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Die 13 Gezeichneten

Magie, Pulverdampf und Rebellion

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Kategorie: Literatur

Fantasy und Schießpulver sind ein No Go – zumindest war das lange vorherrschende Meinung. Zum Glück beweisen uns Judith und Christian Vogt mit ihrem Trilogie-Auftakt Die 13 Gezeichneten das Gegenteil und legen zudem eindrucksvoll dar, dass sich Fantasy und Gesellschaftskritik keinesfalls ausschließen müssen.

Schon das stimmungsvolle Cover lässt erahnen, in welche Gefilde der Roman seine Leser*innen entführt, nämlich in die altehrwürdige Handwerkerstadt Sygna. Seit Jahrhunderten hüten die dortigen Meister das Geheimnis ihrer Handwerkszeichen, die den Machwerken aus Sygna besondere Kräfte verleihen, und unter strengen Auflagen von Meister an Schüler weitergegeben werden. Doch die Zeiten haben sich geändert, und die Besatzer, die die Stadt in erbarmungslosem Griff halten, gieren nach dem Geheimnis der Zeichen. Nur eine Handvoll Rebellen, so scheint es, wollen sich mit diesem Zustand nicht zufrieden geben und planen den Aufstand gegen die Unterdrücker, während sich tief unter der Stadt viel ältere Kräfte zu regen beginnen. Kräfte, die aus gutem Grund vergessen und in den Katakomben unter Sygna versiegelt wurden.

Pulverdampf statt Waffenklirren

Sygna bietet ein erfrischend neues, anderes und hervorragend ausgearbeitetes Setting, das am ehesten mit der Zeit der frühen Industrialisierung und der napoleonischen Kriege zu vergleichen ist. Die 13 Gezeichneten sind also keine Geschichte aus einem Pseudo-Fantasy-Mittelalter, sondern stellen eine überaus gelungene Mischung aus Mantel-und-Degen- und Gunpowder-Fantasy dar. Letztere hat vor allem durch die Powder Mage-Chroniken von Brian McClellan internationale Bekanntheit erlangt, dank der 13 Gezeichneten ist das Genre jetzt auch in Deutschland angekommen.

Der Fokus der 13 Gezeichneten liegt nicht auf epischen Helden oder großen Kriegen gegen finstere Mächte, auch nicht auf Intrigen zwischen den Großen und Mächtigen, sondern auf dem sozialen Gefüge innerhalb der Stadt Sygna, auf den individuellen Kämpfen der Charaktere (mit sich und anderen) und auf dem Konflikt zwischen Tradition und Fortschritt, der sich als Grundmotiv durch den gesamten Roman zieht.

Die Stadt selbst und ihre Eigenheiten sind toll ausgearbeitet und bis ins Detail durchdacht. Es macht wirklich große Freude, Sygna, ihre Vergangenheit und ihre besonderen Orte zu erkunden und kennenzulernen. Die wunderschön gestaltete Karte im Inneren des Romans rundet das Ganze noch ab. Am Anfang gab es für meinen Geschmack ein paar zu viele Informationsblöcke, aber sobald man in Sygna und der Geschichte angekommen ist, will man gar nicht mehr gehen, ohne nicht jedes Geheimnis ergründet zu haben. Legenden, Geschichte, Sozialstruktur, Städtebau – alles fließt gekonnt in das Setting ein und ergibt ein stimmiges Gesamtbild.

Jede*r kann zum Helden werden

Die Figuren sind ein ganz großer Pluspunkt dieser Geschichte. Man merkt, dass Judith und Christian als langjährige Rollenspieler*innen viel Erfahrung in der Ausgestaltung ihrer Charaktere besitzen und hervorragend in der Lage sind, deren individuelle Eigenheiten in die Geschichte einzubringen. Jeder Charakter – egal, auf welcher Seite er steht – ist authentisch, greifbar und auf ihre*seine eigene Art sympathisch. Da ist Dawyd, ein selbstverliebter Fechter, der sich mit seiner großen Klappe oft selbst im Wege steht. Ismayl, ein schüchterner Dichter, der nicht ahnt, welche Macht seine Worte entfesseln können. Oder Kilianna, Salonrebellin und Tochter aus gutem Hause, die genug davon hat, als Frau nur ein Prestigeobjekt zu sein. Und natürlich Lysandre Rufin, Comissaire der Geheimpolizei im Dienst der Besatzer, der den Sygnaer Rebellen ein mehr als würdiger Gegenspieler ist.

Von Anfang an entsteht der Eindruck, sich in einem Gefüge realer Menschen zu bewegen und nicht mit reinen Abziehbildern konfrontiert zu sein. Die Figuren haben Ecken und Kanten, Schwächen und Stärken und sind in ein stimmiges soziales Netz eingebettet, was in der Fantasy oft fehlt. Außerdem gelingt es den beiden Autor*innen hervorragend, die Stärken und Kompetenzen jedes einzelnen Charakters im Rahmen der Geschichte herauszustellen. Nicht die Kämpfer*innen allein sind es, die am Ende über das Schicksal der Rebellion entscheiden, sondern auch die Rhetoriker*innen, Geheimniskrämer*innen, Diplomat*innen und Handwerker*innen. Es sind die Ausgestoßenen, die Unterdrückten, die einfachen Menschen, die sich gegen ihre Besatzer auflehnen, keine großen Adelshäuser oder epischen Streitkräfte. Auch das findet man in der Fantasy viel zu selten.

Kurzum: Auf jeder Seite dieses Buches hatte ich das Gefühl, mich mit alten Freunden zu treffen. Und jetzt, wo ich es aus der Hand gelegt habe, fehlen sie mir schon. Abgesehen davon gelingt es Judith und Christian Vogt über ihre Charaktere spielerisch, bedeutsame Themen einzubauen, über die es sich nachzudenken lohnt, sei es soziale Gerechtigkeit, Gleichstellung der Geschlechter oder die Frage, ob oder wie viel Gewalt notwendig ist, um Veränderung zu erreichen.

Spannendes Katz-und-Maus-Spiel

Der Plot beginnt zuerst eher gemächlich, steigert aber im Laufe der Geschichte rasch das Tempo und wartet immer wieder mit neuen Überraschungen und Wendungen auf. Wann immer man seine Held*innen in Sicherheit wähnt, kommt es zu einem neuen Schlagabtausch, ohne dass die Handlung dadurch überladen wirken würde. Durch die dynamischen Wechsel und verschiedenen Perspektivträger*innen entsteht ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel zwischen den Rebell*innen und ihren Gegenspieler*innen, bei dem man sich nie so ganz sicher ist, wer gerade die Nase vorne hat und wer am Ende noch ein Ass aus dem Ärmel ziehen wird. Neben der Rollenspielerfahrung merkt man dem Autor*innen-Duo auch die jahrelange Erfahrung in Kampf- und Fechtsport an, denn gerade die Kampfszenen sind dynamisch, glaubwürdig und realistisch beschrieben, ohne dabei zu technisch zu werden.

Spätestens im letzten Drittel wird es so spannend, dass ich das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen wollte. Also, plant ein bisschen Zeit ein. Das Ende wirkt zwar rund, deutet aber bereits den Nachfolgeband an, der im April 2019 bei Bastei Lübbe erschienen ist. Die Geschichte Sygnas und seiner Rebellion geht also nahtlos weiter.

Experiment geglückt

Die 13 Gezeichneten ist ein wendungsreicher und klug konstruierter Fantasyroman in einem spannenden, innovativen Setting, das durch Detailtiefe überzeugt. Die Charaktere sind allesamt hervorragend gezeichnet und so plastisch, dass man jede*n unweigerlich ins Herz schließen muss – selbst den Antagonisten. Die Autor*innen beweisen, dass Fantasy auch ohne mächtige Adelshäuser und epische Feldschlachten auskommt und dass ihre Stärke ebenso in sozialen Konflikten und dem Kampf der einfachen Menschen gegen ihre Unterdrückung bestehen kann. Und dieser Beweis ist obendrein noch wahnsinnig unterhaltsam.

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