil des Konzepts. Ich finde es interessant, dass sich die Zuschauer und Zuschauerinnen bei uns mitten in der Erzählung befinden, im Schlafzimmer der Pro­tagonistin oder im Büro des Protagonisten, und dass sie diese Welt haptisch und sinnlich erfahren können: man darf alles anfassen, man riecht das Parfum einer Figur oder den frisch gebrühten Kaffee, meint Anna Fries, die bei machina eX sowohl als Schauspielerin als auch als Dramaturgin aktiv ist. Außerdem liebe ich den Moment, wenn eine angestachelte Spielergruppe nach langem Rumrätseln endlich auf die Lösung kommt und anfängt vor Freude zu kreischen oder wenn sich Leute in unseren Spielen erschrecken – wir arbeiten ja auch oft mit unheimlichen Räumen und mit Dunkelheit. Das sind Emotionen und Zustände, die ich außerhalb von machina eX eher selten im Theater erlebe.

Spannend ist auch das Spiel mit der Moral. Ob Spekulationen mit Lebensmitteln und faulen Krediten oder dem Vertuschen von Insiderhandel – beim Knobeln, Kombinieren und Ausprobieren treffen die Mitspieler bewusst nicht immer ethisch einwandfreie Entscheidungen, sondern auch solche, die einen interessanten Fortgang der Geschichte verheißen. Und so verlässt man das Theater möglicherweise mit dem seltsam mulmigen Gefühl, selbst ein klein wenig zur Finanzkrise beigetragen zu haben.

machina eX macht Computerspieltheater, Point&Click-Adventures in lebensechter Grafik. Anstatt mit Bildschirm und Tastatur wird mit Räumen, Objekten und Menschen gespielt. Die Zuschauer wachsen zu Spielergruppen zusammen und erschließen sich die Geschichte durch das Lösen von Rätseln.

Bilder: Bande – für Gestaltung!

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