Napoleon – Despot oder Befreier?
1793 befindet sich der Kommandant der belagerten Stadt Toulon, Napoleon Bonaparte, in einer fast hoffnungslosen Situation. Nicht zum letzten Mal zeigt er sein militärisch-strategisches Geschick, aus schier unmöglichen Situationen als Sieger hervorzugehen.
Zum Ende des 18. Jahrhunderts befindet sich Frankreich in einer blutigen Zäsur seiner Geschichte. Die französische Revolution sorgt für vielschichtige Konflikte zwischen u.a. Revolutionären, Republikanern, Girondisten und Royalisten. Zudem wird die junge Republik von den expansionistischen und revisionistischen Mächten, vornehmlich durch England und Österreich-Ungarn, von außen bedroht.
In dieser Phase wird die Nation zum ersten Mal auf den jungen Hauptmann Napoleon Bonaparte aufmerksam, der durch sein aggressives Vorgehen die wichtige Hafenstadt Toulon, an der Südwestspitze Frankreichs, von den Briten zurückerobert. Das der junge Korse dort in Erscheinung treten konnte, lag auch an den politischen Verwerfungen auf seiner Heimatinsel, die nur ein Jahr vor seiner Geburt von Genua an Frankreich verkauft wurde.
Mit nur zehn Jahren musste Napoleon sich auf einer Militärakademie in Frankreich in einer für ihn fremden Welt zurechtfinden, in der er aufgrund seiner Herkunft nur ein Außenseiter war. Seine Wut und sein Stolz, aber auch seine Intelligenz, die politischen und militärischen Opponenten gleichzeitig zu bekämpfen, helfen ihm, als strategisches Talent die militärische Karriereleiter beharrlich emporzusteigen.
Es dauert nicht lange und die politischen Eliten bekommen Wind von dem ungewöhnlichen Offizier und versuchen ihn für ihre Zwecke zu instrumentalisieren und je nach Bedarf einzusetzen oder entsprechend kalt zu stellen. Doch innerhalb kürzester Zeit wird Napoleon zu der wichtigsten Schachfigur im Mächtespiel Frankreichs. Die verschiedenen politischen Strömungen erkennen zu spät, dass Napoleon es meisterhaft versteht, die Figuren auf dem Schachbrett zu seinen Gunsten zu verschieben. Denn während sie noch ihre nächsten Schritte planen, hat Napoleon schon die nächsten zwei Züge getan und zwingt seine Gegner zur Flucht oder in die Abhängigkeit seines Willens, vollkommen seiner Gunst und Gnade ausgeliefert.
General, Kaiser, Todfeind
Unabhängig davon welchen historischen Blickwinkel man einnimmt, Napoleon Bonaparte und seine Herrschaftszeit ist der europäische Kristallisationspunkt für den Übergang ins 19. Jahrhundert nach der französischen Revolution. Sein ausführlich überliefertes Leben und Wirken füllt etliche Regalmeter in diversen Bibliotheken. Eine neue Biografie wäre daher keine besondere Nachricht auf Zauberwelten wert, aber in der Serie Historische Persönlichkeiten des Splitter Verlags gibt es ein neues Graphic Novel, das die Geschichte Napoleons im wahrsten Sinne des Wortes nachzeichnet.
Und die Autorenschaft für dieses Comic-Projekt hat es in sich. Für die szenische Ausarbeitung zeichnet sich Noël Simsolo, Alfred Hitchcock-Biograf und ein Urgestein der französischen Film- und Autorenszene, verantwortlich. Die Geschichte ist in drei Hauptkapitel, den Anfängen Napoleons, dem Wandel der Republik zum Kaiserreich und dessen Niedergang, unterteilt. Dem schließt sich eine ausführliche historische Abhandlung an, indem u.a. die wichtigsten Ereignisse und Zusammenhänge anhand von Karten, Bildern und Artikeln erklärt werden, inklusive einem kleinem Making-of des Graphic Novels. Also ein kleines Geschichtsbuch zusätzlich, in dem man auch die Vorbilder der Comic-Zeichnungen wiederfinden und die Umsetzung vergleichen kann (z.B. der Brand Moskaus). Der historische Inhalt stammt von Jean Tulard, der trotz seiner streitbaren Persönlichkeit mit über dreißig Veröffentlichungen zu den bekanntesten Napoleon-Historikern zählt. Zudem hat man mit Fabrizio Fiorentino (Die Ardennen) einen erprobten Zeichner für realgeschichtliche Comics mit an Bord, dessen farbintensiver Stil sehr gekonnt u.a. die Jahreszeiten und Landschaften oder die zahlreichen überlieferten Bildnisse um Napoleon wieder aufleben lässt. Die Raster variieren stets der Situation angepasst, nur die Sprechblasen haben eine einheitliche Schriftform und -größe. Zudem wechseln die Bildgrößen von kleinen Detailbildern zu größeren Formaten, die zuweilen auch als Hintergrund für die Szenen dienen. Dabei spielt Fiorentino gerne mit der Perspektive und den Details und vermittelt den Betrachtenden sehr oft, dass man die Fliege an der Wand ist, die einem historischen Moment beiwohnt.
Kritik
Die Ausführlichkeit und Genauigkeit der Geschichte ist außergewöhnlich und das absolute Plus des Graphic Novels. Allerdings nehmen die Dichte der Ereignisse im Verlauf stetig zu und die wechselhaften Geschehnisse schreiten so schnell voran, dass es an einzelnen Stellen schwer zu erkennen ist, welche Tragweite das ein oder andere Gespräch hatte oder wie bedeutend die Personen, die Schlachten, die Entscheidungen und Ereignisse waren. So wird z.B. der Code Civil von den Feldzügen völlig überlagert und fast zu einer Fußnote.
Wer nicht in dem Thema bewandert ist, wird vereinzelt Probleme haben die Personen richtig zuzuordnen. Auch kann man nicht immer sofort erkennen, wer gerade zusammentrifft und wer was sagt. Dies passiert gerne bei den Treffen der vielen historischen Persönlichkeiten, wie u.a. Barras, Telleyrand, Fouché oder Bernadotte. Zudem hat man es mit gleichzeitig stattfindenden Ereignissen zu tun und man muss sehr genau hinschauen bzw. für die Einordnung sehr genau lesen. Das einzige Hilfsmittel ist bei jedem Szenewechsel der Ort und der Zeitpunkt. Wer in der Schule nicht gerne im Geschichtsunterricht gesessen hat, wird jetzt wahrscheinlich kleine Schweißausbrüche bekommen. Aber ab und zu Knobeln hat mir sehr viel Spaß gemacht und es hat die Sinne für die Story und die Bilder stetig nachgeschärft.
Fazit
Gebt dieses Buch in gelangweilte Schulklassen und der ein oder andere wird seine Liebe zu Comics und Geschichte entdecken. Und selbst wenn man sich gar nicht für Historik interessiert, ist dieses Graphic Novel eine spannende und kurzweilige Lektüre.
Die Kernfragen um Napoleon, z.B. ob er ein Befreier oder vielmehr ein Despot war, können und müssen sich die Lesenden selbst beantworten. Das Buch liefert keine vorgefertigten Antworten oder Meinungen, aber es stellt alle Möglichkeiten für eine eigene Meinungsbildung zur Verfügung.
Ich gestehe, so ein Buch hätte ich mir schon zu meiner Jugendzeit gewünscht. Das hätte mir das ein oder andere aufgesetzte Lächeln bei Buchgeschenken erspart. Auch wenn das Bild des „großen Mannes“ ein umstrittenes Bild in der Geschichtswissenschaft ist. Das ganze Konzept und die Umsetzung des Graphic Novels ist eine gute historische Annäherung und hat mich sehr begeistert, so sehr, dass die anderen vom Splitter Verlag erschienen Bände sofort auf meiner Buchliste gelandet sind.
Das Produkt wurde kostenlos für die Besprechung zur Verfügung gestellt.
Dieser Artikel ist erschienen bei: Zauberwelten-Online.de
Kommentare
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