Venedig um 1500. Die Menschen werden in Angst und Schrecken versetzt, denn in der Lagunenstadt verschwindet das Wasser und macht einem schrecklichen Nebel Platz, der eine tödliche Krankheit mit sich bringt. Der 16-jährige Venezianer Marco findet sich plötzlich in einer alles entscheidenden Position wieder, die er sich nicht ausgesucht hat. Als Einziger kann er mit dem Wasser sprechen und so die Lubriche herbeirufen, Fischmenschen, die unter den Häusern und Stegen der Stadt wohnen und helfen können, Venedig vor dem Untergang zu retten ...
Was wie eine besondere Gabe klingt, ist für den Protagonisten Marco im Roman Lagunenrauner von Gunnar Kunz zunächst ein Fluch, denn das Wasser, mit welchem er eine magische Verbindung herstellen kann, hat ihm vor Jahren seine kleine Schwester genommen. So findet in diesem Roman nicht nur ein äußerer Kampf statt, sondern auch ein innerer Konflikt, bei dem der Protagonist seine tiefsten Ängste überwinden muss, um eine Stadt vor dem Untergang zu retten.
Die geheimnisvolle Stadt am Wasser
Das mystische Venedig ist für eine Geschichte rund um Wasser und Fischmenschen die richtige Umgebung. Die Stadt am Wasser hat Autor Gunnar Kunz schon immer fasziniert, denn sie hat eine Persönlichkeit, die es ihm besonders angetan hat. Prunksucht und derbe Sinnlichkeit, Lust am Morbiden und die Aura des Geheimnisvollen sind Teil dieser Mystik, beschreiben Venedig aber nur unzulänglich. Sein wahres Licht liegt nicht in der Enge der Gassen, der Pracht der Fassaden oder dem allgegenwärtigen Wasser, sondern in den Zwischenräumen: den Rissen in den Fensterläden, den Mauerstellen, an denen der Putz abbröckelt, dem Grenzbereich zwischen der Dunkelheit der Gassen und den lichtdurchfluteten Campi (Plätzen).
Venedig – und doch nicht Venedig?
Für seinen Roman hat Gunnar Kunz die Aussage „Venedig sinkt“ wörtlich genommen und den realen Gegebenheiten, wie es in Romanen üblich ist, eigene Ideen hinzugefügt. Er stellte sich beispielsweise die Frage, wie es wäre, wenn die Stadt tatsächlich langsam untergehen würde und jeder Bewohner während seines Lebens dreimal ein neues Stockwerk auf sein Haus bauen und weiter nach oben ziehen müsste. Zum anderen hat er eine Erfahrung, die praktisch jeder Venedig-Reisende macht, fantastisch interpretiert: Das Verlaufen in den engen Gassen steht für Besucher auf der Tagesordnung. Aber was wäre, wenn man sich in Wahrheit gar nicht verliefe, sondern eine unsichtbare Strömung dafür sorgen würde, dass bisweilen Gebäude davongespült und wie Strandgut an anderer Stelle wieder an Land getrieben würden? Die Stadt also in ständiger Bewegung wäre?
Pinselstriche von Magie
Das Besondere des Romans liegt in erster Linie im Zusammentreffen magischer Elemente mit einer Stadt, die an sich so fantastisch anmutet, dass sich diese Elemente nahtlos einfügen. Auch Details wie das verschwundene Haus von Marco Polo und die Figur des Leonardo da Vinci tauchen in der Geschichte auf. Der Autor ist tief in die Geschichte der Stadt am Wasser eingetaucht. Die magischen Elemente werden dabei nicht überbordend beschrieben, sie bestehen aus leisen Zwischentönen.
Text: Jorina Havet
Lagunenrauner (Gunnar Kunz)
Venedig im Jahr 1500. Schwarzer Nebel schlängelt sich durch die Lagune, schwarz wie der Lack einer Gondel, und bringt den Tod in die Stadt. Marco, Sohn eines Glasbläsers, und seine Freundin Chiara, die Maskenmacherin, versuchen gemeinsam mit dem Gelehrten Leonardo da Vinci, Venedig zu retten. Dabei müssen sie nicht nur gegen uralte Magie kämpfen, gegen Intrigen und Verrat, sondern sich auch den Schatten ihrer Vergangenheit stellen – und dem, was der Legende nach tief unter der Stadt haust.
Lagunenrauner beschwört den Zauber Venedigs, dessen schillernde Persönlichkeit nicht in der Pracht der Fassaden liegt, sondern im Grenzbereich zwischen der Dunkelheit der Gassen und den lichtdurchtränkten Campi, da, wo Zwielicht herrscht, das die Augen narrt und einem Dinge vorgaukelt, die weder Wahrheit noch Lüge sind, sondern Möglichkeit.
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Dieser Artikel erschien erstmals in der Zauberwelten Frühjahr 2024. Mit dem Code 100ZW2403! könnt ihr euch diese Ausgabe kostenlos als PDF downloaden.
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Dieser Artikel ist erschienen bei:
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