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Dungeon World

Modernes Rollenspiel in staubigen Kerkern und Verliesen

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Kategorie: Pen & Paper

Es geht abwärts. Die feuchten Kerkerwelten, bewohnt von Skeletten, Orks und ungezähltem anderen Gekröpf gehören seit der Geburtsstunde zum Rollenspiel wie Drachen und Würfel. Dungeon World führt uns in eine Welt ebensolcher Kerkerwelten zurück, die natürlich längst um Sumpflandschaften, düsterer Wälder und weite Ebenen erweitert wurde. Im Kern geht es jedoch immer um die Grundidee des Dungeons: eine Truppe wackerer Helden gegen Heerscharen finsterer Kreaturen, ein paar Fallen und ein großer Schatz am Ende des Tunnels. Wie das alles auf Höhe der Zeit und ohne abgebrochenes Mathematikstudium gelingt, beweist Dungeon World, das nun auch auf Deutsch von System Matters vorliegt.

Umfang

Nähern wir uns den Tiefen der Kerkerwelten von außen, bevor wir in die Tiefen der Spielwelt und Regeln hinabsteigen und uns ins Handgemenge mit Madenkraken und Feueraalen wagen.

Dungeon World kommt in der System Matters-Ausgabe mit einem durchaus massivem Hardcover daher. Auf etwas über 500 Seiten wird uns alles an die Hand gegeben, was wir zum Überleben in der Unterwelt brauchen. Vom Umfang sollte man sich jedoch nicht abschrecken lassen: Ein luftiges und übersichtliches Layout, zahlreiche Illustrationen und ein gut strukturierter Aufbau und ein Stichwortverzeichnis erleichtern uns Einstieg und Orientierung. So wissen wir, was wir wo finden können und müssen auch als Spielleiterin nicht alle 13 Kapitel intensiv studieren, bevor wir losspielen können.

Die Kapitel enthalten übrigens so ziemlich alles, was wir für umfangreiche Kampagnen benötigen. Nach ein paar einleitenden Worten über das Spielprinzip von Dungeon World wird sich der Charaktererschaffung und den neun Klassen gewidmet, denen unsere Charaktere angehören. Danach folgen Kapitel über die Grundregeln – die Spielzüge –, etwas zur Ausrüstung, zur ersten Sitzung, Abenteuer- und Kampagnenstrukturen (Stichwort: Fronten) und umfangreiche Monsterbeschreibungen. Danach gibt es auch schon Modifikationen für fortgeschrittene Runden und Anhänge.

Die Welt

Tatsächlich findet sich auch ein Kapitel über die Welt eingestreut. Das fällt mit nur etwa 20 Seiten recht knapp aus und hat wenig damit zu tun, was wir klassischerweise von so einem Kapitel erwarten würden. Statt grundlegender Beschreibungen von Regionen, großen Städten, politischer Entwicklung, Kulturen oder Nichtspielercharakteren gibt es schlagwortartige Listen um „Stätten“ – Weiler, Dörfer, Burgen, Städte – zu charakterisieren. Eine Handvoll Regeln ermöglicht uns, Auswirkungen von größeren Veränderungen nachzuzeichnen, über konkrete Städte lernen wir hingen nichts außer potentielle Namen. Das hat jedoch weder etwas mit Platzmangel zu tun, noch damit, dass man eigene Regionalbeschreibungen verkaufen möchte, sondern gehört zum Grundprinzip des Spiels. Wie die Welt im Detail aussieht, soll sich im Spiel ergeben und durch die Gruppe, also auch die Spieler selber festgelegt werden. Daher gibt uns Dungeon World nur die allergröbsten Rahmenbedingungen mit an die Hand. Wir spielen also nicht in Aventurien, Glorantha oder einer anderen festgelegten Spielwelt, sondern in unserer eigenen, persönlichen Dungeonwelt.

Tatsächlich müssen wir nicht vorher festlegen, welches genaue Wissen oder welche genauen Regeln beispielsweise im Kodex der Paladine niedergeschrieben wurden. Stattdessen dürfen die Spieler – in Grenzen – selbst entscheiden, welches Wissen ihren Charakteren gerade hilft oder welche konkrete Verhaltensregel ihnen wichtig ist. Einmal gesagt gilt dieses Konzept jedoch für die gesamte Spielwelt und muss in Zukunft beachtet werden. Als Spielleiterin werden wir also weniger durch intensive Vorbereitung und Weltenbau gefragt, sondern durch den Mut zur Lücke und das Stellen von Fragen und Ernstnehmen der Antworten.

Ein Beispiel: Der Hintergrund der Barbarin der Spielerin ist beispielsweise im Wesentlichen fremd. Daher wird die Spielleitung der Spielerin am Anfang jeder Sitzung eine Frage über die Heimat der Barbarin stellen, die die Spielerin frei beantworten darf und somit einen Fakt über die Herkunftskultur der Barbarin setzt. Durch solche Kniffe entsteht die Welt während des Spielens und die Details ergeben sich immer dann, wenn wir sie brauchen.

Das „Fehlen“ einer festen Welt bedeutet aber nicht, dass der grundsätzliche Ton ebenso offen wäre. Im Gegenteil: Dungeon World wartet beispielsweise mit sehr konkreten Klassen auf, die durchaus etwas über die jeweiligen Hintergründe aussagen. Durch die Benennung der Spielzüge, Gesinnungen, Zauberlisten etc. hat die Welt durchaus einen grundlegenden Stil, der sich irgendwo im Oldschool-Fantasygenre ansiedeln lässt. So geben die abstrakt gehaltenen Preis- und Ausrüstungslisten natürlich einen gewissen technischen Stand der Welt vor. Während wir nur 16 abstrakte Waffentypen präsentiert bekommen, werden Gifte und ein paar Proviantarten deutlich spezieller präsentiert. Durch Halblingspfeifenkraut oder Zwergenzwieback gewinnt die Welt doch an Details. Das gilt noch stärker für die magischen Gegenstände. Damit wird nicht nur deutlich, dass die Suche nach mächtigen Artefakten – ganz oldschoolig – einen besonderen Schwerpunkt des Spiels darstellt, auch kommen hier ganz konkrete Namen ins Spiel. So gelingt es Dungeon World, zusammen mit Beispielen und Illustrationen, einen groben Hintergrund anzureißen, der jedoch ausgestaltet werden muss und soll. Das lässt sich äußerst gut an den Kreaturen der Welt erkennen …

Monstermassen

Noch wichtiger als die mächtigen Artefakte gefallener Könige sind – wenig überraschend – die Monster, die vorher erlegt werden müssen, um an den begehrten Lohn zu kommen. Zwar ist Dungeon World mehr als ein simples Hack and Slay-Rollenspiel, aber letztlich findet ein Großteil des Spiels doch unter Tage oder in finsteren Wäldern statt. Das Kapitel über die Monster ist folgerichtig auch das umfangreichste. Auf fast 150 Seiten wird zuerst vorgeschlagen, wie Monster selbst kreiert und sinnvoll im Spiel eingesetzt werden können, bevor es an ein umfangreiches Monstermanual geht.

Hier geht das Buch durchaus ins Detail. In einem ersten Abschnitt werden die Monster in neun Habitate eingeteilt. Das ergibt nicht nur stimmige und passende Gegnermischungen, sondern hilft auch beim Vorbereiten und Improvisieren.

Die einzelnen Monster nehmen jeweils eine knappe halbe Seite ein, die jedoch von Text statt Statistiken dominiert wird. Dungeon World ist trotz Monsterschwerpunkt ein narratives Spiel. So lernen wie das Aussehen und die Motivationen der Monster, stimmungsvolle Andeutungen, wo sie als Bedrohung auftreten können, oder andere interessante und im Spiel umsetzbare Details. Eine Besonderheit hebt die meisten Monster ab, während ein grober Instinkt das Grundverhalten der Monster angibt und durch konkrete Züge – also im groben Handlungsoptionen der Monster – unterfüttert wird.

Als statische Werte kommen lediglich Gruppenumfang und Intelligenz, Größenkategorie, Schadensart und -stärke sowie Lebenspunkte und Rüstung hinzu. Allemal überschaubare Monsterwerte also. Wichtiger als hochdifferenzierte Statistiken ist hier die Originalität und der Wiedererkennungswert.

Nehmen wir als Beispiel den simplen Goblin: Der kommt relativ organisiert als Horde vor, trägt klassischerweise einen Speer, wodurch er etwas Reichweite hat und einen W6 Schaden verursacht. Mit 3 Trefferpunkten und einer Rüstung von 1 ist er sehr verwundbar. Damit uns Goblins im Gedächtnis bleiben, sollten wir dem angegebenen Grundinstinkt folgen: sich vermehren. Im Spiel bedeutet das, dass Goblins als aggressive Gestalten zwar Angreifen!, aber vor allen Dingen mehr Goblins herbeirufen oder sich als durchaus intelligente Wesen sogar zurückziehen und vermehrt wiederkommen können. So steht die Kampfstrategie mehr im Mittelpunkt als die Werte und wir werden uns eher mit der nahenden Gefahr von Verstärkung auseinandersetzen müssen als der taktisch richtigen Waffenwahl. In Dungeon World wird viel gekämpft, die Kämpfe sollen aber keine Würfelorgien, sondern dramatische Kampfszenen mit Erinnerungswert sein.

Regeln

Kommen wir damit endlich zu den Regeln. Dungeon World baut auf dem Apocalypse-Spielsystem von Vincent Baker auf und kann als das umfangreichste und einsteigerfreundlichste „Powered by the Apocalypse“-System (PbtA) auf dem deutschsprachigen Markt bezeichnet werden. Was zeichnet das System also aus?

Grundsätzlich ist bereits die dynamische Spielwelterschaffung ein besonderer Aspekt dieses Regelsystems. Die Philosophie der PbtA-Spiele besteht darin, dass kollaborativ eine Geschichte gespielt und eine Welt erschaffen wird, bei der die Spielleitung ebenso neugierig mitspielen kann wie die Charaktere. Das Ganze findet vor dem Hintergrund von einfachen, aber durchaus umfangreichen Regeln statt.

Statt auf Proben, setzen PbtA-Spiele auf Spielzüge. Das ist nicht nur ein anderer Name für Proben, sondern bezeichnet eine konkrete Antwort auf eine Situation. Grundsätzlich wird – wie bei jedem Rollenspiel – eine Geschichte erzählt, statt aber auf Probensituationen zu schauen, wird überprüft, wann die Bedingung eines möglichen Spielzuges erfüllt ist, der sodann ausgelöst wird.

Um das konkret zu machen: Sind unsere Charaktere auf Reise und wollen rasten, so löst dies den Sonderspielzug Lager aufschlagen aus. Der Spielzug besagt, dass wir eine Ration aufwenden müssen, ggf. eine Wachreihenfolge festgelegt wird und mit genug Schlaf Lebenspunkte regeneriert werden. Spannender wird es, wenn wir nun auch Wache halten wollen. Der gleichnamige Spielzug verlangt einen Würfelwurf auf unsere Weisheit. Der Wache haltende Charakter würfelt 2W6 und addiert seinen Weisheitsmodifikator (–3 bis +3).

Eine spezifische Tabelle für den Spielzug gibt nun an, was passiert. Dabei gilt grundsätzlich, dass ein Wert unter 7 ein Misserfolg ist. Hier: Angreifer kommen uns zuvor. Eine 7–9 gilt hingegen meist als Teilerfolg. Wir können in diesem Fall unsere Mitstreiter wecken und haben die Waffen griffbereit, sind aber ansonsten überrumpelt worden. Bei einer 10+ sind wir hingegen durch einen vollen Erfolg gut vorbereitet, haben wie bei einem Teilerfolg alle Waffen griffbereit und erhalten sogar für unseren nächsten Wurf einen Bonus von +1. So geben die Spielzüge ganz konkrete Angaben darüber, was für Konsequenzen eine Situation hat und bleiben dennoch recht überschaubar.

Schauen wir uns das noch einmal im Kampf an: Unser erster Grundspielzug ist stimmungsvoll Hauen & Stechen getitelt. Zwar gibt es umfangreiche Hinweise dazu, wie man Sondersituationen abdeckt und Kämpfe allgemein leitet, die Grundregeln sind aber äußerst simpel. Unter einer 7 verfehlen wir. Bei einer 7–9 fügen wir Schaden zu, während unser Gegner ebenfalls Schaden zufügt. Eine 10+ ist entweder ein Treffer ohne Gegenwehr oder ein Treffer mit Zusatzschaden. Damit wird nicht nur eine kleine Entscheidungsoption eingebaut, sondern auch ein eintöniges Widerspiel von Attacke und Parade vermieden.

Spielzüge decken nicht nur komplexere Situationen konkreter ab als Proben, sondern bestimmen auch das Spielgeschehen. Die Idee ist, dass die Spielzüge aus sich heraus weitere Züge als Konsequenzen erzeugen und so das Spiel vorantreiben. Nur wenn es zur Pause oder einem Fehlschlag kommt, darf die Spielleitung ihrerseits mit eigenen Spielzügen dagegenhalten. Also beispielsweise eine Gefahr auslösen, unsere Goblins nach Verstärkung rufen lassen, etc.

Zu guter Letzt definieren Spielzüge auch unsere Helden, Gegner und sogar Umgebungen. Alles, was sich im Spiel handfest auswirken soll, kann und sollte einen Spielzug bekommen.

Besonders deutlich wird das an unseren Charakteren: Jede Klasse verfügt neben spezifischen Erfahrungspunktbedingungen, Gesinnungsmöglichkeiten und ein paar Werten primär über eigene zusätzliche und exklusive Spielzüge. Diese ersetzen gewissermaßen unsere Fertigkeitswerte und legen so fest, was wir im Spiel machen können und sollen. Durch Stufenanstiege erlernen wir beispielsweise neue Spielzüge und gestalten so unseren Charakter immer weiter aus.

Dadurch kommt Dungeon World mit äußerst wenigen Werten aus. Lediglich fünf Attribute, Trefferpunkte und ein Grundschaden bestimmen den Charakter in klaren Werten. Der Grundschaden ist übrigens – Dungeons & Dragons lässt grüßen – das einzige Element bei dem regelmäßig andere Würfeltypen als der klassische Sechsseiter Verwendung finden.

Es sind weniger die einzelnen Regelbausteine, die Dungeon World einzigartig machen. Vielmehr lebt es von der PbtA eigenen Spielphilosophie. Das Wechselspiel der Spielzüge, das Spielen, um die Welt zu erkunden, aber auch die konzeptionellen Ideen, um eine Kampagne über Fronten zu strukturieren, machen Dungeon World anders als andere Oldschool-Rollenspiele (siehe hierzu auch die OSR-Fibel (pdf)). Diese Philosophie ist in Dungeon World wohl am besten auf Deutsch aufbereitet worden. Um sie sich lebhaft vorstellen zu können, hilft am besten das direkte Spielen oder ein Blick in die exzellenten Podcasts von System Matters zum Thema. Letztere geben einen wunderbaren Einblick darin, wie PbtA-Spiele funktionieren und was das konkret für Dungeon World bedeutet.

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