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Cyberempathy

Vernetztes Mitfühlen

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Kategorie: Literatur

Der Erinnerungskonstrukteur Leon lebt in Skyscrape, wo alle Menschen über das Cybernet empathisch miteinander verbunden sind – Frieden herrscht in der Welt. Als Leon an einen bedeutsamen Auftrag gerät, wandelt sich sein Leben jedoch zum Alptraum.

Leon lebt in einer perfekten Welt. Seitdem die Menschen über das Cybernet miteinander verbunden sind, existieren weder Krieg, Gewalt noch Leid. Durch die ständige Präsenz der Empfindungen der anderen Individuen ist jeder darauf erpicht, kein Unrecht oder Schmerz zu verursachen, da jeder diese Empfindungen gleichermaßen teilen würde. Aber auch Glückseligkeit lässt sich auf diese Weise auf andere Menschen übertragen. 

Leon könnte kaum ein erfüllteres Leben führen, obwohl er den lebensverlängernden Maßnahmen der Kybernetik und Genetik entsagt. Na gut, er hat seine Augenfarbe angepasst, aber die neue goldene Iris entspricht eher seinem Wesen. Neben der Liebe zu seiner Verlobten Janica ist auch Leons Beruf seine Berufung. Als renommierter Erinnerungskonstrukteur passt er beispielsweise unliebsame, schmerzliche oder negative Erinnerungen an, indem er positivere Emotionen hinterlegt. So sollte auch sein aktueller Auftrag vonstattengehen, doch Leon wurde hinters Licht geführt und muss nun die Konsequenzen für den Fehlschlag tragen, den einer von Skyscrapes mächtigsten Männern ihm anlastet.  

Seine Strafe: Leon wird in die Unterstadt abgeschoben, wo eine verwahrloste, kriminelle Welt ihn erwartet, in der keine Hilfe vom Cybernet zu erwarten ist, da es hier nicht existiert. Der Mensch wird hier als verweichlichtes Ersatzteillager definiert und jeder ist sich selbst der Nächste. Kann Leon in dieser fremden, unmenschlichen Welt fernab der künstlichen Empathie überhaupt noch Mensch sein oder ist dieser Ort gar menschlicher, als die mit dem Cybernet verbundene Oberstadt?

Utopie und Dystopie zugleich 

Zu Beginn des Buches taucht der Leser in eine Utopie ein, wie sie im Lexikon beschrieben stehen könnte. Die Menschheit hat das Leid überwunden; Kriege, Kriminalität und selbst der Tod besitzen bis zu einem gewissen Grad keinen Schrecken mehr. In einer hochtechnologischen Welt zu leben, in der jeder jeden versteht und der eigene Körper durch Genetik und Kybernetik verbessert wird, kann nur Glückseligkeit vorherrschen. Auch Leons Biographie ist diesem Muster unterworfen, er nimmt es als Selbstverständlichkeit hin, in solch harmonischen Zeiten zu leben.  

Doch die Realität sieht ganz anders aus. Das wird Leon mit Schrecken bewusst, als er die andere Seite der Wirklichkeit am eigenen Leib erfährt. Ein Sprung von der perfekten Utopie zur offensichtlichen Dystopie, die nur eine Aufzugfahrt entfernt unter der Erde verborgen liegt. Wo es Licht gibt, ist auch Schatten – und während Skyscrapes Oberstadt wortwörtlich in der Sonne badet, versinkt die Unterstadt in der Dunkelheit. Das begreift und erfährt Leon bereits in den ersten Stunden, die er in Verbannung lebt. Die Schattenseiten des perfekten Lebens ballen sich um ihn herum, keine gute Seele – kein Mensch – scheint hier zu leben. Aber nicht nur Leons Auffassung der Welt gerät urplötzlich ins Wanken, er zweifelt an sich und der Menschlichkeit. Gerade dieser Prozess und der Werdegang, den Leon in der Unterstadt durchmacht, zeichnen E.F. v. Hainwalds Roman aus. Leon sieht keinen Ausweg. Warum sollte er sich nicht einfach in dieses neue System einfügen und seine Gliedmaßen und Organe in einer dubiosen Klinik verscherbeln? Schließlich braucht er Geld, um an diesem unwirklichem Ort zu bestehen und kybernetische Verbesserungen würden ihm ebenso helfen, einen Hauch an Überlebenschance zu generieren … 

Fazit 

Cyberempathy besticht nicht nur durch ein wirklich wunderschönes Cover-Artwork und einer entsprechenden Layoutgestaltung: Auch die gut durchdachte, glaubhaft inszenierte Welt, die mit den unterschiedlichsten Charakteren bevölkert ist, erzeugt Cyberempathy eine Intensität, die mich das Buch nicht aus den Händen hat legen lassen. Gerade der Protagonist Leon und die sich in der Unterstadt einklinkenden Persönlichkeiten laden zum Mitfiebern und Mitfühlen ein – ganz ohne Cybernet. 

Neben einer größeren Charakterentwicklung, die nicht nur Leon durchlebt, hat auch das Thema Menschlichkeit im Abschnitt zu den Unterstadt-Erlebnissen einen großen Stellenwert, was dem Buch für mich noch einen ganz besonderen Reiz verliehen hat. So selbstverständlich, wie man Optimierungen und Errungenschaften noch in der Oberstadt hingenommen hat, wird der Blick beim Eintritt in die Unterstadt geschärft und das Gelesene kann neu bewertet werden.  

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