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A|State: Eine Stadt ohne Entkommen!

Eine Systemvorstellung von Gregor Hutton

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Kategorie: Interview

Dunkle Zukunftswelten dienen oft als Hintergrund für Rollenspiele. Das innovative Rollenspiel von dem schottischen Designerteam um Handicap Games herum geht jedoch einige neue Wege. In einer Jahrhunderte überlappenden unentrinnbaren Stadt kämpfen Banden um die Vorherrschaft. Dabei lässt das Spiel den Gruppen viel Freiraum und setzt auf eine auf das Thema gemünzte Mechanik, um ein Uhrwerk aus Stress, Problemen und Hoffnungsschimmern in Gang zu setzen. Im Interview stellt uns Gregor Hutton das Projekt näher vor und diskutiert insbesondere die Ideen hinter dem Spieldesign.

Andreas Giesbert (Zauberwelten-Online): Lieber Gregor, wir haben uns über einen gemeinsamen Freund vor ein paar Jahren auf der SPIEL in Essen getroffen. Damals hattest du 3:16 veröffentlicht und an dem Cyberpunk-Rollenspiel Remember Tomorrow gearbeitet. Du konzentrierst dich auf Indie-Spiele, die mit innovativen und minimalistischen Regeln arbeiten. Was hat dich zum Rollenspiel gebracht und was fasziniert dich bis heute daran?

Gregor Hutton: Als ich jünger war, haben ich und mein Nachbar uns für Tolkien und Per Anhalter durch die Galaxis begeistert. Er interessierte sich für Rollenspiele, Tabletops und Brettspiele und so wurde ich an das Hobby herangeführt. Diese Begeisterung hat bis heute nicht abgenommen – ich liebe es immer noch, phantastische Geschichten zu erzählen und diese mit anderen Menschen zu teilen.

Andreas (ZWO): Heute wollen wir uns über die zweite Auflage von a|state unterhalten, die vor kurzem auf Kickstarter finanziert wurde. Herzlichen Glückwunsch dazu übrigens! Was ist deine Rolle im Projekt, wie bist du mit dem Team in Kontakt gekommen und was fasziniert dich am Spiel?

Gregor: A/state ist eine Gemeinschaftsarbeit von Malcolm Craig und Paul Bourne, die 2004 ganz in meiner Nähe in Falkirk, Schottland, gelebt haben, als das Spiel zuerst veröffentlicht wurde. Ich habe einige der Texte der Erstauflage geschrieben, lektoriert und Illustrationen beigesteuert. Das waren ziemlich schöne Zeiten! Jetzt, also etwa 20 Jahre später, gibt es eine zweite Auflage von Handiwork Games, die jüngst realisiert wurde. Handiwork sitzen übrigens auch in Falkirk. Aber Schottland ist größer als es jetzt klingt, wirklich …

Ich habe bei einigen Designentscheidungen der Neuauflage beraten und ein bisschen bei der Kartenerstellung geholfen. Wir kennen uns alle schon recht lange – Jon Hodgson, der Handiwork leitet, hat das Cover für mein Rollenspiel Remember Tomorrow illustriert, während Paul, der nun ebenfalls bei Handiwork arbeitet, das Cover für 3:16 Carnage Amongst the Stars gemacht hat. Es gibt natürlich auch einige frische Leute im Team und Jon ist es sehr gut gelungen, neue Stimmen für a/state zu gewinnen.

A/state hat mich bereits begeistert, als ich 2002 eine Vorabversion sehen durfte. Die Stadt (The City) ist – wenig überraschend – ein urbanes Setting, aber eins mit einer großen Spannweite unterschiedlicher Persönlichkeiten. Eine faszinierende Mischung aus Folklore, lauerndem Horror, Klassenkampf und einer eigenen Mischung aus viktorianischem Elend, Kanälen und Backsteinarchitektur.

Andreas: Schön zusammengefasst! A|state ist zuerst einmal ein dystopisches Science-Fiction-Spiel. Wie würdest du denn das Genre und den spezifischen Ansatz von a|state beschreiben?

Gregor: Es ist schwer, das Spiel in ein Label zu pressen. Malcolms Inspiration für das Setting waren die verschiedenen Zeitschichten, die man architektonisch in Orten wie Edinburgh oder London finden kann. Eine bedrückende Welt, in der sich Straßen übereinanderschlingen, die Jahrhunderte von widersprüchlicher Architektur und Ambitionen umfassen; in der ein tropfender Eisenbahntunnel wie ein süchtiger Archäologe den Boden durchpflügt. Die Bilder, die Paul zum Spiel beisteuert, sind atemberaubend und es ist wirklich eine Freude, seine, Jon’s und Scott Purdy’s, Illustrationen für die Zweitauflage zu sehen. Es ist einfach ein wunderschönes Buch geworden!

Der besondere Dreh ist, dass man die Stadt niemals verlassen kann, wenngleich nie erklärt wird, warum das so ist. Zwar werden ein paar Erklärungen angeboten, warum das so sein könnte, aber es gibt keine eindeutige, richtige Antwort darauf.

Andreas: Gruselig. Was ist denn die Rolle der in der Stadt gefangenen Charaktere? Was sind unsere Ziele und typischen Probleme, die es zu bewältigen gilt?

Gregor: Die zweite Edition fokussiert sich ganz auf einen Punkt: Die Charaktere sind eine Bande Unruhestifter (Troublemaker), die gemeinsam ein Stadtgebiet verteidigen. Ihr kämpft gegen Bedrohungen, die euer Heim in den Kanalgossen bedrohen und versucht, diesen fiesen und verfluchten Ort irgendwie zu einer besseren Gegend zu machen. Beispielsweise könnte ein örtliches Waisenhaus seine Kinder zwingen, Messingbeschläge für eine Klempnerei in einem Viertel auf der anderen Seite des Kanals herzustellen. Sie unterbieten die Handwerker des anderen Viertels, wobei das Waisenhaus keine Rücksicht auf die Sicherheit der Kinder nimmt. Es gibt keinen richtigen Weg, das Problem zu lösen, und bei der Bewältigung wird die "Trouble Engine" des Spielsystems Folgekomplikationen auslösen und zukünftige Konflikte und Spielentwicklungen vorantreiben.

Andreas: Eine Sache die mir auffiel, war die Berücksichtigung von Charakteren mit unterschiedlichsten Hintergründen. So finden wir etwa einen Charakter im Rollstuhl und die Charaktere kommen aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten. Was ist denn der Umgang mit Diversität und Inklusion in a|state und wie hat es den Weltenbau geprägt?

Gregor: Das ist wirklich ein guter Punkt. Die Illustrationen der neuen Auflage legen den Fokus bewusst auf Diversität und Inklusion. So findet man sichtbare Behinderungen in Text und Bild und – wie wir hoffen – auch unsichtbare Formen von Behinderung. Behinderungen aller Art sind ein alltäglicher Fakt in 'Der Stadt' und dementsprechend sind auch Hilfsmittel zur Barrierereduzierung ganz normal. Wir wollten das Spiel inklusiv und positiv gestalten, was natürlich auch den Weltenbau und die Designentscheidungen geprägt hat. Die Fähigkeit, jemanden zu pflegen oder zu unterstützen, ist genauso wichtig wie die Fähigkeit, an Geld zu kommen oder zu kämpfen. Die Stadt ist ein hartes Pflaster. Wie haben die Menschen gelernt, damit zu leben?

Andreas: Du hast insbesondere die Regeln des Spiels mitgestaltet. A|state ist „forged in the dark“. Was heißt das und was sind die Kernmechaniken des Spiels?

Gregor: Dahingestellt, ob es die richtige Entscheidung war: Es war meine Anregung, die „forged in the dark“-Regeln als Basis zu nutzen. Ich denke es passt wunderbar und ist flexibel genug, um genau so angepasst zu werden, dass es den Flair von a/state herüberbringt. Die Grundlage ist das System von John Harper, das er für sein erfolgreiches Blades in the Dark entworfen hat und das als Referenzdokument frei unter https://bladesinthedark.com erhältlich ist.

Wir haben diesen Rahmen genutzt und so weiterentwickelt, dass er möglichst gut zur Welt von a/state passt. Der Kern ist eine Poolmechanik mit sechsseitigen Würfeln. Es wird gemeinsam festgelegt, wie die Situation beschaffen ist, und dann entschieden, wie mit der Situation umgegangen wird. Also etwa, wie riskant die Charaktere agieren wollen. Dann werden die Würfel geworfen, die festlegen, wie die Handlung ausging und welche Konsequenzen sich ergeben haben. Die Kampagne bildet so einen Kreislauf aus Hoffnung, Problemlösung, Stressgenerierung- und bewältigung und der Entwicklung der Charaktere und der gesamten Bande. Die beginnt üblicherweise klein und ihr Handeln ist auf einen überschaubaren Wirkungskreis begrenzt, aber kann mit der Zeit an Größe und Einfluss gewinnen, um sich größeren Gegner*innen und bedrohlicheren Gefahren zu stellen.

Andreas: Andernorts hast du den Ansatz von a|state als besonders zugänglich für traditionelle Spielgruppen beschrieben. Was meinst du damit und wie realisiert a|state das?

Gregor: A/state war ursprünglich ein „Indie game“, das mit seinem umfangreichen, oppulenten Setting dennoch recht traditionell war. Die zweite Edition bewahrt dieses reiche und detaillierte Setting, das eine gewohnte Struktur für viele traditionelle Spielgruppen abgibt. Eine klassische Spielleitung wird außerdem viele Hilfsmittel finden, die helfen, das Spiel zu leiten, anstatt ihm im Weg zu stehen. Das System ist so ausgelegt, dass es allen am Tisch erlaubt, selbstständig Einschätzungen und Entscheidungen über die Entwicklung der Charaktere und Ereignisse vorzunehmen, ohne mit der vorgegebenen Welt in Konflikt zu geraten. Das System erlaubt es einem dabei, sich weitgehend auf die Mechaniken zu verlassen, während die Welt mit seinen Charakteren und Konflikten all die Aspekte vereint, die viele am Rollenspiel fasziniert. Es ist also nur einen kleinen Schritt vom traditionellen Rollenspiel entfernt und mit dem reichen Setting und bekannten Spielsituationen ist es nicht so ungewöhnlich wie viele „Indie games“ auf den ersten Blick wirken können.

Andreas: Bei aller Nähe zum traditionellen Rollenspiel: Die Regeln geben uns eher Werkzeuge an die Hand, um eine Geschichte zu strukturieren, als zu  entscheiden, ob nun eine Aktion erfolgreich war oder nicht. Wie beeinflusst das die Rolle der Spielleitung? Kannst du uns ein Beispiel geben, wie die Regeln angewendet werden, um die Handlung zu gestalten?

Gregor: Die Spieler*innen haben in ihren „Missionen“ viel Entscheidungsfreiheit, wenn es darum geht, den Problemen zu begegnen und formen damit die Geschichte. Das Beispiel könnte wieder das Waisenhaus mit seinen Kinderarbeiter*innen sein. Manche Gruppen könnten sich entscheiden, Informationen und Unterstützung von einem örtlichen Priester zu holen, der gerettete Kinder in dieses Waisenhaus schickt. Dabei könnten die Charaktere ihre Stärken ausleben und sich rollenspielend über ihre Weltsichten auszutauschen. Andere Gruppen könnten sich hingegen entscheiden, das Problem mit dem Waisenhaus direkter anzugehen. Vielleicht sogar ohne zuerst zu wissen, was dort wirklich vorgeht. So können sie ihre eigenen Vorgehensweisen ausspielen und müssen dann eben mit den Konsequenzen ihrer Handlungen leben. Beide Ansätze sind gleichermaßen berechtigt und die unterschiedlichen Charaktere in a/state sorgen dafür, dass es viele verschiedene Wege gibt, Probleme zu bewältigen.

Die Spielleitung beurteilt das Risiko und die Belohnung (risk and reward) eines Ansatzes nach eigener Einschätzung, aber die Spieler*innen können das Risiko und die potentielle Belohnung durch ihre Aktionen und verschiedene Spielmechaniken weiter anpassen. So können sie sich etwa gegenseitig unterstützen oder ihre besten Fähigkeiten zum Tragen bringen. Erst wenn Risiko und Belohnung festgelegt sind und alle die Situation und den Kontext verstehen, werden die Würfel geworfen und entschieden, wie erfolgreich die Charaktere waren. Alle erarbeiten dann gemeinsam, wie die Situation abläuft. Das eröffnet schließlich, welche Möglichkeiten sich nach den Wurf ergeben. Vielleicht ist die Situation gelöst, vielleicht ist sie aber auch gefährlicher als vorher, oder es braucht jetzt einen ganz anderen Ansatz?

Die Spielleitung kann schließlich auch Konsequenzen und Schaden als Ergebnis dieses Wurfes verteilen. Es könnte Kollateralschaden sein, wütende Banden oder ein aufgebrachter Klempner von der anderen Kanalseite, der schwört Rache zu üben. Ebenso könnten die Charaktere aber natürlich auch ihre Belohnungen erreichen. Den Respekt eines dankbaren Priesters oder spielmechanische Vorteile für ihre Charaktere.

Wenn die Spieler*innen schließlich die „downtime“ erreichen, hat die Spielleitung weitere interessante Möglichkeiten, die sich durch den Lösungsansatz und die Charakteraktionen im Spiel ergeben haben. Währenddessen können die Charaktere ihren Lastern nachgeben, um Stress abzubauen oder andere Freizeitbeschäftigungen ausüben. Dieser Kreislauf wiederholt sich mit jeder potentiellen Mission bzw. jedem Problem das bewältigt werden will.

Andreas: Jetzt, da a|state erfolgreich finanziert wurde: Was sind die Zukunftspläne? Und wie kommen wir an das Spiel, wenn wir das Crowdfunding verpasst haben? Sind weitere Produkte geplant oder vielleicht sogar Lokalisierungen?

Gregor: Das Buch ist fast fertig, und viele der tollen Kampagnenziele, wie etwa die Spielmatte, das In-Game-Geld und die hilfreichen Uhren, werden gerade produziert und sehen großartig aus! 

Handiworks ist sehr bemüht, das Spiel zu unterstützen, und als Ergebnis der Kampagne werden einige digitale Bonusinhalte kommen.

Soweit ich weiß, sind late pledges für alle, die die Kampagne verpasst haben, zur Zeit noch möglich. Die Homepage von Handiwork informiert außerdem über den Fortschritt in Bezug auf den Verkauf im Einzelhandel und Onlineverkauf.

Ich denke, dass Übersetzungen in andere Sprachen möglich sind, aber Jon Handiwork wäre da der richtige Ansprechpartner, wenn es jemand angehen will. Ich denke, das Team wäre da sehr offen für.

Andreas: Danke, Gregor, für deine Zeit und die spannenden Einsichten!

Die englischsprachige Originalversion des Interviews ist auf www.neueabenteuer.com erschienen. Übersetzung von Andreas Giesbert.

Illustrationen von Paul Borne, Coverillustration von Paul Bourne und Jon Hodgson, (C) 2021 Handiwork Games Ltd. Nutzung mit freundlicher Genehmigung.

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