Wie schnell die Zeit vergeht. Vor neun Jahren erschien Xenoblade Chronicles nach flehenden Bitten der Fans auch außerhalb Japans. Nordamerika musste sogar ein Jahr länger ausharren. Und die Warterei hatte sich gelohnt. Monolith lieferte ein JRPG-Meisterwerk mit epischem Umfang und symphatischen Charakteren. Das Kampfsystem war intuitiv und doch extrem komplex, die Umgebungen weitläufig, idyllisch und voller versteckter Geheimnisse. Dass der Entwickler es schaffte, Xenoblade Chronicles auf der veralteten Wii zum Laufen zu bekommen, war eine Errungenschaft für sich.
Ein schwerer Start
Doch bei wie so vielen Spiele der späten Wii-Ära litten die Verkaufszahlen an den Grafikbomben der starken Konkurrenz von Sony und Microsoft, die mit der noch für Bildröhrenfernseher optimierten Wii optisch den Boden aufwischten. Erst mit dem zweiten Teil für die Nintendo Switch konnte Monolith nach einem weiteren Ableger (Xenoblade Chronicles X) für die eher erfolglose WiiU-Konsole, schließlich doch noch erfolgreich durchstarten. Doch das Ende des zweiten Teils offenbarte versteckte Bezüge zum ersten Teil. Es wurde Zeit, die Wissenslücke für die neue Generation zu schließen. Die neu gewonnenen Fans waren hungrig nach mehr. Das HD-Remaster musste her. Wenn nicht jetzt, wann also dann?
Das Monado
Vor langer langer Zeit kämpften die zwei gigantische Titanen Mechonis und Bionis gegeneinander. Der Kampf dauerte an, bis beide Titanen vor Erschöpfung in ihrer jeweiligen Kampfpose erstarrten. Jahrtausende vergingen und auf der Oberfläche der Körper verbreitete sich Leben. Auf dem Titan Mechonis lebten die Mechons, eine Maschinenrasse. Auf dem Titan Bionis entfaltete sich das organische Leben mit den Homs, den Hochentia und den Nopons. Der Krieg, der durch die Titanen begonnen wurde, entwickelte sich zu einem Krieg zwischen den Mechons und den Homs. Nur durch ein antikes Schwert namens Monado haben es die Homs bislang geschafft, die Mechons zu vertreiben.
Wir übernehmen die Rolle von Shulk, einem jungen Mann aus Kolonie 9, dessen Lebensaufgabe es ist, das Monado zu studieren. Offenbar ist die Nutzung des Schwertes für seinen Träger absolut schädlich. Erst ein Jahr ist es her, dass Monadoträger Dunban nahezu im Alleingang den Angriff der Mechon zurückschlagen konnte. Doch der Preis dafür war hoch. Sichtlich geschwächt kann Dunban auch noch ein Jahr nach den Ereignissen kein Schwert mehr halten.
Ein unerwarteter Angriff der Mechons zwingt Shulk dazu, das Monado zu nutzen. Und tatsächlich scheint das Schwert ihm sogar mehr zu gehorchen als Dunban. Doch gegen die überraschend robuste Übermacht der neuen Mechons können Shulk und seine Freunde nichts ausrichten. Als Shulk die Person verliert, die ihm am meisten bedeutet, schwört er Rache und beschließt, das Monado zu meistern, um die Mechons entgültig zu vernichten. Wir verlassen Kolonie 9, klettern den Titanen Bionis herauf und entdecken Wesen und Landschaften, die wir in den tiefen Regionen des Riesen noch nie gesehen haben.
Unendliche Weiten, unendlich viel zu tun
Shulks Geschichte ist nachvollziehbar und mitreißend. Doch wer sich strikt der Hauptgeschichte widmen möchte, wird alsbald auf eine unüberwindliche Hürde stoßen: dem Gegnerlevel. Zwar erlernen wir die wichtigsten Monadotechniken automatisch durch den Storyfortschritt, doch hauen uns die Gegner schnell aus den Socken, wenn wir es zu eilig haben. Damit wir nicht sinnlos grinden müssen, haben wir die Möglichkeit, Nebenmissionen zu übernehmen. Und davon gibt es reichlich. Die Dörfer sind voller NPCs mit denen wir uns unterhalten können. Wie auch im Nachfolger gibt es ein Harmoniesystem, das sich immer weiter entwickelt, wenn wir Gefallen für die Dorfbewohner erledigt haben. Nach und nach schalten wir durch Unterhaltungen mit NPCs neue Quests frei. In diesen Quests erledigen wir dann Botengänge, Monsterjagden oder sammeln Ressourcen ein. Viele dieser Missionen sind Fleißarbeiten. Lediglich die Monsterjagden stellen uns manchmal vor etwas härtere Brocken, für die wir uns eine Strategie überlegen müssen. Zum Glück müssen wir für viele Missionen nicht zum Questgeber zurück, um die jeweilige Aufgabe abzuschließen, sondern können diese bequem in einem Rutsch abarbeiten. Die Definitive Edition verkürzt unsere Suche nach Rohstoffen übrigens nun mit roten Ausrufezeichen, sodass wir nicht stundenlang suchen müssen.
Wie hilfreich dieses Feature ist, sehen wir, wenn wir die gigantischen Gebiete durchwandern. Die bildhübschen Biome sind voller Leben. Monster sind jederzeit sichtbar und durchstreifen in Herden oder alleine die Wildnis. Nicht immer können wir sofort überall hin. In einigen Gebieten begegnen wir Monstern, die beim ersten Kontakt noch 60 Level über uns sind. Bereits hier erkennen wir: unsere Odyssee führt uns später erneut in bekannte Gebiete zurück. Versuchen können wir es trotzdem. Vielleicht schaffen wir es ja, uns an ihnen vorbei zu schleichen.
Damit wir nicht jedes Mal die langen Wege zurücklegen müssen, schalten wir später auch Schnellreisepunkte frei, zwischen denen wir auf der Switch mit nur wenig Ladezeit wechseln können.
Gruppenarbeit
Gehen wir auf Gegnerkonfrontation, schalten wir in einen Echtzeitkampf über. Dabei übernehmen wir die Rolle des Gruppenführers. Am Anfang ist dies idealerweise Shulk, da er mit Hilfe des Monados wichtige Buffs gegen die gepanzerten Mechons verteilen kann. Wir können aber auch andere Charaktere als Gruppenführer festlegen. In manchen Konstellationen bietet sich dies sogar an. Melia kann als einzige Magierin wertvolle Elementarzauber wirken und damit nicht selten das Zünglein an der Waage bedeuten. Leider missachtet die Kameraden-KI ihre Rolle oft und lässt die schlecht gepanzerte Lady zusammen mit den Kriegern wie Reyn oder Dunban an vorderster Front kämpfen. Übernehmen wir Melia selbst, können wir ihre volle Macht ausschöpfen und uns dabei außerhalb der Flächenattacken aufhalten. Mitten im Kampf können wir den Gruppenführer nicht wechseln. Haben wir allerdings die Spezialleiste komplett aufgefüllt, erhalten wir die Gelegenheit, einen Kettenangriff zu starten, indem wir alle Charaktere der Reihe nach übernehmen. Die Spezialleiste ist allerdings auch wichtig für das Wiederbeleben gefallener Kameraden und sich selbst. Der Einsatz des Kettenangriffs will also wohl überlegt sein.
Jeder Charakter hat ein eigenes Repertoire an Techniken. Mit der Zeit lernen wir neue Techniken. Um sie auf die maximale Stufe zu steigern, benötigen wir Handbücher der jeweiligen Technik. Mit der Ausnahme von Shulk müssen wir uns selbst überlegen, welche Techniken für den Kampfstil der anderen Charaktere am nützlichsten sind. Reihen wir bestimmte Techniken perfekt hintereinander, bringen wir Gegner zum Schwanken, werfen sie zu Boden und schläfern sie anschließend ein. Dank des Monados kann Shulk übrigens fatale Attacken vorhersehen und seine Mitstreiter warnen, bevor diese kampfunfähig werden. Die taktische Vielfalt von Xenoblade Chronicles ist angenehm komplex, aber niemals überfordernd.
Zusätzlich schützen wir unsere Party mit einer Unmenge an Rüstungen, selbst geschmiedeten Ätherjuwelen und individuelle Fähigkeiten, die wir je nach Affinität der Gruppe auch auf unsere Mitstreiter übertragen können. Haben wir alles richtig gemacht, nehmen wir es am Ende gar mit Brocken auf, die zwanzig Level über unserem Maximallevel liegen.
Was ist neu?
Shulks Geschichte und das Schicksal der Bewohner von Bionis ist für damalige Verhältnisse episch inszeniert und begeistert auch noch neun Jahre nach Release. Die zahlreichen Nebenmissionen schaffen einen Bezug zur Bevölkerung und zu ihren privaten Angelegenheiten. Die repetitiven Missionen selbst sind aber streckenweise so monoton, dass sie im Vergleich zur Hauptgeschichte wie gepanschter Wein wirken, insbesondere wenn das gesuchte Questobjekt einfach nicht spawnen will oder der Boss nur bei bestimmtem Wetter erscheint, das wir nicht beeinflussen können. Dennoch sind diese Missionen unerlässlich für den Fortschritt. Ein Lotteriesystem wie die Klingen aus Xenoblade Chronicles 2 gibt es nicht, was einiges an grindigem Frust erspart.
Dennoch gibt es in der Definitive Edition auch einige signifikante Verbesserungen. Neben einer höher aufgelösten Textur wurden sämtliche Hauptcharaktere von Grund auf neu gestaltet und wirken jetzt eher wie die schicken Animefiguren aus dem zweiten Teil. Der Soundtrack wurde neu aufgenommen. Man kann aber auch den alten Soundtrack aktivieren. Die teils lächerlichen Badekostüme, die wir im Verlauf des Spiels einsammeln, können jetzt durch kosmetische Transmogrifikationen verändert werden. Dunban kämpft somit nicht mehr in Badehose, wenn er im Schnee gegen seinen Erzfeind antritt.
Mit dem Expertenmodus können wir jetzt das Level unserer Party reduzieren. Damit sind auch alte Gegner wieder eine Herausforderung und geben mehr Erfahrungspunkte. Mit dem Gemütlichen Modus wird das Spiel deutlich einfacher. Um die Nebenmissionen kommen wir jedoch nicht herum. Wer die Hauptgeschichte gerne ganz ohne die Nebenmissionen erleben möchte, kann dies im New Game+ tun, sobald er das Spiel einmal durch hat.
Für Spieler, die nach 100 Stunden noch immer nicht genug haben, ist die Zusatzepisode A Future Connected, die nach dem Hauptspiel stattfindet, eine spannende Bereicherung. Ohne das Hauptspiel beendet zu haben, bedeutet diese jedoch massive Spoilergefahr. Die Zusatzepisode wird euch noch einmal 20 Stunden beschäftigen.
Der Handheldmodus läuft flüssig und lässt sich hervorragend spielen. Hier wird zwar die Auflösung heruntergeschraubt, doch einen so auffälligen Schärfefilter, wie Xenoblade Chronicles 2 wird man hier nicht erdulden müssen.