Die Optik spielt bekanntlich mit. So kam ich auf der Spiel Doch! in Dortmund einfach nicht um die wunderschön illustrierten Spiele aus dem Hause Marbushka herum. Der ungarische Spielehersteller vertreibt unter anderem Brettspiele, die markant von Beatrix Bohony illustriert werden. Die multilingual ausgelegten Spiele waren auf dem deutschsprachigen Markt bisher weniger bekannt. Das will Shades of Home nun ändern, indem es den deutschsprachigen Vertrieb in die Hände genommen hat.
Das Verlagsprogramm der Marbushkaspiele ist deutlich familienorientiert, kommt dabei aber mit einer recht künstlerischen Präsentation daher. Die Zielgruppe fängt bereits bei Drei- bis Vierjährigen an und geht in den Jugendspielbereich hoch, wobei bewusst Kinderspielklischees durchbrochen werden und ein Spielerlebnis für die ganze Familie angestrebt wird. In loser Folge werde ich hier (zuerst) drei Spiele besprechen, wobei die Mysteriöse Bibliothek den Anfang macht …
Eine bunte Auswahl aus der Marbushka Palette
Klein aber fein
Die mysteriöse Bibliothek kommt in einem hübsch illustrierten aber täuschend kleinen Karton daher. Der hat es allerdings ökologisch und platzökonomisch in sich. Hier wird kein Schachtel- oder Regalplatz verschenkt, sondern überraschend viel Material geliefert. Und auch das ist – man merkt mir mein Credo sicher ein wenig an – wunderschön aufbereitet und hochwertig verarbeitet. Dabei verlässt man ein wenig den erwarteten Pfad, denn statt Holzfiguren oder Plastikminiaturen setzt man auf recht großformatige Pappaufsteller, die auf (für meinen Geschmack etwas zu kleinen) Holzfüßen stehen. Als Service sind die robusten Figuren auch bereits fertig eingeklebt. Wer drauf achtet, merkt außerdem, dass weitestmöglich auf Plastik verzichtet wurde: Vorbildlich!
Kommen wir aber zum Spiel selber ...
In der kleinen Box findet alles seinen Platz
Eine Mysteriöse Bibliothek
Der Titel des Spiels verspricht schon viel über den Inhalt. Wir sind bis zu vier Charaktere, die vier Bibliotheksbesucher*innen befreien wollen, die von einem Mr. Mean in Büchern gefangen gehalten werden. Nun gut, es ist ein bisschen komplexer: Die Idee ist, dass die Bücher in der Bibliothek erlauben voll in die Welt abzutauchen, also ihre Lesenden in echte Abenteuer mitnehmen. Da das einiges an Vorstellungskraft bedarf, passt das besagtem Mr. Mean nicht, der recht phantasielos ist und es daher selber nicht schafft in diesen Büchern zu versinken. Deshalb nutzt er Projektionsschwerter mit denen er versucht, die Geschichten in die Realität zu projizieren und so einzutauchen, was jedoch nur zur Zerstörung der Bibliothek führt und diejenigen die gerade gelesen haben in den fremden Welten gefangen hält. Nun gilt es, die zerstörten Bücher zusammenzuführen, die Lesenden zu retten und sich der Projektionsschwerter zu erwehren.
Die Charaktere und Bücher in einer teils zerstörten Bibliothek
Nun gut, wir sollten meines Erachtens nicht zu lange bei der reichlich konstruierten Vorgeschichte verbleiben, denn auf dem Spielbrett ist das ganze dann doch deutlich stimmiger als es sich hier liest. Also nochmal kurz gefasst: Wir retten vier Lesende, indem wir Buchkapitel sammeln, und am Ende aus der Bibliothek entkommen und dabei prasseln Projektionsschwerter auf die Bibliothek ein.
Spielmechanik
Spielerisch ähnelt Die mysteriöse Bibliothek einem reduzierten Pandemie. Wir haben je 3 Aktionspunkte, mit denen wir uns bewegen, Projektionsschwerter entfernen und Karten austauschen können, die Buchkapitel oder Hilfsmittel darstellen. Am Ende jeder Runde bekommen wir automatisch zwei dieser Karten, wobei wir hier auch Bedrohungen in Form eines Wirbelwinds und dem Fortschreiten von Mr. Mean stoßen können. Nach jeder Runde schlägt besagter Mr. Mean zu, der je nach Spielfortschritt eine zunehmende Anzahl an Räumen der Bibliothek mit einem Projektionsschwert attackiert. Wird ein Raum zweimal getroffen, stürzt er ein, was durch massive Pappmarker in Raumgröße symbolisiert wird. Das ganze wird etwas taktischer, da der Wirbelwind die bereits getroffenen Raumkarten ganzw ie bei Pandemie oben aufmischt. bereits getroffene Räume werden also wahrscheinlicher erneut getroffen.
Raumkarten bestimmen wo die Dimensionsschwerter zuschlagen
Damit sind die meisten Regeln abgedeckt. Es gibt noch hilfreiche Karten, die uns erlauben, mehrere Karten auszutauschen, uns durch einen geheimen Korridor zu bewegen, oder ein beliebiges Schwert in der Bibliothek zu entfernen. Außerdem haben alle unsere Charaktere eine kleine Sonderfertigkeit und auch das Handkartenlimit sollte nicht unterschätzt werden.
Das Spiel selber fällt damit recht geradlinig aus. Wir sammeln möglichst schnell Buchsets und entfernen möglichst viele Schwerter aus gefährdeten Räumen. Taktisch wird es durch die Optimierung von Aktionspunkten, indem wir Wege optimieren und Karten effizient verteilen. Auch die Bonuskarten wollen wohlüberlegt eingesetzt werden. Unsere Partien waren stets eng und die Mechaniken greifen gut ineinander, es bleibt aber insgesamt doch eher seicht. Durch die räumlich beschränkte Bibliothek und die recht reduzierten Regeln kommen wir sehr gut in das Spiel hinein, erreichen aber auch schnell eine Sättigung. Die taktischen Optionen sind für Vielspielende schnell erschlossen und man hat nach einer Partie eigentlich alles gesehen. So kann es sicherlich immer mal wieder als kooperatives Familienspiel auf den Tisch kommen, man wird aber kaum zu mehreren Partien am Stück verleitet.
Mr Mean will uns das Leseabenteuer gehörig vermiesen
Präsentationsfehler
Ich muss mich nicht wiederholen, dass die Optik wirklich hervorragend ist. Die Charaktere haben ihren Charme, die Bibliothek sieht ansprechend aus und die bereits kurz angesprochenen Ruinenfelder verändern das Spielfeld sichtlich. Leider hakt es gerade am Design an zwei Stellen: Zum ersten wäre da die Aufsicht des Spielplans, die den Eindruck erweckt, als ob nur manche Räume verbunden seien. Das Regelheft klärt uns jedoch auf, dass einfach manche Türen verdeckt sind und wir somit auch durch scheinbare Wände gehen dürfen. Das ist schade, aber schnell verinnerlicht. Schwerer wirkt hingegen die Farbauswahl. Die Farben der vier Buchtypen die wir sammeln, sind enorm nah aneinander. Neben einem Türkisblau verschwimmen Orange, Lila und Rot so sehr ineinander, dass man sich immer wieder fragt welche Farbe man gerade gezogen hat. Da auch keine Symbole oder unterschiedlichen Illustrationen zum Einsatz kommen, waren wir kurz davor, uns mit Farbstickern zu behelfen. Das ist mir bei einem ansonsten durchdachten und liebevoll gestalteten Spiel einfach nicht begreiflich, zumal hier eine der absoluten Kernmechaniken betroffen ist.
Die Farbpalette hätte beim zentralen Mechanismus mehr Kontrast vertragen
Auf der Plusseite stehen ganze 16 individuell gestaltete Lesende, die je eine der vier Bücherarten repräsentieren und als zu rettende Charaktere neben dem Spielplan bereitgelegt werden. Leider sind diese spielerisch gar nicht nötig: Das zu sammelnde Buch würde reichen. So schön diese Bonuskarten sind, wurde hier leider etwas Potential verspielt um mehr Varianz hineinzubringen. Aber vielleicht kann hier ja eine Fanerweiterung helfen?
Sprachbarrieren?
Wie bereits erwähnt sind die Marbushka Spiele multilingual angelegt. Die Karten sind weitgehend sprachneutral und enthalten keine Regeltexte. Sofern es sich nicht um Eigennamen handelt, sind Titel- oder Untertitel in Englisch gehalten, grundsätzlich würde aber auch die Illustration selber ausreichen. Alles wesentliche findet sich in den Spielregeln die in beachtlichen 10 Sprachen vorliegen.
Leider sind die Regeln mein zweiter größerer Kritikpunkt. Obwohl das Spielprinzip eigentlich recht simpel ist, wird das Spiel enorm umständlich erklärt. Vieles ergibt sich nur indirekt oder wird an Stellen erklärt wo man es nicht erwartet. Sicherlich finden wir auf den gerade einmal vier Seiten Regeln alles wieder, es braucht aber ein paar praktische Spielzüge, bis sich die Regeln erschließen. Hier wäre eine klarere Struktur und ein paar Beispiele sehr hilfreich, was sich aber problemlos als Download oder Bonusseite ergänzen lassen würde. Da sich im Deutschen leider auch ein Übersetzungsfehler findet, denken Shades of Home darüber bereits nach. Von besagtem Fehler abgesehen ist die deutsche Übersetzung übrigens ganz solide lesbar, ich fand die englischen Regeln aber etwas klarer.
Das Produkt wurde kostenlos für die Besprechung zur Verfügung gestellt.