Eine einfache Testamentseröffnung? Weit gefehlt. Direkt mit der in-time Anreise am Freitagabend wurde es offensichtlich, dass die kommenden Tage viel mehr bieten würden. Die vermummten Wildlingswachen gaben einen düsteren Empfang, ebenso wie die trutzigen Mauern der eindrucksvollen Burg selbst. Ein Ort voller undurchsichtiger Gestalten: ein altes Weib, dem Wahnsinn verfallen, aufsässige Töchter des verstorbenen Lords, raffgierige Ehemänner, Brüder und Vormünder: Willkommen auf Krimstone Keep im Norden von Westeros!
Krimstone Keep – die Ehrenburg in der Nähe von Koblenz – war der eigentliche „Star“ des Wochenendes: großartiges Ambiente durch und durch. Um eine Spielerin zu zitieren: Wow! Es gab keine Stelle, die nicht toll gewesen wäre. Am schönsten natürlich der Knochenbrecher-Gang, aber auch das Maester-Zimmer, die verschiedenen Ebenen und und und …
Die Schlafräume waren im mittelalterlichen Ambiente eingerichtet, sehr luxuriös und geräumig. Das alles hatte den schönen Nebeneffekt, dass man keinerlei Dekoration mitbringen musste – es war einfach schon alles da. Das zum Burghotel gehörende Personal war passend gewandet und immer zur Stelle, wenn man etwas brauchte. Das Essen war hervorragend, nicht Pseudomittelalter-Schlachtplatte, sondern durchdachte und köstlich zubereitete Gerichte, von denen einige sogar aus dem offiziellen Kochbuch zu A Game of Thrones stammten. Kreativ war auch, dass der Verwalter der Ehrenburg sich gleich in das Spiel integrierte – als Verwalter von Krimstone Keep.
Die Orga setzte auf dieses schon beeindruckende Ambiente noch einige Highlights drauf: Das Zimmer des Maesters, eine Kammer hoch oben im Bergfried, war mit Unmengen an Dokumenten und einem Käfig voller Raben, mit denen man Nachrichten schicken und erhalten konnte, ausgestattet. Tontechnik sorgte dafür, dass man Tag und Nacht das Krächzen der Raben im ganzen Hof hören konnte. Netterweise fühlten sich ein paar echte Raben aus der Nachbarschaft bemüßigt, auf dieses Krächzen zu antworten ... Es gab das Schlafgemach des verstorbenen Lords mit versteckten Hinweisen auf dessen Ableben und eine Gruft mit einem versiegelten Sarkophag – wie sich später im Spiel herausstellte, befand sich eine Leiche zuviel darin ... und keine war der tote Lord. Dies war lange Zeit Gegenstand vieler Schnüffeleien und Gerüchte. Als Krönung des Ambientes gab es den gewaltigen Stumpf eines Werholzbaumes in Originalgröße. Wie sich später herausstellte, gab dieser ab und zu kryptische Sätze von sich, was dem guten Bruder des Verstorbenen einen ordentlichen Schrecken einjagte, als dieser zufällig in seinem (gespielten!) Suff dem Baumstamm sein Leid klagte und ihm der Baum tatsächlich antwortete.
Insgesamt steckte die Orga viel Arbeit schon in die Vorbereitung des Cons, was sich für das Spiel auszahlte. Es wurden mehr als hundert Seiten Hintergrund und Verknüpfungen zwischen den einzelnen Charakteren erstellt, jeder Spieler bekam eine angepasste Hintergrundgeschichte und eine individuell zusammengestellte und bebilderte Liste der Personen, die sein Charakter kennen sollte oder von denen er schon einmal gehört hatte. Mir persönlich gab das im Vorfeld die Möglichkeit, mir alle Namen und die passenden Gesichter einzuprägen, was ich sehr angenehm fand, weil ich auf dem Con nicht ständig nachfragen musste. Peinliche Szenen wie Ach, Ihr seid die große Liebe meiner Jugend? fielen dadurch weg.
Diese Mühen führten auch dazu, dass die SL während des Spiels kaum bemerkbar war, zum Teil waren sie selbst in Rolle unterwegs. Das lag sicherlich auch am Konzept des Cons. Die Spieler kamen in ein stehendes Szenario, es gab keinen Plot, kein Ziel, wo das Ganze hinführen sollte. Dafür fand sich aber jede Menge Konfliktpotenzial und verschiedene Dinge, die man überall entdecken konnte, Hintergrundgeschichten, die erforscht werden wollten, und Geheimnisse, die man (mitunter wortwörtlich) ausgraben musste. Um es in den Worten des Charakters Hrodwyn Ravine auszudrücken: Eine wunderbare Sandbox, die mit vielen bunten Förmchen gefüllt war – aber auch mit einer Menge Schippen, die man sich gegenseitig überziehen konnte. Die Arbeit, die sich die Orga im Vorhinein mit den Verknüpfungen gemacht hatte, hat sich wirklich gelohnt. Die fest geplanten Punkte (Testamentseröffnung und Urteilsverkündung), waren sinnvoll. An diesem Punkt auch ein Dank an das Vertrauen in die Spielerschaft, das Beste aus dem Gegebenen zu machen!
An dieser Stelle also auch ein großes Hurra auf die anwesenden Spieler: Ihr habt nicht einen Konflikt gescheut, seid Euch gegenseitig an die Gurgel gegangen, habt Euch beigestanden und verraten – ich habe selten ein so dicht verwobenes Spiel erlebt. Out-time Blasen gab es nicht, jeder, der kurz das Spiel verlassen wollte, zog sich diskret zurück, ohne die anderen zu stören.
Ein weiteres Konzept des Cons war, dass NSCs und SCs eigentlich nicht voneinander zu unterscheiden waren. Jeder NSC hatte genauso einen Hintergrund, eine Geschichte und einen Grund für seine Anwesenheit wie jeder SC, mit dem einzigen Unterschied, dass die Geschichten der NSCs komplett von der Orga geschrieben worden waren.
Als NSC bekam man zu Beginn des Spieles die eindeutige Anweisung Spielt wie Spieler. Immer mit Rücksicht darauf, Spiel zu kreieren und nicht zu zerstören, aber spielt Euren Charakter konsequent und handelt, wie Ihr es für richtig haltet.
Diese Herangehensweise an das Konzept der NSCs führte zu einer in sich geschlossenen Welt, es gab niemanden, der nur eine Alibi-Funktion erfüllte, jeder anwesende Charakter war lebendig.
Die Verschiedenartigkeit der Charaktere führte zu einem geschlossenen Bild, zum Teil fühlte man sich tatsächlich wie im Film und wusste gar nicht, wo man zuerst zuschauen sollte – oder ob man nicht doch eingreifen sollte. Ich habe dermaßen viel schönes Spiel verpasst, weil ich da gerade mit anderem, genauso schönem Spiel beschäftigt war, beschrieb der Spieler von Eldan Kargrim, Bruder des verstorbenen Lords, seine Erlebnisse. Durch das Konzept des stehenden Szenarios war dieses Con etwas für aktive Spieler, frei nach dem Motto: Tu etwas, dann tut sich auch was im Spiel. Wer hier darauf wartet, dass das Spiel zu ihm kommt, wartet vergebens.
Es waren einige Anfänger unter den Spielern, die sich vom Strudel der Ereignisse begeistert haben mitreißen lassen, aber auch viele erfahrene LARPer, was insgesamt zu einem sehr hohen Level an schauspielerischer Intensität führte. Da es stets schwierig ist, für Adel und Gesinde ein gleichwertiges Spielkonzept umzusetzen, konzentrierte sich dieses Con voll und ganz auf den Adel, wie erwähnt wurde das Gesinde ausquartiert.
Mitunter war das Spiel sehr hart, sehr direkt und sehr konfliktlastig. Themen, die sonst im LARP umgangen werden, waren nicht unbedingt tabu, und es gab durchaus Spieler (nicht nur die LARP-Neulinge), die an ihre Grenzen kamen. Die Spannung stieg im Laufe des Wochenendes stetig an, um dann nach einer ersten Eskalation in der Nacht zum Samstag am Sonntagmorgen eine blutige Auflösung zu finden. Von 34 anwesenden Charakteren starben neun – wobei erwähnt werden muss, dass fast alle Spieler sich entschieden, die Charaktere an ihren Verletzungen sterben zu lassen.
Ein wunderbares LARP mit sehr wenig Schwächen, einer Vorbereitungsleistung, die irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn verweilt, grandiosem Schauspiel mit extremer Spieldichte und das alles auf einer Location, die auch als Set der Fernsehserie taugen würde. Das Konzept ist nur etwas für aktive Spieler und für alle, die Spaß am Konflikt- und Intrigenspiel haben. Ein Con mit vielen dramatischen Wendungen und einer großen Überraschung zum Schluss.
Bilder: Armin Saß