„Ja?“, fragte ich ruhig, nachdem ich die Tür zart geöffnet hatte.
„Huch.“ Es war Kai. „Du wirkst so tiefenentspannt. Ist was passiert?“
„Bis jetzt noch nichts“, gab ich leichtzüngig von mir. „Das ist ja das Schöne.“
„Aha“, sagte Kai. „Na jedenfalls sieht dein Frotteestirnbad enorm sportlich aus.“
„Danke“, gab ich verträumt zurück und rückte das lavendel-orange-gestreifte Schweißband, welches ich mir um meinen Hörneransatz gelegt hatte, ein wenig zurecht. „Möchtest du eintreten?“
„Ja, gerne“, antwortete Kai und sah mich seltsam von unten an. „Und es ist wirklich alles in Ordnung?“ Kai sah sich suchend um. Ihr Blick fiel auf meine Goldmünzenmatratze, die in der Mitte der Höhle lag.
„Aber sicher“, säuselte ich ausgeglichen und tänzelte nach Verschließen der Tür zurück zu meinem Matratzenplatz. „Die Ordnung bin ich und ich bin die Ordnung.“
„Na, solange du nicht die Erste Ordnung bist, ist ja alles in Ordnung“, sprach Kai halblaut.
„Wie meinen?“ Ich hatte gar nicht richtig zugehört.
„Wieso liegen die Münzen auf dem Boden?“, überging Kai meine Frage. Diese Unhöflichkeit überging ich wiederum, denn ich war ja tiefenentspannt.
„Das ist meine Unterlage“, erklärte ich gelassen. „Es ist angenehmer für meinen Schleierzackenkamm und die Gelenke, während ich die Ananasse mache. Außerdem unterstützen das leise Geklimper, die Farbe und der Geruch des Goldes meine Konzentration.“
„Du machst was?“ Kais Stimme klang skeptisch.
„Ananasse. So bezeichnet man die Übungen aus der Drachenyodalehre.“
„Ähm“, machte Kai nun deutlich irritiert. „Und das heißt Ananasse?“
„Man kann auch Ananas sagen. Das gilt dann sowohl als Einzahl, wie auch als Mehrzahl.“
„Ananas …“, wiederholte Kai nachdenklich. „Ich dachte immer, dass das anders heißt.“
„Ach ja“, sagte ich milde von oben herablächelnd. „Wie denn? Ansasa, Anasa oder vielleicht etwa Asana?"
Kai kniff grübelnd die Augen zusammen.
„Wie dem auch sei“, fuhr ich fort und begab mich wieder auf meine Goldmatratze. „Ich muss jetzt weitermachen, ich bin aufgewärmt. Wenn du magst kannst du zusehen.“
„Okay“, sagte Kai und setzte sich in meinen Kaminsessel. „Vielleicht kannst du mir erklären, was du tust. Ich mein, wenn dich das nicht stört.“
„Störungen sind da, um das Gleichgewicht des Lebens zu erlernen und in Balance zu bleiben“, intonierte ich mit halbgeschlossenen Augen. Ich hatte mich in die Entspannte Grundhaltung begeben, bei welcher ich auf meinen vier Gliedmaßen stehend, den Schwanz und den Hals flach auf den Boden abgelegt hatte.
„Ookayyy“, sagte Kai merkwürdig langgestreckt.
Langgestreckt war auch ich, denn ich war zur Vorbereitung für die nächste Übung bereits in den Morgenmuffel hineingerutscht.
„Und was ist das für eine Ananas?“, fragte Kai, als ich noch flacher wurde.
„Das nennt sich Kuhfladen. In Abwechslung mit dem Katzengewölle gehören diese beiden Ananasse zu den Grundpositionen. Meistens sind sie in ihrer Abkürzung als Kuh und Katze bekannt.“
„Aha“, machte Kai kurz.
Ich wiederholte die Kuh-Katze-Ananas einige Male und achtete dabei auf meinen Atem. Dann verhielt ich in der Trollbrücke.
„Wozu machst du dieses Training eigentlich?“, frage Kai.
„Um meinen Körper und Geist fit zu halten“, antwortete ich und glitt in den Aufschauenden Drachen. „In der Zeit des Jahres, in der wir Feendrachen weniger fliegen, weil es draußen einfach zu winterlich ist, ist es von größter Wichtigkeit unsere Muskulatur trotzdem geschmeidig zu halten.“ Ich wechselte in den Herabschauenden Drachen. „Nur dann können wir im Frühling wieder voll durchstarten und die Verletzungsgefahr ist einfach geringer. Außerdem wirken sich diese Bewegungsabläufe nachweislich positiv erhellend auf Stimmung und Gedanken aus.“
Nun wurde es Zeit, den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen. Ich begann die Ananasfolge Angst und Schrecken verbreiten mit Das Burgtor zerstören.
„Und seit wann machst du das schon?“, fragte Kai beeindruckt.
„Noch nicht solange“, sagte ich aus Die Prinzessin rauben heraus. „Ich habe es zwar bereits in der Flugschule kennengelernt, aber so richtig für mich entdeckt habe ich es erst vor ein, zwei Jahrhunderten. Nun übe ich regelmäßig viermal in der Saison. Da macht man schnell Fortschritte.“
Ich schloss die Abfolge mit Den Schatz horten.
„Das sieht ganz schön heftig aus“, meinte Kai vorsichtig.
„Diese Übungen sind noch relativ einfach, weil sie alle auf dem Boden durchgeführt werden“, gab ich zurück und eröffnete Das Verderben sein mit Den Bauern brutzeln. „Manche Ananasse werden in der Luft ausgeführt, wenn es das Wetter einigermaßen zulässt. Das sind dann die Schulen über der Erde.“ Ich ging in Den Ritter flambieren über. „Da gibt es anspruchsvolle Übungen wie Dem Sturzflug frönen oder Die Brandschneise. Doch das ist mir zu anstrengend, ich bleibe lieber auf dem Boden“, sagte ich und war bei Den König schmurgeln angekommen.
Um mir eine kleine Pause zu gönnen, vollzog ich Den Flügelstrecker. Danach setzte ich mich für In die Schlucht starren zurecht, was ich mit Übrigens unten kombinierte.
„Und du meinst also, dass…“, hob Kai wieder an.
Ich kreischte einmal laut auf.
Stocksteif vor Schreck sah Kai mich an.
„Was war das denn jetzt?“
„Der Wilhelmschrei“, gab ich gelassen zurück. „Lockert Muskulatur, Sehnen und Bänder in der Tiefe.“
„Wenn du es sagst“, sprach Kai tonlos.
Ich machte mich bereit, um noch einmal aufs Ganze zu gehen.
„Oha“, sagte Kai nun vollständig von meinen Drachenyodakünsten überzeugt. „Ich hätte nie gedacht, dass du einen Kopfstand kannst.“
„Desss isss kehhn Kepfsstend“, quetschte ich mühsam hervor. „Desss nennd sissch Ssschwenzchen in dee Heeh.“
„Ich frage mich, ob ich auch versuchen sollte das zu lernen“, meinte Kai und erhob sich.
„Tu ess oder tu ess nichh. Ess gibd kehhn versuuchen, jungeeer Paravent“, quetschte ich mühsam hervor.
Die schwierige Haltung drückte offenbar auf mein Sprachzentrum. Wenn man anfing bei einer Ananas merkwürdige Dinge zu sagen oder Dinge merkwürdig zu sagen, war es besser, die jeweilige Übung abzubrechen. Ich drehte mich also schwungvoll wieder um und fing mich über Le Frog ab.
„Wow, wenn du auf den Boden plumpst, spürt man eine echte Erschütterung. Macht Drachenyoda eigentlich auch Spaß zu zweit?“, wollte Kai wissen.
Ich war dabei in die Ruhephase meines Trainings überzugehen und schlang mich in Die Schuppenrolle. Ich wusste nicht, ob ich wollte, dass Kai und ich zusammen die Ananasse durchführten. Für einen Menschen waren manche der Übungen aus anatomischen Gründen schlichtweg unmöglich. Außerdem bevorzugte ich grundsätzlich Ruhe, während ich eine Ananas nach der anderen vollführte. Balanceübung hin oder her.
„Mal sehen“, schnaufte ich in meinen Schwanz und verdichtete mich zur Schuppenflechte. „Du kannst ja mit ein paar leichten Übungen bei dir daheim anfangen und ausprobieren, wie es sich für dich anfühlt. Aber ich muss dich warnen, selbst die einfachen Ananasse sehen leichter aus, als sie sind. Man kann sich dabei durchaus verletzen, vor allem wenn man solo trainiert.“
Ich richtete mich wieder auf und stemmte zum Abschluss mit gleichmäßigen Atemzügen immer wieder meine Läufe in die Goldmünzen. Der Goldtritt verursacht mir jedes Mal aufs Neue eine befriedigende Genugtuung. Zum einen, weil ich dann meine Übung absolviert habe, zum anderen, weil es für einen Drachen fast nichts Schöneres gibt, als in Gold zu treten.
„Na gut, dann will ich mal wieder“, sagte Kai locker und begab sich zur Tür.
„Warte kurz.“ Leichtfüßig schwebte ich hinterher. „Es ist wichtig für den Erfolg der Ananasse, dass man eine Einheit mit innigen Schwingungen und der richtigen Übung abschließt. So ist der Trainingseffekt größer. Normalerweise benutze ich dafür etwas anderes, aber wenn ein weiteres Wesen anwesend ist, soll man dieses dafür nehmen. Also …“ ich beugte mich herab und breitete meine Vorderläufe aus. Kai machte große Augen.
„Heißt das, ich soll dich umarmen?“
„Bei unserem Größenunterschied werde ich eher dich umschließen, aber … ja“, stellte ich mit leichtem Singsang klar. In Kais Gesicht breitete sich ein großes Lächeln aus. Dann warf sie sich mir an den Brustpanzer. Ich schloss meine Vorderläufe vorsichtig um den kleinen Körper. Dabei konnte ich spüren, wie sie sich mit aller Kraft an mich drückte. Interessant war, dass ich eine merkwürdige Wärme in meinem Dracheninneren fühlen konnte, die bei dieser Übung sonst nicht aufkam. Offenbar machte es tatsächlich einen Unterschied, was man bei Das Juwel herzen umschlossen in den Klauen hielt.
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