Willard Eldridge – nennen wir ihn ruhig Mr. Eldritch, das tun alle hier – beginnt seinen morgendlichen Rundgang durch den Garten um Punkt sieben, begleitet von seiner englischen Bulldogge Boozer. Nur eine Minute später macht er einen frischen Maulwurfshaufen zwischen den Apfelbäumen nahe der Mauer ausfindig. Während sein altgedienter Arbeitsstiefel (Schuhgröße vierundvierzig) die aufgeworfene Erde verdichtet, sucht Boozer mit der Nase im taufeuchten Gras nach einer Duftspur des unterirdischen Übeltäters.
Aus einer vorsorglich gefüllten Tasche seiner Wachsjacke lässt Mr. Eldritch eine Handvoll Samen auf die Narbe im Rasen rieseln. „Mistviecher“, knurrt er. Die Furchen, die die Kränkungen des Lebens in seinem schmalen Gesicht hinterlassen haben, kräuseln und vertiefen sich und lassen ihn wie einen alten Griesgram aussehen, obwohl er gerade erst die Fünfzig überschritten hat. Ihnen verdankt er seinen wenig schmeichelhaften Beinamen: Eldritch – der Unheimliche.
Doch die Rasenschändung ist sein geringstes Problem. Mr. Eldritch quälen ganz andere Sorgen. Zum Beispiel die tags zuvor aufgefundenen Spuren im Kürbisbeet, die eine nicht zu leugnende Ähnlichkeit mit menschlichen Fußabdrücken aufweisen (Schuhgröße dreieinhalb). Die üblichen Verdächtigen – Kaninchen, Krähen, Ratten – scheiden damit als Verursacher aus. Hamster vielleicht, die hatte er noch nicht. Welcher gemüsenagende Schädling auch immer sich unerlaubt in seinem Garten herumtreibt: die Schnappfalle, die er gestern Abend aufgestellt hat, wird ihm ein schnelles und gerechtes Ende bereiten.
Mr. Eldritch blickt sich nach seinem Hund um, der schwanzwedelnd und mit aufgestellten Ohren einen längst eingeebneten Maulwurfshaufen bewacht.
"Boozer, du saublödes Vieh! Komm her!"
Bulldogge und Herrchen trotten Richtung Gemüsebeete. Es ist Anfang September, und die Kürbisse benötigen noch einige Zeit bis zur Reife. Umso augenscheinlicher ist der unerhörte Umfang eines Exemplars, das seine kleineren Nachbarn beiseite drängt wie ein Kuckucksküken seine Stiefgeschwister.
Normalerweise schlägt Mr. Eldritchs Gärtnerherz beim Anblick der wohlverdienten Früchte seiner Arbeit höher, aber er kann sich nicht erinnern, zu diesem absonder-lichen Wachstum wissentlich beigetragen zu haben. Sollte er versehentlich eine Schubkarre Pferdemist an einer bereits gedüngten Stelle untergegraben haben? Er kratzt sich am Kinn.
Sein Blick fällt auf die unberührte Schnappfalle.
Ein kleiner Zettel liegt davor. Ein sehr kleiner Zettel, nicht größer als eine Briefmarke, auf den jemand in zierlicher Handschrift etwas gekritzelt hat. Mr. Eldritch muss die Augen zusammenkneifen, um die Nachricht zu entziffern.
Sie könnten jemanden verletzen, steht da.
Boozer beschnüffelt derweil die Falle; der Bügel schnappt zu und verbeißt sich in eine der zahllosen Hautfalten, aus denen sein zerknautschtes Gesicht besteht. Jaulend wetzt Boozer quer durch die Beete davon.
Mr. Eldritch misst diesem Vorfall nur mäßiges Interesse bei. "Sie könnten jemanden verletzen", imitiert er näselnd den Tonfall der lokalen Bauerntölpel (seiner Definition nach sind das die meisten Leute jenseits der Mauer). Dann wird ihm bewusst, dass die Bauerntölpel bereits an der Aufgabe gescheitert wären, ein ausreichend filigranes Schreibutensil aufzutreiben, von der orthographischen Glanzleistung, einen fehlerfreien Satz zu produzieren, ganz zu schweigen. Nein, er hat es hier mit einer gewiefteren Sorte von schlechten Menschen zu tun.
Es bereitet ihm wenig Befriedigung, ein derart winziges Stückchen Papier zu zerknüllen; es fühlt sich an, als würde man statt mit der Faust mit einem Watte-stäbchen auf den Tisch hauen. Dafür zeigt Mr. Eldritch jetzt das ganze furchtein-flößende Repertoire seines Mienenspiels. Bringt euch in Sicherheit, Kinder, der unheimliche Alte kommt!
"Mr. Eldridge! Welche Laus ist Ihnen denn über die Leber gelaufen?"
Über die Gartenpforte hinweg sieht sich Mr. Eldritch dem besorgten Blick von Mrs. Anne Swanson ausgesetzt, einer rundum rundlichen und rosigen Dame von erfrischender Herzlichkeit, die zu vergraulen er bisher nicht über sich gebracht hat. Auch wenn er es nie zugeben würde, genießt er ihre gelegentlichen Plaudereien.
Er schiebt den Unterkiefer vor und zurück und von links nach rechts, um die Gesichtsmuskulatur wieder geschmeidig zu machen. "Sind nur wieder diese gefräßigen Schädlinge", schwindelt er.
"Ja, das kann einem schon aufs Gemüt schlagen." Mrs. Swanson, zwischen deren kräftigen Beinen ein Fahrrad klemmt, nickt wissend. Im Hintergrund hören wir Boozer heulen.
"Soll ich Ihnen etwas vom Markt mitbringen, mein Lieber?" Es ist eine harmlose und wohlbekannte Angewohnheit von Mrs. Swanson, jedermann mit "mein Lieber" anzureden. Für Mr. Eldritch jedoch, der weniger schmeichelhafte Titulierungen als Teil seiner Persönlichkeit akzeptiert hat, stellt sie eine peinliche Indiskretion dar.
"Also …" Er räuspert sich. "Eher nicht. Denke ich." Das gemurmelte "Denke ich" ersetzt das "Danke", das er vor etwa zwanzig Jahren aus seinem Wortschatz verbannt hat. Es stellt für ihn den Zenit der Galanterie dar.
In diesem Augenblick schießt Boozer von der rechten Seite heran, schlackert mit den Lefzen und schleudert die bissige Schnappfalle direkt vor die Gartenpforte.
Mrs. Swanson reißt die Augen auf. "Mr. Eldridge! Stellen Sie neuerdings etwa diese grässlichen Dinger in den Beeten auf? Damit könnten Sie jemanden verletzen!"
Die Worte sickern langsam in Mr. Eldritchs Bewusstsein ein. Während ein Teil seiner selbst noch auf dem Dachboden die Kiste mit dem gesunden Menschen-verstand sucht, bemächtigt ein anderer sich der Füße und steuert auf Mrs. Swanson zu.
"Haben Sie das geschrieben?"
Mrs. Swanson, mehr indigniert als eingeschüchtert, nimmt das zerknitterte Zettelchen aus seiner zitternden Hand, streicht es behutsam glatt und liest.
Anschließend blickt sie Mr. Eldritch mit ernster Miene in die Augen. "Machen Sie uns einen Tee, mein Lieber! Ich würde Ihnen gerne etwas erzählen."
"Gnome?" Tee schwappt über den Rand von Mr. Eldritchs Tasse.
"Aber ja!" Mrs. Swanson nickt eifrig. "Mein verstorbener Ehemann, Gott habe ihn selig, hatte regelmäßig welche in seiner Werkstatt."
"Sie wollen mir nicht erzählen, Sie hätten schon einmal Gnome gesehen!"
"Nein, ich nicht. Und auch mein Jacob nicht. Aber die Gnome haben sich manchmal Werkzeug ausgeborgt, und wenn sie es zurückbrachten, war es wie neu."
"Mrs. Swanson …"
"Und in einer Nacht haben sie die klappernden Schindeln festgenagelt. Jacob konnte ja wegen seines schlimmen Knies nicht mehr aufs Dach steigen."
"Mrs. Swanson …"
"Und erinnern Sie sich an den strengen Winter vor zwölf Jahren? Da haben die kleinen Kerle sich an unserer Kohle bedient und öfter was aus der Speisekammer mitgehen lassen. Und morgens lagen immer diese freundlichen Briefchen da. Entschuldigung hierfür, Dankeschön dafür …"
"Mrs. Swanson!" Mr. Eldritch springt auf. "Ich habe Sie bisher für eine durchaus vernünftige Frau gehalten, aber jetzt kommen mir ernsthafte Zweifel an Ihrer geistigen Gesundheit!"
Auch Mrs. Swanson erhebt sich, wenn auch aufgrund ihrer Leibesfülle nicht so ruckartig wie ihr Gastgeber. "Mr. Eldridge, Sie sollten dankbar sein für dieses Geschenk, auch wenn mir scheint, dass es Ihnen unverdientermaßen zuteilgeworden ist." Sie benutzt den Tonfall, mit dem sie in der Sonntagsschule Anflüge von Renitenz im Keim erstickt. "Wenn Sie sich mit den Gnomen erst einmal arrangiert haben, werden Sie feststellen, dass es zu beiderseitigem Nutzen ist."
"Es gibt keine Gnome! Und dieser … dieser Drohbrief", er reißt ihr den Zettel grob aus der Hand, "der stammt von diesen verrückten Tierschützern! Oder Katholiken! - Boozer!"
Die Bulldogge steckt den Kopf unter dem Tisch hervor, wo sie unruhig schnarchend von glorreichen Maulwurfjagden geträumt hat.
Mr. Eldritch hält ihr das Papier unter die Nase. "Such, Boozer! Böse Menschen!"
Boozer beginnt frenetisch zu wedeln.
"Gott, warum hab' ich nur so einen blöden Hund?" Mr. Eldritch schiebt den blöden Hund zurück unter den Tisch, wo ihm dessen Anblick erspart bleibt, und begegnet Mrs. Swansons missfälligem Gesichtsausdruck.
"Was ist nur aus Ihnen geworden, Willard?"
Mr. Eldritch zuckt unter der persönlichen Anrede zusammen, als hätte er sich mit dem Hammer auf den Daumen geschlagen.
"Sie waren ein anständiger, sensibler Kerl, bevor Sie sich hier eingemauert haben. Ich erinnere mich, dass Sie Gedichte geschrieben haben - zumindest bis zu dieser Sache mit Charlotte. Finden Sie nicht, dass zwanzig Jahre genug sind, um verpassten Gelegenheiten nachzutrauern?"
Mr. Eldritchs Teint verblasst zu einem ungesunden Grau. "Wollten Sie nicht zum Markt?", fragt er mit Grabesstimme.
Mrs. Swanson streckt eine Hand aus, um tröstend seinen Arm zu tätscheln, doch innerhalb eines Lidschlags ist Mr. Eldritch wieder ganz der Alte.
"Verdammter Rotzlöffel!" Mit verzerrtem Gesicht stiert er durchs Fenster zum Apfelgarten. Dort, auf der mannshohen Mauer, sitzt Michael Coyle, der leicht beschränkte Sohn des Schrankenwärters, und reckt sich nach den halbreifen Früchten an einem überhängenden Ast.
Vergessen sind Mrs. Swanson, Charlotte und die mysteriöse Gnomenpost. Mr. Eldritch greift nach dem Stock neben der Tür und stürmt ins Freie. Boozer folgt ihm aufgeregt bellend.
Michael, der die Beute gerade in seinem Schulranzen verstaut, verliert vor Schreck beinahe das Gleichgewicht, als er das Unheil herannahen sieht.
"Elender Bengel! Dieb! Jetzt bekommst du den Stock zu spüren!"
"Der Alte kommt!", brüllt Michael Coyle seinen Komplizen hinter der Mauer zu und springt außer Sichtweite.
Mr. Eldritch biegt schwer atmend Richtung Gartenpforte ab, doch bevor er sie erreicht, sieht er aus den Augenwinkeln, wie der vorzeitig gereifte Kürbis im Boden versinkt, ganz so, wie er sich als Kind den Sonnenuntergang vorgestellt hat. Er strauchelt und stürzt mit der Nase voran in ein frisch umgegrabenes Beet.
Einen Augenblick bleibt er benommen liegen. Von der Straße her erklingt ein dreistimmiger Knabenchor: "Eldritch, Kinderschreck, hat die Hosen voller Dreck!"
Das rasch leiser werdende Gelächter verrät, dass die Bande ihren Schulweg fortsetzt.
Mr. Eldritch dreht mühsam den Kopf und erblickt Boozer, wie er, die Vorderpfoten an die Mauer gestemmt, völlig außer sich die Stelle anblafft, an der eben noch der Coyle-Bengel gesessen hat.
Von hinten nähern sich Schritte.
"Das geschieht Ihnen ganz recht, mein Lieber! Sie sollten wirklich über Ihr Benehmen nachdenken!"
Er will antworten, aber stattdessen spuckt er Erde (mit einem Hauch von Pferdemist) aus. Als er den Mund wieder frei hat, sieht er Mrs. Swanson fortradeln.
Nehmen wir uns einen kleinen Moment, um uns im Garten umzusehen. Mr. Eldritch nennt einen guten Acre Land (und die längste Mauer der gesamten Grafschaft) sein Eigen. Das ist mehr Platz, als er für den Anbau von Kartoffeln, Karotten und Kohl benötigt, weshalb er die ungenutzten Flächen nach teils ästhetischen, teils pragmatischen Erwägungen aufgewertet hat.
Die ältesten Zeugnisse dieser Tätigkeit stammen noch vom liebenswürdigen, der Dichtkunst zugeneigten Willard Eldridge: der Feldsteinbrunnen mit Reetdach, die lauschige Terrasse im Schatten der Fliederbüsche, das Weidendickicht, das einst ein lichter Dom aus kunstvoll verflochtenen lebenden Ruten war.
In letzterem, verborgen vor der impertinenten Neugier gelegentlicher Lieferanten und Mauerbezwinger, ruht Mr. Eldritchs größtes Geheimnis.
Dann ist da noch das Gartenhaus, ein verwinkeltes, abweisendes Konglomerat aus Werkzeugschuppen, Remise, Gewächshaus und einem seit Jahren verwaisten Taubenschlag. Hier erkennen wir die Eldritch-Handschrift; Willard hätte mit ein wenig Farbe und einer geschickt gepflanzten Kletterrose sicher mehr daraus gemacht.
Das Gartenhaus wird in diesen Minuten zum Feldherrenhügel umgewidmet. Mr. Eldritchs Streitmacht besteht zwar nur aus ihm und Corporal Boozer, gebietet jedoch über ein beachtliches Arsenal militärisch nutzbarer Gerätschaften und Chemikalien.
Das spektakuläre Versinken des Kürbisses hat eine beruhigend klare Sachlage geschaffen: In den Garten sind Wühlmäuse eingefallen. Und darauf wird General Eldritch mit aller gebotenen Härte reagieren.
Mit Branntkalk.
Sollten die feindlichen Invasoren immer noch an Ort und Stelle ihren Triumph feiern, werden sie eine heiße Überraschung erleben.
Mr. Eldritch fährt den Kampfstoff auf einer Sackkarre an die Frontlinie. Schnell hat er den Nordpol des versenkten Kürbisses freigelegt, mit einem Drillbohrer per-foriert und einen Trichter eingeführt.
Die Wirkung der ersten Ladung fein gemahlenen Branntkalks lässt zu wünschen übrig, also schüttet er großzügig nach. Es zischt ein wenig.
Aber die Sache geht Mr. Eldritch zu langsam vonstatten. Er holt eine Gießkanne und gibt einen Schluck Wasser hinzu. Es zischt und dampft.
"Na also. Wie schmeckt euch das?" Ermutigt durch die sicht- und hörbare Reaktion leert er die Kanne in den Trichter und drückt schnell einen Korken in das Bohrloch. Es wäre ja Verschwendung, die Hitze nach oben entweichen zu lassen.
Zufrieden begutachtet er sein Werk, tritt einen Schritt zurück und -
Der Kürbis explodiert.
Etwas spritzt in Mr. Eldritchs Augen. Branntkalk, denkt er voller Grauen. Er wird erblinden!
Kopflos stolpert er davon, walzt eine Schneise ins Kräuterbeet und fällt eine kapitale Sonnenblume.
Boozer, krank vor Sorge um seinen Herrn und Napffüller, springt bellend um ihn herum, bis er ihn endlich zu Fall gebracht hat.
Schwer atmend starrt Mr. Eldritch in den trüben Hochnebel und fragt sich, warum er keinen unerträglichen Schmerz fühlt und vor allem: immer noch sehen kann.
Bebend vor Angst wischt er sich über die Augen und betrachtet seine Fingerkuppen: Erde. Die Explosion hat Erde in sein Gesicht geschleudert.
Boozers Zunge schlabbert ihm über die Wange. Wie gut, dass du noch lebst, alter Junge, soll das heißen.
"Verzieh dich, Köter!"
Mr. Eldritch richtet sich stöhnend auf und wankt zurück auf das Schlachtfeld. Die Eruption hat kochendes Kalkwasser in alle Richtungen geschleudert und einen Großteil der Kürbisranken verbrüht. Wie es aussieht, wird die diesjährige Ernte wohl ausfallen.
Aber etwas muss das Inferno überlebt haben, denn wenige Schritte vor Mr. Eldritch wölbt sich die Erde auf und spuckt einen kleinen Zettel aus.
"Das kann doch nicht …"
Es ist eine weitere Nachricht: Warum tun Sie das? Wir haben doch bloß Hunger.
Nun, da er Hamster, Wühlmäuse und Katholiken nicht mehr für die erlittenen Unpässlichkeiten haftbar machen kann, muss Mr. Eldritch der unpopulären Möglichkeit ins Auge blicken, dass Mrs. Swanson recht haben könnte.
"Gnome? Was hältst du davon, Boozer?"
Boozer kläfft erfreut; sein Herrchen hat versehentlich die Tonlage getroffen, in der er ihn zu fragen pflegt, ob er einen Spaziergang über die Feldwege machen will.
"Verdammt, nein! Ich glaub's erst, wenn ich einen von den Burschen gefangen habe."
Noch hält sich nämlich das Undenkbare mit der Wahrscheinlichkeit die Waage, Opfer eines besonders perfiden und bravourös inszenierten Streichs geworden zu sein.
Die Waagschale neigt sich schlagartig zugunsten der Gnome, als ein Büschel Karottengrün in Mr. Eldritchs Blickfeld zu zittern beginnt.
„Ja, da soll mich doch …“
Er setzt sich in Bewegung. Der Feind hat seine Stellung verraten, und General Eldritch wird diesen taktischen Vorteil nicht aus der Hand geben.
Die Möhre steht einen Moment still, bevor sie mit einem Ruck unter die Erde gezogen wird. In Gedanken untermalt Mr. Eldritch das Ereignis mit einem satten Plopp.
"Hey! Das sind meine Karotten!"
Die nächste Möhre verschwindet. Plopp!
Und die nächste.
Plopp!
Plopp!
Plopp-Plopp-Plopp!
"Boozer!", brüllt er in aufkeimender Panik. "Fass!"
Das lässt Boozer sich nicht zweimal sagen. Maulwürfe! Oh Junge, besser geht's nicht! Und dazu noch ein Freibrief, nach Herzenslust im Dreck zu wühlen!
Als Erdklumpen, halbe und ganze Karotten, die Zwiebeln aus der linken und Pflücksalat aus der rechten Nachbarreihe hinter Boozer hochgeschleudert werden, bereut Mr. Eldritch sein unüberlegtes Kommando augenblicklich.
"Aufhören! Du blöde Töle, komm sofort her!"
Doch Boozer befindet sich in einem Zustand höchster olfaktorischer Erregung, in dem die Stimme seines Herrn lediglich eine belanglose Randnotiz darstellt. Er ist soeben auf einen Hohlraum gestoßen, in dem verheißungsvolle Aromen umher-wabern: Wermut, ungewaschene Füße, Hallimasch, Maiglöckchen, Siegelwachs …
All das ist nichts im Vergleich zu dem Schmerz, der in diesem Moment seine Klauen in Boozers Nase schlägt. Gleichzeitig packt Mr. Eldritch seinen Hund im Nackenfell, um ihn von weiteren Verheerungen abzuhalten. Boozer, der mit so vielen Sinneseindrücken hoffnungslos überfordert ist, zieht die Schnauze aus der Erde, erblickt ein unvorsichtig platziertes Bein und beißt zu.
Oh nein! Das schmeckt ja nach …
"Aah! Ich bring das blöde Vieh um!"
… und klingt nach … Ohverdammtermist!
Winselnd wirft sich Boozer zu Boden und erwartet seine Bestrafung. Tatsächlich hat Mr. Eldritchs Temperament einen Punkt erreicht, an dem wir ihm alles zutrauen.
Aber was ist das? Aus Boozers Nase ragt ein metallischer Gegenstand. Mr. Eldritch geht in die Hocke, zieht den unerwarteten Fund heraus und hält ihn dicht vors Auge. Er kann nicht glauben, was er sieht.
Es ist eine vergoldete, fein ziselierte Ein-Millimeter-Schreibfeder. Die Ornamente auf ihrem Rücken bilden in kunstvollen Schnörkeln die Initialen "WE".
Die Zeit macht einen großen Bogen um Mr. Eldritch, der versucht, das größte Rätsel des Universums zu lösen.
Wie lange ist es her, dass er die Feder das letzte Mal in der Hand gehalten hat? Sie in die Tinte getaucht und mit ruhiger Hand übers Papier geführt hat?
Die Feder ist ein Geschenk Charlottes gewesen, die mittlere eines dreiteiligen Kalligraphie-Sets.
„Das ist unmöglich“, murmelt er.
Nach einer Ewigkeit schüttelt er die Starre ab und blickt zu Boden. Zu seinen Füßen liegt ein weiterer Papierschnipsel.
Es tut uns leid, dass wir Ihren Hund verletzt haben. Wir hatten Angst.
Mr. Eldritch bezweifelt nicht, dass die Nachricht mit der Halbmillimeter-Feder ebenjenes Sets verfasst worden ist. Er dreht den Zettel um und starrt auf den vom Rumpf abgetrennten geschwungenen Kopf eines L (oder G oder S). Für den jungen, hoffnungslos romantischen Poeten Willard Eldridge war dies die einzige Art, Majuskeln zu schreiben – ach was, zu zelebrieren! Eine Angewohnheit, die Mr. Eldritchs Hinwendung zum Pragmatismus zum Opfer gefallen ist.
Allzu überrascht ist er über diesen neuesten Fund nicht mehr. Schließlich hat er die Schreibfedern zusammen mit seinen Briefen, Gedichten und einem gebrochenen Herzen vergraben. Was bedeutet, dass sein Mausoleum entweiht worden ist. Von … von … (Los, sag es, Willard!) … ja, Herrgott noch mal, von Gnomen!
Aber genug ist genug. Bis jetzt ist er geradezu duldsam mit den unerwünschten Gästen umgegangen. Es wird Zeit, ein unmissverständliches Zeichen zu setzen!
Mr. Eldridge senior hat in seiner Zeit auf Erden so manches Federvieh vom Himmel geholt. Zusammen mit dem Familienanwesen hat er seinem Sohn auch das dafür nötige Mordgerät vermacht: eine Schrotflinte.
Mit dem Temperament eines gereizten Stiers marschiert Mr. Eldritch, die Flinte in der Rechten, auf das Weidendickicht zu. Im Lauf steckt noch eine vierzig Jahre alte Schrotpatrone.
Boozer trottet betrübt in einigem Abstand hinterher, unsicher, ob seine Anwesen-heit überhaupt erwünscht ist.
Schnaufend stoppt Mr. Eldritch vor der grünen Wand und fühlt sich wie der Prinz vorm Dornröschenschloss. Eine Axt, denkt er, wäre vielleicht die bessere Wahl gewesen. Aber jetzt noch mal umdrehen? Wer weiß, was diese räuberischen Wühler in diesem Moment anstellen! Das hier ist biegsames Weidenholz. Irgendwie wird er sich schon hindurch quetschen können.
Er schiebt den rechten Ellbogen zwischen die Äste, dann die Schulter, die Flinte eng an die Brust gepresst. Sein Kopf durchbricht das Gestrüpp. Als das rechte Bein folgt, bemerkt er, dass der linke Fuß feststeckt, doch da befindet sich sein Schwerpunkt bereits weit jenseits der Längsachse.
Im Stürzen dreht er den Oberkörper. Die sich quer stellende Flinte verhakt sich. Mr. Eldritch umklammert sie mit beiden Händen, eingefroren in einem Neigungswinkel von fünfundvierzig Grad, und geht im Geiste seine Optionen durch.
Ein brechender Ast enthebt ihn einer Entscheidung. Mit einem Aufschrei vollendet er den unterbrochenen Sturz. Der Kolben der Flinte schlägt neben seinem Kopf auf. Ein greller Lichtblitz und ein Donnerschlag sind das letzte, was Mr. Eldritch wahrnimmt.
Im Weidendom herrscht unwirkliches grünes Dämmerlicht. Die Sonne, die den Hochnebel endlich durchdrungen hat, zaubert funkelnde Lichtpunkte ins raschelnde Blätterdach.
Auf dem lockeren Boden liegt ein Mann mit versengten Augenbrauen und schwarzen Schmauchspuren im Gesicht. Sein Blick geht ins Leere; er ist weder wach noch völlig weggetreten. In diesem Zustand luzider Schockstarre hebt sich für ihn der Schleier vor der anderen Welt.
Stimmen wispern um ihn herum. Winzige graue Gestalten, keine größer als eine Maus, bewegen sich verschwommen am Rande seines Gesichtsfeldes.
Wird er sterben? – Das ist unsere Schuld! – Wir hätten ihm mehr Briefe schreiben müssen!
Der Mann versucht zu sprechen, aber es kommt nur ein rasselndes Husten heraus.
Seht doch! Er ist kaum verletzt! – Oh Jubel! Oh Freude! – Ruhig, er will uns etwas sagen!
„Verd… verdammte Räuber.“
Oh weh! Oh Jammer! – Er ist böse auf uns! – Was sollen wir tun?
Geben wir ihm seine Sachen zurück. Das wird ihn freuen.
Rund um den Mann bricht hektische Aktivität aus. Die Gnome bewegen sich so schnell, dass das menschliche Auge nicht folgen kann. Die Erde wirft Blasen wie ein Yorkshire Pudding im Backofen.
Bis er sich aufgesetzt hat, sind die Gnome verschwunden.
Vor ihm liegen die Dinge, die er vor zwanzig Jahren hier vergraben hat: eine verrostete Blechbüchse und ein Lederetui mit zwei vergoldeten Federn, einem Federhalter aus Elfenbein, einem Tintenfass und einem Stück Siegelwachs (an dem er winzige Zahnabdrücke entdeckt).
Fassungslos greift er nach der Büchse. Der Deckel liegt nur lose auf, und darunter sind sie alle versammelt: Seine Verse und Gedanken, Charlottes Briefe und der eine Brief, den er nie verschickt hat. Den er geschrieben hat, als schon alles verloren war und nur er selbst es nicht wahrhaben wollte. Dass Charlotte auf Wunsch ihres Vaters nicht ihn, einen Poeten gemeiner Herkunft, sondern einen Mann ihres Standes heiraten würde.
Seine Hände zittern, als er den Umschlag öffnet.
Den Brief liest er nicht. Den kennt er nach all den Jahren noch in- und auswendig.
Aber das Gedicht schmiegt sich wie von selbst in seine Hände. Er merkt nicht, dass er laut liest.
Am Baum im Nadir deines Himmelswegs
bin ich ein Blatt, das Sonnenschein verschmäht
das tags und auch des Nachts sich stets
voll Hunger nach dir reckt und dreht
Dein weißes, klares Licht nur trinkt
Mein Wandelstern, der nie versinkt
Während er liest, hängen zahllose Augenpaare an seinen Lippen. Die Gnome spüren, wie die Magie an diesen Ort zurückfließt, den Willard Eldridge einst für die Frau geschaffen hat, die er liebte. Hier wollte er sie bitten, ihn zu heiraten.
„Ich vergebe dir“, haucht Mr. Eldridge. Ein letztes Mal sieht er Charlotte vor sich, bleich und schön wie Mondlicht auf Neuschnee. Tränen zerplatzen zwischen den Zeilen.
Und Boozer rammt mit voller Wucht in ihn, reißt ihn zu Boden und schlabbert überglücklich sein Gesicht ab. Mr. Eldridge packt lachend seinen Hund und drückt ihn an sich.
„Guter Junge“, prustet er. "Guter Junge! Hey, das reicht jetzt aber!"
Immer noch weint er, aber sein Herz ist leicht. So leicht und eins mit dieser und der anderen Welt, dass er Dinge sieht und hört, die den meisten Menschen für immer verwehrt bleiben.
Wir hatten kein Zuhause, wispert eine dünne, alte Stimme, die nur Mr. Eldridge hören kann. Es gibt nicht mehr viele Orte, an denen wir leben können. Als wir diesen Garten fanden und die vergrabenen Worte darin, wussten wir, dass wir hier willkommen sein würden.
"Meinetwegen seid willkommen", schnieft Mr. Eldridge (oder nennen wir ihn einfach Willard, denn so gut kennen wir ihn inzwischen). "Sofern ihr den Garten wieder in Ordnung bringt", fügt er mit der Eldritch-Stimme hinzu, und unter der Erde huschen die Gnome aufgeschreckt in alle Richtungen davon, um ihren guten Willen zu beweisen.
"Mr. Eldridge", ruft Mrs. Swanson von der Gartenpforte her, "hatten Sie ein wenig Zeit zum Nachdenken?"
Willard blickt von seinem Kartoffelacker auf, wo er gerade munter vor sich hin pfeifend die erste Ernte einfährt.
"Ach, Anne, meine Liebe! Selbstverständlich habe ich nachgedacht. Sie hatten recht mit dem Zettelchen. Ich entschuldige mich für mein garstiges Benehmen."
Mrs. Swanson strahlt übers ganze rosige Gesicht. "Mein lieber Willard! Ich wusste, dass man Sie nicht aufgeben darf."
Willard kommt mit dem Drahtkorb zu ihr. "Erlauben Sie, dass ich mich mit einem bescheidenen Geschenk bei Ihnen bedanke?"
"Wenn ich so charmant gefragt werde, kann ich nicht ablehnen", sagt Mrs. Swanson kokett.
Er reicht ihr den Korb über die Pforte. Darin liegt eine einzige Kartoffel von der Größe eines Kürbisses.
"Du meine Güte!" Mrs. Swanson quellen die Augen über. "Darf ich die mit zum Markt nehmen? Bestimmt gewinne ich damit das Preiswiegen!"
Willard lacht bei der Vorstellung. "Warum nicht? Aber falls jemand nach Ihrem Geheimnis fragt, sagen Sie besser, Sie hätten Pferdemist genommen.“
Sie zwinkern einander zu.
„Und falls ich Sie nach Ihrem Geheimnis frage, Willard?“