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Barcamp 3: "Der perfekte Garpunkt - Gans, Tofu und Co."

Das 20. Türchen des Kurzgeschichten-Adventskalenders

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Kategorie: Kurzgeschichten Literatur

Das gemeinsame Familienessen ist ein fester Bestandteil des Weihnachtsfestes. Doch besinnlich läuft es oft nicht ab. Welche Risiken man daher zu Tisch vermeiden könnte, hat Ruka in ihrer Geschichte zusammengefasst.

„Hallo, wie schön, dass ihr alle da seid. Heute widmen wir uns einem sehr wichtigen Thema, das an Weihnachten eine bedeutende Rolle spielt, aber auch großes Risiko-Potenzial birgt. Ich brauche euch auch gar nicht lange auf die Folter zu spannen, denn ihr wisst ja, im heutigen Seminar ‚Der perfekte Garpunkt – Gans, Tofu und Co.‘ dreht sich alles um das Weihnachtsessen.“

Um einen großen Tisch herum stand eine nicht kleine Zahl an Wichteln und Wichtelinnen, die gespannt auf das Tuch blickten, das die Tischoberfläche verhüllte.

„Da es sich hier um einen Workshop handelt, werden wir uns der Sache gemeinsam nähern. Ich werde euch also nicht alles vorsagen, sondern ihr müsst aktiv erkennen, wo sich Risiken verstecken und vorschlagen, wie wir diese minimieren können.“

Die gebannte Neugierde wurde bei diesen Worten ergänzt durch unruhige Bewegungen der Teilnehmenden. Aktives Mitmachen war nie so richtig gut. Barg zu viele Risiken, etwas falsch zu machen.

„Also los. Schauen wir uns die Sache einmal genauer an.“ Simigant, die Wichtelin aus der Abteilung für Gefahren-Herde zog vorsichtig das Tuch herunter. Zum Vorschein kam ein festlich gedeckter Tisch für acht Personen. Tiefe Teller standen auf flachen und wurden flankiert von unterschiedlichen Bestecken und Gläsern. In der Mitte thronten Schüsseln mit Leckereien und eine köstlich riechende, gebratene Gans, die lustige weiße Schühchen auf ihren Beinchen trug. Lametta und glitzernde Weihnachtskugeln sorgten für eine festliche Stimmung zu Tisch. Die Teilnehmenden ließen traditionsgerecht leise „Ohs“ und „Ahs“ der Bewunderung ertönen.

„Und? Wem fällt etwas auf?“

Die Wichtel beugten sich näher über die Tischplatte und versuchten, zwischen dem ganzen Glitzer und der Deko Probleme zu entdecken. Eine jüngere Wichtelfrau lehnte sich weit über die Tischkante und schnupperte an der Gans. „Hm … vielleicht …“ „Jaja, nur Mut“, unterstützte Simigant den ersten Versuch. „Also, es riecht ganz leicht nach Knoblauch. Es könnte sein, dass das durch die Marinade kommt?“ „Ja, sehr gut. Und weiter?“ „Knoblauch ist nicht festtagskonform, das könnte besonders die Mütter am Tisch erzürnen?“, mit fragenden Augen blickte die junge Wichtelfrau die Workshopleiterin an. Die Umstehenden blickten gespannt zwischen den beiden hin und her. „Sehr gut! Sehr, sehr gut! Hier haben wir einen klassischen Festtags-Faux-Pas, denn Knoblauch setzt sich in die Poren und dann riechen alle am nächsten Tag wie die Vampirabwehrzentrale am Südkap. Und DAS, meine Lieben, das ist NICHT besinnlich!“ Mit einem quietschenden kleinen Lacher winkte Simigant ab. Ein, zwei Wichtel sahen sich unsicher an. Sie hatten weder von einer Vampirabwehrzentrale im Süden gehört, noch waren sie sich wirklich sicher, ob die für Weihnachten irgendwie relevant sein könnte. Aber wer waren sie schon, immerhin waren sie in dem Workshop ja, um etwas zu lernen und nicht, um was schon zu wissen.

„Noch eine Idee?“

Etwas mutiger geworden durch den ersten erfolgreichen Treffer meldete sich ein weiterer Wichtel zu Wort. Sein grün-rot-gestreifter leuchtender Pullunder zerrte ein wenig an ihren modernen Weihnachtsnerven. Dennoch nickte sie ihm auffordernd zu.

„Die … äh … das Besteck, mein ich?“ „Jaaaa?“ „Wir haben hier drei Gabeln. Also eine für die Vorspeise, eine für die Hauptspeise und dann? Äh … also, für die Suppe kann sie ja nicht sein.“ Simigants Gesicht fror kurz ein, sie bemühte sich, ein neutrales Gesicht zu bewahren. „Salat?“, gab sie dem Pullunder einen kleinen Hinweis. „Oh, achso, Salat. Ja klar. Salat. Natürlich.“ Tief einatmend legte Simigant die Finger zusammen und bildete vor ihrer Mitte ein kleines Dreieck. Sie sollte motivieren, nicht demotivieren. Die jungen Wichtel konnten nichts für ihre ungebildete Natur. „Du warst aber schon auf dem richtigen Weg. Was für ein Risiko birgt sich im Salat?“ Ein anderer Wichtel meldete sich vorsichtig. „Ja bitte?“ „Die Salatblätter könnten zu groß sein, sodass sie nicht in den Mund geführt werden können, ohne dass man stopfen muss?“ „Riiiiichtig. Salatblätter müssen klein geschnitten werden, sonst kann man sie nicht elegant essen.“ So langsam begriffen die Wichtel, worauf es ihr ankam. Die anfängliche Schüchternheit machte der Neugier Platz und so wurde die Tischoberfläche eingehend studiert. „Hier sind Katzenhaare auf der Serviette!“ „Und hier ist noch Lippenstift am frischen Glas.“ „Das Lametta hängt zu dicht an der Kerze.“ “Gibt’s auch eine Gans aus Tofu?” Simigant nickte eifrig. „Viele richtige und kluge Ideen, aber es sind noch ein paar echte Rätsel versteckt. Wer findet sie?“

Begeistert stürzten sich die Wichtel auf die gedeckte Tafel und suchten nach weiteren kleinen Missgeschicken. Nur einer der Wichtel, bereits ein wenig älter, verschränkte die Arme vor der Brust und ließ den anderen den Vortritt. Skeptisch beobachtete er die Aktivitäten um ihn herum.

 „Dürfen wir auch anfassen?“, fragte einer der Enthusiasten.

„Natürlich! Ihr dürft alles anfassen, probieren oder so tun, als sei das hier ein richtiges Weihnachtsessen.“

Mit einem leisen Jubelschrei wurden Stühle gerückt und Plätze eingenommen.

„In der Schüssel ist ein Sprung.“ „Die Karotten sind kalt.“ „Die Serviette ist nicht aufwändig gefaltet.“ „Da hängt eine Schleife ins Essen.“ „In den Kartoffeln sitzt ein Frosch.“

Bei jeder Anmerkung hüpfte Simigants Herz vor Freude. Hier waren richtig risikobewusste Festtagsretter am Start. Nur der eine, der etwas griesgrämige Wichtel mit den verschränkten Armen, der stand immer noch abseits und zog ein Gesicht, als hätte er an dem fehlerträchtigen Festtagsessen wirklich teilnehmen müssen. Langsam schob sich Simigant näher in seine Richtung.

„Möchtest Du nicht auch mal nach Risiken zu Tisch suchen und Dich an unserem Workshop beteiligen?“

„Nicht nötig, ich hab schon alles herausgefunden.“

Die Wichtel zu Tisch und auch Simigant schauten ihn verwundert an. Immerhin hatte er bisher noch keinen Finger gerührt, um sich am Workshop zu beteiligen. Wie konnte er da auch nur irgendetwas herausgefunden haben?! „Möchtest Du … Deine Erkenntnisse mit uns teilen?“

Brummelnd schob der ältere Wichtel seine Arme noch ein wenig fester zusammen und verlagerte das Gewicht auf das linke Bein. Mit grimmigem Blick starrte er die Workshopleiterin an.

„Der ganze Schnick und Schnack da auf dem Tisch, der macht Weihnachten kaputt. Nicht der Knoblauch an der Gans und auch nicht die Gabel im Salat. Na gut, über den Frosch in den Kartoffeln können wir streiten, aber den Sprung in der Schüssel hat hier höchstens die Familie.“ Simigant wusste nicht genau, ob sie ihrer knigge-geübten Empörung freien Lauf lassen sollte, denn eigentlich stahl sich ein kleines Lächeln in ihr Inneres. Der alte Wichtel hatte einen sehr wichtigen Gedanken aufgegriffen, der allzu gerne vergessen wurde. Sie nickte ihm zu, um ihn zum Weiterreden aufzufordern. „Es ist doch völlig egal, ob die Pute im Ofen zwei oder drei Minuten zu lang geschmort hat. Solange sie nicht noch schnattert, wenn sie wieder rauskommt, wird’s schon in Ordnung sein. Ich frag mich jedes Jahr, wieso die Familien da draußen sich mehr Gedanken um den perfekten Garpunkt der Gans machen, als um den einen Moment, den sie zusammen verbringen dürfen. Was haben sie denn davon, wenn sie nachher perfekt gegessen haben, aber sich den halben Abend gegenseitig an die Gurgel gegangen sind? Wegen Nichtigkeiten. Ist ihnen das restliche Jahr doch auch egal, oder?“

Simigant tätschelte dem alten Wichtel tröstend die Schulter. Er hatte ja absolut recht. Weihnachten mit der Familie zu verbringen war das schönste Geschenk, das man sich machen konnte. Da kam es gar nicht drauf an, was man auftischte oder welche Deko am schönsten war. Es war der Augenblick des Zusammenseins, den man genießen sollte. Tief atmete Simigant ein und gönnte sich ein paar Sekunden, um den schönen Gedanken zu genießen, bevor sie die Stimme erhob.

„Das hast du sehr schön gesagt. Und du hast völlig recht damit. Allerdings befinden wir uns hier nicht im ideellen Weihnachtsmärchenwunderland, sondern in der besinnlichen Festtagsrealität. Und in der, mein Lieber, in der ist Weihnachten in der Familie Krieg! Also, du kleine moralische Made, wenn du mir nicht innerhalb von zwei Sekunden ein Risiko genannt hast, das nicht deine in Watte gepackte Klein-Jungen-Mentalität widerspiegelt“, Simigants sanftes Lächeln gefror zu einem zahnigen Raubtiergrinsen, während ihre Stimme den Tenor einer kreissägenden Drillkommandantin annahm, „dann kannst du den perfekten Garpunkt der Weihnachtsgans mit deiner Zahnbürste bestimmen. AUF DEM KLO BEIM LATRINENDIENST!“

Schockerstarrt blickten die Teilnehmenden des Workshops zu ihrer Workshopleiterin, der gerade noch ein kleiner Spucketropfen aus dem Mundwinkel zu Boden flüchtete, und rissen panisch die Augen auf. Der alte Wichtel, der sich bereits siegreich gedacht hatte, zitterte wie Espenlaub und duckte sich vor der wildgewordenen Simigant. „WIRDSBALD!“, bellte die kommandierend in sein Gesicht. „W … www …. Wein, es fehlt Wein!“

Die steife Gestalt der Workshopsleiterin entspannte sich. Gelassen legte sie erneut die Fingerspitzen ihrer Hände zusammen und nickte mit einem aufmunternden Lächeln. „Sehr gut, sehr gut. Ein Familienfest ohne Wein ist nicht zu ertragen. Also weiter … wer als nächstes?“

Entsetzt duckten sich Wichtel und Wichtelinnen auf ihren Stühlen und blickten wild umher, um das größte Risikopotenzial des Raumes nicht erneut zu reizen.

 

Hier gehts zurück zum literarischen Adventskalender. 

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