Der Titel Something is killing the Children wirkt ausgesprochen selbsterklärend: im Zentrum der Geschichte stehen die Morde an Kindern und das „Etwas“, das dafür verantwortlich ist, bleibt zunächst verborgen und mysteriös. Das dunkel gehaltene Cover des ersten Bandes tut sein Übriges dazu, da es einen finsteren Wald präsentiert. Die zurückgelassenen Fahrräder und die mit einer Machete bewaffnete Protagonistin kommen erst auf den zweiten Blick in den Fokus, da leuchtende, monsterhafte Augenpaare, die aus den dunkelsten Bereichen des Waldes heraus funkeln, das Bild klar dominieren. Die Anziehungskraft von Augen wird in diesem Horror-Comic auch darüber hinaus eine wichtige Rolle spielen. Welche das ist, sei hier jedoch nicht verraten …
Das Grundgefühl zur dargebotenen Geschichte ist also bereits durch den Titel sehr treffend etabliert. Dagegen ist die Handlung von Something is killing the Children im selbstverständlich ruhigen und beschaulichen („Hier passieren solche Dinge einfach nicht.“) Ort „Archer’s Peak“ angesiedelt. Dort verschwinden seit einiger Zeit immer wieder Kinder unterschiedlichen Alters. Vereinzelt werden Leichen gefunden. Die Polizei steht dem überfordert gegenüber und der Ort versinkt in einer Atmosphäre der Hilflosigkeit.
Die Geschichte und ihre Figuren
Der erste Band steigt mit einer Szene ein, in der vier Jungen das wohl bekannte Spiel „Wahrheit oder Pflicht“ spielen. Es ist Nacht und das vom Cover bekannte dunkle Farbspiel mit verschiedenen Blautönen wird hier aufgegriffen. Bereits im ersten Panel wird die Perspektive des Protagonisten eingenommen, der auf dem Boden des Raumes sitzt, was den Jungen, der vor ihm steht, genauso wie die gesamte Szene bedrohlich wirken lässt. Bald wird jedoch klar, dass es sich bei der Szene um einen Flashback handelt und dass der Gruppe etwas zugestoßen ist. Lediglich der Protagonist (James) hat, wenn auch traumatisiert und mit Blut bespritzt, überlebt. Ebenfalls blutbefleckt wird nach diesem Prolog die Protagonistin Erica („Das kann nicht ihr richtiger Name sein.“) Slaughter eingeführt, die ihrem Nachnamen offenbar alle Ehre macht.
Von ihrer blutigen Einführung abgesehen verbindet beide Figuren auch eine gewisse Einsamkeit. James, der als seltsam verschriene Junge, der niemandem erzählen kann, was seine Freund*innen umgebracht hat, weil er es selbst kaum zu glauben vermag und Erica als „toughe“ abgeklärte Monsterjägerin, die sich gewissermaßen in einer Parallelwelt bewegt. Natürlich finden beide schnell zusammen, als Erica in Archer’s Peak eintrifft, und begeben sich daran, das Monster ausfindig zu machen und zu erlegen. Große Teile von Ericas Hintergrund, tiefergreifende Motivation und Einbettung in die größere Welt bleiben dabei sehr nebulös und wenig ergründbar. Hier werden bekannte Tropen bedient, ohne dabei in klischeehafte Lächerlichkeit zu verfallen. Dies gelingt durch einen spannenden, erzählerischen Mix: zunächst einmal zeigt die Geschichte großen Respekt vor dem emotional belastenden Thema verschwundener und ermordeter Kinder. Ergänzend dazu zeigt sie einen selbstironischen Umgang mit der Figur Erica Slaughter (zum Beispiel in Bezug auf ihren geradezu prophetischen Nachnamen). Sie scheint der bedrückenden Atmosphäre der Geschichte ein Stück weit enthoben zu sein, während sie selbst den Ernst der Lage voll anerkennt.
Der erste Band konzentriert sich sehr stark auf James und Erica und ihre Verbindung zueinander. Weitere auftauchende Personen, wie der örtliche Polizeichef oder der Bruder eines vermissten Mädchens, bleiben eher blass, wenn auch klar wird, dass sie im weiteren Verlauf der Geschichte wichtige Rollen einnehmen werden. Mit Band zwei wird der Fokus jedoch verschoben. Archer’s Peaks Monsterproblem ist noch nicht gelöst, aber James bleibt weitgehend im Hintergrund, während mehr über Erica, ihre Rolle in der Welt und die Organisation, zu der sie gehört, aufgedeckt wird. James‘ quantitativ reduzierte Präsenz wird aber zum Beispiel durch ein sehr emotionales und offenes Gespräch mit Erica mehr als aufgewogen. Auch wenn der zweite Band sich noch blutiger und teilweise expliziter als der erste präsentiert, ist seine Geschichte vor allem von inneren Konflikten der handelnden Figuren geprägt. So sehen diese sich fast alle mit unangenehmen Wahrheiten über sich oder ihre Vergangenheit konfrontiert und sind aufgefordert, sich dazu in irgendeiner Weise passend zu verhalten.
Diese Entwicklung bringt die Charaktere und auch die Geschichte selbst ein gutes Stück aus der Schockstarre des ersten Bandes hinaus und trägt sie weiter in neue und weitere Gefilde. Auf der einen Seite ist dies für eine fortlaufende Handlung absolut wichtig und bereichernd, auf der anderen Seite muss das kreative Team dabei allerdings auch sehr darauf achten, sich nicht zu weit vom einmal etablierten „Feeling“ der Geschichte zu entfernen. So entsteht beispielsweise leicht der Eindruck, dass die zunächst sehr betonte Feinfühligkeit in Hinblick auf die heikle Thematik im zweiten Band ein wenig nachlässt.
Graphische Highlights
Für einen Comic natürlich unerlässlich, aber im Fall von Something is killing the Children besonders zu erwähnen, sind die Zeichnungen von Wether Dell’Edera und die Farben, die Miquel Muerto beigetragen hat. Die Panels, in denen die Geschichte erzählt wird, sind, wenn auch von Seite zu Seite unterschiedlich, zum weit überwiegenden Teil klar strukturiert und abgegrenzt. Die damit geschaffene Grundordnung eignet sich hervorragend dazu, durch das Setzen von Highlights unterbrochen zu werden. Die Unklarheit und Verwirrung mancher Szene findet ihre Entsprechung darin, dass die Panels nicht wie üblich über eine, sondern über zwei Seiten von links nach rechts angeordnet sind. Auch große, ein- oder doppelseitige Bilder können durch den Kontrast zum Rest des Comics stärker wirken. So gewinnt beispielsweise eine Tafel mit Aushängen der bekannten Vermisstenfälle vor allem dadurch ihre bedrückende Kraft, dass das betreffende Panel nicht klar von den umgebenden Panels abgegrenzt ist, sondern teilweise von ihnen überlagert wird.
Eine weitere Art der Hervorhebung bestimmter Aspekte und der Aufmerksamkeitslenkung wird durch die Farbgebung umgesetzt. Fast alle Flächen des Comics sind durch eine Technik, die an Benday Dots erinnert, strukturiert. Hierbei werden Punkte in verschiedenen Farben oder Farbabstufungen in einem Gitter angeordnet, um größere Farbvarianz oder Schattierungen abzubilden. Da die Punkte relativ groß (jedoch nicht so groß, wie bei bekannten Roy-Lichtenstein-Bildern) gehalten sind, ergibt sich ein zunächst gewöhnungsbedürftiges Erscheinungsbild, denn große Flächen ziehen durch ihre Struktur oftmals mehr Aufmerksamkeit auf sich, als sie es normalerweise tun würden. Wie schon bei der Anordnung der Panels wurde auch hier die Abweichung von diesem grundlegenden Stil genutzt, um die Aufmerksamkeit zu lenken. So ist frisches Blut meist einfarbig und ohne strukturierende Punkte dargestellt und sticht so deutlich aus dem Gesamtbild heraus. Hier ließe sich wunderbar weiter interpretieren, an welchen Stellen der Geschichte das dargestellte Blut „zur Umgebung gehört“ und fast eine gewisse Normalität darstellt und an welchen es als besonders und furchteinflößend hervortritt.
Fazit
James Tynion IV und Werther Dell’Edera haben im vergangenen Jahr mit Somehting is killing the Children ein bedrückendes Universum geschaffen, in dem Monster (wenn auch nicht die unter dem Bett, die im Wald aber ganz bestimmt) nur allzu echt sind und ein kaum vorstellbares Maß an Schrecken verbreiten. Dass es für dieses Problem einer schlagkräftigen Antwort bedarf, liegt auf der Hand. Die Monsterjagd grenzt zwar bisweilen ans Klischeehafte, gibt sich aber nie der Lächerlichkeit preis. Das dürfte daran liegen, dass sich die Geschichte an den passenden Stellen ein ausgewogenes Maß an Selbstironie erlaubt. Es bleibt zu hoffen, dass das Kreativteam es auch weiterhin schafft, diese empfindliche Balance zu halten und die Geschichte nicht in ausweglose Düsternis auf der einen oder ein buntes Kampfspektakel auf der anderen Seite abgleiten zu lassen. Bisher gibt es dafür allerdings kaum Anzeichen. Die bisher erschienenen Bände seien allen ans Herz gelegt, die sich nicht scheuen, bei der Lektüre eines Comics auch mal schwer schlucken zu müssen.
Der Splitter-Verlag bietet deutschsprachigen Comicfreund*innen hier zwei wirklich schöne Hardcover-Bände, die in Sachen Wertigkeit und Format in vermutlich jedem Regal gerne gesehene Gäste sind. Ein echtes Highlight sind auch die beiden Büchern angehängten Cover-Galerien, welche die großartigen Titelbilder der Reihe zeigen und um die es wirklich schade gewesen wäre, wenn sie nicht enthalten gewesen wären.
Das Produkt wurde kostenlos für die Besprechung zur Verfügung gestellt.