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Babel

Phantastik zwischen Industrialismus und Kolonialismus

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Kategorie: Literatur

Als seine Mutter stirbt, wird Robin von Kanton nach Oxford gebracht. Es scheint, als meine das Schicksal es gut mit ihm. Bis er begreift, dass er eigentlich nur einen Zweck hat: Geld einbringen. Das stellt ihn zwischen die Stühle eines sorgenfreien Lebens und der Verantwortung für sein Heimatland.

Robin ist der Sohn einer Chinesin und eines angesehenen britischen Professors und lebt um das Jahr 1830 herum. Nun könnte man meinen, dass ihm das zum Vorteil gereicht, denn nach dem Tod seiner Mutter nimmt ihn sein Vater in Oxford auf und verschafft ihm ein Stipendium in Babel, der renommierten Übersetzungsuniversität. Dort hat Robin nicht nur Zugang zu seltenen und berühmten Forschungsergebnissen, sondern findet auch Freund*innen. Ramy und Victoire sind beide unter ähnlichen Umständen nach Oxford gekommen und werden aufgrund ihrer Hautfarbe immer wieder mit rassistischen Umgangsweisen konfrontiert. Letty, die eigentlich aus einem guten britischen Haushalt stammt, hat aufgrund ihres Geschlechts ebenfalls Probleme, in der Gesellschaft vorwärts zu kommen. Diese Probleme schweißen die Studierenden zusammen, sodass sich eine tiefe Freundschaft entwickelt. Die wird jedoch auf die Probe gestellt, denn "Babel" verlangt seinen Studierenden einiges ab, nicht nur auf geistiger Ebene.

Oxford um 1830

Nachdem man in Babel festgestellt hat, dass sich bestimmte Wortpaare unterschiedlicher Sprachen mit Hilfe von Silberbarren dazu nutzen lassen, auf nahezu magische Weise Effekte zu erzielen, ist eine der Hauptaufgaben des Turms, diese Effekte zu erzeugen und die magischen Silberbarren zu verkaufen. Diese lassen Kutschen schneller fahren, dienen als Alarmanlagen oder verschönern Dekogegenstände in wohlhabenden Häusern. Aber auch in den Manufakturen werden Silberbarren vermehrt eingesetzt, um die Effizienz der Geräte und Maschinen zu steigern. Dadurch werden zahlreiche Bürger*innen arbeitslos, die solche Aufgaben zuvor in mühsamer Handarbeit erledigt haben. Diejenigen, die weiterhin in den Fabriken arbeiten, sind höheren Risiken ausgesetzt, die sie jedoch tragen müssen, um ihre Anstellung nicht zu verlieren und in Armut zu enden.

Zudem ist Silber kein natürlicher Bodenschatz des Empires. Daher muss die Kolonialisierung vorangetrieben werden, um an den begehrten Rohstoff zu kommen. Ein Hauptlieferant ist China – doch der Kaiser ist nicht begeistert vom Handel mit Britannien. Außer Opium gibt es dort als Gegenleistung für die Silberbarren kaum etwas von Interesse. Da Opium dem chinesischen Volk aber mehr schadet als nützt, will der Kaiser den Handel verbieten.

Robin, als Mandarin-Englisch-Übersetzer, soll die Geschicke zugunsten des Empires lenken und dafür sorgen, dass China die Vorzüge des freien Handels akzeptiert. Doch der junge Student ist gefangen in einem schwierigen Konflikt. Handelt er nach den Anweisungen Babels, verrät er sein Heimatland, das weiterhin der Opium-Gefahr ausgeliefert ist. Stellt er sich auf die Seite Chinas, verrät er seinen Mentor und verliert sein Stipendium und das gesicherte Leben sowie seine Zukunft im Turm.

Mitten in Babel

Besonders der Aufbau des Buchs und dessen Wirkung haben mich fasziniert, wobei es schwierig ist, diese in Worte zu fassen. Nachdem Robins Mutter verstorben ist, scheint die Aufnahme nach Oxford und die Möglichkeit dort zu studieren wie ein großes Glück, dem er mit Dankbarkeit begegnen muss. Auch die gelegentlichen Schwierigkeiten, denen sich der chinesische Junge mitten in der Zeit der Kolonien gegenüber sieht, scheinen verschmerzbar und ein geringer Preis für das Glück der Bildung und des wohlhabenden Studentenlebens mitten unter Freund*innen. Gemeinsam mit Robins Jahrgang stürzen wir uns in die schwierigen Studien von Wortherleitungen und Spracheigenschaften. Der Eindruck des unmittelbaren Studiums wird durch die erläuternden Fußnoten noch verstärkt. Rassismus und Diskriminierung sind präsent, aber zunächst noch subtil.

Dann steigern sich die bedrückenden Situationen und der Rassismus tritt immer mehr ans Tageslicht. Je länger Robin und seine Freund*innen sich in Babel aufhalten, desto deutlicher wird, was das Empire von ihnen erwartet und von ihren Landsleuten und ihrem Heimatland denkt. Zwar dürfen Robin, Rami, Letty und Victoire die Annehmlichkeiten der britischen Gesellschaft mehr oder weniger genießen, dennoch bleiben sie Fremde, die sich immer wieder behaupten oder besondere Vorsicht walten lassen müssen. Sobald ihre Forschungsreise ansteht, wird zudem deutlich, welchen Zweck die Professor*innen der Uni verfolgen: Macht und Geld. Robin muss einsehen, dass ihm die Gaben der Bildung nicht aus Großherzigkeit zuteil werden, sondern weil er aufgrund seiner Sprachbegabung die Wirtschaftlichkeit des Silberwerkens verstärkt und so zu einem größeren Vermögen des Empires beiträgt. Dafür muss er "nur" seinen Wurzeln abschwören und seine Heimat verraten.

Und tatsächlich erwischen wir uns als Lesende bei dem Gedanken, dass das ja ein kleiner Preis sei für ein anständiges Leben mit gesicherten Verhältnissen. Doch Kuang lässt die illusionäre Blase von Sicherheit und Wohlstand portionsweise immer weiter platzen, bis sich die ganze Tragweite von Kolonialismus und Industrialisierung sowie ihrer Auswirkungen offenbart.

Unterschiedliche Sichtweisen

Nicht nur aus Robins Sicht erleben wir Zwickmühlen, Gewissensfragen und müssen schwierige Entscheidungen treffen. Die Sichtweisen wechseln zwischen den unterschiedlichen soziologischen Standpunkten der Agierenden. Während Robin sich zwischen dem Empire und China befindet, steht Ramy symbolisch für die Ausbeutung Indiens und Victoire für das Leben einer weiblichen Schwarzen Person. Letty, die als Frau zwar auch unter Diskriminierung leidet, aber aufgrund ihrer britischen Herkunft zumindest keinen rassistischen Anfeindungen ausgesetzt ist, stellt einen wichtigen Schlüsselpunkt dar, da sie für Dankbarkeit und die Nutzung der persönlichen Chancen plädiert. Eine Vielzahl von Sichtweisen treffen so aufeinander und verschärfen den Konflikt zusätzlich.

Durch die Identifikation mit den Figuren spielt die Autorin auch mit der Perspektive und Meinungsbildung der Lesenden, entweder durch die Divergenz innerhalb einer fiktiven Person oder den Diskussionspunkten zwischen den Freund*innen. Gemeinsam mit den Figuren erhalten wir während der Handlung neue Faktoren, die es für die Meinungsbildung zu berücksichtigen gibt und die auch dafür sorgen, dass wir - während der Perspektivwechsel - unsere gebildete Meinung gemeinsam mit den agierenden Charakteren überdenken und in Frage stellen müssen. Während wir zu Beginn noch Partei für die Sicherheit und das angenehme Leben Robins ergreifen, müssen wir uns - genau wie er - irgendwann zwischen Sicherheit und Gerechtigkeit entscheiden, bzw. uns selbst fragen, was der richtige Weg für eine fortschrittliche Zukunft ist. Erschreckende Erkenntnisse inklusive.

Fazit

Babel fordert. Es fordert nicht nur auf intellektueller Ebene, weil wir tiefer in linguistische Ansätze abtauchen als in anderen Werken, es fordert auch dazu heraus, die eigenen moralischen Sichtweisen zu analysieren und zu prüfen. Eingebettet in die Thematik der Kolonialisierung und Industrialisierung wird das System in Frage gestellt, Rassismus und Diskriminierung aufgedeckt und die Konflikte zwischen Gerechtigkeit und Bequemlichkeit bewertet. Facettenreich und mit vielen Grauabstufungen erleben wir mit Robin, Ramy, Letty und Victoire die Problematiken, denen sie ausgeliefert sind. Dennoch sind die vier Student*innen keine Held*innen, sondern schwanken zwischen dem Glück, das für sie zum Greifen nahe scheint und dem Wunsch nach Gerechtigkeit für ihre Mitmenschen, Heimatländer und die Zukunft. Sie unterliegen Versuchungen, machen Fehler und folgen Bedürfnissen; sie bleiben dadurch nicht nur menschlich, sondern auch nahbar, und sie unterstreichen so die Problematiken, die Kuang in Babel zum Thema macht.

 

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