Literatur

Das Verschwinden – Feministische Utopie mit dystopen Zügen

Von jetzt auf gleich verschwinden alle Männer dieser Welt auf unerklärliche Art und Weise. Zwischen Verzweiflung und Trauer müssen die Frauen ihr Leben neu organisieren. Dabei fällt ihnen auf, dass nicht alles schlecht ist an der neuen Situation.

Jane ist mit ihrem Mann und ihrem kleinen Sohn beim Campen in den Bergen. Sie genießt den Moment in ihrem Zelt, als es plötzlich draußen ungewöhnlich still wird. Der Grund für die Stille ist das Verschwinden ihrer Familie. Verwirrt beginnt sie, ihren Mann und Sohn zu suchen. Erst nachdem sie in die nächste Ortschaft gelangt, erfährt sie, dass nicht nur ihre männlichen Verwandten verschwunden sind, sondern alle männlich geborenen Menschen.

Allein unter Frauen

Da erst nach einigen Tagen bemerkt, dass nicht nur ihre männlichen Verwandten verschwunden sind, sondern es sich um ein Globales Phänomen handelt, haben sich bereits die ersten neuen Strukturen in der Gesellschaft aufgebaut. Natürlich hat das Verschwinden deutliche Folgen, immerhin fehlt die Hälfte der Weltbevölkerung, die besonders hohe Ämter und wichtige Positionen in Regierung, Wirtschaft und Sozialwesen innehatten. Die Lücke schließt unter anderem die politisch orientierte Organisation ComPA, deren Anführerin eine alte Bekannte von Jane ist: Evangelyne. Jane beschließt, Evangelyne aufzusuchen, weil sie der Meinung ist, sie könne alles richten und die Männer zurückbringen. Auf ihrer Reise rekapituliert sie ihr Leben und die folgenschweren Rollen, die Männer darin eingenommen haben.

Dystopie oder Utopie?

Um das direkt klarzustellen: Das Verschwinden ist keine Hassrede auf die bösen Männer, deren Fehlen zu einer feministischen Glitzerzauberwelt führt. Vielmehr wird gegenübergestellt, wie das Patriarchat Einfluss auf das Leben und die Gleichberechtigung der Frauen genommen hat, aber auch das plötzliche Fehlen der Männer wiederum zu Leid und Trauer führt, weil eben die geliebten Verwandten oder Beziehungspartner nun verschwunden sind. Die dargestellten Frauen sind gefangen zwischen der Erleichterung, durch Männer verursachte Ängste ablegen zu können, aber auch dem Wunsch, diese wieder in ihrem Leben zu haben.

Fokussiert wird dabei besonders das Leben der beiden Frauen Jane und Evangelyne, das eng miteinander verwoben ist. Beide haben ein schwieriges Leben hinter sich, das sie zu verurteilten Straftäterinnen gemacht hat und bei beiden spielten Fremdeinflüsse eine große Rolle. Während Jane direkt unter der Beeinflussung eines Mannes zu leiden hatte, ist die Vergangenheit Evangelynes komplizierter und eher an die Taten einer Frau gebunden. Über die Kapitel hinweg lernen wir die genauen Hintergründe und Geschichten der beiden Frauen kennen, die wiederum immer mehr Puzzleteile des mysteriösen Verschwindens der Männer zu einem großen Ganzen zusammenfügen.

Wirkung des Inhalts

Wir lernen einiges über die Neustrukturierung der Welt durch Frauen. Allerdings stehen die gesellschaftlichen und politischen Folgen des Verschwindens der Männer nicht im Vordergrund. Hier ist der Rückentext des Buches in meinen Augen etwas verwirrend, da er suggeriert, wir würden hauptsächlich etwas über die feministische Weltorganisation erfahren. Sandra Newman konzentriert sich aber auf die Lebensgeschichten ausgewählter Frauen, besonders eben auf die von Jane und Evangelyne. Konsequenzen des Fehlens der halben Weltbevölkerung kriegen wir eher am Rande mit. Dennoch beschreibt der Roman beispielhaft am Leben der beiden Protagonistinnen, welche Rolle eine männlich dominierte Welt für Frauen hat und lädt damit zum Grübeln und In-Frage-stellen ein. Dabei driftet die Autorin aber auch nicht in eine unglaubwürdige Utopie ab, in der nun alle Frauen in Harmonie und Weltfrieden zusammenleben, sondern bleibt auch mit femininen Fehltritten oder moralisch fragwürdigen Situationen in einem authentischen Rahmen.

Mystisch angehauchte Erklärungen für das Verschwinden der Männer werden ebenfalls als Verschwörungstheorien oder mögliche Fakten gegenübergestellt und die Spaltung der Frauen in verschiedene Lager, die sich gegenseitig anfeinden, aufgegriffen. Manchmal fehlte mir ein wenig detaillierteres Hintergrundwissen zu den vorgestellten Organisationen oder Zusammenhängen, im Rundumblick hat mir die beispielhafte Einsicht in eine rein feministisch organisierte Welt aber sehr gefallen.

Fazit

Wer einen Roman erwartet, der sich mit einer rein feministisch organisierten Gesellschaft befasst, der wird eventuell vom Inhalt überrascht, da der sich eher auf die Leben zweier Frauen konzentriert. Anhand dieser wird jedoch deutlich vor Augen geführt, welche Konsequenzen das Patriarchat heute für das Leben von Frauen hat und stellt gegenüber, was wäre, wenn die Verursacher plötzlich aus der Welt getilgt würden. Ein Gedankenexperiment, das dazu einlädt, nachzudenken und vielleicht den ein oder anderen Strang aufzugreifen und selber weiterzuspinnen.

Dieser Artikel ist erschienen bei: Zauberwelten-Online.de

Das Verschwinden - Feministische Utopie mit dystopen Zügen

Ruka Jungblut

Autor

Fantasybegeisterte Katzenfanatikerin mit Hang zur ...

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