Ich atmete einmal durch. Dann begann ich zu berichten:
„Also, alles fing damit an, dass ich mir eine Prinzessin rauben wollte. Du weißt, mir geht es eigentlich wieder gut. Bis auf die Sache mit meiner Magieenergie, da habe ich noch Defizite. Und da ein gelungenes Prinzessinnennapping einem Feendrachen einen ordentlichen Magieschub einbringt, bin ich losgeflogen und wollte mir eine rauben. Ich fand schnell ein Schloss in der mittleren Umgebung, kam im Sturzflug über die Bewohner und setzte mich dann brüllend und fauchend auf den höchsten Turm.
Alles lief gut. Bis zu dem Zeitpunkt, als ich den höchsten Turm, in dem ja bekanntlich immer alle Prinzessinnen untergebracht sind, öffnete.
Ich hob das Dach zur Seite und … was war ich erstaunt, die Prinzessin war nicht allein. Da war eine alte Frau bei ihr, die saß an einem Spinnrad. Offenbar hatten sich die beiden über Handarbeit unterhalten und ich platzte mit meiner Raubabsicht mitten in ihr Gespräch. Ich entschuldigte mich höflich, legte mein Anliegen dar und schnappte mir dann die schreckensbleiche Prinzessin. Doch irgendwas muss dabei schief gelaufen sein. Die Prinzessin hatte noch versucht, sich am Spinnrad festzuhalten, als ich sie mit mir nahm, doch das stellte natürlich keinerlei Hindernis für mich dar. Als ich bereits höher flog, hörte ich noch, wie die alte Frau triumphierend etwas von eben diesem Spinnrad kreischte und hysterisch lachte, achtete aber nicht weiter darauf. Der Flug selbst verlief ruhig, die Prinzessin war merkwürdig still. Doch ich dachte mir erstmal nichts dabei, denn die Damen fallen während des Rückfluges gerne mal in Ohnmacht. Das ist mir auch lieber, als die ganze Zeit ihr Gezeter anzuhören, oder, wenn sie nicht flugtauglich sind, mitkriegen zu müssen, wie sie ihre letzte Mahlzeit wieder von sich geben.
Wie dem auch sei, als ich bei meiner Höhle eintraf, erkannte ich die ganze Misere: Die Prinzessin schlief. Aber nicht so von wegen Ohnmacht oder Nickerchen, sondern richtig, richtig tief. Ich rüttelte und schüttelte, aber, da war nichts zu machen. Sie schlief einfach zu fest. Also trug ich sie erstmal in die Höhle und legte sie in mein Nest. Was hätte ich auch sonst tun sollen? Naja, und dann überlegte ich was ich machen konnte, weil so dauerschlafend nützt mir eine Prinzessin nun auch nichts. Daher schnappte ich mir meinen Zauberspiegel und befragte diesen. Nach verschiedenen Suchanfragen hatte ich herausgefunden, dass ich offenbar Dornröschen erwischt haben musste. Weil da eben auch etwas von einer Spinnradspindel stand. Das hab ich aber nicht so ganz verstanden. Jedenfalls dachte ich, vielleicht war es das, was mir die Alte hinterhergeschrien hatte. Vielleicht sollte Dornröschen ihr Spinnrad mitnehmen, denn ohne fällt sie in einen tiefen Zauberschlaf. Keine Ahnung, wer versteht schon, was mit den Märchenfiguren von heute los ist. Tja und da hab ich eben via Express Spinnräder geordert und weil ich mir nicht sicher war, welches Modell Dornröschen benötigt, hab ich gleich alle derzeit verfügbaren Modelle bestellt.
Die Spinnräder wurden ruckzuck geliefert, aber als sie dann da waren, hat das auch nichts gebracht. Dornröschen wachte nicht auf. Ich hab dann nochmal nachgelesen und da war auch die Rede von einem Prinzen. ‚Ja klar‘, dachte ich bei mir, ‚der muss schon vorbeikommen und Dornröschen retten. Den brauchen wir schließlich beide.‘ Aber dann stand da auch was von 100 Jahren Wartezeit. Und das geht ja nun mal gar nicht! Ich kann doch jetzt nicht hundert Jahre warten, bis sich ein blaublütiger Geselle auf schimmeligen Gaul hierher verirrt. Also beschloss ich die Sache abzukürzen. Ich bin während meiner weiteren Zauberspiegelsuche auch über die ‚R.A.P. - Rent a Prince‘-Oberfläche gestolpert. Dort versprach man, via Sieben-Meilen-Stiefel-Kurierdienst den Prinzen noch am selben Tag vorbeizuschicken. Das war gestern und hat auch geklappt. Der Prinz hat sich noch am Abend bei mir abgegeben. Ich habe ihm gesagt, er muss die Prinzessin küssen, was er auch getan hat. Aber auch das hat nichts genützt. Sie schlief einfach weiter. Wir haben dann beschlossen, es heute im Verlauf des Tages weiter zu probieren, weil der Prinz die Idee hatte, dass es auch am Zeitpunkt liegen könnte. Also blieb er über Nacht und hat den Kussdienst bisher zu jeder vollen Stunde ausgeführt. Da muss ich dann zwar einen Aufschlag bezahlen, aber was tut man nicht alles für die Magieenergie.
Trotzdem wollte ich mich heute nicht mehr nur auf die Knutschnummer verlassen. Deswegen habe ich nochmal den Zauberspiegel benutzt, um herauszufinden, was man sonst noch tun könnte, um Prinzessinnen aufzuwecken. Und da habe ich zufällig bei den Amazonen gesehen, dass die spezielle Kissen mit eingebauten Aufweckzaubern anbieten, die garantiert jedes Phantasiegeschöpf aus jedweder interdimensionalen Tiefschlafphase reißen. Das habe ich, nochmal als Expresslieferung, bestellt und seitdem warte ich auf den Postboten, damit er mir dieses Kissen bringt. Das ist die ganze Geschichte.“
Als ich meinen Bericht beendet hatte, sagte Kai eine Zeitlang gar nichts. Auch Klüpfel, der sich dazugestellt und die Erzählung mitangehört hatte, sowie die sieben Zwerge und selbst die Wollmäuse blickten mich stumm und mit unbestimmbaren Blick an. Nur hin und wieder hörte man ein Glucksen von Schneewittchen und dem Prinzen, die hinter dem Spinnradhaufen miteinander turtelten.
Irgendwann hielt ich die vielen Blicke nicht mehr aus.
„Ja, was ist denn nun? Warum seht ihr mich alle so an?“
„Dein Ernst?“, fragte Klüpfel.
„Ich weiß, ich weiß“, grummelte ich sauer. „Das ist nicht so gelaufen, wie es hätte laufen sollen. Glaubt mir, mir gefällt das auch nicht. Normalerweise gehe ich beim Prinzessinnennapping professioneller vor. Sowas ist mir bisher noch nicht passiert.“
Wieder schwiegen alle betreten.
„Du solltest doch auf mich warten“, meinte Kai dann leise. „Ich wollte gerne dabei sein, wenn du die Prinzessin holst.“
Ich schnaufte.
„Ja, ich weiß. Aber ich konnte nicht mehr warten. Es … es tut mir leid“, sagte ich dann einsichtig.
Kai nickte kurz mit dem Kopf, sie sah traurig aus. Dann holte sie etwas aus einer kleinen Tasche ihres Kleides hervor.
„Hier.“ Kai hielt mir einen Rubin entgegen. „Das ist der Stein, den du mir das vorletzte Weihnachten geschenkt hast. Ich wollte ihn dir ausleihen. Letztes Mal hast du erwähnt, dass neue Juwelen deine Magieenergie auffüllen können. Der Stein ist zwar nicht neu, aber ich dachte, vielleicht, weil er so lange weg von dir war, hilft er dir trotzdem.“
Ich sah zuerst den Rubin und dann Kai an.
„Das ist … sehr nett von dir und ich … “, begann ich, wurde aber jäh unterbrochen. Zum zweiten Mal an diesem Tag krachte es laut. Ich fuhr herum. „Wo ist dieser vermaledeite Nager? Oh nein, meine Schatzkammer!“
Die Tür stand offen. Hatte ich etwa vergessen, sie zu schließen? Aber nein, es war viel schlimmer. Da war ein großes Loch wo eigentlich hätte das Schloss sein müssen. Diese Nervensäge von einem Säbelzahnbiber hatte offenbar das Holz um das Schloss herum herausgefräst. Und die halbe Tür gleich mit.
„Das reicht“, posaunte ich wütend und stapfte Richtung Schatzkammer. „Jetzt mache ich aus dem penetranten Vieh Säbelzahnburger und eine Biberfellmütze.“
„Moment“, rief Kai, rannte an mir vorbei und stellte sich in den Weg. Ich stoppte unwillig.
„Ich werde Stella holen“, sprach Kai und winkte Klüpfel heran, damit dieser Kais Platz einnehmen sollte. Doch ehe der bei Kai angelangt war, waren bereits die sieben Zwerge zur Stelle. Sie bildeten eine Zwergenpyramide, um mich, symbolisch wohlgemerkt, am Weitergehen zu hindern. Kai rannte währenddessen in die Schatzkammer und war keine halbe Minute später wieder draußen. Stella folgte ihr in kleinen Trippelschritten.
„Es tut Stella leid …“, begann Kai.
„Spar dir das! Was zu viel ist, ist zu viel“, meinte ich entschlossen. „Geh zur Seite! Jetzt gibt es gebratenen Biber am Stück!“
Ich feuerte bereits meinen inneren Flammenwerfer an, da hob Kai beide Arme in die Luft und fuchtelte mit diesen herum. Sie hielt etwas in der einen Hand. Ich löschte die Zündflamme wieder.
„Ich sagte, du sollst weggehen. Ich werd den Biber grillen.“
„Warte doch mal! Ich hab hier etwas, was vielleicht das Schlafproblem der Prinzessin lösen könne.“
Und sie streckte mir mit der einen Hand die blecherne Schrottlampe entgegen, während sie mit der anderen Hand Stella ein Zeichen gab, sich zu Klüpfel zu verziehen.
„Die Wunderlampe“, setzte Kai mit einem hoffnungsvollen Gesichtsausdruck hinterher und stellte sich zwischen Stella, Klüpfel und mich. „Ich hab mich dran erinnert, dass du sie auf deinem Galerie-Gerümpelhaufen abgelegt hattest.“
„Die funktioniert nicht“, meinte ich knapp. „Aus dem Weg.“
„Du hast es noch nicht probiert“, erwiderte Kai.
„Und das werd ich auch nicht. Weg da.“
„Wenn du es nicht versuchst, weißt du nicht ob es klappt.“
„Ist mir egal. Ich will jetzt Biber.“
„Erst wenn du die Lampe gerieben hast.“ Kai blieb hartnäckig.
„Ich werd hier gar nichts reiben.“ Ich konnte auch hartnäckig sein. „Außer vielleicht dem Satansbiber eine Abreibung verpassen.“
„Biiiiitte.“ Kai klimperte mit den Augen und sah mich herzzerreißend an.
Ach, was soll ich sagen … Wir Feendrachen haben eine harte Schale, zumindest am Bauch, aber ja, ja, ja, wir können auch ein verdammt weiches Herz haben. Und Kai hatte sowieso einen Freibrief für alles bei mir. Das hatte ich im Laufe der Zeit, die wir zusammen miteinander verbracht hatten, bereits mehr als einmal gemerkt.
„Na gut, aber nur ein Versuch“, fauchte ich verärgert und riss Kai die Lampe mit einer Kralle aus der Hand. „Und nur, weil du es bist.“
Kai lächelte mich glücklich an.
Ich grummelte, während ich versuchte, die winzige Morgenlandleuchte mit meiner Klaue zu berühren, ohne sie zu zerquetschen.
Und, was soll ich sagen, es geschah etwas.
Kaum hatte ich angefangen zu reiben, quoll aus der Lampe ein Nebel hervor und merkwürdige, klimpernde Geräusche erklangen. Nach kurzer Zeit waberte der Nebel meinen Höhlenboden zu. Da drehte sich ein merkwürdiges Wesen aus dem Dampf hervor. Das Klimpern erlosch.
„Es klappt“, meinte Kai und hüpfte vor Freude auf der Stelle, „ein echter Geist.“
„Natürlich bin ich ein echter Geist“, sagte der echte Geist, hustete leicht und fächelte um sich herum. „Was habt ihr denn erwartet, wenn ihr an einer Wunderlampe reibt. Uff, dieser ganze Rauch jedes Mal.“
Kai sah mich triumphierend an. Ich tat so, als würde ich den Blick nicht sehen, sondern richtete meine Aufmerksamkeit auf das wabernde Gebilde vor mir.
„Du bist also ein echter Flaschengeist?“
Ich zeigte meine Skepsis unverblümt.
„Eigentlich bin ich der Geist der Wunderlampe“, gab der nun Wunderlampengeist gelangweilt zurück. „Flaschengeist, Dschinn, etc. nennt man unsereins zwar auch. Aber wenn man es genau nimmt, und das tue ich gerne, denn das ist eines meiner Prinzipien, werden wir nach unserer Behausung bezeichnet. Und da ich in einer Wunderlampe lebe, bin ich eben der Geist der Wunderlampe. Ist doch klar.“
„Klar“, machte Kai fröhlich.
„Klar“, wiederholte ich monoton. Der nebelhafte Typ kam mir schon jetzt nebulös vor.
„Ich möchte das hier möglichst schnell hinter mich bringen, denn ich hab gerade einen Kuchen in den Backofen geschoben und außerdem hab ich eine leichte Zwergenallergie“, fuhr der Geist fort und schniefte einmal kurz, während er argwöhnisch Schneewittchens Zipfeltruppe betrachtete. „Du hast an der Wunderlampe gerieben, ich bin erschienen und jetzt hast du einen Wunsch frei, den ich dir, in den allermeisten Fällen, erfüllen werde. Also, was ist dein Wunsch?“
„Herr Wunderlampengeist, ich habe ein Frage“, meldete sich Kai.
„Bitte mein Kind“, wandte sich der Geist gönnerhaft an Kai.
„Sind es nicht eher drei Wünsche?“
„Ach ja, diese Sache“, meinte der Geist und schnäuzte sich geräuschvoll in ein Rauchtaschentuch. „Du musst wissen, wie bereits erwähnt, ich habe meine Prinzipien. Sehr oft denken die Leute nicht darüber nach, was Sie sich wirklich wünschen und weil sie früher drei Wünsche frei hatten, haben sie sich sehr oft zweimal was Belangloses gewünscht, was obendrein genauso oft für Ärger gesorgt hat. Erst beim dritten Wunsch haben sie sich dann für etwas entschieden, das ihnen wirklich wichtig ist. Seit dem mir das klar geworden ist, erfülle ich jedem, der meine Lampe erhält und sie reibt, nur noch einen Wunsch. Das spart den Leuten Ärger und mir Zeit.“
„Verstehe“, sagte Kai. Dann wandte sie sich an mich. „Und, was wünschst du dir jetzt?“
Ich sah Kai an, dann den Geist, dann wieder Kai, dann blickte ich in Richtung meines Goldmünzennestes, dann sah ich Kai wieder an. Ich wollte gerade mit Sprechen anheben, da unterbrach mich der Geist.
„Bevor ich‘s vergesse: Pass bitte bei deiner Formulierung auf! Manchmal achten die Leute nicht darauf, wie sie etwas sagen, und dann sprechen sie zwei Wünsche in einem Satz aus. Wenn das geschieht, verfällt dein Anspruch auf einen Wunsch. Das letzte Mal, dass das beinahe passiert ist, ist noch gar nicht so lange her.“
Ich legte den Kopf schief und grübelte. Was genau sollte ich mir also wünschen? Sollte ich mir direkt meine Magieenergie zurückwünschen oder dass Dornröschen aufwacht, der richtige Prinz vorbeikommt und sich nach einem Schaukampf meine Magieenergie erholt?
„Darf ich vorher fragen, was besser oder überhaupt erfüllbar ist?“, eierte ich vorsichtig herum.
„Natürlich“, antwortete der Geist gelassen, setzte sich in die Luft und nestele mit dem Tuch an der Nase herum. „Das ist eine Option, die dir selbstverständlich zur Verfügung steht. Es ist bedauerlich, dass so gut wie niemals jemand davon Gebrauch macht. Aber bitte, beeil dich.“
„Mir fehlt derzeit einiges von meiner Magieenergie“, begann ich zögerlich. Ich musste aufpassen, dass ich nicht aus Versehen einen Wunsch aussprach. „Und das ist nicht schön, denn die Magie soll eigentlich immer gut gefüllt sein. Kannst du mir solch einen Magie-Auffüll-Wunsch erfüllen?“
„Nein“, antwortete der Geist geradeaus. „Zumindest nicht direkt. Krankheiten, Probleme und ähnliches zaubere ich grundsätzlich nicht weg. Ich habe meine Prinzipien.“
„Das verstehe ich nicht. Warum zauberst du keine Probleme weg?“ Klüpfel betonte langatmig Silbe für Silbe. Am Ende war der Geist fast eingenickt.
„Äh, was“, stammelte er und schniefte erneut. „Ach so, du hast ausgesprochen. Ja also, wenn ich deine Frage richtig mitbekommen habe, lautet die Antwort: Weil es zu schwerwiegenden Folgen im Leben des Wunschstellers kommen kann, wenn ich dessen Schwierigkeiten einfach mit einem Fingerschnippen löse. Und im Leben der Lebewesen um den Wunschsteller herum. Und im Raum-Zeit-Kontinuum, aber das ist noch eine ganz andere Baustelle und braucht euch nicht zu kümmern. Für euch ist nur wichtig zu wissen, dass es fast immer größere Probleme bis hin zu ausgemachten Katastrophen nach sich zieht, wenn ich sowas mache. Wenn ich also beispielsweise dir …“ hier deutete der Geist auf mich „… ohne weiteres deine Magieenergie zurückgeben würde.“
Damit fiel eine Möglichkeit also bereits raus. Doch ich wollte auf Nummer sicher gehen, denn das eben Gehörte, klang nach einem Haken für meinen Wunsch.
„Die Prinzessin Dornröschen schläft dort drüben. Wenn sie wach wäre und ein Prinz vorbeikäme, um sie vor mir zu retten, bekäme ich meine Magieenergie zurück. Kannst du sie aufwecken?“
„Dornröschen?“ Der Wunderlampengeist flog etwas höher, um über den Spinnradhaufen einen Blick auf die schlafende Prinzessin zu werfen. Dann sank er wieder hinab. „Ah, leider nein. Ihr Schicksal ist nun mal, dass wenn sie sich einmal an einer Spindel gestochen hat, einzuschlafen und erst nach langer Zeit von einem Kuss wieder geweckt zu werden.“
„Und wenn du dir einfach einen ganzen Haufen neuer Juwelen wünschst?“, wandte sich Kai an mich. „Das müsste dir doch auch einen Teil deiner Magieenergie zurückgeben.“
„Das schon …“, sprach ich und schaute dabei in Richtung Dornröschen. Ich fühlte mich nicht gut. Die junge Dame hatte sich an der Spinnradspindel der alten Vettel gestochen, weil sie sich vor mir erschreckt hatte. Normalerweise passierte der Prinzessin bei einem ordentlich durchgeführten Prinzessinnennapping nichts. Dieser Vorfall war mir äußerst unangenehm.
„Juwelen, Schätze und dergleichen sind überhaupt kein Problem. Vor allem, da du sowieso schon eine Schatzkammer voll davon hast und es eigentlich egal ist“, sprach der Wunderlampengeist, verschränkte die Finger ineinander und ließ sie knacken. „Also, soll es das sein? Ein neuer Schatz?“
„Es war meine Schuld, dass sich Dornröschen gestochen hat“, sagte ich, ohne meine Augen von der schlafenden Prinzessin zu nehmen. „Ich möchte es wieder gut wünschen.“
„Aber“, meinte Kai, „sie hätte sich doch so oder so an der Spindel gestochen. Das ist schließlich Dornröschens Geschichte.“
„Das weiß man nicht mit Sicherheit“, erklärte der Geist und tupfte mit dem Tuch um seine Nase herum. „Es stimmt, wenn sie sich einmal gestochen hat, dann ist sie dazu verflucht, einen Zauberschlaf zu schlafen. Aber, sie hätte sich auch anders entscheiden können und nicht nach dem Spinnrad greifen müssen. Dann wäre sie jetzt noch wach.“
Alle schwiegen.
Die Stille wurde so laut, dass selbst Schneewittchen und der gemietete Prinz irgendwann neugierig hinter dem Spinnradhaufen hervorlugten.
„Was ist denn hier los? Die ganze Zeit herrscht ein beständiges Hintergrundrauschen und nun ist es plötzlich mucksmäuschenstill“, meinte Schneewittchen und sah sich um. „Wer ist der Kerl mit dem Dampf unterm Hintern?“
„Meine Dame“, schniefte der Geist, „ich darf doch um etwas mehr Contenance bitten.“
„Die hat mir im Leben wenig weitergeholfen“, konterte Schneewittchen ohne mit den schönen Wimpern zu zucken.
„Ich habe einen Wunsch bei diesem Wunderlampengeist frei und überlege, was ich damit anfangen soll“, erklärte ich, um einer langen Diskussion vorzubeugen. Dann überlegte ich weiter.
„Was gibt es da zu überlegen? “, fragte Klüpfel so langsam wie immer.
„Bei meinem Nebel“, sprach der Geist gähnend zu dem Zyklopen und sah auf seine Sanduhr am Handgelenk. „Wenn du mich gefunden und einen Wunsch frei hättest, würde ich dir empfehlen, eine schnellere Sprechgeschwindigkeit zu wünschen. 50 Prozent würden locker genügen.“
Verwundert blickte ich den Geist an.
„Das geht? Ich denke, man kann sich keine Probleme wegwünschen?“
Der Wunderlampengeist zuckte mit den halbdurchsichtigen Schultern.
„Wegwünschen geht auch nicht. Aber es war nie die Rede davon, dass ich sie nicht abmildern kann.“
„Ach so“, meinte Kai und zeigte in Richtung Nest, „wie bei Dornröschen. Da hat die zwölfte Fee ja auch den Fluch der dreizehnten Fee von Tod in Schlaf geändert.“
„Genau das“, sprach der Geist positiv überrascht. „Endlich mal jemand, der sich mit den Richtlinien auskennt.“
Ich hatte eine Idee.
„Wenn das so ist, kannst du den Schlaf von Dornröschen verkürzen?“
Der Geist dachte nach.
„Ja, das ist möglich.“
„Und um wie viele Jahre kannst du die Schlafzeit maximal verkürzen?“
„Hm … ohne Gegenleistung … auf 25 Jahre.“
„Was heißt ‚Ohne Gegenleistung’?“
„Das heißt, dass ich den Schlaf von Dornröschen auf 25 Jahre verkürzen kann, ohne dass der Wunschsteller etwas dafür geben muss“, erklärte der Geist und schniefte.
„Und wie weit könntest du den Schlaf verkürzen, wenn ich dir eine Gegenleistung dafür geben würde?“, fragte ich weiter. Ich witterte meine Gelegenheit.
„Das kommt drauf an. Vielleicht auf zehn oder fünf Jahre oder sogar ein Jahr. Vielleicht auf noch weniger. Aber das kann ich nicht versprechen, weil Wunsch-Gegenleistungen immer vom Wesen des Wunschstellers abhängig und selbst für uns Wunderlampengeister eine schwammige Sache sind.“
„Was wäre denn die Gegenleistung?“, fragte Kai.
„Das ist in diesem Fall relativ einfach“, antwortete der Geist. „Die Restschlafzeit muss vom Wunschsteller übernommen werden.“
Alle sahen den Geist an, als hätte er in einem unverständlichen Kauderwelsch gesprochen.
„Das heißt, ich müsste den Schlaf von Dornröschen zu Ende schlafen?“, dachte ich laut.
„So ist es“, bestätigte der Geist.
„Und dadurch würde Dornröschen aufwachen?“, hakte ich weiter nach.
„Genau.“ Der Geist fuhr in seiner Erklärung fort. „Sobald du den Wunsch ausgesprochen hast, bei dem du zugleich erwähnst, dass du den restlichen Zauberschlaf von Dornröschen übernimmst, wird die Prinzessin erwachen. Und du würdest ihren Platz einnehmen und die restliche Zeit schlafen. Wie lange das wäre … wer weiß? Es könnten nur ein paar Monate sein. Es könnten aber auch, wie gesagt, ein paar Jahre sein.“
Wieder breitete sich ein Schweigen in meiner Höhle aus.
„Gibt es da keine andere Möglichkeit?“, schaltete sich nun Schneewittchen ein und zeigte auf ihre Zwergenkumpels. „Ich denke an sowas wie die Gläserner-Sarg-Klausel.“
Der Wunderlampengeist beäugte die bärtigen Kerle argwöhnisch und putzte sich demonstrativ die Nase.
„Nein, ich trickse nicht, ich habe meine Prinzipien.“
Ich kratzte mich nachdenklich hinter der Ohrröhre, während ich das schlafende Dornröschen betrachtete. Wenn ich nichts unternahm, würde mir der misslungene Raub ewig nachhängen und meinem Image einen deutlichen Knacks versetzen. Bei meinem Ego war das sogar schon passiert. Ob das Kissen der Amazonen helfen würde, war ebenfalls ungewiss. Heutzutage wurde einem im Zauberspiegel alles Mögliche versprochen.
In diesem Moment trat Kai nah an mich heran und blickte zu mir herauf.
„Kein Schatz, oder?“, fragte sie leise.
Ich sah Kai an, wie sie mich ansah. Dann schüttelte ich kurz mit dem Kopf.
„Nein, kein Schatz.“
„Es geht nicht mehr um die Magieenergie“, stellte sie zaghaft fest.
„Das stimmt“, bestätigte ich.
Kai betrachtete mich lange und ich bemerkte, wie sich eine kleine Träne aus ihrem Augenwinkel herausstahl. Ich senkte meinen Kopf herab.
„Aber, aber“, versuchte ich sie zu trösten, „du wirst doch nicht wegen mir weinen. Ich schlafe doch nur.“
„Ich … ich … weine nicht“, meinte Kai tapfer und fuhr sich über das Gesicht.
Aus meinen Nüstern blies ich ihr meinen warmen Drachenatem über den Kopf.
„Huch, es glitzert “, machte Kai erstaunt.
„Natürlich“, sprach ich sanft. „Das ist nun mal so, wenn dich ein Feendrache mit seinem magischen Drachenatem anbläst.“
„Magischer Atem? Aber dann ist die Kleine ja jetzt …“, hob der Geist an, doch ich unterbrach ihn.
„ … bereit, damit ich mich schlafen legen und Dornröschen erwachen kann.“
Und um sicher zu gehen, schob ich noch ein kurzes Grollen hinterher. Der Geist hatte verstanden und schwieg. Kai würde schon selbst herausfinden, was es mit meinem magischen Atem auf sich hatte, dessen war ich mir feendrachensicher.
„Gut“, sagte ich dann an alle gewandt. „Ich werde gleich meinen Wunsch aussprechen und danach werde ich schlafen. Bitte erklärt Dornröschen, was geschehen ist und übermittelt ihr meine Entschuldigung.“
Es war entschieden.
So stapfte ich zu Dornröschen, hob sie heraus und legte sie in meinen Lesesessel. Danach kroch ich in mein Goldmünzennest. Der Wunderlampengeist folgte mir neben mein Nest. Schneewittchen, die sieben Zwerge, der gemietete Prinz, Klüpfel, Stella und natürlich Kai – alle hatten sich davor aufgestellt und sahen geknickt aus. Selbst der Säbelzahnbiber schien zu verstehen, dass sich etwas Wichtiges ereignen würde. Stella saß bedröppelt neben Klüpfel, der den Säbelzahnbiber beruhigend streichelte.
Kai schaute mich unmittelbar an. Ihr rannen die Tränen unaufhaltsam über die Wangen. Schneewittchen trat neben sie und drückte Kai schützend an sich.
„Ach Liebes, mach dir keine Sorgen. Ich kenne mich mit Zauberschlaf aus“, erklärte sie und sah dann mir in die Augen. „Es ist ein sehr angenehmer Schlaf. Man kann sich aussuchen, was man träumt.“
Ich zwinkerte ihr dankend zu. Nun wusste ich, dass Kai nicht allein sein würde, während ich schlief.
Klüpfel hob eine Hand zum Abschied und wischte sich mit der anderen ebenfalls Tränen aus seinem Auge. Und selbst Stella fing an, zusammen mit den Wollmäusen, leise zu fiepen. Die Zwerge winkten, nebeneinanderstehend, im selben Takt und der gemietete Prinz, dem man ansah, dass er keine Ahnung hatte, was eigentlich vor sich ging, winkte höflich mit.
„Geist der Wunderlampe, höre meinen Wunsch“, hob ich mit kraftvoller Feendrachenstimme an zu sprechen. „Ich wünsche, dass Dornröschen aus dem Zauberschlaf, dessen Rest ich übernehmen werde, erwacht.“
Der Wunderlampengeist nickte zur Bestätigung. Dann vollführte er mit seinen Händen einige geschmeidige Gesten und intonierte dazu einen magischen Spruch. Der Nebel, der ihn umgab, begann zu funkeln und zu klingen. Er flog zum schlafenden Dornröschen und hüllte die Prinzessin ein, die sich zu regen und gähnen begann. Danach waberte der magische Dunst zu mir herüber. Ich roch Himbeeren und Honig und Wald und Wolken als mich der Nebel vollständig umgab. Ich schmatzte genüsslich. Mein Körper entspannte sich von Herzschlag zu Herzschlag. Bereits aus weiter Ferne hörte ich, wie es am türlosen Höhleneingang klingelte. Ich wurde müder und immer müder, meine Augen wurden schwerer und immer schwerer.
Ich sah noch, wie Kai zu mir in mein Goldmünzennest kletterte und ihren Rubin neben meine Schnauze legte.
„Ich bleibe bei dir, bist du eingeschlafen bist“, flüsterte sie.
„Ich glaube …“, murmelte ich und atmete bereits tief, „… das möchte ich.“
Kai lächelte und drückte mir ein Küsschen auf.
„Schlaf schön.“
Das Letzte was ich hörte, bevor ich endgültig in den Zauberschlaf hinüberglitt, war der Postbote: „Hallo, ich habe hier eine Express-Lieferung für den Feendrachen. Würden Sie die entgegennehmen?“
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