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First Responders

Rettungsserie als Rollenspiel

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Kategorie: Pen & Paper

Es gibt wenige Rollenspiele, die wirklich neue Pfade einschlagen. First Responders ist eines davon. Und das nicht, indem besonders außergewöhnliche Welten besucht werden, denn es findet fast direkt vor unserer Haustür statt. Anstatt Aliens oder Drachen zu bekämpfen, stellen wir uns als Ersthelfer*innen nämlich ganz realweltlichen Gefahren. Vom Hausbrand über einstürzende Gebäude, Pandemien und Fluten bis hin zu Vulkanausbrüchen. Kann das Konzept aufgehen?

Das Buch von Monte Cook Games leistet Pionierarbeit. Bis auf einen Versuch mit Fate-Regeln, ist Rollenspiel um Feuerwehrleute und Katastrophenhelfer*innen noch weitgehend unerkundetes Gebiet. Das ist eigentlich erstaunlich, zeigt die Serienwelt doch, dass die Mischung aus privatem Drama und actionreichen Rettungsszenen äußerst erfolgreich sein kann. Ob Chicago Fire, 911 oder dutzende Krankenhausserien: die heldenhafte Arbeit von Rettungspersonal kann uns offenbar am Fernsehbildschirm durchuaus in den Bann ziehen.

Für das Rollenspiel bedeutet das jedoch eine nicht geringe Herausforderung. Weder können altbekannte Plotstrukturen oder Kämpfe angewendet werden, noch kann man sich auf investigative Arbeit zurückziehen ...

Stufe-3-Flut im Anmarsch!

Auf der Basis des universellen Cypher-Regelsystems erprobt sich First Responders an genau so einer Umsetzung. Dabei versuchen Bruce R. Cordell und Shanna Germain nicht, das Rad neu zu erfinden, sondern adaptieren bekannte Regel- und Plotideen aufs ungewöhnliche Thema.

 
Feuer sind mehr als nur ein paar Flammen, denn es kann ein Eigenleben entwickeln.
TM and © 2021 Monte Cook Games, LLC.

Regeltechnisch bietet das Cypher-System eine angenehme Mischung aus regelarmen, narrativen Rollenspiel und recht bekannten Listen- und Kaufsystem. Die Kombination kann, meines Erachtens nach, auch im Angesicht von Katrastophenbewältigung gelingen, setzt aber eine gewisse Kenntnis des Cypher-System voraus. Durchweg werden wir im Buch ermuntert, selber kreativ zu werden und das Framework des Regelsystems frei anzuwenden. Kann ein Heilzauber vielleicht regeltechnisch als Löschaktion verstanden werden? Dieser Ansatz wird auch im Buch selber angewendet, geht aber deutlich weiter, als bloß Fantasyschlachten auf Katastrophen zu beziehen. Grundidee ist es, dass statt Monstern eine komplexe Bedrohung bewältigt wird. Im Kern muss ein Bedrohungslevel (Threat) ähnlich wie Lebenspunkte reduziert werden, um eine Gefahr zu bewältigen. Damit dies nicht zur Würfelorgie verkommt, gibt das System konkrete Interpretationen der Aktionen an die Hand und bemüht sich, die Bedrohungen so lebendig wie möglich zu machen. Statt uns lediglich wie ein klassische Monster Schaden zuzufügen, kann ein Feuer uns etwa mit einer Rauchvergiftung betäuben, sich ausbreiten und neue Feuer „spawnen“ oder Hindernisse in den Weg legen. Richtig umgesetzt können so sehr erinnerungswürdige Rettungssituationen entstehen.

Krisenmodus, Interventionen und Character Arcs

Regeltechnisch wird das durch einige Kniffe interessanter gemacht, die das Cypher-System bereits mitbringt. Zum ersten wären da die Interventionen (Intrusions), die der Spielleitung die Möglichkeit geben, Komplikationen auch auf Regelgrundlage und nicht nur nach Bauchgefühl einzuführen. So entsteht eine bedrohliche und dynamische Situation. Der Krisenmodus hilft, die Eskalationsstufe besonders schnell hochzuschrauben und ein Gefühl von Dringlichkeit zu erzeugen.

 
Starke Charaktere gehören fest zum Spielkonzept.
TM and © 2021 Monte Cook Games, LLC.

Da permanente Rettungsaktionen ebenso wie ein endloser Dungeon schnell ermüdend sein können, wird empfohlen, die Rettungsszenen mit den persönlichen Konflikten und Zielen der Charaktere abzuwechseln. Hierzu kann auf das Prinzip der Character Arcs zurückgegriffen werden. Das aus Serienformaten übernommene Prinzip macht Ziele und Sorgen der Charaktere greifbar und modelliert diese als eine Art Nebenquest. Wichtiger als die recht simplen Regeln sind dabei die zahlreichen Beispiele, die uns das Buch an die Hand gibt. Gut eingesetzt ist First Responders nicht nur ein Actionerlebnis, sondern „echtes“ Rollenspiel.

Wie halten sie es mit dem Realismus?

Besonders beeindruckend ist dabei der hohe Reflexions- und Detailgrad der Autor*innen. Äußerst angenehm geschrieben, verweisen die Beiden auf mögliche Probleme am Spieltisch, wenn es etwa zu realistisch werden könnte. Und auch ganz konkrete Rettungssituationen werden präzise analysiert und für das Spiel angewendet. Dabei geht es weniger um eine realistische Simulation von Rettungsaktionen als ein unterhaltsames Serienniveau. Das Buch gibt genug Beispiele aus der Berufspraxis, um informiert zu sein, ermutigt aber auch dazu, Realismus durch intuitive Plausibilität zu ersetzen. Um Spaß mit First Responders zu haben, müssen wir eben keine jahrelange Ausbildung absolvieren, sondern können mit den Hintergrundinformationen im Buch gleich loslegen.

Präsentation und Umfang

Das Buch ist durchweg professionell gestaltet und überzeugt durch eine klare Struktur, einen hilfreichen Index, Verlinkungen der digitalen Version und Randverweise auf das Grundregelwerk. Es ist nicht nur ein Spaß, es zu lesen, sondern es enthält eine gut zugängliche und umfangreiche Darstellung von möglichen Rettungsaktionen. Wer sich für das Thema interessiert, kommt hier schlicht und ergreifend nicht um das Buch herum.

Der realistische Illustrationsstil konnte mich überzeugen.
TM and © 2021 Monte Cook Games, LLC.

Nach einigen Überlegungen zum Rollenspiel als Ersthelfer*innen folgen die erwartbaren Regeln, um einen Rettungscharakter (Responder) zu erstellen. Interessanterweise wurde dabei keine Reihe an verschiedenen Rettungsberufen erstellt, sondern das recht flexible Cypher-Klassensystem auf eine einzige neue Klasse – eben den Responder – angewendet.

Nach Hinweisen zum Leiten einer First-Responders-Runde folgt das Kernstück: Eine Liste an möglichen Desastern, die etwa wie ein Monsterhandbuch funktionieren. Konkrete Szenarios fügen diese Module dann zu vollständigen „Abenteuern“ zusammen und versammeln alles, um ohne viel Vorbereitung losspielen zu können. Hier werden mehr als zehn konkrete Szenarios beschrieben, denen sich die Charaktere stellen können.

Abgerundet wird das Buch durch Beispiels-NPCs, die SAVER-Organisation (Sovereign Agency of Veteran Emergency Responders), Hinweise zur Implementierung in andere Settings und ein kurzes Fachwortverzeichnis. zusammen mit den gelungenen, aber leider manchmal mehrfach verwendeten Illustrationen ergibt sich ein überzeugendes Gesamtbild. Damit bietet das knapp 150 Seiten umfassende Buch wirklich alles was zum Spielen einer Rettungstruppe nötig ist. Damit ist es allein auf weiter Flur und schon allein deswegen einen gründlichen Blick wert.

 

 

Auch Bergungsarbeiten können mit dem Spiel abgebildet werden.
TM and © 2021 Monte Cook Games, LLC.

Kritik?

Insgesamt kann ich wenig an der Umsetzung kritisieren. Für mich hätten die Rettungscharaktere etwas umfangreicher ausfallen können. Auch kommt mir die medizinische Intervention etwas zu kurz und das Equipment wird nur angerissen. Das sind aber keine ernsthaften Kritikpunkte, da das Buch wie erwähnt  absolute Pionierarbeit leistet. Auch die Nutzung des Cypher-Systems scheint mir eine gute Wahl zu sein. Zwar mag die Mischung aus simplen Regeln und recht umfangreichen Fertigkeitslisten gewöhnungsbedürftig sein, First Responders bemüht sich aber um eine intensive Integration der Regeln. Auch wer nicht vor hat, sich in das System einzuarbeiten, wird hier auf Grund der zahlreichen Beispiele und narrativen Aufbereitung von Rettungseinsätzen voll auf seine Kosten kommen.

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