„Gewürze, die allerfeinsten Gewürze …“
„… kauft, Leute und Lebewesen, kauft den kecksten und kurvigsten Kandis …“
„... frische, fliegende Fische, noch lange vor dem Mindestflugbarkeitsdatum, …“
„… Eure Geschichte braucht ein neues Ende? Nur heute: Happy Endings im Sonderangebot, zwei zum Preis von einem …“
„Flaschen … kommt und feilscht Flaschen. Wir haben rote Flaschen, gelbe Flaschen, weiße Flaschen, schwarze Flaschen. Flaschen mit und ohne Geist …“
Das Marktgeschrei ging mir jedesmal aufs Neue auf den Keks. Man wurde von allen Seiten angebrüllt und vergaß dadurch, was man eigentlich einkaufen wollte. Auch aus diesem Grund hatte ich mir schon vor langer Zeit angewöhnt, ein Einkaufspergament zu schreiben. Wenn man mir schon das Erinnerungsvermögen aus dem Gedächtnis blökte, wollte ich abends wenigstens nicht nur mit aufgeschwatzten Dingen in meine Feendrachenhöhle zurückkehren.
„Oh schau mal, Knuspermüsli“, freute sich Kai.
„Was? Wo?“ Verdutzt sah ich mich um.
„Na hier, wie lecker“, sagte Kai und deutete auf die körbeweise aufgetürmte Auswahl an kernigen Nüssen, flockigem Getreide und getrockneten Früchten. „An was hast du denn gedacht?“
„An den fahrenden Zauberer, du weißt schon, der von dem ich die defekte Palland-Tier-Kugel habe. Sein Name ist Knuspermüsli und er taucht mal hier, mal dort auf. Er kann sehr, sehr … sehr anstrengend sein“, erklärte ich erleichtert. Da es sich um einen falschen Alarm gehandelt hatte, entspannte ich mich wieder. Ich überreichte dem Müslistandbesitzer ein Goldstück und deutete auf die Aprikosen.
Kai sah mich an und kniff die Augen leicht zusammen.
„Der Zauberer heißt Knuspermüsli?“
„Ja“, antwortete ich wahrheitsgemäß.
„Knusper-Müsli“, wiederholte sie betont.
„Knuspermüsli“, bestätigte ich in aller Ruhe.
„Das ist ein alberner Name“, sagte Kai trocken.
„Es ist ja auch ein alberner Zauberer“, gab ich trockener zurück, verstaute die getrockneten Aprikosen im Einkaufsnetz und wechselte die staubig trockne Standseite.
„Pantoffeln, große und kleine, mit Quasten und Quasseln, … Treter, Latschen, Gamaschen“, quäkte ein Kaufmann in meine Richtung, als er sah, dass ich auf ihn zusteuerte.
„Für mich bitte vier Paar Pantoffeln. Zweimal Minigröße, einmal Maxi und noch eins Extraordinär“, zählte ich auf.
„Pantoffeln?“ Kai tauchte verwundert neben mir auf. „Wozu brauchst du denn Schuhe?“
„Dir wird nicht entgangen sein, dass ich ein sehr reinlicher Feendrache bin“, erklärte ich gewichtig, während ich dem Händler ein Goldstück überreichte. „Und seit einiger Zeit bekomme ich viel mehr Besuch als früher, vor allem von einem gewissen Menschenmädchen. Die Anschaffung von Gästepantoffeln macht sich sicher bezahlt, sodass ich nicht mehr soviel fegen und wischen muss, wenn mein Besuch wieder gegangen ist.“
Ich nahm den Porree und die rülpsende Fliegenpilzgans als Wechselware entgegen und stopfte beides zusammen mit den Schuhen in das Einkaufsnetz. Zwar mache ich mir nichts aus Fliegenpilzgans, aber sie wird auf dem Supermärchenmarkt gern als allgemeingültige Tauschware gesehen.
Wir gingen weiter. Da ich mich gut auf dem Marktplatz auskenne und die Händler nur jedes zweite Mal ihren Standort wechseln, hatten wir bald beinahe die ganze Liste abgearbeitet.
Gerade stand ich an einem Stand für Meerschweinchenmaulkörbe und überlegte, ob ich einen davon für Klüpfels Säbelzahnbiber mitnehmen sollte, da tippte Kai mich an.
„Ich habe Durst“, sagte sie.
„Okay“, meinte ich und sah mich um. „Ah, dort drüben.“
Ich deutete auf ein kleines, rot-weiß-gestreiftes Zelt, vor dem ein dünner Mann mit Feder an der Kappe drei Krüge vor sich auf einem Brettertischchen stehen hatte.
„Wir möchten etwas zu trinken“, sagte ich zu dem drämelig dreinschauenden Kerl. Man sah ihm an, dass er nicht die hellste Kerze auf dem Kuchen war.
„Wasffa, Pesfftie-Colah oder Colarah?“, lispelte er zurück und ein Spucke-Sprühregen regnete auf meinen Bauch nieder.
„Was sagt er?“, fragte Kai mich irritiert.
„Wasffa, Pesfftie-Colah oder Colarah?“, wiederholte der Mann.
„Was sagt er?“, fragte Kai erneut.
„Wasffa, Pesff …“, setzte der Mann wieder an.
„Halt“, machte ich bestimmt, hob die eine Klaue in Richtung des Mannes und wischte mir mit der anderen über den Bauch. Der Drämel zog gehorsam die Zunge wieder ein und klappte den Mund zu. Ich übersetzte.
„Er sagt: Wasser, Pesti-Cola oder Colara.“
„Wo ist der Unterschied zwischen Pesti-Cola und Colara?“, fragte Kai.
Der Mann wollte schon antworten, ich konnte ihm gerade noch Einhalt gebieten.
„Die eine ist mit, die andere ohne“, erklärte ich weiter.
„Mit oder ohne tödlich verlaufende Krankheit?“, hakte Kai nach.
„Nein, mit oder ohne Honig als Zuckerersatzstoff“, erläuterte ich.
„Ich nehm Wasser“, sagte Kai und der Mann schüttete das gewünschte Nass in einen Keramikbecher.
„Für mich bitte halb-und-halb“, bestellte ich. Der Mann füllte ein weiteres Gefäß, halb mit Pesti-Cola und halb mit Colara. Ich kippte den kühlen, prickelnden Tropfen auf die Drachenzunge und überließ dem Mann die aufgeregte, rülpsende Fliegenpilzgans, worüber er sich sehr zu freuen schien.
„Gamaschen, Kandis, Colera … man, hier gibt’s wirklich alles, oder?“, fragte Kai, nachdem sie ihren leeren Becher zurückgegeben hatte.
„Naja, so gut wie“, bestätigte ich im Plauderton, während wir weiterschlenderten. „Eswarzweimal ist vielleicht keine Königsstadt, aber der Supermärchenmarkt ist immer gut sortiert. Ach herrje …“
Wir waren gerade in die nächste Reihe eingebogen, als ich ihn erblickte. „Nicht der schon wieder!“
„Was ist denn?“, fragte Kai neugierig.
„Siehst du den dort?“ Ich beugte mich zu Kai herab und deutete ein unauffälliges Nicken an. „Lass uns schnell umdrehen, dem wollen wir nicht begegnen. Der ist mindestens genauso anstrengend wie Knuspermüsli, wenn nicht gar schlimmer. Jedes Mal will der einem was anderes sinnloses andrehen. Das letzte Mal hatte er einen Werbevertrag mit Kohlkate.“
„Mit der Zahncremefirma?“
„Nein, mit der Zahnfee. Er hatte irgendein Abkommen mit ihr ausgehandelt und dann eine spezielle Bleichcreme vertickt. Dafür haben seine Zähne die Farbe einer Supernova angenommen.“
„Oh, seid gegrüßt!“, rief es herüber. Man winkte uns heran. Ich wollte dem Licht am Ende des Rufes nicht folgen, doch Kai war bereits auf dem Weg. „Tretet näher, gemeines Volk und noch gemeineres Getier.“
An einem kleinen, wackeligen Tisch posierte mit breiter Brust und noch breiterem Lächeln der strahlende Held. Vor ihm lagen in Leder gebundene Bücher, deren intelligente Aura so gar nicht zur Ausstrahlung des strahlenden Helden passen wollte. Ebenso wenig wie die dauerkauende, attraktive Frau mit den blonden Locken. Gekleidet in elegante Fischernetzstrümpfe, knappster Pöterbedeckung und einem tiefgeschnürten Mieder, wartete sie gelangweilt mit verschränkten Armen neben der einen Seite des Tisches. Auf der anderen Seite stand ein lebensgroßer Holzaufsteller, der den strahlenden Helden darstellte, wie er beide Zeigefinger direkt auf den Betrachter richtete. Das Bildnis trug dabei ein derartiges Saubermannlächeln zur Schau, das dagegen selbst der Weiße Riese im frischgefallenen Schnee unter der alpinen Höhensonne wirkte, wie der graue Zauberer, der soeben beim Graue-Maus-Wettbewerb gegen die grauen Herren verlor.
„Na, kleines Mädchen, du bist doch sicher hier, um das neuestes Buch von mir zu kaufen?“, sprach der strahlende Held Kai an, und präsentierte ein derart grellweiß-blendendes Scheunentorgrinsen, dass sich meine Pupillen schockartig auf die Rückseite meiner Augäpfel verkrümeln wollten. „Dann bekommst du ein Autogramm gleich gratis dazu.“
„Wer bist du denn?“, fragte Kai zurück.
Für einen winzigen Augenblick gefror das Saubermannstrahlelächeln des strahlenden Helden ein, und der ganze strahlende Held gleich mit. Doch bereits mit dem nächsten Herzschlag hatte er sich wieder professionell gefangen.
„Aber du hast doch bestimmt schon einmal was vom Märchenprinzen gehört, stimmts? Das bin ich!“, erklärte der strahlende Held strahlend, nahm eines der Bücher und schob es Kai entgegen. „Man kennt mich auch als Prinz Charming und das weil ich meinem Namen reizenderweise alle Ehre mache.“ Ein abgehacktes, aufstoßartiges Lachen folgte der Erklärung. Offenbar hatte er einen Scherz gemacht, über den er sich durchaus ehrlich amüsierte.
„Ts, wer´s glaubt“, presste die Frau kaum hörbar neben ihm hervor.
„Aber auf dem Buchumschlag steht Matthias von Schleim“, stellte Kai fest.
„Oh ja, das bin ich. Ich seh toll aus“, lächelte der strahlende Held sein weichtierartigstes Lächeln, auf das meine Kehle reflexartig mit einem heftigen Schutzwürgereiz reagierte. „Meine Freunde nennen mich so und deshalb ist das auch mein Autorenname. Man muss als Held auch etwas auf seine Anno-… Annonü- ...“, der Held schien zu hängen, „… seine Privatfähre achten, sonst kommt man vor lauter Pub-Blitz-Zieh-Tieh gar nicht mehr zum Arbeiten.“
„Und wieso verkaufst du hier Bücher?“, fragte Kai weiter. „Müsstest du nicht eine Prinzessin retten oder heiraten?“
Der strahlende Held atmete einmal kaum hörbar Luft durch die knallweißen Beißerreihen, während die Frau neben ihm hämisch kicherte und den Kaugummi, den sie im Mund hatte, um einen Finger gewickelt in die Länge zog. Dem strahlenden Helden schien das gar nicht aufzufallen, denn er sprach weiter an Kai gewandt.
„Sicher hast du recht, mein Kind. Genau das tue ich auch. Normalerweise. Aber wenn die Auftragslage mau ist, und gerade keine Prinzessinnen zu retten …“ er deutete auf die Frau neben sich, „… und Drachen zu töten sind – nichts für ungut – …“ sagte er in meine Richtung. Ich winkte verständnisvoll ab. „… nehme ich auch Superheldenaufträge an oder helfe ehrenamtlich, in Anwesenheit nur eines Mediums der Stufe drei wegen der Paparazzien, im Heim für ausrangierte Helden aus. Und da ich ein so unglaublich interessantes Leben führe und so berühmt und beliebt bin – mein Aussehen, mein Mut und vor allem meine Bescheidenheit eilen mir weit voraus, egal wohin ich komme – dachte ich mir ‚He, du Mann von einem Held, du solltest in deiner Großzügigkeit alle anderen an deinem herausragenden Leben teilhaben lassen. Lass dir doch ein Buch schreiben und mache deine Verfolger und Innen glücklich damit.‘ Gesagt, getan und heute hast du die Möglichkeit, mein Buch zu erwerben.“
„Aha“, gab Kai kurz angebunden zurück und richtete ihre nächste Frage an die Frau. „Und was machst du hier?“
„Wir waren mal zusammen, nachdem er mich aus dem Turm gerettet hatte“, antwortete diese, „aber die Sache mit dem ‚Glücklich-bis-ans-Ende-ihrer-Tage‘ hat bei uns nicht funktioniert. Dann dachte ich, ich könnte eine Karriere als Model starten, aber niemand hatte ein klumpiges Gemälde für mich. Naja, und wenn man nichts anderes gelernt hat als Prinzessin und das geht schief und dann versucht man sich als ungelerntes Mannequin und das geht auch schief, dann landet man eben irgendwann als Mietmodel für überflüssige Werbeaktionen im Supermärchenmarkt.“
„Du kamst mir gleich so bekannt vor“, meldete ich mich nun zu Wort. „Haben wir uns nicht vor einigen Jahren bei einem meiner Burgüberfälle kennengelernt, als ich …“
„Jajaja“, ging der strahlende Held schnell dazwischen, denn selbst er hatte endlich bemerkt, dass er nicht mehr Mittelpunkt der Aufmerksamkeit war. „Das ist ja alles schön und gut, aber, liebes Kind, du möchtest doch nun bestimmt ein Buch von mir kaufen.“
„Ach, jetzt lass die Kleine endlich in Ruhe“, maulte ihn Prinzessin a. D. schmonzig an. „Du siehst doch, dass sie viel zu klug dafür ist. Und ich kann dein weichgespültes Saftgesülze auch nicht mehr hören. Niemand kann dieses überbleichte Geschwurbel dauerhaft ertragen. Du weißt, daran ist unter anderem unsere Ehe gescheitert und ich bekomme für diese Aktion hier viel zu wenig Schmerzensgold bezahlt. Und wo ich gerade dabei bin: Was ist eigentlich mit meinen letzten Unterhaltungszahlungen? Der fliegende Bote sagte … “
Ich stieß Kai unbemerkt mit meiner Pfeilspitze an. Sie sah zu mir hoch und ich deutete mit dem Kopf ein Verschwinden an. Kai nickte bestätigend und wir schoben uns unauffällig weiter. Wir ließen den strahlenden Held mit der engagiert lamentierenden Ex-Prinzessin zurück.
„Puh“, machte Kai und sah mitgenommen aus, „du hattest recht, der war anstrengend! Und nicht gerade einfach. Und ich glaube, den sollten wir Schneewittchen lieber nicht vorstellen. Man sieht ja, wohin das führt.“
Ich nickte bestätigend, dann warf ich einen Blick in den Himmel, der zwischen den Tüchern durchblitzte.
„Die Sonne hat den Zenit bereits weit überschritten. Selbst der Nachmittag ist schon vorbei. Wir sollten uns langsam auf den Heimweg machen.“
„Hast du denn alles gekriegt, was du wolltest?“
„Hm, ja, eigentlich schon“, erwiderte ich, während ich nochmal prüfend in mein Netz sah und über das Pergament las. „Bis auf die Pegasussalbe, mit der ich mir hin und wieder die Flügel einreibe. Aber das ist nicht so schlimm, die kann ich mir auch anderweitig organisieren.“
„Ooooooch“, machte Kai gedehnt. „Können wir nicht doch noch ein bisschen hier bleiben?“
„Ich glaube nicht, dass ich das will“, sprach ich im festen Ton. Kai gab nickend nach.
„Na gut“, sagte sie und klang dabei müde. „Aber es war voll toll. Die ganzen Sachen hier, und die Leute und überhaupt. Das ist alles so …“
Sie musste herzhaft gähnen. Ich musste leise lächeln.
„… anstrengend, ich sag’s ja.“
„Ach Unsinn“, meinte Kai. „Aufregend.“
„Na komm, lass uns fliegen“, sagte ich zu Kai. „Ich trage dich in meinen Vorderläufen auf dem Rückweg.“
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