Neon Hope ist ein Spiel, das unter anderem vom Living Card Game Veteran Dominik Schönleben entwickelt wird. Living, oder Expandable Card Games, das sind Kartenspiele die aus der Tradition der Sammelkartenspiele kommen, aber den teuren, zufallsbasierten Sammelaspekt durch ein kund*innenfreundlicheres Kaufformat ersetzt haben, so dass allen Spieler*innen die gleichen Karten zur Verfügung stehen. Erschienen sind dabei unter anderem Titel wie Android: Netrunner oder Arkham Horror: das Kartenspiel. Die beiden sind auch das offensichtliche und ehrlich genannte Vorbild von Neon Hope.
Anspielungsreich, kreativ und hoffnungsvoll: Das Neuberlin von Neon Hope
Android Netrunner liefert Inspirationen im Weltenbau. Die cyberpunkige Zukunft ist bei Netrunner und im Neonverse nicht auf Brutalität und herben Humor getrimmt, sondern verhältnismäßig sauber gehalten. Die pure 'grimness' so mancher Cyberpunkwelten weicht einem anspielungsreichen und äußerst detaillierten Weltenbau, der Raum für viele Facetten lässt. Unter anderem werden dabei auch aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen mit aufgegriffen und weitergedacht, wie etwa die abnehmende Bedeutung von Herkunft oder Geschlecht. Sowohl Android: Netrunner als auch Neon Hope präsentieren uns zwar keine idyllische Zukunft, aber eine, in der Identitäten fluide sind und Selbstverwirklichung bunt ausfallen kann. Im Unterschied zum amerikanischen Android-Universum, setzt das Team von Hopeful Games auf ein Setting in Berlin und präsentiert uns als erste Beispielcharaktere den AI-Software Entwickler Deniz Yilmaz und den*die nonbinäre Türsteher*in Larx Krajewski. Das Berlin der Zukunft ist und bleibt ein Melting Pot, der konsequent weitergedacht wird. Hinter dem Chrom kommt so eine ordentliche Prise Solarpunk zum Vorschein.
Anders als das kompetitive Netrunner ist Neon Hope ein kooperatives Storytelling-Spiel. Hier steht das Arkham Horror Kartenspiel Pate, das ebenfalls eine Geschichte erzählt und die Charaktere immer wieder vor spannende Entscheidungen stellt.
Immer mit Begeisterung dabei: Dominik Schönleben und das Team von Hopeful Games stellen ihr Spiel auf zahlreichen Messen und Spieletreffs vor, wie hier auf der SPIEL 2024.
Für die Vorbesprechung wurde mir freundlicherweise eine vollständig spielbare Vorabversion bereitgestellt, die bereits voll illustriert und nahezu produktionsfertig erscheint. Die erste Episode, in der wir eine verschollenen Freund in einem Berliner Nachtclub auffinden müssen, ist dementsprechend auch Grundlage meiner Besprechung. Wer sich selber einen Eindruck machen möchte, kann das digital oder auf diversen Messen und Spieletreffs tun. Man kann sich sogar das ganze Spiel als Druckversion herunterladen und so am eigenen Spieltisch ausprobieren. Auch eine deutsche Sprachvariante steht mittlerweile zur Verfügung.
Probensystem
Um die Geschichte voranzubringen, gilt es im Wesentlichen, Geheimnis-Marker von Orten oder Personen zu entfernen und unsere Kontakte auszubauen. Damit das nicht zu leicht ist, stehen uns diverse Gegner wie etwa Konzernagent*innen und sonstige widrige Umstände im Weg, die uns das Leben schwer machen und bewältigt werden wollen. Dazu setzt Neon Hope auf einen Probenmechanismus, der bei fast allen Aktionen zum Einsatz kommt. Hier vergleichen wir einen Schwierigkeitswert mit einem passenden Attribut (Wahrnehmung, Charisma, Mut und Technologie), das um einen zufälligen Modifikator verändert wird. Dieser wird durch das Grid ermittelt, in dem sich Marker mit -3 bis +3 verstecken, die bei einer Probe umgedreht werden. Um es spannender zu machen, kommen außerdem noch ein kritischer Patzer und epischer Erfolg hinzu. Außerdem drei Schädel, die neben einer Verschlechterung des Wertes auch unsere Gegner aktivieren und so eine dynamischere Rundenstruktur erzeugen. Wer Arkham Horror: das Kartenspiel kennt, dürfte hier hellhörig geworden sein. Das Prinzip ist in der Tat sehr nah am Chaosbeutel des Vorbilds angelehnt. Dadurch, dass die einmal umgedrehten Token offen bleiben, kommt aber ein Abschätzungselement hinzu, dass dadurch, dass einige Token ins Archiv gelegt werden, nie ganz berechenbar wird. Passend dazu können einige Spieleffekte das Grid manipulieren, indem einzelne Token kurzzeitig ins Archiv verbannt werden können.
Das Grid zeigt die Probenmodifikationen an und erlaubt es Probenerfolge zunehmend besser abzuschätzen.
Zudem können wir unsere Proben durch Unterstützungsmarker verbessern, die wir von befreundeten Charakteren erhalten und Aktionskarten spielen. Letztere geben uns Boni für bestimmte Aufgaben, machen folgende Tests einfacher, erlauben Hoffnung zu sammeln oder geben uns zusätzliche Impulse, was etwa bedeute kann, einen zusätzlichen Geheimnis-Marker entfernen zu dürfen. Die Karten richtig einzusetzen ist entscheidend, um Schritt zu halten und eines der Kernelemente des Spiels …
Rig-Building
Während sich das Probensystem deutlich an das Kartenspiel aus Arkham anlehnen, ist der Mechanismus für die Charakterkarten wirklich neuartig. Anstatt ein Deck zu konstruieren aus dem wir Karten ziehen, wählen wir hier eine Anzahl an Aktionskarten entsprechend unserer Ausdauer und nehmen diese sofort auf die Hand. So stehen uns unsere Optionen verlässlich zur Verfügung. Statt nachzuziehen, spielen wir unsere Kartenhand leer und müssen uns fokussieren, um gespielte Karten zurück auf die Hand zu bekommen. Das kostet uns einen Punkt Ausdauer und erlaubt uns, erneut so viele Karten auf die Hand zu nehmen, wie der neue Ausdauerwert erlaubt. Dieser Mechanismus hat viele kluge Implikationen. Zum ersten müssen wir mit unseren Karten haushalten und diese zur richtigen Zeit einsetzen um nicht zu schnell außer Puste zu geraten. Zum zweiten müssen wir uns mit der Zeit auf bestimmte Karten konzentrieren und beim Nachziehen vorausplanen, was wir brauchen werden. Während unsere Ausdauer stetig abnimmt und so unsere Optionen beschränkt und für Spannung sorgt, verbessern wir gleichzeitig unsere Situation, indem wir automatisch bei Erfolgreich absolvierten Aufgaben gesammelte Ressourcen für neue Vorteilskarten aufwenden. Diese Vorteile geben uns passive Effekte, die unseren Charakter während des Spiels in eine bestimmte Richtung entwickeln. Spannend ist, dass so der Deckbau gewissermaßen im Spiel stattfindet und wir uns live auf die Anforderungen der Mission ausrichten können. Damit fällt eine große Hürde von deckbauintensiven Spielen weg, die oft ein immenses Maß an Vorbereitung benötigen. Bei Neon Hope können wir einfach mit den Startkarten los spielen und uns im Verlauf entwickeln. Wir können also direkt auf die Anforderungen reagieren und müssen uns nicht mühselig nach oder vor dem Spiel um Deckoptimierung kümmern.
Die Charaktere – hier Deniz Yilmaz – sind facettenreich. Individuelle Karten und Tools ermöglichen unterschiedliche Strategien.
Die Gefahr ist dabei, dass uns zu wenige Optionen bereitstehen könnten. Dafür, dass das nicht passiert, sorgen jedoch die flexibel einsetzbaren Karten, die Verbesserungen und schließlich die Wahl eines ikonischen Gegenstands, was auch bei wenigen Karten durchaus unterschiedliche 'Builds' ermöglicht, die zum wiederholten Neuspielen einladen. Auch dürfte es problemlos möglich sein, neue verbesserungs- oder Aktionskarten in den Pool aufzunehmen. Auch das verbessern von Aktionskarten zwischen Episoden ist vorgesehen um im Kampagnenspiel Fortschritt zu erfahren.
Das innovative Handmanagement und die hinzukommendem Verbesserungen bieten ein enormes Designpotential und gehören zu den besten Mechaniken, die ich im Bereich kenne. Die einzigen Schwierigkeiten die ich derzeit sehe sind, dass sich feste Spielpattern entwickeln könnten und das wir am Anfang überfordert werden können, da uns schon zu Spielbeginn enorm viele Optionen zur Verfügung stehen.
Was die Zukunft bringt
Neon Hope ist bereits in einem Zustand, der weit über einen Prototypen hinausgeht. Das Spiel ist vollständig spielbar, ist mit stimmungsvollen Illustrationen von Robert Herzig versehen und verfügt über hochwertige Komponenten. Selbst das Regelwerk befindet sich auf einem Niveau, in dem es nur noch um Feinabstimmungen geht.
Sicherlich kein Account Siphon: Neon Hope wird als bedachter Crowdfund realisiert
Veröffentlicht wird Neon Hope als Crowdfund werden, was bei dem Projekt auch sicher angemessen ist. Dem Team kann man jedenfalls nicht vorwerfen, Crowdfunding als bloßen Vorbestellservice zu nutzen. Hier steckt kein Großverlag hinter dem Spiel, sondern eine unabhängige Truppe ohne Startkapital, bei der ich sehr zuversichtlich bin, dass sie eine Kampagne auf die Beine stellen wird, die die Optimierung des Spiels vor Augen hat und keine überbordenden 'Pledge Goals'.
Der bisherige Plan sieht jedenfalls vielversprechend aus: Neben einem Grundspiel mit vier Charakteren und einer Kampagne soll eine Erweiterung mit vier weiteren Charakteren und Zusatzkarten zur Kampagne angeboten werden. Wer das volle Programm möchte, kann zusätzlich in ein verbessertes Spielmaterial investieren, wer das nicht möchte, verpasst aber keine spielrelevante Inhalte.
Da Neon Hope deutlich von Sammelkartenspielen inspiriert ist, lebt es von stetigem Nachschub oder zumindest gelegentlichen Updates. Hier wird spannend, wie schnell und umfangreich weitere Kampagnen folgen werden.
Das Produkt wurde kostenlos für die Besprechung zur Verfügung gestellt.