The story goes as follows¹
Dune wurde publiziert und Herbert schreibt am zweiten Band Dune: Messiah. Die Kritik wird das Buch zerreißen, ein Satiremagazin kürt es gar zur “Enttäuschung des Jahres”. Frank Herbert bot das zweite Buch zunächst demselben Verleger an, der schon den Vorgänger publizierte: John W. Campbell, der jedoch ablehnt. Angeblich wünsche er keinen Hauptcharakter, der auf “tönernen Füßen” steht.
Was zunächst rein anekdotenhaft wirkt, muss ein wenig erläutert werden, um die Bedeutung der Ablehnung und deren Zusammenhang mit der Absicht Herberts zu verstehen. Zunächst war Campbell nicht irgendwer: seit den 1930er Jahren gab er das Magazin Astounding Science Fiction (seit 1960: Analog Science Fact & Fiction) heraus. Zu seinen Autoren gehörten noch heute über die SF-Szene hinaus bekannte Leute wie der berühmte Schriftsteller Isaac Asimov oder der berüchtigte Sektenbegründer L. Ron Hubbard. Campbell konnte diesen Autoren eine beachtliche Reichweite verschaffen, wenn sie seine Autorität akzeptierten. Zu Campbell schreibt Dietmar Dath in seiner Niegeschichte: “Wie fleißig, geschickt und ehrgeizig Campbell (...) war, erkennt man daran, dass die Periode seiner größten Macht – man kann es nicht anders nennen, "Einfluss" wäre verniedlichend – im SF-Feld im Rückblick als das "Golden Age", das Goldene Zeitalter des Genres geführt wird.”
Campbells Bestreben, auf den Inhalt der Geschichten Einfluss zu nehmen, erkennt man auch in einem kurzen Briefwechsel zwischen ihm und Herbert aus dem Jahr 1963². Zunächst gratuliert er Herbert zur Vaterschaft des neuen “Superman”, um ihm anschließend auf mehreren Seiten Hinweise (eher Anweisungen) zu geben, wie die Geschichte weitergehen könnte. Herbert bedankte sich in seinem Antwortschreiben freundlich und etwas verwundert über den langen Brief, geht aber auf die “Superman”-Frage nicht weiter ein. Zudem erwähnt er bereits einen Arbeitstitel für das zweite Buch, möchte aber noch nicht zu viel verraten. Er versichert Campbell jedoch, dass dessen Anregungen stets willkommen seien.
Jahre später behauptet Frank Herbert sehr (!) vorsichtig, einen Grund für die Absage seines Verlegers zu kennen: “Campbell turned down the sequel. His argument was that I had created an anti-hero in Paul in the sequel, and he had built his magazine (I’m oversimplifying—grossly oversimplifying) on the hero”.³
Im Folgenden werden wir darstellen, wie die Geschichte von Paul Atreides weiter erzählt wird. Was möchte Frank Herbert eigentlich erzählen? Und ist der Versuch gelungen?
Vom Held zum Anti-Held
“the difference between a hero and an anti-hero is where you stop the story.”
- Frank Herbert
Der erste Band der Dune-Saga endet mit dem Sieg Paul Atreides und der ihm treu ergebenen Fremen über die Harkonnens und letztlich über das Imperium. Paul erzwingt die Ehe mit Prinzessin Irulan, um sich selbst in die Thronfolge zu setzen. Chani, seine eigentliche Geliebte, wird zu seiner Zweitfrau und der Mutter seiner Kinder.
Dune: Messiah erzählt zu Beginn auf wenigen Seiten, was in den zwölf Jahren seit dem Aufstieg zum Imperator geschehen ist: an der Spitze eine interstellaren Dschihad, dem Milliarden von Menschen zum Opfer gefallen sind, erobert Paul Atreides als Messiahs seiner eigenen Theokratie das bekannte Universum. Wie schon im ersten Buch verrät Herbert gleich dessen Ende: Paul Atreides Herrschaft wird fallen, es geht nur noch darum, wann und wie. Da keine bekannte Macht ihm offenen Widerstand leisten kann, trifft sich im Geheimen eine Gruppe von Verschwörer*innen, der auch Prinzessin Irulan angehört. Gemeinsam wollen sie Paul stürzen. Hierzu greifen sie auf Klontechniken der Tleilaxu zurück. Im ersten Buch fiel Duncan Idaho, Paul Atreides Lehrer und Freund, im Kampf. Jetzt beleben die Tleilaxu ihn wieder und bringen den Wiedergänger Paul als Geschenk. Dieser wittert natürlich eine Falle, geht jedoch darauf ein. Die Verschwörer belassen es aber nicht dabei, im Hintergrund die Fäden zu ziehen. Im Gegenteil begeben sie sich in die Höhle des Löwen und treffen auf Paul von Angesicht zu Angesicht. Der Gesandte der Space Guild Edric spricht aus einem Tank heraus mit seinem Herrscher. Dem Orden der Qizarat und Paul wirft er Machtgier vor. “you’re saying my bishops and I are no better than power-hungry brigands”, behauptet Paul. Edric entgegnet “Power tends to isolate those who hold too much of it. Eventually, they lose touch with reality … and fall.” Edric springt der Tleilaxu Scytale zur Seite: “Some say (...) that people cling to Imperial leadership because space is infinite. They feel lonely without a unifying symbol. For a lonely people, the Emperor is a definite place. (...) Perhaps religion serves the same purpose.”
Diese Äußerungen über Macht erinnern stark an Frank Herberts eigene Auffassungen des “Systems”, wie er in “Dangers of the Superhero” schreibt: “Personal observations has convinced me that in the power arena of politics/economics (...) people tend to give over every decision-making capacity to any leader who can wrap himself in the myth fabric of the society.” [Persönliche Beobachtungen haben mich davon überzeugt, dass in der Machtarena von Politik/Wirtschaft (...) die Menschen dazu neigen, jede Entscheidungsbefugnis an eine Führungspersönlichkeit abzugeben, die sich in das Mythengewebe der Gesellschaft einwickeln kann. - Anm. d. Red.] Paul Atreides gelang – nicht zuletzt aufgrund der Vorarbeit der Bene Gesserit und der Hilfe seiner Mutter Jessica – genau dies. Herberts Bücher stellen somit auch eine Warnung vor autoritären Tendenzen dar: “ Don’t give over all of your critical faculties to people in power, no matter how admirable thase people may appear. Beneath the hero's facade, you will find a human being who makes human mistakes.” [Überlassen Sie nicht alle Ihre kritischen Fähigkeiten den Machthabern, egal wie bewundernswert diese Menschen erscheinen mögen. Hinter der Fassade des Helden verbirgt sich ein menschliches Wesen, das menschliche Fehler macht. - Anm. d. Red.] Allerdings sind seine Bücher in der Hinsicht weitaus scharfsinniger als seine politischen Ansichten. Denn Herbert vertritt auch die falsche Auffassung, dass Hitler, Lenin, Churchill und Roosevelt alle Repräsentanten desselben Problems seien.
Paul Atreides Herrschaft soll enden. Die Verschwörung bietet wirklich alles auf, um ihn auszuschalten: plans within plans und selbst vor dem Einsatz von Atomwaffen wird nicht zurückgeschreckt. Das Vorhaben scheitert, aber am Ende liegt Pauls Lebensgefährtin Chani tot am Boden und er selbst kann nur noch aufgrund seiner Gabe der Vorhersehung die Welt wahrnehmen, denn die Nuklearwaffe lässt ihn erblinden. Erschöpft entschließt sich Paul Atreides allein in die Wüste zu gehen.
Held, Anti-Held oder tragischer Held?
Aus einer Position relativer Machtlosigkeit zieht Paul Atreides aus in die Welt von Dune und erlangt neue Fähigkeiten und Verbündete. Er wird dabei allerdings nur vordergründig handlungsfähig, weil sein Schicksal immer schon vorherbestimmt scheint. Es gelingt ihm nicht, dem Sog der Prophezeiung über ihn zu entrinnen. Am Ende seiner Reise hat er das Universum nicht besser gemacht als es vorher war, sondern es in ein Schlachthaus verwandelt. Obwohl der Held das Gute will, ist sein schreckliches Ende immer schon vorherbestimmt. Paul wird kein Befreier, sondern ein Tyrann. Herbert gelingt also der Umschlag von Held zu Anti-Held, wie er es formulierte.
Pauls Theokratie stützt sich auf die Mythen der Bene Gesserit und der Gotteskrieger der ehemals unterdrückten Fremen. Wie der Filmkritiker Wolfgang M. Schmitt in seiner Besprechung des zweiten Dune-Films von Denis Villeneuve erwähnt, bedeutet die Zugehörigkeit zu einer unterdrückten und kolonisierten Gruppe noch lange nicht, dass man sich einer emanzipatorischen Bewegung anschließen würde – eine Idee, die Villeneuve von Herbert übernimmt. Dies ist ohne Zweifel ein starker Punkt des Buches und umso aktueller, als da der Djihad seit Erscheinen von Dune noch an Bedeutung und Anziehungskraft gewonnen hat, und dies nicht nur in postkolonialen Ländern.
Ob die Figur des “Anti-Helden” von Originalität zeugt, darf bezweifelt werden. Nora Weinelt führt in ihrem Aufsatz “Zum dialektischen Verhältnis der Begriffe "Held" und "Antiheld" an, dass “eines der augenfälligsten Merkmale des modernen Romans (...) (sei), seine Protagonisten, seine Helden an die Abgründe ihres Daseins zu begleiten und in Bewusstseinsströmen oder Traumsequenzen in sie hinabzublicken. Ein Heldentum im traditionellen Sinne wird dadurch strukturell verunmöglicht. [Dafür] ist der moderne Antiheld in seiner Negativität bisweilen schillernd und glänzend wie ehedem der klassische Held.”
Allerdings gelingt Herbert durch die Wahl des SF-Genres die Schaffung einer viel komplexeren, faszinierenderen Welt, als es der zeitgenössische literarische Mainstream für möglich halten würde. Denn diese große Metaebene bezieht Herbert aus seiner eigenen Zeit: wie die USA befindet sich das Imperium im Krieg in der Wüste, wobei eine kleine, aber sehr motivierte und zähe Armee ein hochgerüstetes Imperium aufhält. Und genau wie die USA nutzt auch das Imperium Massenvernichtungswaffen und scheitert trotzdem. Auch ohne Frank Herberts beruflichen Hintergrund zu kennen, ist erkennbar, dass diese Ereignisse und seine Arbeit als Kriegskorrespondent seine Erzählung stark beeinflussten.
Sein Supermann Paul Atreides ist schlussendlich doch nur ein Mensch. Ein Mensch mit überdurchschnittlichen Fähigkeiten und einem Harem, dessen größte Leistung jedoch darin besteht, dass er weiß, wann er aufhören muss. Der “Held” geht also in die Wüste.
Held, Anti-Held oder tragischer Held?
Aus einer Position relativer Machtlosigkeit zieht Paul Atreides aus in die Welt von Dune und erlangt neue Fähigkeiten und Verbündete. Er wird dabei allerdings nur vordergründig handlungsfähig, weil sein Schicksal immer schon vorherbestimmt scheint. Es gelingt ihm nicht, dem Sog der Prophezeiung über ihn zu entrinnen. Am Ende seiner Reise hat er das Universum nicht besser gemacht als es vorher war, sondern es in ein Schlachthaus verwandelt. Obwohl der Held das Gute will, ist sein schreckliches Ende immer schon vorherbestimmt. Paul wird kein Befreier, sondern ein Tyrann. Herbert gelingt also der Umschlag von Held zu Anti-Held, wie er es formulierte.
Pauls Theokratie stützt sich auf die Mythen der Bene Gesserit und der Gotteskrieger der ehemals unterdrückten Fremen. Wie der Filmkritiker Wolfgang M. Schmitt in seiner Besprechung des zweiten Dune-Films von Denis Villeneuve erwähnt, bedeutet die Zugehörigkeit zu einer unterdrückten und kolonisierten Gruppe noch lange nicht, dass man sich einer emanzipatorischen Bewegung anschließen würde – eine Idee, die Villeneuve von Herbert übernimmt. Dies ist ohne Zweifel ein starker Punkt des Buches und umso aktueller, als da der Djihad seit Erscheinen von Dune noch an Bedeutung und Anziehungskraft gewonnen hat, und dies nicht nur in postkolonialen Ländern.
Ob die Figur des “Anti-Helden” von Originalität zeugt, darf bezweifelt werden. Nora Weinelt führt in ihrem Aufsatz “Zum dialektischen Verhältnis der Begriffe ›Held‹ und ›Antiheld” an, dass “eines der augenfälligsten Merkmale des modernen Romans(...) (sei), seine Protagonisten, seine Helden an die Abgründe ihres Daseins zu begleiten und in Bewusstseinsströmen oder Traumsequenzen in sie hinabzublicken. Ein Heldentum im traditionellen Sinne wird dadurch strukturell verunmöglicht, der Held qua Bewusstsein zum Antihelden.” Dies verortet sie aber in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Als “Dune” erscheint, ist der Anti-Held bereits zur Regel geworden, wie sich auch an Superheldenfilmen zeigen lässt: Das Marvel Cinematic Universe trumpft mit Loki, Deadpool und Punisher auf, die X-Men haben Magneto, DC gleich die Suicide Squad. Paul Atreides sticht jedoch etwas heraus, da man ein ganzes Buch lang mit ihm mitfiebert und hofft, dass er erfolgreich wird – um gleich zu Beginn des zweiten Buches bitter enttäuscht zu werden.
Fraglich bleibt jedoch, ob die Beschreibung von Paul Atreides als “Anti-Held” überhaupt den Kern der Sache trifft. Ist Paul nicht viel eher ein tragischer Held, der Einblick in sein Schicksal gewinnt, es aber widerstrebend akzeptiert und exekutiert? Zum “tragischen Helden” schreibt Ulrich Bröckling in “Postheroische Helden. Ein Zeitbild”: “Statt zur Nachahmung anzuhalten, affizieren sie ihr Publikum, indem sie es einem Wechselbad von Identifikation und Erschrecken, Hoffnung und Verzweiflung unterziehen und ihm durch die Intensität des Miterlebens zu emotionalem Ausgleich und moralischer Läuterung verhelfen.”
Darin mag ohne Frage die Stärke von “Dune” liegen: den Wahrheitsgehalt einer griechischen Tragödie – der Name Atreides erinnert an die Atreiden – in einer Science Fantasy-Welt zu bewahren. Aber Herbert verbleibt damit selbst in einer Erzählung des Heroischen. Ein männlicher Kämpfer vollbringt auch dank seiner Opferbereitschaft unglaubliche Taten, die ihn aus der Menge herausstechen lassen und den Lesenden eine Lehre sein sollen. Politisch betrachtet ist Heldentum im Allgemeinen jedoch kaum nachahmenswert, wie Bröckling schreibt: “Heldentum: ein Egotrip”. Stattdessen plädiert er trotz aller Kritik für Geschichten, die die Autorin Ursula K. Le Guin in einem kurzen Aufsatz über Tragetaschen skizziert. In diesen sollen Menschen zu Beginn der Kultur gesammelt haben. Auch der Held hätte darin seinen Platz: “Le Guin denkt das Heroische nicht kaputt, sie holt die Helden vom Sockel, packt sie zusammen mit vielen anderen Menschen, Tieren und Dingen in eine große Tasche und stellt ihren Abenteuern eine Fülle an Geschichten zur Seite, die nicht von Kämpfen, Töten und Sich-Opfern handeln, sondern vom Sammeln und Versammeln.”
Ein Artikel von Philipp Wilhelm Kranemann & Tom David Uhlig
Zu allen Artikeln der Dune für Dummies Reihe
Anmerkungen
¹ Beziehungsweise wird die Story so von Brian Herbert in seiner Einführung zu Dune: Messiah erzählt.
² Campbells Brief wurde festgehalten im Sammelband Maker of Dune und den The John W. Campbells Letters. Volume 1
³ Die Betonung hier sollte vielleicht auf “Grossly oversimplifying” liegen. Schon 1963 legte Campbell in seinem Brief nahe, dass die Geschichte des Paul Atreides sich auch entwickeln könnte oder sollte wie die von Hitler oder Torquemada – beides keine Anti-Helden, aber auch keine heroischen Vorbilder.