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Das Buch der Königreiche

Detailverliebtes Weltenbuch

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Kategorie: Pen & Paper

Das Hobby Rollenspiel hat viele Alleinstellungsmerkmale. Das stärkste ist vielleicht die fast unbeschränkte Freiheit am Spieltisch und die Möglichkeit, seine Spielerfahrung zu individualisieren. Zahllose Regelmodifikatoren, Fanabenteuer, aber auch eigene Regelsysteme und Welten besiedeln den Markt. Mit den sozialen Medien und immer einfacheren Möglichkeiten, Inhalte selber professionell zu gestalten und zu vermarkten, steht man heute vor einer kaum überschaubaren Landschaft von – mal besseren, mal schlechteren – Fankreationen. Christian Stanges Buch der Königreiche hebt sich dabei durch seine Ambitioniertheit schnell ab. Dem Buch merkt man die unzähligen (und unbezahlbaren) Stunden an Leidenschaft, aber auch den Hintergrund des Autors im Layout an. Was versprechen die über 600 Seiten und können sie es halten?

So viel vorab: Nein, eine detaillierte und umfassende Beschreibung des Buches ist im Rahmen dieser Besprechung kaum möglich. Wie schon erwähnt, ist es der schiere Umfang, der so ein Unterfangen fast unmöglich macht. Die aktuelle Fassung des Buches umfasst nicht weniger als 620 prall gefüllte PDF-Seiten. Das bedeutet 12 Königreiche, etwa 150 Nichtspielercharaktere, etwa 100 Gebäude und Landkarten, ungezählte Edelsteine und, und, und …

Ersteindruck

Der Umfang allein rechtfertigt den Preis von 19€ für das PDF allemal. Wer eine luxuriöse Printausgabe der ersten Edition erwerben möchte, muss etwas tiefer in die Tasche greifen, bekommt dafür aber auch einiges fürs Geld geboten. Autor Christian Stange rechnet im Vorwort auch vor, dass er nicht im Ansatz kostendeckend arbeiten kann, was durchaus ein prägendes Problem der Rollenspiel-Landschaft abbildet. 

Neben dem puren Umfang kann auch das Layout überzeugen. Seitengestaltung, Karten und einige Mosaikbilder können durchaus mit professionellen Büchern mithalten oder bewegen sich zumindest deutlich über einfachem Fanniveau. Die Bodenpläne, Zeichnungen und Wappen variieren in ihrer Qualität allerdings stark. Während ich die – auch in der Rezension zur Illustration genutzten – Schwarz-weiß-Zeichnungen meist gelungen finde, bricht manches Bild negativ aus. Insbesondere die Farbillustrationen können mich nicht überzeugen. Hier hätte ich mir etwas mehr Einheitlichkeit gewünscht, bin aber froh, dass zahlreiche Illustrationen das Seitenbild auflockern. In gewisser Weise stehen die verspielten Zeichnungen nämlich im Kontrast zum wohlgeordneten, aber manchmal etwas bürokratischen Aufbau des Buches. Nach ein paar wenigen Seiten zum Projekt folgen ein paar transparente Anmerkungen der eigenen Vorstellung von ‚gutem‘ Rollenspiel, die selbstverständlich subjektiv gemeint sind und uns dabei helfen, den Ansatz des Buches besser zu verstehen und nicht andere Spielweisen abzuwerten. Dann geht es auch schon an die eigentlichen Inhalte. Nach ein paar allgemeinen Seiten zur Welt werden die 12 Reiche nach einem einheitlichen, klar durchnummerierten Schema vorgestellt …

Die Reiche

Reich für Reich beginnt so mit Allgemeinen Informationen und geht dann Herrscher (leider nutzt das Buch keine geschlechterinklusive Sprache, kennt aber durchaus unabhängige Frauencharaktere und Herrscherinnen), Titel, Zahlungsmittel, Reisebedingungen, Historie, Kriegskunst und so weiter durch. So haben wir es dann etwa mit Abschnitten wie „2.1.15 Edelsteine“ und den einzelnen Einträgen  „2.1.15.1 Beorric“,„2.1.15.2 Lomonth“ und so weiter zu tun. Diese Systematik stellt sicher, dass nichts Entscheidendes vergessen wird und hilft bei der Navigation, steht aber in seiner archivarischen Sperrigkeit etwas im Gegensatz zu den lebendigen Texten. Damit dürfte auch der Detailgrad deutlich geworden sein, mit dem das Buch arbeitet. Neigen viele modernere Ansätze zu knappen und freien Angaben zur Spielwelt, steht das Buch der Königreiche ganz in der Tradition alter Schule und wählt einen detaillierten, beschreibenden Ansatz. Die Königreiche weisen stellenweise eine immense Detailverliebtheit auf, wie man sie in vielen gegenwärtigen Rollenspielen nicht mehr kennt. So finden wir etwa eine Liste mit den genauen Angaben über Berufsvertreter*innen in den 30 Ortschaften des ersten Königreichs Teros-Saral. Anhand einer erschlagenden Tabelle erfahren wir so etwa, dass Ferron mit seiner Bevölkerung von 130 Menschen genau 3 Winzer*innen und eine Person für die Bewirtung in der Schenke beherbergt.

Angenehme Auflockerungen sind hingegen die Zufallstabellen „Regionale Besonderheiten erleben“, die je 20 Begegnungen abbilden, die eine Region mit Leben und individuellem Flair füllen. Bei allem Realismus in der Welterstellung betont das Spiel nämlich einen durchaus freien Umgang mit den Angaben und eine auf die Atmosphäre und Geschichte fokussierte Spielweise. Hier kann die strukturierte Darstellung dabei helfen, Aspekte der unterschiedlichen Königreiche miteinander zu verbinden und sich auch auf einzelne Elemente zu konzentrieren oder für andere Spielwelten anzueignen.

Auch vom Detailgrad abgesehen ist die Welt der Königreiche der älteren Schule verpflichtet. Selbstverständlich finden wir einige Besonderheiten, man darf die Welt aber sicher als klassisches ‚Fantelalter‘ bezeichnen. Low-Fantasy, mit einem weitgehend europäischen Flair, vermeintlich-klassischen Rollenverteilungen und den üblichen Verdächtigen wie Zwergen, Lindwürmern, Orks, Minotauren etc. Dabei wurde Wert darauf gelegt, die Völker eigenständig und plausibel anzulegen und es wird ein breites Spektrum von mittelalterlichen Fürstentümern über Waldreiche bis hin zu Zwergenstädten abgedeckt. Eine aufschlussreiche Zusammenstellung findet sich dazu auf der gut gepflegten Homepage des Autors, die auch sonst zum Stöbern einlädt.

Weltenbuch

Die Atmosphäre der Welt, den Technologiestand und die Verhältnisse der Völker zueinander zu bestimmen, ist dabei gar nicht leicht. Das hat etwas mit dem eigenwilligen Charakter des Buches zu tun. Streng genommen handelt es sich eher um eine Sammlung von Regionalbeschreibungen statt einem vollständigen Settingband. Hier fehlen mir vor allen Dingen einleitende, übergreifende Darstellungen der Welt, Völker, Monster etc. Will man mehr über Zwerge erfahren, muss man ihr Königreich lesen und so quasi indirekt mehr über Charakter, Ausrüstung etc. des Volkes erfahren. Möchte man wissen, welche Bewaffnung genutzt wird, muss man sich auf die zahlreichen Nichtspielercharakterbeschreibungen verlassen. Gesammelte Waffen- oder Ausrüstungslisten vermisst man völlig und auch Aufstellungen typischer Monster muss man je in den Regionalbeschreibungen suchen. In der Praxis dürfte man sich also in eine Region einarbeiten und dann die Leerstellen aus den Andeutungen füllen. Das ist durchaus gewollt, steht aber etwas im Konflikt mit dem sonst so detaillierten Buch.

Ähnlich sieht es mit den Regeln aus. Das Buch der Königreiche ist als systemunabhängiges Weltenbuch angelegt. Nur vereinzelt finden sich Überreste von Regeln, wie etwa die Angabe über Magiepunkte bei Edelsteinen. Ansonsten weist der Autor darauf hin, selber mit Rolemaster zu arbeiten und bietet seine persönliche Beratung an. Die Entscheidung, auf Regeln zu verzichten, finde ich begrüßenswert, da sich viele Fanprodukte damit übernehmen, ihre Welt gleichzeitig mit Regeln versehen zu müssen und viele Gruppen bereits ihre Wohlfühlregeln haben. Dennoch fällt damit natürlich auch einige Arbeit für die Spielleitung an. Überspitzt gesagt stellt sich mir dann auch die Frage, welche Zielgruppe gleichzeitig eigenständig Regeln improvisiert und auf der anderen Seite eine höchst detaillierte Spielwelt benötigt. Für mich wird das Reich der Königreiche damit tendenziell zu einem – verdammt umfangreichen – Ideensteinbruch. Das ist so vom Autor durchaus intendiert und wird durch die klaren Abschnitte und die Regellosigkeit begünstigt, hakt aber doch etwas an der Königreichsstruktur. Bei aller vorhandenen Struktur würde ich mir für eine effektive Nutzung – wie gesagt – ein paar Kapitel zur Welt im Ganzen und vielleicht noch ein paar Hinweise zur regel- und wertetechnischen Umsetzung wünschen. 

Lebendige Welt

Solche Wünsche sind keine bloße Fantasie. Der Autor ist sehr bemüht, sein Sandbox-Setting beständig zu überarbeiten und hat gewisser Weise ein lebendiges Weltenbuch erschaffen. Wer genauer hinsieht, wird einige Seiten finden, auf denen Wappen leer gelassen wurden oder Segmente fehlen. In unregelmäßigen Abständen wird das Buch in einer neuen, erweiterten und verbesserten Fassung als PDF zur Verfügung gestellt. Durch die aktualisierbare Publikationsweise musste der Autor nicht warten, bis die – vermutlich nie vollendete Welt – komplett gestaltet wurde und kann das Produkt stetig verbessern. Das geschieht zuverlässig und umfangreich und durchaus auch mit weitergehenden Änderungen. So hat etwa das Layout noch einmal dazugewonnen und es wurden seit erster Veröffentlichung über 100 Seiten mit weiterem Material hinzugefügt. Nicht eingerechnet sind dabei die kostenlosen Zusatzabenteuer und ausdruckbaren Karten, die das Buch ergänzen.

Auch wenn das PDF-Format das Aktualisieren überhaupt erst möglich macht, müssen wir leider jedes Mal eine volle Fassung des Buches laden und eine Papierversion leidet unter diesem Format deutlich. In Zeiten von Tablets und e-Readern ist das verkraftbar, dennoch gehen uns etwaige Annotationen verloren und es braucht etwas Aufräumarbeit. Den eingeschlagenen Weg finde ich dennoch interessant und begrüßenswert. Es wird spannend sein zu sehen, welche technischen Entwicklungen es noch geben wird, um diese Idee weiterzuführen.

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