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Cultistorm

Mehr als ein gewöhliches Lovecraft-Brettspiel?

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Kategorie: Brett- und Kartenspiele

Die Mythologie von H. P. Lovecraft hat sich schon lange fest in der Spieleszene etablieren können. Die zwanziger Jahre und das Pantheon um Cthulhu, Nyarlatothep und Azatoth steht mittlerweile für besonders atmosphärischen Horror. Der großen Konkurrenz kooperativer Cthulhu-Brettspiele zum Trotz, hat sich auch der ungarische Verlag „Purple Meeple Games" an ein Lovecraft-Brettspiel der Extraklasse gewagt.

Schon ein kurzer Blick auf die Homepage oder Kickstarterkampagne zeigt, dass sich der Verlag einiges vorgenommen hat. Cultistorm soll mehr als ein gewöhnliches Brettspiel sein und wird prominent mit dem Leitsatz „More Than an Ordinary Boardgame“ beworben. Getreu dem Motto wurden schon vor dem Erscheinen der Grundbox zahlreiche Erweiterungen mit unzähligen Spielstunden versprochen. Das ist in Zeiten von Crowdfunding nicht ganz ungewöhnlich, das Team um Sandor Szucs legt aber noch einmal eine gehörige Portion Bonus-Tentakel als Stretchgoals drauf. Dazu aber später mehr ...

Spielmaterial

Mittlerweile ist die Grundbox erfolgreich realisiert worden und an die Projektunterstützer verteilt. Ein Teil der Boxen wurde zudem auf Events wie der Spielemesse in Essen angeboten, auf der ich auch mein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt bekommen habe. Schon der Ersteindruck beim Öffnen der beeindruckend illustrierten Box ist äußerst positiv. Ein durchdacht gestaltetes Inlay bietet Platz für die zahlreichen Karten und Marker und ein Extra-Einsatz für die acht Figuren sorgt dafür, dass nichts verrutscht. Die Miniaturen – sechs Spielercharaktere und zwei gigantische Markerfiguren – haben dabei guten Brettspielstandard, können aber nicht mit dem hohen Detailgrad der Marktgrößen mithalten. Dafür fallen die Illustrationen des Spiels weitgehend sehr gelungen aus. Hier wird eine äußerst düstere und harte Version des Lovecraft-Mythos präsentiert, die durch einen realistisch gehaltenen Stil transportiert wird. Während die Kultisten und Orte hevorragend illustriert sind, fallen leider ausgerechnet die Spielkarten der Investigatoren erstaunlich lieblos aus. Hier wurde nur eine Illustration je Investigatorendeck genutzt und die weisen dabei auch noch äußerst wenig Wiedererkennungswert auf. Dafür sind das Spielbrett und die Spielertableaus durchdacht designt: Die Tableaus haben passende Aussparungen für Erfahrungsmarker verpasst bekommen und das eigentliche Spielbrett setzt sich aus fünf geschickt ineinandergreifenden Spielplanteilen zusammen. Viel Symbolik oder Leisten wurden vermieden, ohne dem Spielgefühl zu schaden. Dadurch fällt Cultistorm fraglos auf jedem Spieltisch positiv auf …

Spielmechanik

Der Name Cultistorm hätte dabei kaum passender gewählt werden können, denn im Spiel dreht sich alles um das Besiegen der namensgebenden Kultisten. Wir wenden den bei Weiten größten Teil unserer Spielzeit und taktischen Überlegungen für die Frage auf, wie wir welcher Schergen am besten Herr werden. Dabei dürfen wir nur wenige Fehler machen, um uns nicht mit einem wahren Ansturm von Kultisten konfrontiert zu sehen. Eben einem Cultistorm.

Das Grundprinzip ist dabei zumindest in dieser Form neu. Jedem Kultisten sind vier verschiedene Symbole zugewiesen, die wir mit Symbolen auf unseren Handkarten und anderen Werkzeugen erfüllen, bzw. „matchen“, müssen, um den Kultisten zu vergraulen. Durch den Ort des Kultisten und einen zufälligen Symbol-Kultistenwürfel wird es etwas schwieriger und es kommt Varianz ins Spiel. Gelingt uns das Bekämpfen der Kultisten nicht, bevor sich vier Kultisten an einem Ort sammeln, wird ein „Großer Alter" beschworen, der nach und nach seine Diener verschlingt und so deutlich mehr Symbole ansammeln kann. Können wir auch dieses Monster nicht überwältigen, verlieren wir das Spiel. Ebenso verlieren wir natürlich auch, wenn sich einfach so an den Orten zu viele Kultisten eingefunden haben, die Zeit verrinnt oder einer von unseren Charakteren stirbt. Hier ist Cultistorm ganz offen: Es gibt viele Wege zu verlieren, aber nur einen, um zu gewinnen und der besteht darin, fünf Portale zu versiegeln, indem wir Trophäen ausgeben. Die Trophäen sammeln wir wiederum, indem wir Kultisten besiegen, also genau das erledigen, was wir den Großteil des Spiels sowieso machen ...

Durch die Symbolmechanik werden wir als Gruppe ab der ersten Runde vor taktische Entscheidungen gestellt, die wir nur gemeinsam lösen können. Unsere Handkarten, gemeinsame Investigatorenwürfel, Ausrüstung, Orte und Fähigkeiten geben vor, welche Kultisten wir gerade besiegen können. Und dann kommt es auch noch darauf an, die passenden Gegner zu besiegen, um die richtigen Symbole zum Versiegeln der Portale zu sammeln. Das Grundprinzip ist taktisch fordernd, aber schnell verstanden.

Das Erfüllen von Symbolen kennt man bereits vom Älteren Zeichen. Durch die Wahl von Karten und dem starken Fokus auf die Konfrontation mit Kultisten fällt Cultistorm aber deutlich planbarer aus. Schon mit reinen Symbolkarten wäre Cultistorm taktisch durchaus interessant, Dynamik entsteht jedoch dadurch, dass die Karten doppelt genutzt werden können. Anstatt selber das Symbol einer Karte zum Bekämpfen zu nutzen, können wir auch einen anderen Investigator mit einem aufgedruckten Karteneffekt unterstützen. Das kostet uns zwar geistige Stabilität, wir dürfen aber (meist) direkt eine neue Karte nachziehen und so unsere Symbolzusammensetzung optimieren. Andererseits kann gerade der beste Effekt ein nützliches Symbol verbrauchen. Hier ist genaues Abwägen gefragt. Die Tatsache, dass wir unsere Kartenfähigkeiten nur für andere Spieler aktivieren dürfen, ist durchaus gewöhnungsbedürftig und der Umstand, dass Unterstützung geistige Stabilität verbraucht, ist thematisch wenig überzeugend. Die Regel sorgt aber effektiv dafür, dass alle Spieler am Tisch involviert sind und niemand die Planung dominieren kann. Unterstützt wird das auch dadurch, dass es keine Spielerzüge gibt. Plant man in vielen kooperativen Spielen erst einmal theoretisch durch, was man tun will, um dann die geplanten Handlungen der Reihe nach auszuführen, geht es bei Cultistorm drunter und drüber. Wir handeln in der Hauptphase alle gleichzeitig und können unsere Überlegungen direkt umsetzen. So entsteht viel Dynamik und niemand muss auf die anderen Spieler warten. Auch ansonsten wird der Spielfluss sehr dynamisch gehalten. Dementsprechend können unsere Aktionen auch während unserer Handlungsphase Bedrohungseffekte auslösen, auf die wir dann auch direkt reagieren können. Zusammen mit der offenen Rundenstruktur ist Cultistorm äußerst dynamisch, wenn auch manchmal etwas chaotisch.

Spielplan und Materialien sind hochwertig und ausgefallen gestaltet. Statt über Leisten wandern Terror- und Kultistenmodelle unmittelbar über die Orte des Spielplans

Auch abgesehen vom interaktiven Charakter und dynamischen Spielfluss können die meisten Regelmechaniken durchaus überzeugen. So gelingt es dem Spiel etwa, konsequent auf Zahlenleisten zu verzichten. Statt Marker auf Leisten zu verschieben, wandern die beiden imposant aussehenden Marker-Spielfiguren über den opulent gestalteten Spielplan und hinterlassen Kultisten an Orten oder Kristalle auf angelegten Bedrohungskarten. An der Rückseite dieser Karten, die gewissermaßen als Rundenzähler fungieren, können wir außerdem direkt erkennen, wie viele Steine eine Karte aufnehmen kann, bevor der Bedrohungseffekt ausgelöst wird. So unterscheiden sich die Effekte noch einmal deutlich voneinander und es kommt weiteres Kalkül hinzu.

Leider blieb das für das Spielgefühl durchaus zuträgliche Chaos auch an anderen Stellen nicht ganz aus. Die eigentlich recht überschaubaren Regeln werden in dem kurzen Regelheft nicht ganz lückenlos dargestellt. Gerade der Aufbau ist mitunter etwas mühsam und nicht ganz eindeutig. So ist etwa die genaue Zusammensetzung des Kultistenstapels und die Einbettung von Zusatzkarten unklar. Hinzu tritt ein etwas umständliches Englisch (eine deutschsprachige Fassung ist zur Zeit nicht angekündigt) und es findet sich abweichende Terminologie auf den Karten oder kleinere Fehler in Beispielzeichnungen. Eine Regel findet sich sogar nur auf der Spielhilfe und nicht im Regelheft selber. Hier können eine FAQ oder ein überarbeitetes Regelheft sicher schnell helfen, zurzeit ist man aber noch weitgehend auf sich allein gestellt. Das ist schade, zumal die Spielkomponenten einige der Regeln durchaus gut unterstützen und so auf gründliches Testen schließen lassen.

Narration

Die Macher präsentieren ihr Spiel als Hommage an H. P. Lovecraft. Und natürlich sind die Hinweise auf den sonderlichen Altmeister des Horrors nicht zu übersehen. Die „Großen Alten", das Kultistenmotiv, die Symbolik: Cultistorm trieft vor Lovecraft-Reminiszenzen. Durch seinen eigenen, sehr düster gehaltenen Stil, gelingt es dem Spiel dabei, sich von den zahlreichen anderen Lovecraft-Produkten abzuheben. Es gelingt einen eigenen Stil zu finden, der das Horrorgefühl auf eine neue Weise transportiert. Allerdings dürften sich Lovecraft-Kenner schon bei der oben gegebenen Regelbeschreibung etwas gewundert haben. Denn der subtile kosmische Horror kommt hier erst einmal gar nicht vor. Wie auch in den Arkham-Files-Spielen – also etwa Arkham- oder Eldritch-Horror –, gehen wir hier auf direkten Konfrontationskurs mit Kultisten und bekämpfen mitunter sogar mehrere der „Großen Alten" in wenigen Spielzügen. Für persönliche Geschichten und tiefgreifenden Horror ist daneben zumindest im Grundspiel kein Platz.

Die Interpretation des Lovecraft-Mythos fällt merklich düster aus und hält dabei einen hohen künstlerischen Standard

Überhaupt fällt die narrative Seite im Vergleich zur Taktik recht schwach aus. Obwohl überzeugend illustriert wurde, bleiben Orte, Kultisten und unsere Ermittler weitgehend profillos. Wir achten letztlich lediglich auf Regeleffekte, die wir thematisch nur einbetten können, indem wir einige weite Gedankensprünge vornehmen. So erlaubt uns eine einsame Hütte etwa, die Bedrohung gegen Geisteskraftverlust zu senken und ein Friedhof gibt uns Gegenstände aus dem Ablagestapel zurück auf die Hand.

Und auch unsere Investigatoren bleiben, wie bereits erwähnt, sehr austauschbar und ihre Kartendecks unterscheiden sich nur durch die leider viel zu generischen Charakterillustrationen. Lediglich die Sonderfertigkeiten fallen individuell aus, was sich aber auch auf die taktische Ebene reduziert. So spielen wir dann etwa ein „Medium“, einen „Supporter“ oder „Gambler“ und keine ausgestalteten Charaktere. Zumindest im Grundspiel ist Cultistorm schlicht und ergreifend ein taktisches Puzzle mit Lovecraft-Motiv und kein narratives Erlebnis.

… und noch viel (viel) mehr!

Wie eingangs erwähnt, will Cultistorm aber weit mehr als ein gewöhnliches Brettspiel sein. Die Macher verraten uns zwar nicht, was für sie ein solches, gewöhnliches Brettspiel ist. Ziel ist es aber offenkundig, ein besonders immersives Spielgefühl zu erzeugen, indem das Spiel etwa auch musikalische und literarische Komponenten entfalten soll. Mit den Bonusmaterialien geht es darum, eine ganze Cultistorm-Welt zum Leben zu erwecken. So sind für das mittels Crowdfunding finanzierte Projekt bereits ein eigenes Musikalbum, eine Kurzgeschichtensammlung, umfangreiche Erweiterungen, eine Weltkarte und unabhängige Minispiele angekündigt. Wir können so etwa eine Overlord-Kampagne spielen, Zivilisten retten, neue Bedrohungen einfügen und vor manchen Kultistenkämpfen Kurzgeschichten vorlesen. Kurzum: das Spiel setzt voll auf das Crowdfunding-Modell und erlaubt uns mit satten 14 Erweiterungen, massenhaft neue Inhalt in das Spiel einzubauen.

Mit der Produktqualität der Grundbox hat das engagierte Team gezeigt, dass es diese Versprechen durchaus halten kann. Ich bin allerdings sehr skeptisch, dass die Spielmechanik ein solides Fundament für eine solche Erweiterungsflut darstellt. Cultistorm ist ein gut funktionierendes Spiel, schon die wenigen Kickstarter-Bonusinhalte in der dieser Rezension zu Grunde liegenden Box verkomplizieren das Spiel aber mehr, als das sie es merklich verbessern. Ich bin durchaus dafür empfänglich, mein Spielerlebnis durch Erweiterungen und alternative Kartensets zu individualisieren, der spielerische Mehrwert fällt bisher aber gering aus. Gerade die als literarisches Erlebnis gepriesene Idee, vor manchen Kultistenbegegnungen teils mehrseitige Vignetten vorzulesen, läuft dem flotten Spielfluss meiner ersten Einschätzung nach deutlich zuwider. Und auch den unabhängigen Minispielen stehe ich eher skeptisch gegenüber. Das ebenfalls zur Messe erschienene Face 2 Face, in dem ein Ermittlerspieler die Symbole eines Kultistenspielers erraten soll, sieht zwar sehr hübsch aus, hat sich spielerisch aber sehr zufällig und unmotiviert angefühlt und konnte bei uns keinerlei Fahrt aufnehmen.

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