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H.P. Lovecrafts Der leuchtende Trapezoeder

Ein Horror-Manga für Lovecraft-Fans

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Kategorie: Literatur

Gou Tanabes Reise durch den düsteren Kosmos, wie ihn einst der US-amerikanische Schriftsteller Howard Phillips Lovecraft erdachte, geht weiter. H. P. Lovecrafts Der leuchtende Trapezoeder ist inzwischen der fünfte Band, der von Tanabe bei Carlsen erschienen ist. Wie die Vorgänger adaptiert auch dieser Manga den Horror H. P. Lovecrafts. Tatsächlich ist der Titel dieses Bands etwas irreführend, enthält er doch nicht nur die Erzählung Der leuchtende Trapezoeder (auch bekannt als Jäger der Finsternis , original: The Haunter of the Dark), sondern auch die Kurzgeschichte Dagon. Unterschiedlicher könnten die beiden Geschichten wohl kaum sein – doch genau das macht diesen Manga so spannend. Doch an einigen Stellen schwächelt die Umsetzung auch.

Dagon ist eine der frühesten Erzählungen Lovecrafts. Sie handelt von einem namenlosen Erzähler, der als Kriegsgefangener von einem deutschen Kriegsschiff floh und fortan in einem Ruderboot ziellos auf dem Pazifik umhertreibt. Eines Tages fällt er in einen tiefen Schlaf und wacht auf einer gigantischen, versumpften Insel auf. Schon bald findet er hier Spuren einer äonenalten Zivilisation, die gigantischen, fischartigen Menschen zu ähneln scheint – doch sind die Wesen tatsächlich alle tot?

Lovecraft verfasste die Geschichte bereits 1917; 1923 sollte sie seine erste Veröffentlichung im berühmten Pulp-Magazin Weird Tales werden. In vielerlei Hinsicht weist diese Erzählung den Weg für spätere Fiktionen Lovecrafts, insbesondere Ruf des Cthulhu; auch wird die titelgebende Gottheit Dagon in Schatten über Innsmouth erwähnt.

Der leuchtende Trapezoeder (1936), dagegen, ist die letzte Geschichte, die Lovecraft vor seinem Tod abschloss. Zwar knüpft auch diese Erzählung an den Cthulhu-Mythos an; zugleich orientiert sie sich aber auch an vielen Motiven und Konventionen des klassischen Schauerromans, wie ein kurzer, inhaltlicher Überblick zeigt:

Robert Blake – eine Hommage an Robert Bloch, dem Lovecraft die Geschichte widmete – zieht nach Providence, um dort seiner Tätigkeit als Schriftsteller und Künstler nachzukommen. Von seinem Arbeitszimmer aus zieht ihn immer wieder der Anblick einer düsteren, auf einem Hügel gelegenen Kirche in seinen Bann. Blake entschließt sich, die offensichtlich verlassene Kirche in einem Viertel im Herzen der Stadt, das hauptsächlich von italienischen Immigrierten bewohnt ist, aufzusuchen. Er bricht in die Kirche ein und findet dort die Überbleibsel eines finsteren Kults. Als er schließlich den Kirchturm erkundet, entdeckt er eine seltsame, geöffnete Schatulle, in der sich ein leuchtender Trapezoeder befindet. Gebannt schaut Blake den glimmenden Stein an; es offenbaren ihm sich vor seinem inneren Auge ferne Welten. Doch der Blick in den Trapezoeder scheint etwas im Kirchturm geweckt zu haben, denn schon bald vernimmt Blake unheilvolle Geräusche aus der Dunkelheit. Das finstere Wesen im Kirchturm hat es fortan auf Blake abgesehen. Der muss von nun an jedes Gewitter und jeden Stromausfall fürchten – denn nur Licht kann den „Jäger der Finsternis“ im Zaum halten.

Lovecrafts Erzählungen

Typisch für die Erzählungen von H. P. Lovecraft sind auch Dagon und Der leuchtende Trapezoeder atmosphärische dichte Geschichten, die eher durch einen tiefgründigen, impliziten Horror als durch platte Action überzeugen. Früh lässt sich zwar schon vermuten, welche Richtung das Grauen einschlagen wird – dennoch entfaltet sich der Horror langsam und kontinuierlich über den Verlauf dieser Erzählungen hinweg, bis die Protagonist*innen schließlich ihr frühzeitiges Ende im Wahnsinn oder im Tod finden. Ebenfalls für Lovecraft typisch sind die eindimensionalen Charaktere und die an sich recht simple Handlung beider Geschichten; der Fokus liegt vielmehr auf dem Weird, dem kosmischen Horror und der Erkenntnis, dass sich auf unserer Erde noch ganz andere Kreaturen tummeln, als wir Menschen begreifen (können).

Dass Tanabe ausgerechnet eine von Lovecraft frühesten und seine letzte Erzählung in einem Band zusammenführt, ist zwar überraschend, funktioniert aber ausgezeichnet. Es sind die Gegensätze beider Geschichten, die sie für den Sammelband ideal machen. Während Dagon mitten auf dem Pazifik, sozusagen irgendwo im nirgendwo, spielt, ist Der leuchtende Trapezoeder in den beengten, historischen Straßen von Providence angesiedelt. Letzte Geschichte bedient sich dabei realer Schauplätze, vom Viertel Federal Hill bis hin zur inzwischen leider abgerissenen St. John’s Catholic Church. In seinem Manga setzt Tanabe die Unterschiede dieser Geschichten sowohl erzählerisch als auch stilistisch hervorragend in Szene und sorgt somit für Abwechslung im Band.

Tanabes Manga

Wer bereits einen Blick in Tanabes andere Umsetzungen von Lovecrafts Erzählungen geworfen hat, der kennt die Stärken des Mangakas. Sein Stil ist realistisch, detailreich und überzeugt durch den geschickten Wechsel zwischen großen und kleinen Panels. So auch in Der leuchtende Trapezoeder. Stellenweise ist Tanabes Stil so detailreich, dass die Illustrationen verwirrend, komplex und kaum noch zu entschlüsseln sind. Das passt wunderbar zu Lovecrafts Erzählungen, die sich schließlich immer wieder mit dem befassen, was eigentlich nicht repräsentiert werden kann: Monster und gottähnliche Kreaturen, deren bloßer Anblick die menschliche Psyche für immer zerstört. Allerdings setzt Tanabe diese verwirrende Detailreiche in Der leuchtende Trapezoeder deutlich sparsamer ein als beispielsweise in Berge des Wahnsinns.

Die erste Geschichte des Bands, Dagon, wird von großflächigen Panels dominiert, die die Landschaft darstellen. Auch kommt diese Adaption mit erstaunlich wenig Text aus und verlässt sich vielmehr auf die visuelle Erzählung. Neben einigen internen Monologen des Erzählers müssen lediglich drei Panel auf Sprechblasen zurückgreifen. Beide Strategien machen die Weite des Pazifiks, die Einsamkeit des Erzählers und somit dessen prekäre Lage greifbar. Unterm Strich ist diese Adaption ein solides Beispiel für kurzen, knackigen Lovecraft-Horror im Manga-Format. Einen kleinen Abzug gibt es allerdings dafür, dass Tanabes Darstellung der unheimlichen Inselkreaturen ein wenig an Rex aus Toy Story erinnert und somit aus Versehen tief in die Komikkiste greift.

Der leuchtende Trapezoeder ist die umfangreichere und stärkere Geschichte des Bands, was sowohl Lovecrafts Vorlage als auch Tanabes Umsetzung derer geschuldet ist. Hier sind es kleinere Panel, die die Erzählung dominieren und somit die engen, verworrenen Straßen des historischen Providence geschickt einfangen. Die alte, monumentale Kirche wird dagegen immer wieder in ein- oder gar zweiseitigen Illustrationen gezeigt. Die Unheimlichkeit und Bedrohlichkeit dieses Bauwerks wird somit exzellent in Szene gesetzt – fast so, als ob diese Kirche ein eigenständiger Charakter der Erzählung wäre. Im Vergleich zu Dagon ist Der leuchtende Trapezoeder etwas textlastiger, greift an einer Stelle sogar auf die Wiedergabe einiger Notizbuchseiten zurück; dennoch bleibt der Fokus auf der visuellen Erzählung.

Während Lovecrafts Vorlage einen Erzähler in der dritten Perspektive nutzt, vollzieht Tanabes Manga einen geschickten Wechsel in der Erzählperspektive. Eine kurze Rahmenhandlung umreißt das Schicksal Robert Blakes und gibt Aufschluss darüber, dass Blake vor seinem Tod einige seltsame Tagebucheinträge verfasste, die so unglaublich klingen, dass sie möglicherweise eher Teil eines neuen Romans werden sollten. Nach dieser Einleitung wechselt der Manga zu Blake als Ich-Erzähler – basierend auf ebenjenen Tagebucheinträgen, deren Echtheit zuvor bereits infrage gestellt wurde. Eine ausgezeichnete und spannende Erzählstrategie, die diese Geschichte ein Stückchen näher an die Traditionen des Schauerromans heranrückt, als Lovecrafts ursprünglicher Text dies tat.

Abgesehen von diesem wirklich hervorragenden Wechsel der Erzählperspektive weicht der Manga in zwei weiteren, teils ärgerlichen, teils verwunderlichen Punkten von der Vorlage ab. Ärgerlich ist, dass der Manga leider zu explizit wird, wenn es um die Darstellung der Kreatur im Kirchturm geht. Als es eines Nachts zum Stromausfall kommt und somit die Straßenbeleuchtung das Wesen nicht mehr in der Kirche gefangen hält, wittert der „Jäger“ seine Chance. In Lovecrafts Erzählung beginnt nun dramatisches Poltern in der Kirche selbst, das darauf hinweist, dass die Kreatur aus dem Gebäude zu fliehen versucht. Vor der Kirche versammelt sind die angsterfüllten Bewohner*innen des Viertels, die mit Kerzen, Lampen und Gebeten versuchen, das Monster in seine Grenzen zu weisen. Bis auf diese spärlichen Lampen spielt sich das Geschehen bei Lovecraft in völliger Dunkelheit ab; das Wesen in der Kirche bleibt im Verborgenen. In Tanabes Adaption, dagegen, durchbricht das Monster in bester Trash-Manier das Gemäuer und hängt plötzlich wie einst King Kong auf dem Empire State Building am Kirchturm.

Verwunderlich ist dagegen eine Traumsequenz, die sich während Blakes erster Begegnung mit dem leuchtenden Trapezoeder ereignet. In Lovecrafts Trapezoeder sieht Blake plötzlich eine Prozession verhüllter, offensichtlich nicht menschlicher Gestalten auf einer fremden Welt. In Tanabes Trapezoeder erkennt Blake zwar ebenfalls sofort, dass das, was er sieht, nicht auf der Erde spielt. Die Gestalten identifiziert er zunächst jedoch als „Menschen mit Kapuzen und langen Gewändern“, bevor er bemerkt, dass es sich wohl doch nicht um Menschen handeln kann. Die dazugehörige Illustration erinnert visuell sehr stark an Prozessionen des Ku-Klux-Klans. Bekanntermaßen äußerte sich H. P. Lovecraft immer wieder rassistisch; dem entsprechend wird sein Werk heute dahingehend berechtigterweise immer wieder kritisch gelesen und in Fiktionen wie beispielsweise Matt Ruffs Lovecraft Country ein Stück weitergeschrieben. Diese völlig kontextfreie KKK-Illustration in Tanabes Der leuchtende Trapezoeder, die weder in einem Zusammenhang zum Originaltext steht, noch sich wirklich mit Lovecrafts problematischen Ansichten auseinandersetzt, wirkt aber im wahrsten Sinne des Wortes völlig deplatziert – sie steht einfach im Raum; warum, weiß niemand so genau.

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