Shinigami² - Bioware – Cyberpunk in der Eiswüste
Mario Steinmetz ist fraglos ein Horrorautor. Blut, Ekel und Schrecken gehören zu seiner Klaviatur. Auch in seinen Shinigami-Bänden kann man Reste davon finden, die Cyberpunk-Romane zeigen jedoch, dass Steinmetz auch jenseits von Horror schreiben kann. So gut sogar, dass der erste Teil den Skoutz Award Science-Fiction gewonnen hat. Und das, obwohl er im Kleinverlag Hammer Boox erschienen ist …
Kumiko und Amy haben sich im ersten Teil von Shinigami nicht nur Freunde gemacht. Nachdem sie sich mit dem mächtigen Hattori-Konzern angelegt haben, bleibt ihnen kaum mehr als der Rückzug. Und wo könnte man besser vom Radar verschwinden als in Alaska? Während Kumiko für einen nervigen Job auf einer Bohrinsel anheuert, sitzt Amy ihre Zeit in der eisigen Pampa ab. Und natürlich wäre es keine spannende Geschichte, wenn es bei Ruhe und Langeweile bleiben würde. Die ominöse Grey treibt das Tandem auf und versucht den beiden das Leben zur Hölle zu machen. Gleichzeitig suchen die Protagonistinnen weiter nach Antworten auf bohrende Fragen, was sie unter anderem mit dem mystischen Amarok und einem abgedrehten KI-Priester und seiner Gemeinde aus Silikonpuppen zusammenbringt. Und natürlich sind auch die Katzen des Tamra Maew nicht weit …
Amy Lucia Flores
Zeichnung von Finya Steinmetz
Schneller Cyberpunk mit Charakter
Auch Shinigami² ist ein charakterzentrierter, actionreicher Cyberpunkroman mit einer Prise Mystik und etwas mehr Sex und Blut als üblich. Das wilde Getümmel von New Babylon wird diesmal jedoch durch die Eiswüste Alaskas ausgetauscht. Fancy Autos werden durch schwere Schneemobile ersetzt und die im Vorgänger dominierende japanische Mythologie um Mythen der Inupait ergänzt. Die Handlung wird in schnellen Kapiteln erzählt und treibt Leser*innen wie Charaktere vor sich her.
Zwischen actionreichen Sequenzen findet Steinmetz dabei immer wieder Raum für Ruhe. Manche Beschreibungen gehen fast ins Poetische über und geben Einblicke in die komplexe Welt der nahen Zukunft. So erfahren wir von Konzernen, Arbeiteraufständen und dem Kontrast zwischen Mythologie und plumpem Materialismus. Diese Einblicke kommen mir aber leider etwas zu kurz, es sind eher Schlaglichter auf eine Welt, die ihren Reiz nur andeutet. Der Fokus liegt ganz klar auf der Handlung, was zweifelsohne zur Geschwindigkeit der Geschichte beiträgt, mir aber etwas wenig Möglichkeit gegeben hat, in die Welt einzutauchen. Die an den ersten Band anschließende Handlung hat es dafür in sich: KI-Systeme die Gehirnpartitionen übernehmen, Identitätsverluste, eingepflanzte Erinnerungen, gigantische Meeresungeheuer, die namensgebende – und hier mal spoilerfrei im Vagen gehaltene – Bioware: Shinigami² greift tief in die Cyberpunktrickkiste. Dabei wird dem Ganzen eine etwas düstere Note verpasst und durch geschickte Referenzen auf andere Cyberpunkwerke ein interessanter Twist gegeben. Durch klug platzierte Rückblicke knüpft die Story an die Geschehnisse aus dem ersten Band an, jedoch kommt man auch gut in die Story, wenn die Lektüre des ersten Teils etwas länger zurückliegt. Vermutlich kann man dem Buch sogar ohne Kenntnis von Teil 1 folgen, dann verpasst man aber ein starkes Buch und raubt der Geschichte an Tiefe.
Kumiko Shimizu
Zeichnung von Finya Steinmetz
Chrom und Cyberspace
Den ganzen verchromten Glanz kann Shinigami schließlich entfalten, wenn es ans Technische geht. Als Mann vom Fach gelingt es Steinmetz, virtuelle Realität, Schnittstellen und Matrixruns technisch schlüssig und originell zu beschreiben. Insbesondere mit der Brain Dance Technologie - multisensorischen maximalimmersiven Cybertrips - verpasst er der Welt von Shinigami eine besondere Note, die er tief in das Geschwür der Welt einwebt.
Die ist ansonsten recht klassischer Cyberpunk, was auch genau das ist, was Steinmetz erreichen will. Im Gegensatz zu manch anderer Genreliteratur nimmt er die Prämissen einer rücksichtslosen, brutalen Gesellschaft etwas ernster, indem er sich nicht scheut, bei Gossensprache, Sex und Gewalt ein bisschen expliziter zu sein. Als Hardcore-Horror-Autor fällt ihm das leicht, wobei er für seine Verhältnisse fast schon soft ist. So manches Kapitel schlägt jedoch unerwartet zu, sodass wir doch die ein oder andere krasse Folter- und Missbrauchsszene erleben, die die Funktion haben, die Erbarmungslosigkeit des späten 21. Jahrhunderts zu illustrieren.
Apropos illustrieren. Dem Buch sind wie auch Teil 1 Illustrationen der Protagonisten angefügt, die noch einmal besser umgesetzt wurden als im ersten Teil. Hinzu kommen drei Kurzbiografien, die jedoch aus Spoilergründen wirklich erst am Ende gelesen werden sollten.
"Grey"
Zeichnung von Finya Steinmetz
Fazit:
Ich bin ehrlich, so ganz hat es Shinigami² nicht geschafft, mich in seinen Bann zu ziehen. Das mag zum Teil an meinem doch sehr fragmentierten Leserhythmus gelegen haben, der Schwung der Handlung wollte bei mir aber nicht so ganz ankommen und die Welt ist für mich immer ein bisschen auf Distanz geblieben. Dabei sind die Elemente des Buches allesamt gelungen. Wir finden hier einen durchwegs gut lesbaren, bildhaften Schreibstil, klare Charakterzeichnungen und -motivationen und sogar Mythologien jenseits ausgetretener Klischees. Wer etwas ernstere Genreliteratur mit einer kleinen Prise Bodyhorror zu schätzen weiß, macht hier fraglos nichts falsch. Shinigami² muss sich vor dem preisgekrönten ersten Teil nicht verstecken.
PS. Der erste Teil von Shinigami ist jüngst mit neuem Cover und dem Untertitel Over the Edge in Neuauflage erschienen.
Das Produkt wurde kostenlos für die Besprechung zur Verfügung gestellt.
Dieser Artikel ist erschienen bei: Zauberwelten-Online.de
Kommentare
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