„Na“, machte ich abwartend, lehnte den Besen an den Höhlentürrahmen und verschränkte dann die Vorderläufe, „mal sehen was sie nun schon wieder vorhat."
Kai überquerte soeben die kleine Brücke, die über den feuchten Fluss führt. Schon von weitem konnte ich erkennen, dass sie im Gesicht ein Lächeln und am Arm einen Korb trug. Ich runzelte leicht die Drachenstirn, aber insgeheim war ich doch neugierig, was Kai wohl heute unternehmen wollte.
„Huhu“, rief Kai und winkte mir zu. Sie lief schneller und war nach ein paar Momenten vor meiner Feendrachenhöhle angelangt.
„Selber Uhu“, gab ich vorwitzig zurück.
„Wie schön“, sagte Kai fröhlich. „Du hast gute Laune.“
Ich grunzte vordergründig gleichgültig und hintergründig bestätigend.
„Dann bist du ja bestens auf Ostern vorbereitet“, ergänzte Kai zufrieden.
„Ostern?“, mein Blick und meine Stimme kippten augenblicklich ins Skeptische. „Das klingt schon wieder so minutiös menschenmäßig. Ich wage mal zu behaupten, dass das sowas sein könnte wie Weihnachten.“
„Gar nicht schlecht“, meinte Kai anerkennend und stellte den Korb ab. „Ja, es ist tatsächlich eine nette Festlichkeit. Sie hat unter anderem was damit zu tun, dass man den Frühling feiert.“
„Hm-mh“, machte ich zurückhaltend. Temporäres Tinnitusklirren, Zwerge mit Heinzelmännchenkomplex, Schneewittchen mit Zwergenkomplex, Zimtsternprügelei, der brennende Baum – die Erinnerungen an das Weihnachtsfest, das noch nicht allzu lange her war, spülten mir durchs Hirn.
„Und das willst du jetzt auch wieder machen“, folgerte ich ausdruckslos. „Feiern.“
„Genau.“
Darauf nickte ich stumm, nahm meinen Besen in die Vorderklaue und ging zurück in meine Höhle. Für den Bruchteil eines Drachenzwinkerns verspürte ich den Impuls, die Tür hinter mir zu schließen. Doch ich wollte Kai die Freude nicht verderben. Also ließ ich die Tür offen und sie eintreten.
„Und, wird wieder gebacken und gesungen?“, fragte ich.
„Nein, wir pusten Eier aus und suchen Nester“, antwortete Kai.
Ich blickte Kai an, als ob sie sich soeben vor meinen Augen in ein Huhn verwandelte.
„Bitte, was tun wir?“, wiederholte ich ruhig. „Ich habe mich verhört. Ich habe verstanden, dass wir Eier auspusten und Nester suchen.“
„Ja, das stimmt. Genau das werden wir tun“, bestätigte Kai und hob den Korb hoch. „Sieh mal, hier habe ich jede Menge Eier, die wir ausblasen und dann bemalen können. Farbe habe ich auch dabei. Und dann können wir die Eier draußen in den Büschen vor deiner Höhle aufhängen. Das wird sehr schön aussehen.“
„Ah-ja“, sagte ich zurückhaltend. Ich warf einen näheren Blick in den halbgefüllten Korb. Da fiel mir was auf. „Was sind das für Eier?“
„Hühnereier, wieso?“, Kai senkte den Korb und sah selbst hinein. „Die hab ich mitgebracht und ein paar sind von Klüpfel. Ich war vorhin bei ihm und hab ihn mit zur Nestsuche eingeladen. Darüber hat er sich so gefreut, dass er mir noch einen Schwung mitgegeben hat.“
„Die sehen mir aber nicht alle wie gewöhnliche Hühnereier aus. Diese oberen Eier sind größer, ein bisschen dunkler und haben ganz kleine Sprenkel. Die erinnern mich an etwas anderes“, sagte ich nachdenklich. „Und außerdem weiß ich gar nicht, ob Klüpfel außer seiner Ex-Klingel überhaupt etwas huhnähnliches auf seinem Hof herumlaufen hat.“
Kai blickte mich zuerst etwas verunsichert an. Doch dann zuckte sie mit den Schultern.
„Ach, was sollen das denn sonst für Eier sein. Das wird prima Osterschmuck.“
Sie stellte den Korb auf meine Kücheninsel und begann Farben, Pinsel und ein kleines Nadelkissen auszuräumen. In Windeseile hatte sie alles vorbereitet, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich.
„Wir brauchen noch zwei Schüsseln“, sagte sie.
Ich reichte ihr zwei hölzerne Gefäße. Eins davon stellte sie vor sich, das andere schob sie in meine Nähe. Dann holte Kai mehrere Eier aus dem Korb und drapierte sie zwischen uns.
„Ich zeige dir, wie das geht“, sagte sie, griff nach einem Ei und nahm eine Nadel. Vorsichtig stach sie zwei Löcher hinein, jeweils eins an den Eienden. Ich war schon beeindruckt, wie sie das machte, ohne dass das Ei kaputt ging, und kam neugierig näher. Die Bewunderung wich jedoch augenblicklich einer Verwunderung, als ich sah, was sie dann tat. Sie setze das kalkige Etwas an den Mund, presste kräftig Luft in das eine Loch hinein und auf der anderen Seite quoll die glibbrige Eiinnerei in die Schüssel.
„Das ist irgendwie eklig“, bemerkte ich trocken und entfernte meinen Kopf etwas von dem Geschehen. „Und nebenbei für mich auch unheimlich.“
Kai legte die leere Eierschale beiseite und griff nach dem nächsten Ei.
„Wieso unheimlich?“, fragte sie beiläufig.
„Wir Drachen schlüpfen aus Eiern. Wenn Drachenmütter ihre Eier bekommen, legen sie diese in ein Nest. Dann muss das Nest, je nach Drachenart, heiß oder eiskalt, nass oder trocken gehalten werden. Ist der Drachenschlüpfling bereit für die Welt, bricht er die Schale auf und kommt aus dem Ei hervor.“
„Naja“, sagte Kai und legte die Nadel beiseite. „In diesen Eiern ist aber außer dem Eiweiß und dem Dotter kein Drache drin. Nicht mal ein Huhn. Außerdem isst du doch auch sonst Eier. Und Hühner.“
Und Kai pustete das nächste Ei aus.
„Schon“, gab ich ausweichend zu. Ich fühlte mich unwohl. „Aber das ist was anderes.“
„Ach, hab dich nicht so. Hier, jetzt bist du dran“, sagte Kai und schob mir ein Ei vor die Schnauze.
Nun ist es so, dass Hühnereier vielleicht von Menschenmädchenhänden gut zu greifen sind. Meine Drachenklauen hingegen sind um einiges größer, ganz abgesehen von meinen langen Krallen. Zwar bin ich durch das ständige Juwelenputzen sehr geschickt darin, kleine Kostbarkeiten in den Klauen zu halten. Allerdings habe ich noch nie Löcher in die Kristalle gebohrt. Und erst recht nicht habe ich je daran gedacht, das Innere auszublasen.
Aber gut, ich wollte mein Glück versuchen, denn Kai blickte mich gespannt an.
Ich nahm daher das Ei vorsichtig in die Klaue. Mit der kleinsten Kralle ritzte ich zwei winzige Löcher in die Schale, so wie ich es bei Kai gesehen hatte. Ich war etwas verblüfft darüber, dass es mir gelang, ohne das Ei zu zerbrechen. Dann setzte ich das Ei an meine Drachenschnauze. Ich holte tief Luft, presste sie heraus und …
„Iiiieehhh“, lachte Kai laut auf.
Wortlos sah ich sie an, während ich mir den Eiglibber und die zerbrochene Schale vom Maul wischte.
„Das ist nicht lustig“, sagte ich zugeknöpft und tupfte den Rest vom Dotter mit einem Tuch weg.
„Doch das ist es“, beruhigte Kai sich, aber sie konnte weiteres Kichern nicht unterdrücken. Ich sah sie streng an. Kai räusperte sich.
„Ach, das ist doch nicht schlimm. Das passiert jedem. Und nicht nur beim ersten Mal. Komm, probier es gleich nochmal.“
„Ich glaube, ich möchte das nicht“, sagte ich abweisend.
„Wenigstens noch ein Versuch. Vielleicht machst du die Löcher etwas größer, dann kann der Inhalt besser rausfließen“, riet Kai. „Und nimm viel weniger Luft, eher so wie wenn du pfeifen würdest.“
„Ich pfeife nicht“, sagte ich reserviert. „Höchstens drauf.“
„Na los. Ich zeig dir nochmal wie man es macht“, sagte Kai und blies das nächste Ei aus.
Eigentlich war ich bereits bedient. Wenn dieses Ostern weiter so verlief, konnte es mir jetzt schon gestohlen bleiben. Allerdings konnte ich den Vorfall auch nicht einfach so auf mir sitzen lassen. Meine Drachenehre hatte einen kleinen Sprung in ihrer eigentlich harten Schale abbekommen. Das musste behoben werden.
Also griff ich augenrollend zum nächsten Ei und versuchte, die Ratschläge von Kai anzuwenden. Und, siehe da, es klappte.
„Toll, du hast es geschafft“, freute Kai sich. Sie hatte in der Zwischenzeit schon jede Menge Eier ausgepustet, es lagen nur noch die gesprenkelten im Korb.
„Ja“, sagte ich ganz erstaunt über meine eigene Leistung. Ich spürte, dass ich wirklich stolz war. Wir Drachen sind sehr stark, sehr kräftig. Aber wir können auch behutsam mit zerbrechlichen Dingen umgehen, wie zum Beispiel einer Prinzessin. Besonders die muss man ja häufig wie ein rohes Ei behandeln. Ob man auch Prinzessinnen auspusten konnte, wusste ich zwar nicht, aber dass ich in der Lage war, ein echtes, rohes Ei auf diese Weise entleeren zu können, damit hatte ich für einen Drachen wahre Feinfühligkeit bewiesen. Anerkennend nickte ich vor mich hin.
„Jetzt geht’s an Anmalen“, sagte Kai und baute ein paar Farbfässchen auf. Sie legte noch die Pinsel zurecht und holte sich in einem Glas etwas Wasser aus dem Spülzuber.
„Muss man dabei auch etwas beachten?“, fragte ich.
„Nein eigentlich nicht. Du solltest nur vorsichtig sein, damit die Eierschale nicht zerbricht. Ansonsten kannst du sie bemalen wie es dir gefällt“, gab Kai zurück.
Ich hockte mich vor die Kücheninsel, nahm mein ausgeblasenes Ei in die eine Drachenklaue und einen Pinsel in die andere. Malen gehört nun wahrlich zu den Dingen, die wir Feendrachen so gut wie nie in unserm Leben tun. Schon das kleine Holzstäbchen überhaupt festzuhalten, war eine weitere große Herausforderung für mich. Ich hoffte, dass ich wenigstens etwas Farbe auf das Ei bekam.
„Das sieht gut aus“, meinte Kai, als sie sah wie ich hochkonzentriert, die gespaltene Zunge seitlich im Maul eingeklemmt, auf das Ei starrend versuchte, die rote Farbe nicht nur auf die Oberfläche der Kücheninsel, sondern auch auf die Schale zu klecksen. Ich reagierte nicht, sondern fuhr angestrengt fort. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich der Schale ihren Anstrich verpasst hatte. Zum Rot hatte sich auch noch ein Blau gesellt und beide Farben zusammen ergaben ein einfaches, ungewollt welliges Karomuster.
Dennoch zufrieden mit meinem Werk, wollte ich es stolz Kai zeigen. Da fiel mein Blick auf ihren Haufen angemalter kleiner Kunstwerke. Sie hatte, während ich ein Ei mit Farbe beschmiert hatte, in derselben Zeit beinahe alle anderen Eier eingefärbt. Und das mit teilweise sehr schönen Mustern.
Etwas beschämt legte ich mein Ei vor mir ab. Kai war schon dabei mit Streichhölzern und Faden eine Aufhängemöglichkeit für jede hohle Schale zu schaffen.
„Also ich muss schon sagen, du bist äußerst geschickt. Wenn ich das so sehe, würde es mich nicht wundern, wenn du auch Stroh zu Gold spinnen könntest.“
„Ach, was redest du denn nur“, wehrte Kai mein Lob lachend ab, aber ich sah, dass es ihr gefallen hatte. Kurz darauf hatte Kai die Fäden befestigt und die nun mehr leeren, dafür bemalten Eier zurück in den Korb gelegt.
„Okay, jetzt hängen wir sie auf“, sagte Kai und war bereits samt Korb bei der Tür angelangt. Ich tappte mit einem zustimmenden Grunzen hinterher.
„Wieso macht man das eigentlich, das mit den Eiern?“, fragte ich, als wir in den Frühling hinausgetreten waren. Eine kühle Brise umfing uns, die Vögel tirillierten aus vollen Kehlen ihre Tiraden und junges Gras und kleine Blümchen reckten sich den hellen Sonnenstrahlen entgegen.
„Damit begrüßt man die neue Jahreszeit. Eier gelten als Zeichen des erwachenden Lebens und mit dem Frühling erwacht die Natur aus ihrem Winterschlaf“, antwortete Kai. Sie hing die Eier in das Gestrüpp neben der Höhle, während ich den Korb hielt.
„Aha“, sagte ich. „Und wieso heißt das dann Ostern? Der Frühling kommt doch aus allen Richtungen gleichzeitig, es könnte genauso gut Nordern, Südern oder Western heißen.“
„Keine Ahnung“, grinste Kai verschmitzt, „aber Western war gestern und heute ist eben Ostern. So, fertig.“
„Das sieht schön aus“, hörten wir beide jemanden langsam sprechen. Wir drehten uns um.
„Klüpfel, da bist du ja!“, freute Kai sich. „Dann können wir mit der Suche beginnen.“
Kai nahm mir den Korb ab, in welchem sich immer noch die gesprenkelten Eier befanden.
„Es ist ganz einfach“, erklärte Kai. „Ich habe, bevor ich zu Klüpfel gegangen bin, hier in der Umgebung bereits andere Eier und auch kleine Süßigkeiten versteckt. Die müsst ihr jetzt finden. Ich werde euch etwas helfen, indem ich ‘kalt‘, ‘warm‘ oder ‘heiß‘ sage. Kalt bedeutet, dass ihr in die falsche Richtung lauft und da nichts ist. Warm heißt, ihr nähert euch einem Nest. Und heiß sage ich, wenn ihr ganz knapp davor seid. Okay?“
„Und das ist Ostern?“, fragte ich verwirrt.
„Ja, das ist Ostern“, antwortete Kai mit einem breiten Lächeln.
Ich sah Kai nachdenklich an. Normalerweise war das mit dem Suchen und Finden für uns Drachen gar nicht mal so schwer. Schließlich waren wir von Natur aus immer auf der Suche nach Gold, Klunkern und Geschmeide. Oder Nahrung. Aber ich überlegte, ob es nicht unter meiner Würde war, nach Eiern und Süßem zu fahnden.
Auch die Art des Suchens fand ich merkwürdig. Drachen verlassen sich beim Finden einer angemessenen Beute eigentlich auf die eigenen Sinne und nicht auf Kommandos von Menschen. Es war ja auch grundsätzlich wenig wahrscheinlich, dass ein Bauer einen Drachen zu seiner Viehherde mit ‘heiß‘ oder ‘kalt‘ hinlotste, damit der Drache sich dann an seinen Tieren gütlich tun konnte.
Außerdem fragte ich mich noch, wie Klüpfel bei dieser Suche behilflich sein konnte. Er war schließlich weder der Schnellste, noch, aufgrund mangelndem räumlichen Sehvermögens, ein Adlerauge.
„Und du bist dir sicher, dass das funktioniert?“, fragte ich misstrauisch nach.
„Was soll schon schiefgehen?“, fragte Kai zurück. „So schwierig ist es ja nicht. Ich werde noch fix die letzten Eier verstecken, dann kanns losgehen.“
Kai hüpfte in die nächsten Büsche. Klüpfel und ich blieben allein zurück.
„Dieses Ostern ist merkwürdig“, sagte ich halblaut. „Dass die Menschen Eier verstecken und sie dann wieder suchen, das klingt mir doch sehr überflüssig.“
„Normalerweise …“, begann Klüpfel langsam, „… versteckt die Eier der Osterhase.“
„Was?“, machte ich nun vollkommen irritiert. „Was für ein Osterhase?“
„Na ein Hase, der einen Korb auf dem Rücken trägt und darin sind die Eier.“
Und da sagen die Menschen immer, dass Drachen eine verrückte Phantasie seien. Ich schüttelte nur noch wortlos mit dem Kopf.
„Bereit?“
Kai sprang unerwartet hinter uns hervor. Vor Schreck löste sich bei mir ein kleines Rauchwölkchen, aber das verpuffte unbemerkt im Frühlingslüftchen.
„Ja“, gab Klüpfel zurück.
„Na dann, fangt mal an“, sagte Kai, stellte den leeren Korb ab und tippelte nervös auf der Stelle.
Klüpfel machte sich sofort ans Suchen. Dass heißt es brauchte seine Zeit, bis er beim Gebüsch angelangt war, in dem Kai vorhin verschwunden war. Ich stieß einen Seufzer aus, dann ging ich in den Stöbermodus über. Die Schnauze nahe am Boden, kroch ich auf allen Vieren vor meiner Höhle herum. Die Eier oder den Süßkram selbst konnte ich nicht wittern, aber Kais Spuren waren leicht zu erschnüffeln.
„Warm, warm, warm“, hörte ich Kai sagen. Ich lief in Richtung Wald.
„Kaaalt“, rief Kai mir hinterher. Ich drehte um, hielt auf die vereinzelten Bäume zu, die um meine Höhle herum standen. Da stach mir ein merkwürdiger Geruch in die Nüstern.
„Wa-harm.“
Der Jagdtrieb hatte mich gepackt. Wie elektrisiert folgte ich der Spur. Es roch nach Kai und fremd, aber aufregend zugleich. Ich stöberte durch das moosige Gras, prustete herabgefallene Blätter beiseite, schreckte eine Hasenfamilie beim Sonnenbaden auf und riss beinahe eine mittelalte Buche um. Wenn ein Drache erstmal in Fahrt war, gabs kein Halten mehr.
„Schon seeeeehr heiß.“
Ich war an dem Wurzelwerk einer Eiche angelangt. In einer Mulde lag ein Nest mit bunten Eiern. Aber die sahen anders aus, als die Eier, die Kai und ich angemalt hatten.
„Eiei, was hab ich da entdeckt …“, flüsterte ich vor mich hin.
„Gefunden, du hast eins gefunden!“, sprang Kai an meine Seite.
Ich hob das Nest aus einfachen Zweigen an. Es roch interessant, mir lief das Wasser im Maul zusammen.
„Die Eier sehen so wellig aus und riechen tun die auch … anders“, sprach ich.
„Ich weiß, dass du nicht allzu viel Süßes magst. Deshalb hab ich Katzenfutter in bunte Alufolie getan und versucht Eier draus zu formen. Ich hoffe, das schmeckt dir.“
Das hoffte ich auch und deshalb wollte ich es sofort wissen. Aber Kai hielt mich davon ab.
„Oh, noch nicht. Erst muss man alles finden, hinterher wird dann gefuttert.“
Missmutig brachte ich das Nest zur Höhle und legte es vor die Tür.
„Na los, weiter“, ermunterte Kai mich.
Ich schaltete wieder in meinen Stöbermodus. Jetzt da ich wusste, wie diese Ostereiersuche lief und was ich erriechen musste, machte es Spaß und ging schnell. Ich fand noch mehr Katzenfuttereier hinter einem großen Stein, im hohen Gras, in Blumengruppen und im Geäst eines Baumes, wobei ich mich schon fragte, wie Kai dort hinauf gekommen war. Manchmal saß auch ein irr dreinblickendes häschenähnliches Etwas bei den Eiern dabei. Kai sagte, dass das Schokohasen seien. Die überreichte ich meist gleich zurück. Mehr als zwei oder drei wollte ich nicht behalten.
„So, ich glaube du hast alles gefunden, was ich versteckt habe“, sagte Kai und ich betrachtete zufrieden meine Ausbeute. Doch dann stockte ich. Neben meinem Berg bunter Eier lagen zwei weitere Nester, die ich nicht dorthin gelegt hatte. In einem waren die dunkelgesprenkelten Eier von Klüpfel zusammengeschoben, in dem anderen lag ein orange-rot-gesprenkeltes Ei. Es hatte gewisse Ähnlichkeit mit den Eiern im ersten Nest, nur war es größer.
„Diese beiden Nester hab ich entdeckt“, erklärte Klüpfel stolz. „Ganz ohne Hilfe.“
„Ja“, sagte Kai etwas irritiert. „Das eine ist von mir. Aber das andere, das hab ich nicht versteckt.“
In diesem Moment hörten wir ein leises Pochen. Es folgte ein feines Knacken, die Schale bekam einen Riss. Nach einem energischen Ratschen plöppte die Schale des rot-gesprenkelten Eies plötzlich auf. Etwas dunkles, felliges schien darin zu sein.
„Na toll“, sagte ich genervt, denn mir war eingefallen, was da vor uns lag. „Jetzt weiß ich wieder, was das für Eier sind. Die kleineren, mit den dunklen Sprenkeln, das sind Zuckerhörnchen und das große mit den rötlichen Sprenkeln, das ist ein …“
„Ein Biber!“, rief Kai freudestrahlend aus.
„Nicht ganz“, korrigierte ich und zog Kai von den Nestern weg, sodass Klüpfel am dichtesten bei dem zur Hälfte aufgesprungenen, rotgesprenkelten Ei stand. „Es ist ein Säbelzahnbiber. Die Zuckerhörnchen, die nebenbei gesagt nahe Verwandte der Butterhörnchen und entfernte Verwandte der Wollmäuse sind, und der Säbelzahnbiber sehen zwar aus wie normale Flughörnchen oder ein herkömmlicher Biber, aber wenn die das Maul aufmachen … Klüpfel, wo hast du die Eier her?"
„Das Rotgesprenkelte hab ich eben in einem Erdloch da hinten gefunden. Und die Dunkelgesprenkelten hat mir einer der Zwerge vor zwei Tagen vorbeigebracht“, sprach Klüpfel monoton. „Er überreichte sie mir mit Grüßen und erklärte, dass Schneewittchen und die sieben Zwerge auf die Osterinseln fahren würden und sie deshalb zu Ostern nicht da wären. Die Eier enthielten eine zuckersüße Überraschung.“
„Zuckersüß ist gut … Zum Fest gibt einem solch ein Nest den Rest.“
„Sind Zuckerhörnchen gefährlich?“, fragte Kai.
„Nicht direkt“, erklärte ich. „Sie können sogar sehr niedlich sein. Aber sie sind auch wild und wenn sie sich bedroht fühlen, dann beißen sie. Und mit den Zähnen, das ist wirklich unangenehm. Außerdem können sie eine Flüssigkeit absondern, die alles andere als süß ist. Klüpfel, du bringst die Eier weg, bevor die hier auch noch ausschlüpfen!“
„Und was machen wir mit dem Biber?“, fragte Kai. Sie betrachtete lächelnd das Säbelzahnbiberjunge, das sich mittlerweile komplett aus der Schale geschält hatte und Klüpfel mit seinen großen Kulleraugen und noch größeren, eben Säbelzahnbiberzähnen anblickte.
„Klüpfel hat das Ei angeschleppt, Klüpfel muss sich um den Säbelzahnbiber kümmern“, bestimmte ich unnachgiebig.
„Iiiiiichhh?“, machte Klüpfel langgezogen.
„Ja, du.“ Ich blieb hart. „Säbelzahnbiber werden auf das erste Wesen geprägt, das sie sehen. Und das bist in diesem Fall du. Du bist jetzt seine Mutter. Oder sein Vater, wie du willst. Es würde von niemand anderem mehr Nahrung annehmen und es wird auch auf niemand anderen hören, als auf dich. Herzlichen Glückwunsch, du hast jetzt ein Baby!“
Klüpfel starrte mich an.
„Aber ich hatte noch nie ein Baby, ich weiß gar nicht, was man damit macht“, erwiderte er.
„Das ist mir eierlei … äh … einerlei. Du wirst schon lernen, was so ein Säbelzahnbiberbaby braucht. Das wird es dich ganz schnell spüren lassen.“
Klüpfel sah unglaubwürdig von mir zu dem frischgeschlüpften Fabeltier. Dann zuckte er die Schultern und griff nach dem Biberjungen, um es auf den Arm zu nehmen. Es wog offenbar eine Menge, denn Klüpfel musste sich sichtbar anstrengen, um es zu halten.
„Vergiss die Zuckerhörnchen nicht“, sagte ich, legte die Eier in den Korb und drückte Klüpfel diesen in die freie Hand. „Bring sie weit weg, sonst hast du sie auch am Hals, wenn sie schlüpfen.“
Klüpfel, an welchem sich das Säbelzahnbiberbaby selig schubberte, wankte davon, Richtung Brücke und Bauhaus.
„Meinst du, er packt das?“, fragte Kai ihm nachblickend.
„Naja“, sprach ich, „wie alle frischgebackenen Eltern wird er anfangs überfordert sein. Aber das wird schon werden. Säberzahnbiber wachsen rasch, werden schnell flügge und verschwinden dann. Es wird ihm allerdings bis zum Auszug die Haare vom Kopf fressen, denn diese Tiere vertilgen jede Menge Holz. Apropos vertilgen, können wir uns jetzt den Eiern zuwenden?“
„Ja, das können wir“, sagte Kai. „Und während du die Katzenfuttereier isst, werde ich mir aus dem ausgeblasenen Hühnereiweiß und Eigelb Rührei machen.“
„Mmmh.“ Schon tropfte mir der Speichel von der Zunge. „Ich frage mich, ob man Katzenfutter auch mit Rührei kombinieren kann.“
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