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Cruel and Unusual

90er-Jahre Schocker mit aktuellem Wiedererkennungswert

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Kategorie: Literatur

Im 8. Zusatzartikel der USA heißt es, dass Straftäter*innen keine Bestrafung zukommen darf, die grausam und ungewöhnlich ist. Die Problematik des Interpretationsspielraums dieser Formulierung greift dieser Comic in einer düsteren Horrorthematik auf.

Was also sind „grausame und ungewöhnliche Bestrafungen“, und welche Möglichkeiten bietet eine so unklar umrissene Definition in einem Gesetzestext? Das war wohl die Hintergrundfrage der Comic-Verfasser Jamie Delano und Tom Peyer. Je nach Weltanschauung, Sozialisierung und Flexibilität des moralischen Geistes entstehen in diesem Zusammenhang nämlich große Lücken, die von den Machern des Comics ausgenutzt und – zugegeben – überspitzt werden. Aber gerade das sorgt für den Schockmoment, der wachrüttelt. Und ganz weit weg ist der thematische Inhalt vermutlich nicht von der Realität. Aber zuerst zum Inhalt.

Der Preis des Erfolgs

Mächtige Menschen sind furchteinflößend, besonders für die noch Mächtigeren. Das muss auch Bobbie Flint erfahren, eine überaus erfolgreiche TV-Produzentin, die ihrem Chef Marion Meach zu einigem Reichtum verholfen hat. Da sie ihn jedoch nicht ranlässt, ergreift dieser die erstbeste Gelegenheit, sie in seinen privatfinanzierten Knast zwangszuversetzen. Dort herrschen unmögliche Zustände, denn Marion ist in dieser Einrichtung nicht an menschenwürdiger Unterbringung oder gar Rehabilitation gelegen, sondern nur an einem: Geld.

Mit minimalen Ausgaben sollen die Straftäter*innen also möglichst schnell ableben, um dem Staa … ah, pardon, dem Privatfinanzier nicht zu lange auf der Tasche zu liegen. Als Bobbie bei ihrer Ankunft einige Erfahrungen macht, die den Gefangenen als Einschüchterung dienen sollen, entschließt sie sich, die Missstände im Gefängnis öffentlich zu machen. Am besten über eine TV-Berichterstattung, die so erschreckend ist, dass die Behörden eingreifen.

Als Bobbie eine Hinrichtung mit einem mangelhaften elektrischen Stuhl übertragen lässt, erwartet sie eigentlich Regierung, Heimatschutz und alles, was schon einmal eine rechte Hand auf ein Gesetzbuch legen musste. Aber es kommt anders: Marion ist begeistert, denn seine Einschaltquoten sind dank Bobbies Aktion durch die Decke gegangen. Nicht nur wird der Knast nicht geschlossen, das dazugehörige Format erhält sogar ein eigenes Abo-Modell, das in kürzester Zeit zur lukrativen Einnahmequelle wird. Bobbie ergibt sich in ihr Schicksal und wird zur Direx Drakonia.

Über FSK brauchen wir nicht zu reden, oder?

Die Thematik allein lässt es schon vermuten: Der Comic ist nicht für Kinder und Jugendliche geeignet. Nicht nur die zeichnerisch dargestellte Brutalität sowie das Thema, auch die Sprache enthält Elemente, von denen wir immer hoffen, dass unsere Kinder damit erst im vernünftigen Erwachsenenalter (oder, noch besser: nie) in Berührung kommen. Sogar der Verlag empfiehlt den Verkauf und die Nutzung des Comics erst Personen ab 18 Jahren.

Neben Kindern und Jugendlichen sollten auch empfindsame Menschen vorsichtig beim Lesen sein, besonders im Trigger-Bereich von Body-Horror, sexueller Gewalt/Missbrauch, Brutalität, Folter, Verstümmelung, Rassismus, Gewalt gegen Schutzbefohlene. Die bildgewaltige Umsetzung der gezeichneten Gefängnisrealität verstärkt meiner Meinung nach die Konfrontation mit den Triggerpunkten noch.

Die guten alten 90er

Dass die Ursprünge des Comics in den 90ern liegen, sieht man an jeder Seite. Bereits die Cover der enthaltenen vier Folgen sowie die verwendete Sprache strotzen nur so vom 90er-Jahre-Stil, was aber einen gewissen Kult-Faktor verleiht. Hier befinden wir uns wirklich wieder in der guten alten Comic-Welt, fernab von Glitzer und Feenstaub.

John McCrea und Andrew Chiu, die sich um die bildhafte Darstellung und die Zeichnungen gekümmert haben, sowie Tatjana Wood, die für die Koloration zuständig war, haben ganze Arbeit geleistet. Bild, Sprache und Story passen stimmig zusammen und bilden ein in sich abgerundetes Werk mit Tiefgang. Nach der Übersetzung von Jens R. Nielsen ist Cruel and Unusual nun erstmals auch auf Deutsch erschienen.

Lesenswerter Aufweck-Schocker

Der 90er-Jahre-Stil und der überzogene Horror könnten den Eindruck erwecken, dass der Comic rein zur fiktiven Unterhaltung auffordert, aber er hat tatsächlich einen aktuellen Bildungsauftrag. In Tagen, in denen Menschen Tiere bewusst quälen, um sie danach in einem heroischen Rettungsvideo für Klicks auf Insta, Facebook und TikTok zu präsentieren; in denen Polizeigewalt in den USA immer noch auf der Tagesordnung steht, in den Menschen für Fame und virale Reichweite kurz gefasst einfach ihren Verstand aufgeben, hat ein Comic wie Cruel and Unusual nicht bloß einen schmunzelamüsanten Gruseleffekt. Die Hintergrundgeschichte zur Entstehung, der Interpretationsspielraum von Gesetzen und die Macht- sowie Geldgier derer, die sich mit zuviel Geld und zu viel Zeit zu viel leisten können, sind nur einige Punkte, die aufgegriffen und brutal vor Augen geführt werden.

Insofern kann ich den Comic nur empfehlen, besonders, wenn man ihn bewusst liest und sich auf den Gedankengang einlässt, inwieweit die Thematik auch 30 Jahre nach Erstveröffentlichung noch Bestand hat.

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