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H. P. Lovecrafts Berge des Wahnsinns, Bd. 1

Eine gruselig-gute Manga-Adaption

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Kategorie: Literatur

Berge des Wahnsinns (1936) ist einer von lediglich zwei Kurzromanen, die der US-amerikanische Schriftsteller H. P. Lovecraft je verfasste. Während die Erzählung immer wieder neu verlegt, annotiert und diskutiert wird, sieht es in der sonst so vielseitigen Welt der Lovecraft-Adaptionen überraschend rar aus. Zwar gibt es diverse Hörspiele und Radiodramen zum Thema; neben der hier vorgestellten Manga-Adaption existiert jedoch lediglich eine weitere Graphic Novel des Künstlers Ian Culbard. In der Filmwelt hat Lovecrafts At the Mountains of Madness es lediglich zu einer nie verwirklichten Vision geschafft, für die Filmemacher Guillermo del Toro verantwortlich zeichnet. Diese Rarität an visuellen Adaptionen der Vorlage ist verständlich, dreht sich die Erzählung in erster Linie doch um das, was bildlich für den Menschen schlicht unvorstellbar ist. Der japanische Mangaka Gou Tanabe schreckt vor dieser Herausforderung jedoch nicht zurück.

Eine Forschungsexpedition der Miskatonic University bricht in die Antarktis auf, um dem ewigen Eis seine Geheimnisse zu entlocken. Die Expertise des Teams ist breit aufgestellt: Der Geologe Prof. Dyer, Leiter der Expedition, wird neben den Doktoranden Danforth, Gedney und Douglas durch den Ingenieur Prof. Pabodie, den Biologen Prof. Lake sowie den Meteorologen Prof. Atwood unterstützt. Ein neuartiger Bohrer, entworfen von Pabodie, soll es ermöglichen, völlig neuartige Bodenproben in der Antarktis zu entnehmen. Die Expedition beginnt vielversprechend. Doch schon bald übersteigt das Gefundene die wildesten Träume aller teilnehmenden Wissenschaftler. Nach der Entdeckung einiger seltsamer Fossilien bricht Lake mit einem Teil der Expeditionsteilnehmer im Flugzeug gen Nordwesten auf. Dort findet er schon bald die Überbleibsel seltsamer Wesen, die weder eindeutig Pflanze noch Tier zu sein scheinen. Kurz nach dem atemberaubenden Fund bricht der Funkkontakt zwischen den beiden Teams zusammen. Als der Rest der Expedition zu Lakes Lager reist, finden die Forscher dort nur verwüstete Zelte und die Leichen ihrer Kollegen vor. Lediglich von Gedney fehlt jede Spur …

Die Erzählung

Wer die Geschichten H. P. Lovecraft kennt, der weiß: Sie sind atmosphärisch, ungewöhnlich und leben oft von einem tiefgründigen, subtilen Horror, der im Verlaufe der Erzählung immer deutlich wird – bis er die Erzähler und/oder Protagonisten der Geschichte entweder in den Tod oder in den Wahnsinn treibt. Oftmals verleiht Lovecraft seinen Erzählungen einen gewissen Grad an Authentizität, indem er die seinerzeit aktuellen wissenschaftlichen Diskurse und Erkenntnisse in die Story einflechtet. Last but not least: Seine Geschichten sind meist durchsetzt von Lovecrafts xenophober und offen rassistischer Weltanschauung. All diese Faktoren treffen auch auf Berge des Wahnsinns zu; letzteres kommt jedoch erst im zweiten Teil der Manga-Adaption deutlich zum Tragen und wird daher erst in der entsprechenden Rezension thematisiert.

Tanabes Manga fängt sowohl Lovecrafts Atmosphäre und unbeschreiblichen Horror als auch dessen Fokus auf die wissenschaftliche Erforschung der Antarktis mit geschickten Mitteln ein. Es ist eine der Vorlage gegenüber äußerst ehrliche Adaption, die sich jedoch die Freiheiten nimmt, derer es bei dem Wechsel von einem rein textuellen zu einem visuellen Medium bedarf. Während Lovecrafts Geschichte recht träge in Fahrt kommt und beispielsweise zu Beginn seitenlange Erklärungen des aktuellen Wissensstands zur Antarktis sowie unzählige Funksprüche der Expeditionsteilnehmer rezitiert, wählt Tanabe ein deutlich schnelleres – aber keineswegs gehetztes – Erzähltempo. Noch deutlicher als Lovecraft selbst stellt Tanabe zudem die Expedition zum Südpol als einen wortwörtlichen Gewaltakt dar: Mit Dynamit und Bohrer entreißen die Wissenschaftler der Natur ihre Geheimnisse – und finden letzten Endes mehr, als sie vertragen können.

Leider streicht die Adaption allerdings auch die Rahmenerzählung, mit der die Geschichte bei Lovecraft zunächst beginnt: In Lovecrafts Berge des Wahnsinns bricht der namentlich nicht genannte Erzähler sein jahrelanges Schweigen über die Antarktis-Expedition, an der er einst teilnahm – schließlich ist eine neuerliche Forschungsreise geplant und der Erzähler fürchtet die grauenhaften Konsequenzen des Unterfangens. Dass Tanabe diese Rahmenerzählung nicht übernimmt und sich stattdessen voll und ganz auf die Situation am Südpol konzentriert, ist allerdings nachvollziehbar: In der visuellen Umsetzung des Mangas hätte der Rahmen wenig Mehrwert geboten. Stattdessen ersetzt Tanabe die Rahmenerzählung durch eine Prolepse, die bereits zu Beginn des Mangas vorwegnimmt, dass die Expedition grausam enden wird. So kreiert Tanabe nicht nur von Anfang an eine düstere, fatalistische Stimmung, sondern isoliert das Geschehen auch in der eisigen Ödnis der Antarktis.

Der Manga hat einen exzellenten Spannungsbogen, der genau im richtigen Moment abbricht und so den Griff zum zweiten Teil von Berge des Wahnsinns im Prinzip unvermeidlich macht. Die Lake-Expedition ist verwüstet, die Gründe dafür sind unbekannt und die einzige Spur führt jenseits der gigantischen, schwarzen "Berge des Wahnsinns". Der erste Teil endet also mit der Entscheidung Prof. Dyers, die Berge zu überqueren und den verschollenen Gedney ausfindig zu machen.

Einziges Manko am Manga: Die Charaktere sind alle recht eindimensional und austauschbar. Dies ist allerdings der Vorlage geschuldet; H. P. Lovecraft legte nie großen Wert auf individualisierte Charaktere, sondern nutzte sie vielmehr als Projektionsfläche für seinen kosmischen Horror.

Der Stil

Eine große Herausforderung in visuellen Adaptionen von Lovecrafts Erzählungen ist, dass ihr Horror oftmals unvorstellbar, unbeschreiblich und vage ist. Mehr noch: Viele seiner Schöpfungen sind so grauenvoll und andersartig, dass ihr bloßer Anblick jeden menschlichen Verstand in den Wahnsinn treibt. Wie soll man also in einem Manga jenes Darstellen, was laut Vorlage schlicht nicht darstellbar ist? Tanabe löst das Problem geschickt durch seinen nüchtern-realistischen und detailreichen Stil. Oftmals sind die Zeichnungen so detailliert, dass sie schlicht desorientierend oder gar unleserlich werden. Dadurch werden zwar die grauenvollen Lovecraftschen Kreaturen visuell dargestellt; ein verständliches Bild haben die Lesenden dennoch nicht von ihnen. Das Schwarz-Weiß des Mangas funktioniert nicht nur hervorragend für die Geschichte generell, sondern fördert diesen desorientierenden Effekt im Besonderen.

Zudem wechselt Tanabe gerne zwischen sehr kleinen Panels, die entweder die Forscher oder ihre Ausrüstung darstellen, und plötzlichen, doppelseitigen und schlicht atemberaubenden Zeichnungen der Landschaft und der titelgebenden "Berge des Wahnsinns". Gelegentlich werden mittels dieser großflächigen Bilder auch die seltsamen Fossilienfunde dargestellt, was sowohl deren physische als auch metaphorische Größe (im Sinne der Bedeutung für die Wissenschaft) verdeutlicht. Dadurch wird der Gegensatz zwischen Mensch und Natur immer wieder in den Vordergrund gerückt. Entreißen die Forscher zu Beginn der Antarktis noch Bodenproben und Fossilien, so wird im Verlauf der Erzählung immer deutlicher, wie klein und machtlos die Menschheit im Vergleich mit der Natur, den Bergen des Wahnsinns und dem, was dort noch lauern mag, eigentlich ist.

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