Wie man eine Hexe wird ... – ... oder ein Hexer
Finn und Isa haben sich vorgenommen echte Hexen zu werden. Dazu treffen sich die beiden Schulkinder ein Jahr lang jeden Monat an einem Mittwoch, um "Hexendinge" zu machen. So erkunden sie die Natur, basteln Zauberstäbe, lassen ihrer Phantasie freien lauf und stellen sich viele Fragen. So etwa, ob Finn dann eigentlich ein Hexer wird ...
Im Buch begleiten wir die beiden bei ihrem Versuch, die Hexenkunst zu erwerben. Jedem der 12 Treffen ist eine etwa 5-10-seitige Geschichte gewidmet, die sich gut als Abendlektüre anbietet. In jedem Kapitel steht dabei eine Aktivität im Mittelpunkt, die gut selbst umgesetzt werden kann. Dazu gibt es neben einer Beilage auch Anleitungen bei youtube. Verbindet man die Geschichten damit, die Aktivitäten umzusetzen, bietet es sich also auch an, die Geschichten in regelmäßigen Abständen zu lesen. In jedem Fall verzeiht das Buch auch längere (Vor)lesepausen.
Pädagogisch
Die Geschichten von Isa und Finn sind nicht auf Spannung oder einen großen Handlungsbogen aufgebaut, sondern sollen Lust auf Hexensachen machen. Wir begleiten die beiden also bei ihren Erkundungsreisen, Basteleien, Experimenten und Meinungsverschiedenheiten. Das Buch hat also weniger eine spannende Geschichte im Blick als eine pädagogische Zielsetzung. Die zentralen Motive sind für mich das Vermitteln von Neugier auf Natur und Kreativität. Das geschieht im Kern durch beiläufige Wissensvermittlung und dadurch, dass die beiden Sympathieträger*innen uns diese Neugier vorleben. Auch wenn die Vermittlung besonders in den ersten Monaten, also Geschichten, gelegentlich etwas forciert ist, gelingt das sehr geschickt durch Dialoge der beiden Protagonist*innen. Kind- oder zumindest jugendgerecht werden so neben Wissen über Natur und Handwerk auch komplexe weltanschauliche Fragen diskutiert. So wird etwa erklärt, wie "Hexen" durch die Ausgrenzung von Frauen und bestimmten Wissensformen entstanden sind und es zur Hexenverbrennung kam. Anderswo wird etwa auch der Stellenwert biblischer Geschichten diskutiert und ob es Magie gibt. Das Autorinnenduo nimmt dabei einen aufgeklärten, säkularen Standpunkt ein, der dennoch Platz für Widerspruch lässt. Der kann sich auch zwischen den beiden Charakteren abzeichnen. So bleibt oft auch eine gewisse Spannung zwischen den beiden Charakteren bestehen, die Raum für eigene Positionierung lässt und nebenbei respektvolles Diskutieren aufzeigt. Eine Strategie, die auch bei anderen Themen aufgeht. Die beiden Bagusse vermeiden den erhobenen Zeigefinger und lassen das hexerische Duo Werte wie Vielfalt, Resilienz und kritisches Denken fast beiläufig vorleben.
Künstlerisch
Die beiden Köpfe des Buches sind Mutter und Tochter Bagus. Anja ist in der Phantastik keine Unbekannte. Ihre Bücher sind eine feste Instanz der deutschsprachigen Steampunkliteratur. Außerdem ist sie und das Amt für Ätherangelegenheiten auf Steampunkfestivals nicht mehr wegzudenken. Ihre Tochter und Illustratorin Eva hat bereits ein gemeinsames Brettspiel mit Anja entwickelt und zeichnete etwa auch für ein Projekt mit Christian von Aster. Ihr wiedererkennbarer Stil verleiht dem Buch seinen eigenen Charme. Text und Bild harmonieren durchweg und sorgen für ein sehr hübsches Buch, das leider ein klitzekleines bisschen durch die dünne Papierwahl und leicht durchscheinenden Text getrübt wird.
Vor allen Dingen merkt man beiden an, dass sie vom Fach sind. Der Text weist durchweg ein hohes Niveau auf und hinterlässt ein wohliges Gefühl, während die Illustrationen Stoff zum Zeigen an die Hand geben und zur Identifikation mit Isa und Finn anregen.
Das zeigt sich auch daran, dass das Buch mehr ist als ein Buch. Nicht nur, dass es zum Kreativwerden anregt, es gibt auch ein Beilagenheft zum Mitnehmen mit Platz für Notizen und Entdeckungen, näheren Bastelanleitungen und ähnlichem. Hinzu kommt ein separat zu erwerbender Adventskalender, der 24 Türchen mit toller Illustration und vom Schöpferduo selbst eingesprochenen Hörgeschichten per QR-Codes enthält (hier finden sich mehr Informationen und eine Hörprobe).
Zielgruppe
Die Geschichten haben keine klare Altersempfehlung, dürften aber etwa bei Grundschulkindern oder in den ersten Jahren der weiterführenden Schule gut ankommen. Die Sprachwahl ist meist kindgerecht, baut den Sprachschatz aber auch etwas aus. Die vorgeschlagenen Aktivitäten sind von kreativen Kindern mit etwas elterlicher Hilfe gut umzusetzen. Die Diskussionen der beiden werden gelegentlich etwas "tiefer", sind für meinen Geschmack aber auch für Grundschulkinder zumutbar. Es ist aber sicher empfehlenswert, es vorzulesen und ggf. inhaltlich etwas zu begleiten. Das dürfte auch so gedacht sein, da viele der Diskussionen eher Anregungen zum Gespräch bieten, als Antworten zu geben.
Ich selber habe das Buch einem Kindergartenkind vorgelesen. Das funktioniert grundsätzlich, geht aber mit einigen Einschränkungen einher. So konnten wir die meisten Bastelangebote nicht nutzen und ich musste den Text beim Vorlesen etwas vereinfachen. Natürlich gingen auch die Diskussionen der beiden Protagonist*innen etwas unter. Immerhin dienten sie als Anregung für Unterhaltungen und Erklärungen. Tatsächlich kam das Gespräch auch tagsüber immer mal wieder auf Szenen aus dem Buch, was sicher ein großes Lob ist. Überhaupt haben Isa und Finn starken Eindruck hinterlassen, wenngleich sicher mehr das Gefühl des angenehm geschriebenen Buches angekommen ist als die genauen Geschichten. Die beiden sind uns jedenfalls ans Herz gewachsen und Hexen sind jetzt auch jenseits von Bibi und Co. interessant geworden.
Fazit:
Wie man eine Hexe wird, ist ein etwas anderes Kinderbuch. Die zwölf Geschichten laden zum Mitentdecken und -basteln ein. Mit toll geschriebenen Texten und liebevollen Illustrationen regen sie einen zugleich zauberhaften als auch aufgeklärten Blick auf die Welt an. Besonders positiv sind mir die konkreten Kreativideen aufgefallen, sowie die spannenden Diskussionen zwischen Isa und Finn. Letztere zeichnen sich gerade dadurch aus, auch Differenzen im Raum stehen lassen zu können. So leben sie ganz praktisch ein weltoffenes, diskussionsfreudiges Lebensverständnis vor, ohne offensiv pädagogisch zu werden. Vorbildlich!
Das Produkt wurde kostenlos für die Besprechung zur Verfügung gestellt.
Dieser Artikel ist erschienen bei: Zauberwelten-Online.de
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Kommentare
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