Jeng ist ein Teil dieser Gesellschaft, aber gleichzeitig war er schon immer anders: Er hat von Geburt an als einziger weiße Haare und auch seine Haut ist viel heller als die der anderen. Außerdem stellt er Fragen, auf die sonst niemand kommt. Er hinterfragt die Traditionen, die für die übrigen Inselbewohner selbstverständlich sind.
Und dann kommt auch noch dieser schicksalsträchtige Tag, an dem sich alles ändert. In einem Moment fischt Jeng mit seinen Freunden, im nächsten sind sie tot – zusammen mit allen anderen, die er je gekannt hat. Jeng ist allein und schon bald dämmert ihm, dass er derjenige war, der alle umgebracht hat. Oder zumindest war es sein Körper, der dazu benutzt wurde.
Zwei Geister in einem Körper
Nur schwer gewöhnt sich Jeng an den Gedanken, dass eine fremde Macht von seinem Körper Besitz ergriffen hat – und dies immer wieder tut, ohne dass er es verhindern kann. Es ist ein Dämon, ein ehemaliger Bewohner der Unterwelt, der sich Jeng als seinen Wirtskörper auserkoren hat. Denn nur so kann er die Welt der Menschen beeinflussen.
Als würde all das Jeng bisheriges Verständnis der Welt nicht schon genug umkrempeln, erfährt er schon bald, dass er nicht durch Zufall auserkoren wurde. Dass auch der Dämon nur eine Figur in einem viel größeren Spiel ist. Und dass sie beide zusammen einen ganz besonderen, geradezu göttlichen Auftrag haben: Sie sollen Yama werden, Herr über die Unterwelt.
Religionsphilosophie und Sex
So weit stimmt das Buch mehr oder weniger mit dem Inhalt überein, den der Klappentext suggeriert, und so weit deckt es sich auch mit der Leseerwartung. Es gibt allerdings einige Punkte, die nicht so recht zu dem anfänglichen Plot passen wollen. Da wären zum Beispiel die recht ausführlichen Passagen, in denen Jeng hier mit einer Frau oder da mit einem Mann Sex hat. Generell ist nichts dagegen einzuwenden, aber leider trägt der Sex nichts zur Geschichte bei. Vielmehr ändert sich der Fokus der Handlung vom Wesentlichen zu nackter Haut. Die Sexszenen haben einen beliebigen Charakter, der die Geschichte ausbremst, anstatt den Plot mehrschichtiger zu machen.
Es ist schade, dass sich der Roman auch häufiger in ausschweifenden Beschreibungen und Erklärungen zu den Weltreligionen verliert. Gewisse Aspekte der indischen Kultur, Mythologie und Religion besitzen für die Geschichte eine wichtige Bedeutung, alle anderen wirken eher wie ein Pausenfüller. Da ist es richtig, dass im Buchinneren Band 2 als „philosophischer Roman“ angekündigt wird, dieser Zusatz wäre auch für Band 1 wichtig gewesen.
Dass Buchsatz, Lektorat und Korrektorat noch einige Schwächen aufweisen, schmälert das Lesevergnügen leider noch zusätzlich. Bei einem professionellen Lektorat und Korrektorat, wie es im Impressum angekündigt wird, sollte man erwarten können, dass die Zeichensetzung stimmt und auch die Dialoge flüssig klingen.
Diese Kritik soll nicht bedeuten, dass die Geschichte an sich nicht funktioniert. Das tut sie in ihren Grundzügen durchaus. Es ist interessant, die Welt durch Jengs und Varuns Augen zu sehen. Die ungewöhnliche Symbiose der beiden ermöglicht ihnen (und den Lesern) durch die Perspektivwechsel eine immer wieder neue Sicht auf die Geschehnisse und regt zum Nachdenken an. Wer dieses Buch eher als philosophischen Roman und nicht als Fantasy-Geschichte begreift, kann sicherlich einige Impulse zum eigenen Reflektieren entdecken.
Der verhüllte Gott: Yamas Aufstieg
Sabine Dau
(BoD, 2016)
493 Seiten, Paperback
ISBN: 9783734791888
Webseite von Sabine Dau