Die Welt, wie wir sie kannten, ging schon im Jahr 2013 unter. Es war nicht nur das Erscheinungsjahr von The Last of Us, sondern auch das Jahr, in dem der eigentlich nur für Ameisen gefährliche Cordyzeps-Fungus mutiert und Menschen in hyperaggressive Zombies verwandelt. Zumindest tut er dies in besagtem Spiel. Die Stunde Null erleben wir aus den Augen eines Kindes. Als Joels Tochter Sarah fliehen wir mit unserem Vater aus der Stadt, als die Hölle losbricht. Doch die Stadt wird vom Militär abgeriegelt, um die Infektion einzudämmen. Ein übereifriger Soldat eröffnet das Feuer auf Sarah und Joel. An diesem Tag verliert Joel seine neunjährige Tochter. Die Endzeit beginnt. Mit einem riesigen Kloß im Hals verarbeiten wir diesen plötzlichen emotionalen Schlag in die Magengrube.
Der großartige erste Teil
Unsere Trauer überdauert den Zeitsprung von 20 Jahren, der nun folgt. Der Cordyzeps-Pilz hat die Menschheit auf ein Minimum reduziert. Die Infizierten verfaulen nicht. Sie leben ewig und mutieren zu noch gefährlicheren Monstern. Im Jahr 2033 ist Joel ein Schmuggler. Er soll für die Untergrundorganisation Fireflies ein 14jähriges Mädchen namens Ellie nach Salt Lake City eskortieren. Sie ist die einzige Hoffnung auf ein Heilmittel für der Menschheit, da sie gegen den Pilz immun ist. Wir eskortieren Ellie also quer durch die USA. Joel, der seit 20 Jahren emotional verwahrlost, fühlt sich an seine Tochter Sarah erinnert. Das Verhältnis zwischen beiden entwickelt sich zu einer Art Vater-Tochter-Beziehung. Doch am Ziel angekommen erfährt er, dass Ellie die Operation zur Extraktion des Impfstoffes nicht überleben wird. Joel, will seine Tochterfigur nicht ein zweites Mal verlieren und rettet sie aus dem OP-Saal. Die Fireflies stellen sich Joel in den Weg. Er hat keine andere Wahl, als sie einen nach dem anderen zu beseitigen. Als Ellie aus der Narkose erwacht, sind sie bereits auf dem Rückweg. Joel verschweigt ihr, was er getan hat, um sie zu retten und versichert ihr, dass es noch andere immune Menschen gibt. Das Spiel endet und wir haben das Gefühl, das Richtige getan zu haben.
Die Schatten der Vergangenheit
Wir schreiben das Jahr 2020 in der realen Welt. Ein Grippevirus aus Wuhan versucht unsere Gesellschaft zum Kollabieren zu bringen. In Naughty Dogs Endzeitepos ist das unlängst geschehen. 2037, vier Jahre nach den Geschehnissen des ersten Teils und damit 24 Jahre nach dem Ausbruch, gibt es noch immer keinen Impfstoff gegen die Pilzinfektion. Joel und Ellie leben in einer Siedlung namens Jackson in Wyoming. Doch die Schatten der Vergangenheit drohen Joels zweite Chance auf eine heile Familie zu zerstören. Vielleicht war diese Chance aber auch nie da. Die Ereignisse überschlagen sich und nach nur einer Stunde stehen wir erneut fassungslos vor dem Fernseher und ringen mit unseren Emotionen. Aber anstatt Trauer ist es dieses Mal Wut: Wut auf einen neuen Gegenspieler und Wut auf die Drehbuchautoren dieses Spiels.
Ein technischer Meilenstein für die PS4
Ich sage bewusst nicht Entwickler, denn das Spiel selbst ist ein Meisterwerk der Technik und kann ohne Weiteres als Messlatte für die Power der Playstation 4 betrachtet werden. Die schneebedeckte Umgebung von Wyoming sowie die überwucherten Ruinen von Seattle strotzen vor Details. Reale Bauwerke und Straßenzüge sind wiederzuerkennen. Die Natur hat sich diese Orte zurückgeholt. Die Straßen, unter den ewigen Wassermassen zerbrochen, sind für die wenigen noch funktionstüchtigen Fahrzeuge nur noch bedingt passierbar. Als die Zivilisation zusammenbrach, wurden die Großstädte zu Festungen, in denen die Regierung versuchte, die Ordnung zu bewahren, bis sie die Kontrolle verloren und von rebellierenden Gruppierungen vertrieben wurden. Feinde gibt es viele und wir müssen auf die Umgebung achten. In den dunklen Tunneln und verlassenen Häusern schleichen die mutierten Infizierten umher. Das Einatmen der Cordyzeps-Sporen ist tödlich. Nur Ellie ist immun, doch sie hält es geheim.
Das Kampfsystem hat sich im Vergleich zum Vorgänger nicht verändert. Wir haben zwar mehrere Handwaffen zur Auswahl, jedoch ist die Munition begrenzt und die Schüsse verraten unsere Position für alle anwesenden Feinde. Als Ellie besitzen wir ein Messer mit dem wir Gegner von hinten überwältigen können. Neuerdings können wir uns im hohen Gras verstecken. Allerdings sind wir nicht völlig unsichtbar. Gegner können uns dennoch erspähen, wenn sie uns zu nahe kommen. Aber auch wir können unsere Sinne verschärfen und per Knopfdruck akustische Signale hinter der Wand sichtbar werden lassen.
Künstliche Intelligenz
Einige menschliche Milizen führen nun außerdem Hunde mit sich, die uns erschnüffeln können. Die Patrouillen kommunizieren miteinander und reagieren mit Routenwechseln, wenn einer ihrer Kameraden nicht antwortet. Die Mutanten verlieren mit fortgeschrittenem Infektionsgrad ihre Sehkraft und orientieren sich nach Schall. Die frisch Infizierten können uns sehen, lassen sich aber teilweise noch im Nahkampf besiegen, während Klicker, Shambler und Bloater uns im direkten Kontakt meist sofort töten. Manchmal muss man sich eine gute Strategie ausdenken, in welcher Reihenfolge man die Gegnermassen am besten ausschaltet. Optionalerweise kann man sich auch an Gegnern vorbeischleichen. Wer ganz fies sein möchte, kann die Infizierten durch ein Wurfgeschoss auf die menschlichen Gegner hetzen. So macht es Spaß, die KI auszutricksen und man spart Munition.
Unsere Begleiter-KI hingegen kann uns da leider manchmal auch zur Last werden. Naughty Dog gibt seinen Spielehelden immer einen Sidekick, um die Geschichte in langen Laufpassagen durch Dialoge auszubauen. Das funktioniert in einem aktiongeladenen Uncharted hervorragend. Im schleichlastigen The Last of Us Part 2 lassen unsere Begleiter uns meist die ganze Arbeit machen und drängen uns zeitweise sogar aus der Deckung, sodass wir gesehen und angegriffen werden. In seltenen Fällen erledigen sie dann den letzten Gegner im Raum. Als Ellie später allein durch die Straßen zieht, kommen uns einige Begegnungen einfacher vor, da wir unauffälliger schleichen können.
Damit wir überhaupt eine Chance haben, sollten wir jeden Stein umdrehen. Links und rechts der Hauptwege befinden sich leere Häuser, in denen wir Schrott für Upgrades und Munition sammeln können. Nur einmal im ersten Drittel betreten wir einen größeren Bereich, der The Last of US wie eine Open World wirken lässt. In diesen optionalen Gebieten sammeln wir versteckte Waffen auf und aktivieren sogar Zwischensequenzen, die wir auch komplett verpassen können. Später gibt es zwar noch leere Gebäude. Die Straßen, auf denen sie sich befinden, führen aber strikt linear zum nächsten Ziel.
Ein langer Weg zum Ziel
Damit kommen wir auch zum ersten Kritikpunkt des Spiels. The Last of Us Part 2 enthält technisch gesehen zwei komplette Kampagnen, dazu einige Zeitsprünge und Rückblicke zu relevanten Schlüsselmomenten. Die Spielzeit des ersten Spieldurchgangs kann sich damit tatsächlich über 40 Stunden erstrecken. Während der Prolog und die zahlreichen Rückblicke durchaus spannende Hintergrundinfos über unsere Protagonisten geben, bestehen die Passagen in der Gegenwart aus immer wiederkehrenden Abläufen, in denen wir durch einen Abschnitt schleichen, jedes Stückchen Schrott mitnehmen und dann in eine mehr-minütige Dialogsequenz übergehen, die wiederum in einem neuen Schleichabschnitt mündet. Was in einer echten Open World, wie Days Gone noch motiviert, weil es spielerischen Fortschritt und Herausforderungen enthält, wirkt im erzählerisch fokussierten The Last of Us Part 2 wie Spielzeitstreckung, da es spielerisch auch nach 30 Stunden nichts Neues mehr liefert.
Da wir nach der Hälfte des Spiels einen Charakterwechsel vornehmen und damit auch im Fähigkeitenbaum wieder ganz bei Null anfangen, fühlt sich The Last of Us Part 2 ab diesem Zeitpunkt wie ein komplett neues Spiel an. Doch der der Perspektivenwechsel hat auch einen anderen Grund.
The Last of Us Part 2 hat eine Kontroverse ausgelöst. Im folgenden Abschnitt erklären wir, warum das Spiel vielen Fans des ersten Teils sauer aufgestoßen ist. Damit wir euch jedoch nicht das Spiel verderben, haben wir diesen Abschnitt hinter einer Spoilerwarnung versteckt. Falls Ihr diese dennoch lesen wollt, klickt einfach auf den Spoilerbutton.
Wir sind Joel
Joel ist eine tragische Figur. Als wir im ersten Teil mit ansehen müssen, wie wir unsere Tochter Sarah verlieren, sitzt uns der Schock tief im Nacken. Während wir den Verlust noch verarbeiten, springt das Spiel 20 Jahre in die Zukunft. Joel ist nicht mehr derselbe, der er mal war. Ohne seine Tochter hat er nichts, das ihn an seiner Menschlichkeit festhalten lässt. Als Schmuggler begeht er Abscheulichkeiten, doch seine Mitmenschen sind nicht viel anders als er selbst. Wer überleben möchte, hat in dieser Realität oftmals nur die Wahl, sich selbst am Nächsten zu sein. Die Mission, Ellie sicher zu den Fireflies in Salt Lake City zu eskortieren zwingt ihn nach Jahren zum Umdenken. Er schmuggelt nun keine Ware mehr, sondern ein verletzliches Lebewesen mit eigenem Kopf und einem Verhalten, das ihn an vergangene Zeiten mit Sarah erinnert. Auf der Reise nach Utah wachsen die beiden Figuren zusammen. Als wir am Ende unserer Reise erfahren, dass Ellie die Operation nicht überleben wird, beschließt Joel sie zu retten. Als Spieler*in zögern wir keine Minute und stellen uns den Horden der Gegner entgegen, die die einzige Familie zerstören wollen, die Joel nach zwei einsamen Jahrzehnten hat. Auch, wenn Ellie die Wahrheit nicht erfährt, zweifeln wir als Spieler*in keine Sekunde daran, das Richtige getan zu haben. Die Frage, ob Joels Entscheidung ethisch war, stellt sich uns nicht. Die Menschheit in The Last of Us ist abstrakt und in all seinen auftretenden Formen grausam. Als Spieler*in fühlen wir uns somit zu den Menschen hingezogen, die unser Weltbild am ehesten vertreten. Deswegen stehen wir zu Joel: wir sind Joel.
Wer sind wir nun?
Als The Last of Us Part 2 beginnt, lassen wir die Geschehnisse erneut Revue passieren. Zweifellos werden sie in dieser Erzählung eine Rolle spielen. Doch Joel ist nicht länger der Träger der Erzählung. In der neuen Welt ist Ellie 18 Jahre alt, sie hat sich in einer Gesellschaft etabliert, die der unsrigen nicht unähnlich ist. Abgeschottet vom Endzeitchaos der Großstadtruinen, ist Jackson der Mikrokosmos einer Welt vor der Apokalypse. Menschen funktionieren in ihren zugeteilten Rollen und tragen zum Überleben des Bestandes bei. Doch sie bringt ihre alten Schwächen, wie Homophobie, Sexismus und Rassismus mit sich.
Ellies quirlige und etwas naive Persona aus dem Vorgänger weicht einer verbitterten und depressiven Version, die durch Vertrauensverlust und Diffamierung die ganze Welt gegen sich wähnt. Die zwischen Gleichgültigkeit und Rage wechselnde Figur Ellie baut damit eine Mauer um sich und die Spieler*innen, die es uns schwer macht, neue verbündete Figuren wie Dina oder Jesse in unser Herz zu schließen, so wie es die junge Ellie damals bei Joel tat. So verdanken wir es auch nur dem ersten Teil, dass wir überhaupt einen Zugang zur erwachsenen Ellie erhalten. Doch als wir schließlich die Seiten wechseln, steuern wir eine Figur, die diesen Umstand nicht mit Ellie teilt.
Spoiler!
Wir schlüpfen in die Rolle von Abby, einer durch Rache angetriebenen Frau, deren Ziel es ist Joel für ein nicht näher genanntes Ereignis zu töten. Spieler*innen des ersten Teils können es jedoch bereits erahnen. Durch eine Reihe (un)glücklicher Umstände wird ihr und ihren Freunden das Objekt ihrer Rache auf dem Silbertablett serviert. Aus den Augen Ellies erleben wir den schonungslosen Rachemord an Joel. Ohne einen Hinweis auf Abbys Motiv schwören wir unsererseits Rache für den Tod an unserer Vaterfigur. Abby muss sterben. Nichts auf dieser Welt kann uns Sympathie für Abby fühlen lassen. Oder doch?
Nach drei schweißtreibenden Tagen in der Haut von Ellie konfrontiert uns Abby und droht uns für den Mord an ihren Freunden zu töten. Bekommt Ellie endlich ihre Rache oder wird sie am Ende alles verlieren. Viel zu spät erhalten wir Einsicht in Abbys Motive. Nun spielen wir die gleichen drei Tage in Seattle aus der Sicht von Abby. Aber vorher springen wir vier Jahre in die Vergangenheit. Wir erfahren den Grund für ihre Rache an Joel. Viel Zeit bleibt uns nicht, Abbys Vater kennenzulernen. Er liebt Tiere und sammelt gerne Münzen. Doch Ellies Tod nimmt er für das höhere Wohl mit Leichtigkeit in Kauf, als er den Impfstoff extrahieren will. Als Joel Ellie retten will stellt er sich diesem mit einem Messer entgegen. Abby findet ihren Vater tot am OP-Tisch. Ich soll mit ihr fühlen, doch ich tue es nicht. Im Gegenteil, ein bisschen denke ich, dass er es verdient hat.
Die folgenden 20 Stunden in Abbys Haut spielen wir ohne den emotionalen Rachedurst von Ellie. Wir werden gefoltert, retten ein verstoßenes Kind vor den fanatischen Seraphiten und werden zu seinem Beschützer. Ein wenig fühlt es sich an wie im ersten Teil, als wir in der Haut von Joel die junge Ellie beschützen müssen. Ein wenig ... Aber nein, es will nicht klappen. Am Ende mag ich Abby noch immer nicht wirklich, auch wenn sie jetzt etwas menschlicher wirkt. Als sich nun endlich der Kreis schließt, stehen wir mit gezogener Waffe vor Ellie. Nun bekämpfen wir Ellie aus der Sicht von Abby. Beinahe fühlt es sich an, als zwänge uns jemand dazu, unsere eigenen Freunde zu ermorden. Selbst, wenn wir es schaffen innerhalb der vergangenen 20 Stunden so etwas wie Sympathie für Abby zu entwickeln, so geht diese in genau dem Augenblick verloren, in der sie die schwangere Dina kaltblütig erstechen will, nur um Ellie zu provozieren. Ist das Absicht? Naughty Dogs Pläne für die Spieler*innen werden immer nebulöser und ich verliere allmählich die Lust am Spielen. Ich bin nicht Abby. Ich steuere nur ihre Figur.
Sympathy for the Devil
The Last of Us Part 2 handelt von Rache und seiner unendlichen Spirale von Konterrache. Am Ende scheitert Naughty Dog daran, uns für beide Seiten Sympathie aufzubringen zu lassen. Die Idee den Erzfeind zu verkörpern, klingt nach einer frischen. Die schwarzweiße Welt von Gut und Böse verschwimmt in einer Grauzone, in der wir hin- und hergerissen werden sollen. Jeder Charakter hat seine Gründe, beide wollen Genugtuung für ihr Leiden. Die Umsetzung leidet aber unter der Voreingenommenheit der Spieler*innen, die in Joel eine nachvollziehbare Vaterfigur fanden. Die neuen Protagonisten des Nachfolgers schaffen es nicht, mit den etablierten Charakteren gleichzuziehen.
Das bedeutet in keinster Weise, dass die Handlung des Spiels unrealistisch ist. Das Gegenteil ist der Fall: Die Welt von The Last of Us wirkt erschreckend real, die Verrohung der Gesellschaft im Angesicht des ewig drohenden Untergangs wird durch die Fraktionen der WLF und den fanatischen Seraphiten sehr authentisch dargestellt. Das Worldbuilding in den zahlreichen Notizen, die wir am Wegesrand finden, lässt uns nur erahnen, was in der Vergangenheit dort geschehen sein muss. Die Hauptfiguren wirken realistisch und nachvollziehbar.
Naughty Dog musste die Wahl treffen, die Spieler*innen mit roher Gewalt zu schocken oder ihn durch eine nachvollziehbarere Anordnung der erzählerischen Abschnitte zu führen. Dabei hätte die Handlung selbst gar nicht verändert werden müssen. Neil Druckmans Intention den Spaß aus dem Spiel zu entfernen, um die Schonungslosigkeit dieser Welt zu demonstrieren, mag funktioniert haben, doch zu welchem Preis?