Um diese Graphic Novel verstehen zu können, muss man sich erst des besonderen Kultphänomens der Drei ??? bewusst werden. Die Reihe hat ihre Wurzeln in einer amerikanischen Jugendbuchserie, die in den 1960ern begründet und dann später für den deutschen Markt übersetzt wurde; Detektivgeschichten von drei Jungen, die Rätsel lösen und logische Erklärungen für scheinbar übernatürliche Geheimnisse finden. Auf diesen Büchern basierend, wurde 1979 vom Verlag Europa eine Hörspielreihe etabliert, die sich ebenfalls an Kinder und Jugendliche richtete – in die Rollen der drei Detektive schlüpften drei Sprecher, die zu diesem Zeitpunkt selbst noch Kinder waren. Die Sprecher wurden älter, doch überraschenderweise alterte das Publikum der Reihe mit: Heute sind etwa die Hälfte der Drei-???-Fans zwischen 20 und 40 Jahre alt.
Nostalgie
Als Grund für dieses Phänomen wird häufig der Nostalgie-Faktor genannt. Sowohl Sprecher der drei Detektive, als auch der Verlag der deutschen Buchreihe führt den Erfolg der Drei ??? bei ihrem erwachsenen Publikum darauf zurück, dass sich die Hörer*innen mit den drei Detektiven aus ihrem stressigen Alltag heraus in eine heile Welt zurückträumen können: egal, wie alt man ist, in Rocky Beach ist noch alles so, wie man sich aus seiner Kindheit daran erinnert. In der Graphic Novel von Tauber und Wenzel ist von dieser Nostalgie allerdings wenig zu spüren. Wer nur eine Bebilderung der Bücher und Hörspiele sucht, ist hier an der falschen Adresse – dafür könnten die Comics der Serie dienlich sein, an denen Christopher Tauber ebenfalls beteiligt ist. Rocky Beach hingegen ist etwas für diejenigen, die bereit sind, die heile Welt zu verlassen und sich Justus, Peter und Bob in einem harscheren Licht vorzustellen. Dennoch macht es Spaß, in den Zeichnungen nach vertrauten Aspekten zu suchen: Welchen Nebencharakter könnte man bereits aus seiner Jugend kennen? Welcher Schauplatz ist unberührt, welcher verfallen?
Aufmachung
Die Graphic Novel an sich erinnert trotz des harten Einbands an ein Manuskript. Die harten Kanten und monochromen Zeichnungen deuten schon auf die Ernsthaftigkeit des Inhalts hin; das Titelbild verspricht eine erwachsenere Version der drei Detektive, die ihren ursprünglichen Eigenschaften jedoch treu bleibt. Wenzels Zeichenstil passt gut zum Ton der Geschichte – viel weniger verspielt als der der Drei ???-Comics, aber nicht ohne Ähnlichkeiten. Drei Figuren ein Gesicht zu geben, von denen sich so viele Menschen seit ihrer Kindheit ein eigenes Bild gemacht haben, ist nie leicht, besonders dann nicht, wenn man sie nicht in ihrer „Reinform,“ sondern auch noch gealtert darstellen soll. Aber Wenzel gelingt es, eine visuelle Interpretation der drei Detektive im Erwachsenenalter zu gestalten, die sie zwar weiterentwickelt und verändert zeigt, aber dennoch nah genug an den Beschreibungen ihrer jugendlichen Selbst ist, dass sie leicht zu erkennen sind.
“Eine Interpretation”
So ist die Graphic Novel vom Verlag untertitelt, was für manche als Versuch erscheinen mag, sich vorauseilend vor der Kritik der Nostalgiker*innen schützen zu wollen. In seinem Nachwort nennt Tauber die Graphic Novel jedoch auch ein „Angebot, eine andere Reise zu unternehmen,“ und diese Beschreibung scheint es gut zu treffen. Rocky Beach liest sich wie eine gute Fanfiction: eine Geschichte, die auf einem bereits bestehenden Werk basiert, aber davon losgelöst und nicht in Stein gemeißelter Teil des Kanons ist. Ob man mit Taubers und Wenzels Vorstellungen von dem, wie das Rocky Beach der erwachsenen Drei ??? aussieht, einverstanden ist, findet man wohl nur heraus, indem man die Graphic Novel selbst liest. Durch die Bezeichnung der Graphic Novel als „Interpretation“ oder „Angebot“ ist es letztlich jedoch auch gut möglich, der Geschichte zu folgen, ohne die eigenen Wünsche für die Zukunft von Peter, Bob, Justus und Rocky Beach vollkommen aufgeben zu müssen. Für mich fügen sich manche Aspekte der Umsetzung ein, während andere für mich der Vorlage zu stark widersprechen. Doch an diesen Stellen regt Rocky Beach auch dazu an, darüber nachzudenken, wie die eigene Interpretation aussehen könnte.
Die Drei ??? Noir
In der realen Welt werden Jugendliche erwachsen und auch kleine Küstenstädte Kaliforniens sind nicht unberührt von Problemen. In einer Graphic Novel, die einen etwas realistischeren Blick auf die Drei ??? wirft, ist mit ernsthaften Themen zu rechnen, und davon hat Rocky Beach auch nicht zu wenig: Drogenmissbrauch, politische Korruption, rassistische Polizeigewalt, Kindheitstraumata, Midlife Crisis, Krankheit, Armut … all diese Themen sind nicht fehl am Platz, denn sie sind eindeutig in der Realität, insbesondere der Realität vom Leben in den Vereinigten Staaten, verankert. Allerdings finden viele dieser Probleme zwar Erwähnung, aber nicht wirklich den Platz, um sie tatsächlich zu thematisieren. Die Atmosphäre der Geschichte wird dadurch düsterer und ernster, aber ob diese Art des teilweise leichtfertigen Umgangs mit ernsthaften, realen Problemen nicht eher eine Trivialisierung darstellt, ist fraglich.
Kurzfilm statt Serie
Diese verschiedenen Thematiken und möglichen Richtungen, in die sich die Geschichte hätte entwickeln können, lassen Rocky Beach wie einen Auftakt zu einer amerikanischen Fernsehserie wirken. Auch das unregelmäßige Erzähltempo der Graphic Novel trägt zu diesem Eindruck bei. Während sich viel Zeit für die Einführung in den Fall und das Setting gelassen wird, verändert sich die Erzählgeschwindigkeit im letzten Drittel rasant, und die letzten Seiten werfen einige Fragen auf. Als Pilotfolge oder erster Band einer Reihe würde sich Rocky Beach gut machen; die ersten Schritte sind getan, die Grundsteine für neue Geschichten sind gelegt – doch weitere Episoden sind nicht geplant. Was für die eine oder den anderen Anregung zum Weiterdenken sein mag, kann für andere eher frustrierend sein.
Das Produkt wurde kostenlos für die Besprechung zur Verfügung gestellt.