Neues aus der Feendrachenhöhle 13 – Sommer, Sonne, spitze Zipfel Teil 2

Wie ich zurecht befürchtet hatte, handelte es sich dabei um Schneewittchens sieben Zwerge. Und Schneewittchen selbst. Außerdem hatte sie noch eine Prinzessinkollegin mitgebracht. Es war die Dame, die Kai und ich erst vor kurzem beim Einkaufen getroffen hatten.
   „Ach, das ist ja wirklich reizend hier“, sagte das Turmmodel, nachdem es Kai und mir die Hand geschüttelt hatte. „Der Wald, der Fluss, der ganze Dreck hier – wie urig.“
   „Das ist Erde, meine liebe Rapunzel“, erklärte Schneewittchen. „In der Natur ist das so. Da liegt überall was rum, ist aber alles bio.“
   „Aha“, machte Rapunzel, schüttelte ungläubig die blonde Wallemähne und sah sich neugierig weiter um.
   „Sie ist noch nicht allzu viel herumgekommen“, entschuldigte sich Schneewittchen bei uns mit einem Rot-wie-Blut-Lächeln. „Wir haben uns kürzlich in der Selbsthilfegruppe für alte Jungfern kennengelernt und verstehen uns prächtig. Und als die Einladung von Klüpfel zum Sommerfest kam, dachte ich, es wäre eine gute Idee, sie mitzubringen. Vor allem da sie erzählte, ihr würdet euch schon kennen.“
   „Ja, wir haben uns letztens in der Stadt getroffen und ein kurzes Schwätzchen miteinander gehalten“, sprach ich. „Außerdem habe ich sie schon mal vor Jahren bei einem Burgüberfall …“
   „He, he, he“, rief Schneewittchen ihre Truppe zurecht. „Ihr hört sofort auf damit, euch mit den Instrumenten zu ärgern! Rumpf, du holst Stumpf sofort aus der Tuba raus! Und Black und Decker, werdet ihr Ping wohl vom Teekistenbass losbinden.“
   Und schon war Schneewittchen im Zwergenhaufen und sortierte ihre Wichtel. Kai lächelte mich verschmitzt an, während ich die Augen verdrehte.
   „Wo kann ich den Feldsalat hinstellen?“, erkundigte sich Rapunzel. Sie streckte uns eine größere Holzschüssel entgegen.
   „Du hast etwas zu essen dabei? Das ist aber nett von dir“, sagte Kai.
   „Naja“, Rapunzel lächelte freundlich. „Schneewittchen meinte, es wäre eine Mitbringparty.“
   „Ja, wir haben auch noch Bouletten, Brot und Boskoop-Apfelkuchen“, sprach Schneewittchen, die sich den Zwergenschmutz von der Latzhose klopfte. Sie hatte ihre Truppe soweit auf Spur gebracht, dass alle in Reih und Glied mit ihren Instrumenten standen und sich nur hin und wieder mit den Ellenbogen in die Seite knufften.
   „Klüpfel ist zum Bauhaus zurück und holt ebenfalls noch etwas zu essen“, erläuterte Kai. „Das Beste wird sein, wenn wir den langen Klapptisch dort drüben neben dem Höhleneingang aufbauen.“
   „Das übernehme ich“, sagte ich, ging zu dem Rest des abgeladenen Holzhaufens und zog den Klapptisch hervor. Dann positionierte ich ihn unter dem Fenster.
   „Es ist wirklich schön geworden“, lobte Rapunzel, als sie die Salatschüssel abstellte. „Die kleine Bühne dort zwischen den Bäumen, überall flattern die Wimpel in den Ästen und dazwischen noch die Lampions.“
   „Aber das hatte ich dir ja gesagt, dass sie wissen, wie man feiert“, sagte Schneewittchen zu Rapunzel. „Fehlen nur noch die Stühle, da können meine Jungs mit anpacken. Zwerge!“
   Rapunzel, Kai, ich und die Zwerge gingen in Hab-Acht-Stellung.
   „Instrumente ablegen und Klappstühle in ordentlicher Formation aufstellen. Hopp, hopp!“, kommandierte Schneewittchen und die Wichtel gehorchten augenblicklich. Der Bretterhaufen hatte sich im Nu aufgelöst, dafür stand ein gutes Dutzend Stühle vor der Bühne.
   „Danke. Jetzt brauchen wir eigentlich nur noch Holz für das Feuer“, meinte Kai und sah sich suchend auf dem Boden um.
   „Kein Problem“, sagte Schneewittchen. „Jungs! Ausschwärmen und Feuerholz sammeln! Ich will hier einen schönen großen Haufen haben.“
   Kaum hatte Schneewittchen die Anweisung gegeben, waren die Zwerge auch schon im Dickicht verschwunden. Schneller als ich gucken konnte, kamen sie zurück und stapelten einen beeindruckenden Holzhaufen auf. Eine ungute Erinnerung an einen brennenden Weihnachtsbaum wollte sich mir vor mein inneres Auge schieben. Ich schob sie mit einem kurzen Kopfschütteln zurück in mein Gedächtnis.
   „Reicht das, Liebes?“, fragte Schneewittchen. Der Holzstapel hatte eine beeindruckende Höhe angenommen.
   „Ja, vielen Dank dafür“, sagte Kai. „Sobald Klüpfel zurück ist, kann es eigentlich losgehen.“
   „Sind das dann alle?“, fragte ich vorsichtig nach.
   „Ich denke ja“, antwortete Kai. „Klüpfel erwähnte, er wollte ursprünglich auch den Elfen eine Einladung in den Briefkasten werfen. Aber der war unsichtbar. Naja, und das Nashorn wollte ihn nicht hinter den Zaun lassen.“
   „Nashorn?“ Rapunzel wirkte irritiert.
   „Das ist wie ein Einhorn, nur dicker und es trägt das Horn auf dem Maul“, erklärte Schneewittchen. Rapunzel sah nicht klüger aus.
   In diesem Moment rumpelte Klüpfel über die Brücke zurück, seine Ex-Klingel kündigte ihn lauthals an. Stella zappelte aufgeregt um Klüpfel und die Schlitten-Schubkarre herum. Als Klüpfel bei uns angelangt war, sahen wir den Grund für die Aufregung des Säbelzahnbibers. Klüpfel hatte mehrere Platten und Töpfe mit buntem Futter beladen. Obst und Gemüse, Käse und Wurst, sogar verschiedene Dips gab es.
   „Klüpfel, wann hast du das denn vorbereitet? Du hast doch die ganze Zeit über gehämmert“, sagte ich verwundert. Doch Klüpfel lächelte nur, während er nach einem Teller mit Sandwiches griff. Alle anderen halfen beim Entladen und als Klüpfel seinen Teller auf dem Buffettisch abgestellt hatte, war die Schlitten-Schubkarre leer.
   „Dann können wir starten, oder?“, fragte Schneewittchen in die Runde. Sie bekam ein zustimmendes Murmeln zurück. „Also Jungs, ihr seid dran. Ich möchte eine flotte Jazz-Polka zum Auftakt hören.“
   Kaum hatte Schneewittchen zuende gesprochen, hatten sich die Zwerge ihre Instrumente geschnappt, waren auf die Bühne gezogen und legten sofort los. Vorsorglich hielt ich mir die Ohren zu. Doch zu meinem Erstaunen klang die Musik tatsächlich annehmbar. Solange niemand singen würde, war die Möglichkeit, dass es ein angenehmes Fest werden könnte, durchaus gegeben.
   „Waschbrett, Gießkanne und Banjo, das klingt lustig zusammen“, meinte Kai gerade. Sie hatte sich ein Sandwich genommen und knabberte an einem Käsewürfel.
   „Ja“, sagte Schneewittchen, die an einem Becher Wassermelonenlimonade nippte. „Dafür haben wir auch lange geübt. Ich überlege, ob wir nicht auf Tour gehen sollten.“
   „Habt ihr denn schon einen Namen?“, fragte Rapunzel und ließ sich ihren Feldsalat schmecken.
   „Ja, haben wir“, Schneewittchen seufzte und winkte ab. „Das war wieder ein Theater, sag ich euch. Ich war für Die lieben Sieben oder meinetwegen auch Die chlorweichen Sieben, aber den Jungs war das zu nett. Von ihnen kamen solche Vorschläge wie Sieben Jahre Blech und Schwefel, Dwarf-Rockerz oder ZZ Flop. Wir einigten uns auf Die spitzen Zipfel.“
   „Bleibt auf alle Fälle hängen“, meinte Rapunzel und wippte mit dem Fuß zum Takt. Kai nickte bestätigend. „Und warum haben die Zwerge alle ein Marmeladenglas auf den Holzfällerhemden?“
   „Das war meine Idee“, antwortete Schneewittchen stolz. „Wir wollen vor allem viele Jam-Sessions machen und das soll man nicht nur hören, sondern auch sehen. Das ist wichtig fürs ganzheitliche Image.“
   „Oh je, da kenn' ich noch jemanden, der das genauso sieht“, meinte Rapunzel geistesabwesend.
   „Ach ja, wen denn?“ Schneewittchens Interesse war geweckt.
   „Niemanden“, ging ich dazwischen und gab Kai ein Zeichen. Sie griff eilig Schneewittchens Hand und zerrte sie vor die Bühne, wo die beiden anfingen zu tanzen. Dabei fiel mein Blick zufällig auf den Säbelzahnbiber.
   „Äh Klüpfel, was macht Stella da?“ Ich beobachtete, wie der Säbelzahnbiber um das aufgestapelte Holz lief, hin und wieder daran schnüffelte und sich daran rieb.
   „Spielen“, antwortete Klüpfel gedehnt achselzuckend. „Sie mag Holz“.
   „Ja“, sagte ich misstrauisch. „Ich weiß. Aber pass auf, dass sie nicht mehr macht. Vor allem soll sie ihre Spucke bei sich behalten.“
   So verlief das Fest größtenteils harmonisch, bis es langsam dunkel wurde. In den Lampions fingen die Glühwürmchen an, magisch zu glühen und tauchten den Platz vor meiner Feendrachenhöhle ich ein sanftes Sommerabendlicht. Die Zwerge spielten ein Lied nach dem anderen und weder das Buffet noch die Gesprächsthemen wurden erwähnenswert weniger. Schneewittchen pries meinen Anis-Rachen-Putzer an, den Rapunzel unbedingt probieren sollte. Als ich den Krug aus der Höhle holte, hatte offenbar jemand vorgeschlagen „Fang das Hähnchen“ zu spielen, denn die Hälfte der Zwerge jagte Klüpfels Ex-Klingel hinterher, während die anderen Zwerge eine Musik improvisierte, von der Kai meinte, dass sie sie an eine Geschichte mit einem großen, weißen Fisch erinnerte. Klüpfel war nicht begeistert und auch ich habe nicht viel übrig für Partyspiele. Also unterband ich das Ganze. Danach brauchte ich eine Pause.
   „Ich werde ein Stück spazierengehen“, sagte ich zu Kai. „Das ist mir zu viel Trubel.“
   „Oh warte, ich komme mit“, sprach Kai und gab Schneewittchen kurz Bescheid, die gerade dabei war, mit Rapunzel und meinem Anis-Rachen-Putzer Schwesternschaft zu trinken. Klüpfel hatte sich derweil der Zwergenband angeschlossen und trommelte taktlos aber voller Freude auf einem umgedrehten Eimer mit. Die Ex-Klingel saß auf dem Holzhaufen und krähte sich voller Eifer den Fangstress von der Seele, während Stella gierig auf das Holz starrte.
   „Und wie gefällt dir das Fest?“, fragte Kai, als wir durch das nächtliche Wäldchen wanderten. Eine meiner Feuersphären erleuchtete uns den Weg.
   „Ja, es ist in Ordnung“, sagte ich wahrheitsgemäß. „Die Bouletten erinnern mich geschmacklich an Katzenfutter.“
   Kai kicherte leise.
   „Auch wenn ich dich verstehe, das solltest du Schneewittchen lieber nicht sagen.“
   „Wie du meinst … oh sieh mal, die kennen wir doch.“
   Kurz bevor wir den schalen See erreicht hatten, erblickten wir im Mondschein zwischen den Bäumen eine Gruppe weißer Einhörner. Ich musste daran denken, wie uns vor ein paar Monaten an dieser Stelle ebenfalls einige dieser Kollegen über den Weg gelaufen waren. Da trugen sie natürlich ihr braunes Winterfell. Vermutlich handelte es sich hier um dieselbe Truppe. Einhörner sind ja solche Gewohnheitstiere.
   „Sommerfell?“, fragte Kai fasziniert.
   „Sommerfell“, bestätigte ich wissend.
   Dieses Mal schienen uns die Einhörner allerdings überhaupt nicht zu bemerken. Sie zogen durch die nächtliche Waldidylle und ihr schneeweißes Fell reflektierte schimmernd das Sternenlicht.
   „Na  komm, wir sind gleich da“, sagte ich und ging weiter. Als wir am schalen See eintrafen, erfasste uns die traumhafte Stimmung. Die warme Sommerluft kühlte sich langsam durch den leichten Nachtwind ab, Grillen zirpten im Unterholz und das Wasser schwappte rhythmisch ans Ufer.
   „Das ist herrlich“, flüsterte Kai. „Ein bisschen frisch vielleicht.“
   „Ja, hat was von einer Kaltschale. Im Sommer komme ich besonders nachts gerne hierher“, meinte ich leise. „Es ist dann nicht nur kühl, sondern auch so friedlich.“
   In diesem Moment erklang aus der Richtung meiner Feendrachenhöhle ein lautes Johlen, gefolgt von wilder Musik.
   „Ich hätte nicht gedacht, dass man das bis hierhin hört“, sagte Kai.
   „Ich auch nicht“, sprach ich. „Mich wundert nur, dass die Krähenharpyie so ruhig ist.“
   „Was war das?“ Kai deutete auf die nahe Seeoberfläche, auf der das Mondlicht glitzerte. „Ich glaub, ich hab was gesehen.“
   „Mach dir keine Sorgen, dass ist bestimmt nur die Frau mit dem Schwert, die die Mücken vertreibt“, beruhigte ich Kai. Ich konnte schemenhaft erkennen, wie Kai nickte.
   Plötzlich brach die Musik ab und das Johlen schlug in hektisches Geschrei um. Der nächtliche Himmel flammte orangerot auf.
   „Sie haben wohl den Holzhaufen entzündet“, stellte ich mürrisch fest.
   „Die Stichflamme scheint aber sehr hoch zu schlagen“, bemerkte Kai unruhig.
   „Tja“, sagte ich schicksalsergeben. „Ich hatte Klüpfel nicht umsonst gewarnt, dass er Stella vom Holzhaufen fernhalten soll. Säbelzahnbiberspucke wird nach dem Trocknen hart wie Stein, aber solange sie noch flüssig ist, kann sie bei Feuerkontakt wie ein Brandbeschleuniger wirken.“
   „Mein lieber Biber“, pfiff Kai durch die Zähne, als sie das Flackern sah. „Äh, vielleicht sollten wir zurück. Bestimmt ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um das Stockbrot zu grillen.“
   „Hm-mh“, ergänzte ich Zähne knirschend, „und mal sehen was noch.“

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