Die drei Wichtel der Abteilung „Arbeitskleidung-Schneiderei“ hatten sich auf den zwei verschneiten Hügeln vor der großen Lebkuchenhalle verabredet. Sie wollten Geschlossenheit zeigen und deshalb auch geschlossen bei der großen alljährlichen Wichtel-Wichteln-Gala erscheinen.
„Geschlossene Gesellschaft“, kaute der Portier-Schneemann den Dreien gelangweilt entgegen. Er benötigte seine Möhre offenbar nicht mehr als Nase.
„Das wissen wir. Wir sind geladene Gäste“, meinte Stich und sie zeigten ihre diesjährige Weihnachtsgrußkarte vor. Der Portier-Schneemann nickte und öffnete die mit bunten Schokolinsen, gestreiften Lollis und frischen Plätzchen beklebte Zuckergusstür.
„Sind wir etwa die ersten?“, fragte Fahden.
„Nee“, gab der Schneemann zurück. „Eher die letzten. Die Gala fängt jeden Augenblick an.“
Und richtig. Die Eröffnungsmusik setzte soeben ein. Schnell begab sich die Wichteltruppe in die beeindruckende Lebkuchenhalle und wurde sofort von der festlichen Atmosphäre erfasst. Überall im Saal standen prächtig geschmückte runde Tische, die mit prächtig herausgeputzten Wichteln besetzt waren. Die hohen, aufs Herrlichste verzierten Lebkuchenwände verströmten einen weihnachtlichen Duft. Die wohlige Wärme und das schmeichelnde Licht hingegen kamen von den unzähligen, brennenden Kerzen, die hoch oben unter der spitzen Decke wie von Geisterhand gehalten schwebten.
„Wirklich ein zauberhafter Einfall, die Kerzen so schweben zu lassen“, schwärmte Fahden, während sie weiter zu ihrem Tisch liefen.
„Ja“, flüsterte Knöpfle verträumt, „man munkelt, dass diese Dekoidee von dem Designer Heinrich Töpfer kopiert wurde.“
Fahden zuckte gleichgültig mit den Schultern.
„Besser gut kopiert als schlecht selbst ausgedacht“, antwortete sie.
„Tisch Nr. 1056, hier ist es“, sagte Stich.
An dem Tisch saßen bereits fünf weitere Wichtel. Man nickte sich zu, dann setzten sich die Neuankömmlinge geschwind. Keinen Moment zu früh, denn die Musik des Adventsorchesters verstummte soeben und Applaus brandete auf.
„Interessante Bühnendekoration“, gab nun Knöpfle zum Besten. „Die Kulissenwichtel geben sich wirklich jedes Jahr große Mühe.“
„Das kann man wohl sagen. Im Hintergrund fällt sogar Schnee durch das Fenster, aber beim Rest verstehe ich nicht, was es darstellen soll“, meinte Fahden. „Letztes Jahr hatten wir das Thema ‚Punkte und Stollen‘, doch das …“
„Sscht“, machte Stich, „es geht los.“
Auf der Bühne erschien soeben beinahe die gesamte Weihnachtsführungsriege. Weihnachtsmann und Weihnachtsfrau, Christkind, Knecht Ruprecht, Krampus, sowie Petrus und Petra und natürlich die zwei obersten Wichtel stellten sich in einer Reihe auf, winkten und lächelten. Bis auf die zwei obersten Wichtel, die blickten streng drein. Nachdem der Applaus abgeebbt war, trat der Weihnachtsmann nach vorn und setzte zur Begrüßung an.
„Liebe Wichtelinnen und Wichtel. Wir freuen uns, dass ihr alle zur diesjährigen Wichtel-Wichteln-Gala erschienen seid. Wie jedes Jahr gehört der Abend des 7. Dezembers traditionell euch, denjenigen, die Weihnachten überhaupt erst möglich machen …“
„Wo ist eigentlich der Nikolaus?“, fragte Fahden flüsternd.
„Ich habe gehört, er sei krankgeschrieben“, antwortete Knöpfle ebenfalls flüsternd. „Wegen letzter Nacht. Hat wahrscheinlich Rücken vom Bücken.“
„… Überblick über die Statistik des letzten Jahres geben. Diese wird uns nun das Christkind vorstellen“, beendete der Weihnachtsmann soeben seine kurze Rede und trat klatschend in die Reihe zurück. Die Wichtel in der Halle fielen verhalten in den Applaus mit ein.
Das Christkind trat mit zartem Lächeln nach vorne. In der Hand hielt es ein goldenes Tablett.
„Hmpf, nur vom Feinsten“, machte Stich muffig. „Wenn ich daran denke, womit wir unser Geschirr transportieren müssen.“
„Ja, vielen Dank lieber Weihnachtsmann“, sagte das Christkind an diesen gewandt. Dann drehte es sich dem Wichtelpublikum zu. „Wie gerade angekündigt, haben wir dieses Jahr eine neue Aktion gestartet. ‚Tour de Present‘ nennen wir sie und es handelt sich dabei um nichts weniger, als eine bahnbrechende Idee, von der wir überzeugt sind, dass sie unsere gesamte Geschenkebilanz umkrempeln wird. Wie ihr hier hinter mir, auf dem großen weißen Bord sehen könnt, … nanu?“
Ein kurzes Raunen ging durch die Halle.
„Der Schnee fällt immer weiter hinter dem Fenster“, sagte Fahden.
„Hm, das ist der Bildschirmschoner für das Powder-Pointe-Programm“, sprach Stich. „So wie das Christkind auf seinem Tablett herumwischt, scheint da was nicht zu stimmen.“
Hastig stürmte ein Wichtel aus der Ei-Tea-Abteilung auf die Bühne. Er trug ein silbernes Tablett in den Händen. Beim Christkind angekommen, wechselten die beiden die Tabletts. Das Christkind tippte auf die silbrig-raue Oberfläche und sofort verschwanden die Schneeflocken und eine fröhlich-bunte Torte erschien.
„Ich finde Tortendiagramme lecker“, meinte Knöpfle.
„Naja, geht so“, sprach Fahden.
„Wie ihr hier sehen könnt“, fuhr das Christkind fort, nachdem der Ei-Tea-Wichtel verschwunden war, „gibt es jedes Jahr leider eine große, eine sehr große Menge an Geschenken, die wir zurückgesandt bekommen. Diese Geschenke werden uns zu fast 99 Prozent von Erwachsenen zugeschickt, die in den meisten Fällen unzufrieden mit unserer Wahl sind. Das ist keine Überraschung, denn viele Erwachsene wissen nicht mehr, was sie sich wirklich wünschen. Geschweige denn, dass sie Wunschzettel schreiben. Obwohl wir schon vor einigen Jahren mit der Weihnachtsmarktforschung begonnen haben, wird es wohl noch dauern, bis uns eine genauere Analyse vorliegt.“
„Ich bin froh, dass ich nicht in der Zuteilungsabteilung arbeite“, meinte Stich zu den anderen Wichteln gebeugt. Diese nickten bestätigend.
„Doch die falschen Geschenke sind nur ein Teil der großen Masse an zurückgeschickten Paketen“, erläuterte das Christkind weiter und ein neues Bild erschien. „Auch defekte Geschenke sind dabei, also die, bei denen beispielsweise der Inhalt beim Transport zerbrochen ist. Oder wenn das Paket nicht vollständig mit Papier umwickelt war und ein Schleifenband fehlte, bekommen wir das mittlerweile zurückgeschickt. Nebenbei erwähnt, bekommen wir auch Geschenke zugesandt, die wir gar nicht verschenkt haben, aber das macht den Rotkohl dann auch nicht mehr fett. Alles in allem ist diese Summe viel zu groß und wir müssen hier, im Zuge unserer Umstrukturierung und Optimierung, handeln. So haben wir uns …“ das Christkind deutete auf die Weihnachtsführungsriege „ … zusammengesetzt und gefragt, was wir machen können.“
„Na, da bin ich jetzt mal gespannt“, sagte Knöpfle.
„Ehrlich gesagt, ich nicht“, meinte Fahden, „Ich habe Hunger.“
„Du weißt doch, dass es das Essen immer erst nach der Bescherung gibt“, sprach Knöpfle.
„Somit komme ich nun zurück auf die eingangs vorgestellte Aktion ‚Tour de Present‘. Bisher, und das ist kein Weihnachtsgeheimnis, wurden diese Geschenke zum Großteil verschrottet …“
„Oh oh“, sagte Stich und klang dabei merkwürdig „Wichtel, ich hab da ein ganz mieses Gefühl …“
„ … aber das wird nun der Vergangenheit angehören. Ich kann sagen, dass die ‚Tour de Present‘-Idee, eine Idee ist, die vom weihnachtlichen Geist nur so erfüllt ist.“
„Ganz ehrlich“, wiederholte Stich unruhig, „ein wirklich mieses Gefühl.“
„Wir werden ab sofort die zurückgesandten Geschenke wiederverwenden. Sozusagen als Geschenke aus und für die zweite Hand. Alle Geschenkeretouren gehen nun auf eine neue Tour, die ‚Tour de Present‘. Und deshalb werden ab diesem Jahr diese Geschenke euch geschenkt, den Wichteln!“
Das Christkind strahlte übers ganze Gesicht und hatte die Arme weit geöffnet. Da erschienen wie aus dem Nichts kleine, mittlere und große Pakete zwischen den Kerzen an der Decke und schwebten sanft nieder. Die weihnachtlichen Führungskräfte im Hintergrund klatschten stolz Beifall, das Orchester spielte einen kurzen Tusch.
In der Halle jedoch war es still. Sehr still.
„Ich habs geahnt“, stöhnte Stich.
„Wie jetze?“, fragte Fahden irritiert. „Wir bekommen die ollen Geschenke, die die Menschen nicht wollen?“
„Bisher hab ich mich immer auf diesen Abend gefreut“, sagte Knöpfle leise, „ich meine, ich hab gerne gewichtelt.“
„Oh“, machte Stich zynisch und verschränkte die Arme vor der Brust, „dass mit dem Wichteln bleibt bestehen, dass heißt nur ab sofort anders.“
„Ja“, sagte Fahden verärgert. „Schrottwichteln.“
„Oder Ramschwichteln“, fügte Stich hinzu.
„Gerne auch mal Gammelwichteln“, ergänzte Fahden.
„Das ist nicht euer Ernst“, sagte Knöpfle mit großen Knopfaugen.
„Ähm“, räusperte sich das Christkind gerade auf der Bühne. Es fühlte sich offenbar unwohl. „Liebe Wichtelinnen und Wichtel wir hoffen, ihr findet diese Idee genau so toll wie wir. Schließlich ist es doch das Wichtigste, dass die Geschenke von Herzen kommen. Und das tun sie weiterhin. Denkt bitte daran: Sie wurden ursprünglich mit viel Liebe ausgewählt.“
Das Christkind ließ die Geschenke weiter herabschweben, blickte dabei aber verunsichert nach hinten. Auch der Weihnachtsmann und die anderen sahen sich ratlos an. Nur die obersten Wichtel blickten weiterhin stur geradeaus. Dann trat der oberste Wichtelmann nach vorne.
„Wir waren dagegen“, sagte er laut und deutlich und trat wieder zurück.
Die Geschenke landeten auf den Tischen. Vor jedem Wichtel lag eine Kleinigkeit, ein Päckchen oder sogar ein Paket.
Fahden öffnete ihre Geschenketüte zögerlich.
„Na toll, was soll ich denn damit?“, fragte sie dann verärgert. „Eine Krawatte mit Leopardendruck und eine Seife, die … ugh … nach Bacon riecht.“
Auch bei den anderen am Tisch machte sich der Unmut breit.
„Socken?“ Stich war fassungslos, als er sein kleines Päckchen geöffnet hatte. „Ich arbeite in der Schneiderei, wir machen den ganzen Tag nichts anderes, als Socken zu nähen. Und dann diese Jelly Family-CD. Over the hump? Ja genau, bei diesem Schrott muss ich einen über den Humpen heben. Bedienung …“
„Ich weiß nicht, was ihr euch über eure Geschenke beklagt“, meldete sich nun Knöpfle. Er sah äußerst enttäuscht aus. „Das sind wenigstens noch richtige Dinge. Bei mir kann man nur noch vom ‚Wichteln in Schichteln‘ sprechen.“
„Wieso“, fragte Fahden, „was hast du denn bekommen?“
Knöpfle faltete sein Geschenk auseinander und hielt es hoch.
„Einen Luftpolsterfolienanzug.“
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