Neues aus der Feendrachenhöhle 17 – Gute Vorsätze

   „Ist dir was peinlich?“, fragte Kai.
    Ich schaufelte mir zwei Fuhren Goldmünzen auf den empfindlichen Drachenbauch.
   „Nein“, gab ich ausweichend zurück, „aber du hast mich überrascht. Mit Zuschauern habe ich nicht gerechnet.“
   Dann kam mir ein Gedanke in den Sinn.
   „Was machst du überhaupt hier? Ich hab dich gar nicht klingeln gehört!“, meinte ich durchaus entrüstet.
   „Ach so das“, Kai winkte ab. „Ich hab geklingelt, aber als du nicht geöffnet hast, bin ich einfach reingekommen. Und dann hab ich so komische Geräusche gehört und gesehen, dass die Tür zu deiner Schatzkammer angelehnt war.“
   „Komische Geräusche?“, wiederholte ich skeptisch. „Ich hab gesungen.“
   „Das war Gesang?“, fragte Kai verblüfft zurück.
   „Natürlich war das Gesang“, meinte ich pikiert. „Wir Feendrachen sind bekannt dafür, dass wir eine sehr melodische Gesangsstimme haben.“
   „Für mich klang es eher wie Reib …“ fing Kai an, doch das interessierte mich nicht.
   „Ist mir egal“, fuhr ich dazwischen und wälzte mich mit einer eleganten Drachenrolle von meinem Goldberg herunter. „Wenn ich ein Goldbad nehme, dann singe ich eben.“
   „Naja, warum auch nicht“, erwiderte Kai und sah mir dabei zu, wie ich nach dem Klauentuch griff. Es hat die Größe eines Zwei-Mann-Zeltes, was ich sehr mag, da ich mich so vollständig einwickeln und abrubbeln kann.
   „Ähm …“, Kai blickte mich fragend an. „Aber du bist doch gar nicht nass? Wieso trocknest du dich denn ab?“
   „Ich trockne mich nicht ab, weil ich, wie du zurecht bemerkt hast, überhaupt nicht nass bin“, meinte ich belehrend. „Ich poliere mich, damit ich so schön glänze wie mein Gold und …“ in diesem Moment fiel klingend etwas zu Boden „sorge dafür, dass die Münzen, die sich unter meinen Drachenschuppen am Bauch versteckt haben, auch brav in meiner Schatzkammer bleiben.“
   „Ahhh“, meinte Kai gedehnt und tippte mit den Fingern gelangweilt auf dem Geländer herum.
   „Genau“, setzte ich nach und schüttelte mit der rechte Vorderkralle die letzten Münzen aus meiner Ohrröhre heraus. „So, fertig“, sagte ich dann und ging, das Klauentuch unter dem Vorderlauf geklemmt, zur Tür. Kai folgte mir. Kurz bevor wir den Raum verlassen hatten, fiel ihr noch etwas auf.
   „Huch, was ist das denn?“
   „Was meinst du?“
   „Na das hier, die Lampe“, sagte Kai und hielt mir eine alte Öllampe unter die Nase.
   „Ach die“, sagte ich und verdrehte halb die Augen. „Die hab ich da hingelegt, weil ich nicht wusste, was ich damit machen soll. Eigentlich kann die mit zu der Palland-Tier-Kugel.“
   „Aber wieso liegt die hier gleich am Eingang?“, hakte Kai weiter nach.
   „Weil ich zu faul war sie hinten auf den Gerümpelhaufen zu legen“, gab ich gleichermaßen gleichgültig wie ehrlich zurück. „Ich hab sie erst vor ein paar Tagen bekommen und noch nicht geschafft, sie auf den Müll zu schmeißen.“
   „Wie, du hast sie erst vor ein paar Tagen bekommen?“
   Kai ließ nicht locker. Da ich wusste, wie unnachgiebig sie sein konnte, rückte ich lieber gleich mit der ganzen Geschichte raus. Naja, der halben Geschichte.
   „Sie war ein Geschenk vom Weihnachtsmann.“
   „Was? Sowas kriegst du zu Weihnachten vom Weihnachtsmann geschenkt? Eine echte Alibaba-Wunderlampe?“
   Kai war hin und weg.
   „Ich kenne Alibaba nur vom Supermärchenmarkt und was es an diesem Stand zu völlig überteuerten Preisen zu kaufen gibt, verwundert mich tatsächlich. Aber ich sage dir, die Lampe ist wirklich nicht wunderbar. Die kann man nicht mal anzünden.“
   „Aber eine Wunderlampe zündet man doch nicht an“, meinte Kai aufgeregt, „die reibt man und da ist dann ein Geist drin, der einem drei Wünsche erfüllt. Hast du sie schon mal gerieben?“
   „Hier wird nichts gerieben“, sagte ich, nahm Kai die Wunderlampe aus der Hand, stapfte genervt zum Gerümpelhaufen am Ende der Galerie und warf die olle Funzel scheppernd oben drauf. „Das reibt mir höchstens die Nerven auf.“
   „Du bist heute etwas empfindlich“, bemerkte Kai. „Was ist denn los?“
   „Was soll schon los sein, es ist alles fest“, grummelte ich und betrat endlich meine Haupthöhle. Ich wartete bis Kai ebenfalls über die Schwelle geschritten war und knallte die Tür dann mit voller Wucht zu. „Das hätten wir.“
   „Du meine Güte“, bemerkte Kai leise.
   Ich tat so, als ob ich nichts gehört hatte und brachte mein Klauentuch zurück in die Haushaltsalmerei. Dann holte ich mir aus dem Küchenabschnitt ein Stück rohes Fleisch und begann gelangweilt darauf rumzukauen.
   Kai sah mich skeptisch an.
   „Seit wann isst du denn freiwillig rohes Fleisch?“
   „Seitdem ich mir vorgenommen habe, besser auf meine Linie zu achten. Mein Bluthochdruck, du weißt schon … ich hab in letzter Zeit einfach zu viel Gemüse gegessen und bin zu viel geflogen und nun ist mein Bluthochdruck zum Blutniedrigdruck geworden.“
   „Aha, jetzt verstehe ich was mit dir los ist!“, sprach Kai lächelnd und trat an mich heran. „Du hast einen guten Vorsatz fürs neue Jahr gefasst. Du machst quasi eine Diät und deshalb bist du schlecht gelaunt.“
   Mit gerunzelter Stirn hielt ich im Kauen inne und würgte den zähen Bissen herunter. Ich verzog kurz die Drachenschnauze.
   „Wenn du es so ausdrücken musst. Aber FDH-konform ist das garantiert nicht, eher FDP … Friss dich primitiv … wähhh …“ Ich legte das Stück Fleisch zurück und schlurfte lustlos zu meinem Sessel. Frustriert ließ ich mich hineinplumpsen. Kai kam zu mir und legte mitfühlend ihre Hand auf meine Vorderklaue.
   „Armer, armer Feendrache“, sagte sie und lächelte mich tröstend an. „Aber es ist gut, wenn man sich Ziele setzt, vor allem, wenn die mit der Gesundheit zu tun haben. Und ein Jahreswechsel ist sehr geeignet, um mal was in seinem Leben zu ändern.“
  „Ich will aber nichts ändern. Ich fand alles gut so wie es war“, maulte ich und seufzte schwer. „Aber naja, wenn der Feuerdruck nachlässt oder die magische Kraft, dann muss ich eben handeln. Ich habe mir auch noch eine zweite Sache vorgenommen.“
   „Moment“, sagte Kai. „Deine magische Kraft kann nachlassen?“
   Ich zuckte mit den Achseln.
   „Ja, das kann schon passieren“, erklärte ich. „Feendrachen müssen von Zeit zu Zeit ihre Magie sozusagen aufladen. Normalerweise reicht es dann, wenn wir ein ausgedehntes Goldbad nehmen. Aber es kann auch vorkommen, dass das nicht genügt, vor allem wenn man zu viel Energie auf einmal verbraucht hat. Weil man beispielsweise zu viel geflogen ist oder so.“
   „Bist du denn viel geflogen?“, fragte Kai. „Jetzt ist doch Winter.“
   Ich wollte mich nicht verplappern. Kai sollte auf keinen Fall erfahren, was ich in der  Weihnachtsnacht gemacht hatte. Es war noch sehr viel anstrengender, um die winterliche Welt zu fliegen, als ich bisher angenommen hatte. Nicht nur das Fliegen selbst hatte jede Menge Kraft gekostet. Auch die magischen Sphären, die ich ständig hatte bilden müssen, damit ich in den Schneestürmen überhaupt etwas erkennen konnte, hatten meinen Magievorrat arg beansprucht.*
   „Nun, etwas mehr als sonst zu dieser Jahreszeit“, gab ich ausweichend zu. „Aber wie gesagt, die Sache mit dem rohen Fleisch ist ja nur eine Maßnahme, die ich ergreife, um mehr zu leben wie es meiner ursprünglichen Drachennatur entspricht.“
   „Und die andere wäre?“
   Kai blickte mich mit großen Augen an.
   „Ich habe mir vorgenommen mehr zu rauben“, sagte ich durchaus stolz.
   Dazu sagte Kai nichts. Ich hatte mit etwas mehr Begeisterung gerechnet.
   „Also so richtig mit: Dies ist ein Burgüberfall, rückt die Prinzessin raus und niemandem, außer den Rittern, wird etwas geschehen …“, fuhr ich eifrig fort. Ich hoffte bei Kai ein wenig Aufregung herauszukitzeln.
   „Wäre das dann eine Prinzessin wie Schneewittchen oder Rapunzel?“, fragte sie stattdessen ruhig nach.
    „Naja“, gab ich zögerlich zurück. „Beides?“
   Kai wandte sich der Tür zu.
   „Und das hast du dir gut überlegt?“, fragte sie dann.
   „Wieso nicht?“, fragte ich zurück. „Mein letztes Prinzessinnennapping ist nun schon etwas her. Ich glaube das war sogar Rapunzel, die ich entführen wollte. Aber das hat nicht recht geklappt, ich war schon damals nicht besonders gut in Form. Es wird Zeit, dass ich nicht mehr nur meine Lederhaut, sondern auch mein Drachenimage aufpoliere.“
   „Wenn du meinst.“
   Kai klang komisch während sie zur Tür ging. Ich stand auf und folgte ihr.
   „Was ist denn jetzt mit dir los?“, fragte ich verunsichert.
   Kai blieb stehen und schaute an mir herauf.
   „Und was geschieht dann, wenn du die Prinzessin entführt hast?“
   „Naja“, sagte ich achselzuckend. „Normalerweise setze ich sie zuerst auf meinen Schatz. Da muss sie dann eine Weile hocken. Irgendwann hole ich sie zu mir hierher hoch. Ich kann sie ja nicht ewig dort unten lassen. Wir warten dann gemeinsam auf ihre Rettung. Bis dahin vertreiben wir uns die Zeit mit kochen, reden und dergleichen. Das kann von ein paar Stunden bis zu ein paar Tagen dauern. Wenn dann der jeweilige Held oder die jeweilige Heldin kommt, kämpfen wir ein bisschen miteinander, die Prinzessin ruft ihr „Zu Hülf, zu Hülf“ und nach ein, zwei dramatischen Attacken, sterbe ich den Drachentod. Danach bin ich immer fix und alle.“
   „Hab ich mir gedacht“, antwortete Kai leise, öffnete die Tür. „Und bist du dann wirklich tot?“
   „Was? Nein“, wehrte ich ab. „Ich tue doch nur so. Das ist immer ein Showkampf musst du wissen. Wir Feendrachen stehen unter Phantasieschutz. Wir dürfen nicht wirklich verletzt oder gar getötet werden, jedenfalls nicht mehr. Weil es nur noch so wenige von uns gibt. Aber so ein Prinzessinnenraub kann den magischen Energiehaushalt durchaus positiv beeinflussen.“
   „Uff, dann ist ja gut“, strahlte Kai mich erleichtert an. „Ich dachte schon dir tut wirklich jemand weh.“
   „Aber nicht doch“, ich schüttelte nochmals den Kopf. „Mich haut so schnell nichts und niemand um. Nur bin ich nach so einer Aktion meist insgesamt durchgeleiert, weil Prinzessinnen häufig an einem Stück quatschen. Das macht mich wirklich fertig.“
   „Sag mir Bescheid, wenn es losgeht“, sagte Kai vergnügt und winkte zum Abschied. „Ich würde die Prinzessin dann auch gerne kennenlernen.“
   Ich winkte zurück bist Kai am Horizont verschwunden war. Als ich die Tür wieder schließen wollte, kitzelte mich etwas in der Nase und ich musste verhalten niesen. Danach schniefte ich einmal kurz und sah aus dem Augenwinkel etwas zu meinen Füßen blinken. Verwundert blickte ich auf den Boden. Zuerst glaubte ich, da läge eine Goldmünze, die vielleicht doch noch irgendwo gesteckt und sich durch den Nieser gelockert hatte. Doch das war es nicht. Es war eine Schuppe, die sich von meinem Bauch gelöst hatte.  

  *Für alle, die erfahren wollen, warum der Feendrache ausgerechnet in der Weihnachtsnacht um die Welt geflogen ist: siehe Geschichte Nr. 24 „Der geniale Höhepunkt“ vom Adventskalender 2022

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