Die zweite Kurzgeschichte aus dem Hause PAN stammt aus der Feder von Susanne Eisele und ist erschienen in der Anthologie Kurzgeschichten aus Raum und Zeit (BoD). Wir wünschen euch viel Freude beim Lesen und freuen uns über euer Feedback!
Arsenius und der Bergteufel
Hallo! Komm ruhig näher. Wie du unschwer an meinen dunkelbraunen Hörnern, meiner grauen Hautfarbe und meinem Schwanz mit der scharfkantigen Spitze erkannt hast, bin ich ein Bergteufel. Aber hey – meistens bin ich sehr friedlich. Komm, spendiere mir ein Altaria-Bräu, dann erzähle ich dir eine Geschichte aus meinem Leben. Einverstanden? – Ja, ich weiß, meinem Charme kann einfach niemand widerstehen.
Danke für das Getränk. Dann lege ich mal los:
Es muss schon drei oder vier Jahre her sein, als ich mit meinem Raumschiff im Hedon-System unterwegs war.
Mein Raumschiff? Das dunkelgrüne da draußen im Hangar 51. Vielleicht hast du es ja gesehen. Nein? Na, egal. Jedenfalls ist es klein, schnuckelig und mit Vollautomatik. Da ich oft alleine reise, ist der Raumhase genau das Richtige für mich.
Wieso lachst du? Die Raumschiffe dieser Klasse heißen wirklich so. Jedenfalls ist es groß genug, um auch mal ein paar Passagiere zu befördern, aber so mit Technik vollgestopft, dass man keine Crew dafür braucht. Doch das nur am Rande.
In besagtem Hedon-System gibt es den Planeten Raska. Der ist überwiegend von Menschen bewohnt. Ein paar andere Spezies haben sich dort aber auch niedergelassen, deshalb bin ich nicht gar so sehr aufgefallen. Also zumindest nicht in dem Maß, in dem es unangenehm gewesen wäre. So ein bisschen auffallen macht ja noch Spaß. Noch mehr Spaß hatte ich allerdings mit ein paar Jungs auf dem Planeten. Wir hingen in den Bars und Kneipen von Vas Legas rum, tranken zusammen Bier und was die Bar sonst noch hergab.
Eines Nachts wankten wir in Richtung unserer Unterkunft durch die Straßen, jeder ein Mädel im Arm, als plötzlich vor uns ein Licht auftauchte. Also, keine Straßenlaterne, die beschlossen hatte, zwischendurch mal wieder zu funktionieren – nein, das Licht schwebte mitten auf der Straße. Zum Glück kam gerade keines dieser automatischen Transportshuttles vorbei. Wir starrten alle zu dem Licht, das irgendwie pulsierte, größer wurde, dann wieder kleiner und dann – war es weg.
»Wohl doch sufiel gedrungen«, lallte einer meiner Kumpels, da tauchte das Licht genauso plötzlich wie zuvor ein weiteres Mal auf. Es pulsierte abermals, wurde erneut größer, und dann kam doch ein Transportshuttle. Es hatte dieses Licht wohl gar nicht wahrgenommen, ist ja vollautomatisch, und fuhr einfach hindurch. Nachdem das halbe Shuttle diese leuchtende Kugel durchquert hatte, war sie schon wieder weg.
Wir hatten uns gegenseitig fragend angesehen, so gut das in der Dunkelheit und mit reichlich Promille im Blut ging. Da keiner etwas mit diesem Ereignis anfangen konnte, beschlossen wir mit einem gleichgültigen Schulterzucken, weiterzugehen. In diesem Moment tauchte das mysteriöse Leuchten erneut auf und fing wieder an, zu pulsieren. Dieses Mal dehnte es sich eiförmig auf etwa zwei Meter Höhe aus. Nachdem es erneut erloschen war, stand plötzlich ein Engel da. Groß, leicht schimmernd, eindrucksvolle Schwingen aus perlmuttfarbenen Federn auf dem Rücken, wunderschönes Gesicht, langes, seidiges Haar in goldenem Blond. Er stand da in seiner weißen Toga und sah uns verwundert an, wohingegen wir ihn einfach nur hirnlos anglotzten.
»Ihr könnt mich sehen?«
Blöde Frage, wenn wir ihn gerade alle angafften. Besoffen, wie wir waren, schwiegen wir, weil wir uns erst ungläubig gegenseitig ansehen mussten. Schließlich brachten wir wenigstens ein Nicken zustande.
»Mist! Was ist denn jetzt wieder schiefgelaufen?« Der Engel sah konzentriert auf den großen hellblauen Stein in seinem silbernen Armband und dubste darauf herum, während wir weiter einfach nur blöd dastanden und die Erscheinung mit offenen Mündern anstarrten.
Entsetzt quiekte plötzlich eines der Mädchen: »Das Shuttle!«
Wir warteten alle gespannt, was jetzt passieren würde. Kurz bevor das Shuttle heran war, hatte auch der Engel begriffen, was die Warnung bedeuten sollte und flog einfach nach oben. Unglücklicherweise so hoch, dass er mit seinen Flügelspitzen bereits im Luftraum der Schnelltransporter war. Der riss ihm glatt ein paar Federn ab. Durch den Luftzug des Transporters kam der Engel ein wenig ins Trudeln, schaffte es aber weitgehend unbeschadet auf den Boden zurück. Nicht wirklich elegant, aber immerhin.
Konsterniert besah er sich seine Flügelspitzen. »Ich bin hier nicht auf Palaiska, oder?«
»Pala... was? Nö. Du bist hier auf Raska. In Vas Legas, um genau zu sein«, gab ich ihm bereitwillig Auskunft.
Der Geflügelte verdrehte die Augen. »So ein Mist, dann ist mein Portalerzeuger offensichtlich kaputt. Habt ihr vielleicht einen Schlafplatz für mich? Ich schätze, das wird noch etwas dauern, bis mich jemand hier abholt.«
»Seit wann braucht ein Engel denn einen Schlafplatz, und wieso kannst du dich nicht aus eigener Kraft dahin bringen, wo du willst?« Der Alkoholnebel wich langsam meiner Neugier.
Würdevoll, also so würdevoll, wie das mitten in der Nacht in einer Toga, mit Sandalen an den Füßen und mit lädierten Flügeln geht, erwiderte das Wesen: »Ich bin kein Engel. Ich bin ein Unsichtbarer und gehöre der Spezies der Schwanesen an. Wir Schwanesen müssen durchaus hin und wieder essen und schlafen und bevorzugen einen angenehmen und geschützten Schlafplatz.«
Eines der Mädchen kicherte los. »Du bist aber nicht unsichtbar.« Die anderen fielen ebenfalls in das Gelächter mit ein – alle außer mir. Meine Spezies ist generell sehr viel schneller wieder nüchtern als Menschen, besonders nach einer solchen Bekanntmachung.
Ja, ich kann dir sagen, warum mir plötzlich mulmig zumute war. Die Unsichtbaren sind ein Zusammenschluss von Assassinen. Theoretisch gibt es da keine Rassebeschränkungen, man hört aber Gerüchte, dass die Schwanesen für diese Aufgabe besonders geeignet seien und deshalb relativ viele Vertreter dieses Volkes dort Mitglied sind, wenn nicht sogar alle. Die Unsichtbaren heißen so, weil sie normalerweise genau das sind: unsichtbar. Sie lernen in der Ausbildung, sich so zu bewegen und zu verhalten, dass sie praktisch nicht wahrnehmbar sind. Normalerweise gibt sich ein Assassine nur seinem Opfer zu erkennen, aber fallweise noch nicht einmal das. Wenn also ein Schwanese vor einem steht und sagt, dass er zu den Unsichtbaren gehört – nun, das ist, vorsichtig ausgedrückt, einer langen Lebensdauer nicht wirklich zuträglich. Wenn der dann auch noch bei einem pennen will, schwindet die Wahrscheinlichkeit, dass man den nächsten Morgen noch erlebt. Auf der anderen Seite sind die Überlebenschancen kaum besser, wenn man einem Assassinen widerspricht. Ich denke, du verstehst jetzt mein Dilemma. Die anderen waren viel zu besoffen, um das zu bemerken, was die Entscheidung für mich erschwerte.
Plötzlich grinste mich das geflügelte Wesen an. »Ich sehe, was du gerade denkst. Die Zeit der Assassinen ist aber schon lange vorbei. Bei den heutigen Möglichkeiten der Gerichtsmedizin, und was da noch alles dazugehört, ist das kein sehr lukrativer Job mehr. Vor allem, wenn die Behörden wissen, wo sich das Hauptquartier der Unsichtbaren befindet und dann einfach nur dort nachforschen müssen. Verhindern können wir das nicht, so mächtig ist der Orden nicht mehr. Wir haben uns daher schon vor einigen Jahren auf das Geschäft des Begleitschutzes verlegt. Manche wollen ja tatsächlich einen unsichtbaren Begleitschutz. Da kommen sogar mehr Aufträge rein als zu jener Zeit, zu der wir nur als Mörder gebucht wurden. Mein Name ist übrigens Arsenius.«
Der Name beruhigte mich keinesfalls. »Warum steigst du nicht wieder in deine Lichtkapsel, oder was immer das ist, und teleportierst dich nach Pala ... dingsda?« Ich versuchte, ihn dabei möglichst forsch anzusehen, vermute aber, dass mir das eher suboptimal gelang.
»Mein Portalerzeuger benötigt zwölf Stunden, bis er aufgeladen ist« antwortete Arsenius. »Vorher kann ich hier nicht weg. Mein Kommunikator hat sich irgendwie auch entladen. Der müsste in einer Stunde wieder betriebsbereit sein. Ich weiß aber nicht, ob ich dann hier abgeholt werde oder ob ein anderer den Auftrag übernimmt. Jedenfalls wäre ich um einen Schlafplatz froh. Leider nehme ich zu meinen Aufträgen grundsätzlich keine Zahlungsmittel mit, weshalb ich mir kein Hotelzimmer leisten kann.«
Ich dachte nach. Wenn dieses Wesen die Wahrheit sagte, war es richtig, ihm für die Zeit seines unfreiwilligen Aufenthaltes ein Dach über dem Kopf anzubieten. Platz genug hatten wir ja in unserer Suite. Wenn der Nicht-Engel jedoch gelogen hatte, war es ohnehin besser, erst mal auf seine Bitte einzugehen und dann auf der Hut zu sein. Ich nickte also, um ihm meine Einwilligung zu signalisieren. Meine Kumpels grölten nur sinnlos durcheinander, sodass eine Absprache mit ihnen nicht möglich war.
Wir haben wahrscheinlich ein seltsames Bild abgegeben, wie wir so durch die Straßen von Vas Legas eierten. Meine torkelnden menschlichen Kumpane, ich als Bergteufel und neben mir das lebende Abbild eines Engels. Unsere Suite lag ebenerdig, sodass auch die stark Angeheiterten von uns keine übermäßigen Probleme hatten, in ihre Zimmer zu gelangen. Die nicht. Arsenius jedoch war so damit beschäftigt, die Umgebung zu studieren, dass er sich beim Durchschreiten des Türrahmens zuerst den Kopf leicht anstieß und dann auch noch mit den Flügeln hängen blieb. Er sah nach oben, während ein paar einzelne Federn herabschwebten. »Verdammt, wenn das so weitergeht, bin ich bald kahl!«, maulte er verärgert.
Im Hotel hätte es natürlich auch Zimmer mit extra hohen Türen gegeben. Doch da ich selbst einschließlich Hörnern nur etwa einen Meter achtzig groß bin und meine Kumpels auch nicht größer waren, hatte es keine Notwendigkeit gegeben, ein Zimmer mit höheren Eingängen als den üblichen knapp zwei Metern zu buchen. Der Engel konnte aber halt nur gebückt und mit angezogenen Flügeln durch diese Tür, was ihm mit etwas Mühe letztlich gelungen war.
Ich wies dem Schwanesen die Couch im Aufenthaltsraum zu, danach verschwand ich in meinem Zimmer. Die lange Nacht forderte ihren Tribut, und ich schlief entgegen meiner Vorsätze ein.
Am nächsten Morgen erwachte ich von Kampflärm. Schnell griff ich nach meinem Dolch, denn ganz so billig wollte ich meine Haut dem Assassinen dann doch nicht überlassen.
Nachdem ich die Tür vorsichtig geöffnet hatte, bot sich mir ein unglaublicher Anblick. Ein Bediensteter des Hotels presste sich schreckensbleich, mit angstgeweiteten Augen und Schweißperlen auf der Stirn, an die Wand neben der Eingangstür. Der Servierwagen mit unserem Frühstück war umgestürzt, das Essen, durchmischt von vielen Scherben, lag in einem matschigen Durcheinander großzügig auf dem Boden verteilt daneben. Vor dem ganzen Desaster stand der Engel, mit Kaffeeflecken auf seiner ehemals weißen Toga.
Als er bemerkte, dass ich mich genähert hatte, drehte er sich abrupt zu mir um. Ich umfasste das Heft meines Dolches fester, sah ihm entschlossen in sein hochrotes Gesicht. Dabei musste ich allerdings erkennen, dass es nicht Zorn war, der ihm das Blut ins Antlitz trieb, sondern allerhöchste, unbeschreibliche Verlegenheit.
Er habe dem Kellner nur dabei behilflich sein wollen, das Frühstück aufzutragen, berichtete Arsenius in weinerlichem Ton. Er war jedoch gestolpert, wobei er den Servierwagen mit dem Essen umriss. Wie sich herausstellte, fühlte sich der Kellner durch das heranstürzende Wesen angegriffen, weswegen er dem Wagen einen zusätzlichen Schubs gegeben hatte, was das Durcheinander nur noch vergrößerte.
Zum Glück konnte das alles geklärt werden. Kurz darauf kam ein Putzgeschwader, um das Chaos zu beseitigen. Der Kellner versprach uns mit zittriger Stimme, ein frisches Frühstück zu bringen.
Danach verschwand ich im Bad, war jedoch noch nicht ganz mit meiner Morgentoilette fertig, als erneut Lärm und Schreie aus dem Aufenthaltsraum drangen. Schnell hastete ich durch die Tür. Arsenius war zwar erneut der Grund für den Tumult, konnte dieses Mal aber nichts dafür. Während ich im Bad gewesen war, waren meine Kumpels aus ihren Zimmern gekommen und hatten das engelsgleiche Wesen entdeckt. Da sie sich nicht mehr an die vergangene Nacht erinnerten, waren sie erst einmal in Angriffsstellung gegangen, um zunächst verbal über den vermeintlichen Eindringling herzufallen.
Dieses Missverständnis ließ sich ebenfalls schnell aus der Welt schaffen. Kurz darauf wurde das Frühstück serviert, was die Gemüter weiter besänftigte.
»Und – hast du schon jemand erreicht, der dich abholen kommt?«, fragte ich Arsenius zwischen zwei Bissen.
»Für einen kurzen Moment hatte ich jemanden erreicht. Ich konnte mitteilen, dass ich nicht an meinem Zielort angekommen bin. Der Kommunikator ist dann gleich wieder ausgefallen.« Er schaute unglücklich drein.
»Dafür müsste dein Portal ja demnächst wieder einsatzbereit sein«, versuchte ich, ihn zu trösten, was mir aber nur bedingt gelang.
Nach dem Essen begleitete ich den Schwanesen zum nächsten Park. Er hatte dort mehr Platz, um sein Portal zu öffnen, als in der Suite. Obwohl wir beide friedlich den Weg entlangliefen, wechselten bei unserem Anblick alle entgegenkommenden Passanten die Straßenseite. Ich muss zugeben, dass ich das schon irgendwie genoss.
Im Park angekommen, wollte sich Arsenius überschwänglich für meine Gastfreundschaft bedanken, was mir aber peinlich war. Ausweichend drängte ich ihn daher, einfach sein Portal zu benutzen. Er stutzte kurz, nickte dann und lief auf die Rasenfläche neben dem Weg. Er wollte es zumindest. In seiner Aufregung übersah er die Einfassung, stolperte und lag der Länge nach auf dem Grasteppich. Insgeheim stellte ich fest, wie ungünstig eine weiße Toga sein kann. Denn jetzt wies sie nicht nur braune Kaffee- und gelbe Saftflecken, sondern auch noch Grasflecken auf.
Der Engel lächelte verlegen, als er sich wieder aufgerafft hatte. Dann zog er ein goldfarbenes Ei aus der Tasche, fummelte eine Zeit lang daran herum und hielt es anschließend in der ausgestreckten Hand vor sich hin. Das Ei begann zu leuchten, pulsierte eine Minute lang unterschiedlich stark, anschließend erlosch das Licht wieder. Arsenius fluchte leise und fummelte erneut an dem Ei herum. Um es kurz zu machen: Nach dem dritten Versuch ging gar nichts mehr.
Unglücklich sah er mich an. »Es war wohl doch noch nicht ganz geladen. Ich hätte länger warten müssen.«
Ich seufzte. »Na, dann bleib eben bis morgen bei uns. Die Zeit sollte dann ja reichen, um das Ding wieder aufzuladen.« In diesem Moment hatte ich das Gefühl, eine weitere Sonne sei aufgegangen, so sehr strahlte mich der Schwanese an.
Zurück im Hotel fiel mir ein, dass wir an diesem Tag eigentlich dort ausziehen wollten. Meine Kumpels erwarteten uns bereits in der Lobby. Nachdem ich mit Arsenius zurückgekommen war, verabschiedeten sich die Menschen in aller Knappheit, sichtlich froh, nicht länger mit dem Unsichtbaren zusammen sein zu müssen. In diesem Moment hatte ich Mitleid mit dem Wesen, das recht bedauernswert aus der Wäsche schaute. Um dem Engel eine Unterkunft bieten zu können, beschloss ich, noch einen Tag länger zu bleiben. Als Selbstständiger kann ich meine Zeit schließlich einteilen, wie es mir gefällt. Ich mietete uns daher ein kleineres Hotelzimmer, dafür eines mit extra hoher Tür. Nachdem ich mein Gepäck ins neue Zimmer gebracht hatte, schnappte ich mir Arsenius, um mit ihm einkaufen zu gehen.
Wir erstanden eine schwarze Lederhose, halbhohe Stiefel und ein dunkelrotes Hemd für ihn. Das Hemd hatte am Rücken sogar einen Ausschnitt für seine Flügel. Also, eigentlich erst nach einer unvorsichtigen Anprobe. Auch wenn seine Kleidung nun zeitgemäß war – unauffällig wurde er dadurch nicht.
Im Laufe des Tages musste ich feststellen, dass mein Begleiter in Sachen Tollpatschigkeit kaum zu überbieten war. Der Platz im Restaurant, in welchem wir zu Mittag gegessen hatten, sah schon nach kurzer Zeit reichlich mitgenommen aus. Auch die Nachbartische waren ziemlich bald vereinsamt, nachdem Arsenius sich so unglücklich auf den Stiel seines Löffels gelehnt hatte, dass dieser, einem Katapult gleich, einschließlich der darauf befindlichen Tomatensoße zielsicher den Weg zur hellen Seidenbluse der Tischnachbarin fand. Von der umgestoßenen Vase und den verschütteten Getränken will ich gar nicht erst berichten.
Bevor wir das Restaurant verließen, konnte ich den Besitzer mit einer größeren Geldsumme wenigstens soweit besänftigen, dass uns der Weg in die Küche erspart blieb. Nicht, um dort Strafarbeiten zu verrichten, sondern um zubereitet zu werden.
Danach beschloss ich, mit dem Unsichtbaren lieber im Park umherzugehen, in der Hoffnung, dass er dort nicht so viel Unheil anrichten konnte. Abgesehen von dem Jungen, den er beim Wechsel der Straßenseite regelrecht vom Hoverboard fegte, und der jungen Frau, der er eigentlich hatte helfen wollen, den Schuh wieder zuzubinden und sie dabei in den Teich stieß, ging die Rechnung auf.
Zurück im Hotel ließ ich uns dann das Abendessen aufs Zimmer servieren. So wurden wenigstens keine Mitmenschen beeinträchtigt. Wobei er ohne die Aufregung, von anderen beobachtet zu werden, auch nicht ganz so fahrig war. Das Essen lief fast gesittet ab. Ich möchte hier jetzt keinen falschen Eindruck erwecken, er weiß schon, wie man sich zu benehmen hat – nur gelingt es ihm meist nicht.
An Tag darauf gingen wir nach einem späten Frühstück – das wir ebenfalls auf dem Zimmer zu uns genommen hatten – wieder in den Park. Da uns alle, die uns begegneten, von sich aus Platz machten, konnten wir ohne besondere Vorkommnisse unseres Weges gehen.
Bevor ich dich jetzt mit Einzelheiten langweile – weder Portal noch Kommunikator funktionierten, egal, wie oft Arsenius es versuchte. Nach dem gefühlt hundertsten Mal setzte er sich voll Verdruss ins Gras, warf die nutzlosen Geräte von sich und fing bitterlich an, zu weinen.
Ich wusste erst nicht so richtig, was ich machen sollte. Dann setzte ich mich neben ihn und nahm ihn vorsichtig in den Arm. Etwas umständlich wegen der Flügel, aber es gelang. Nach einigen Minuten, in denen mein Hemd ziemlich nass wurde, berichtete er mir, dass er den Verdacht hatte, man habe ihm extra einen defekten Kommunikator und einen defekten Portalerzeuger mitgegeben, um ihn loszuwerden. Kurz nach Ende seiner Ausbildung hatte er wohl bei einem Attentat den Falschen getötet, wie er berichtete. Nach verschiedenen leichteren Zwischenfällen war ihm bei seinem letzten Auftrag die Person, die er eigentlich hätte beschützen sollen, in sein Schwert gefallen und hatte sich dabei tödlich verletzt. So wie ich ihn die Stunden davor erlebt hatte, konnte ich mir das bildlich vorstellen. Er ist wirklich das lebende Chaos. Trotzdem hatte ich ihn in der kurzen Zeit irgendwie ins Herz geschlossen – außerdem konnte er ja nirgendwo hingehen und hatte auch nicht die finanziellen Mittel, um sich zur Ruhe zu setzen.
Jedenfalls begleitet er mich seither auf meinen Fahrten. Gut, die kleinen Unfälle, Beinahe-Kollisionen und diversen Schäden am Raumhasen haben seither deutlich zugenommen, aber, um ehrlich zu sein: Für mich hat es sich trotzdem gelohnt, Arsenius bei mir aufzunehmen, denn ich verdiene meine Brötchen als Weltraumpirat. Mit einem Unsichtbaren an meiner Seite rücken die meisten ihre Wertgegenstände freiwillig heraus, was das Piratenleben sehr viel bequemer macht. Dass der Engel beim Einsammeln der Sachen immer mal wieder stolpert und dann das eine oder andere verliert, ist nicht weiter schlimm; die Einnahmen haben sich trotzdem vervielfacht.
Und sogar die Unfälle haben ihr Gutes: Vor vier Tagen wollte uns ein Raumkreuzer der Polizei-Flotte stoppen. Beim Andockmanöver haben wir ihn jedoch so unglücklich gestreift und beschädigt, dass er uns nicht weiter verfolgen konnte.
Ja, so war das damals ...
Komm, spendiere mir noch ein Altaria-Bräu, ich kenne manche weitere Geschichte ... Ah, da kommt mein Partner. Halt, warte – wo willst du denn auf einmal so schnell hin? Ich bin mit meinen Erzählungen doch noch lange nicht am Ende.
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Über die Autorin
Susanne Eisele ist Fantasy-Autorin. Bislang hat sie zwei Fantasy-Krimis (Nachbarschaftshilfe und Kinderspiel), zwei Märchenadaptionen (Kein Schnee im Hexenhaus und Das erste Lied), eine Kurzgeschichtensammlung (Susannes Kurzgeschichten aus Raum und Zeit), sowie ein Midi-Büchlein mit dem Titel „Caballero Kater del Agua“ (Machandel-Verlag) veröffentlicht. Außerdem finden sich Kurzgeschichten von ihr in verschiedenen Anthologien (Alea Libris-Verlag, Talawah-Verlag und Machandel-Verlag).
Sie lebt mit ihrem Ehemann im Nordschwarzwald. Soweit es ihre Zeit zulässt, liest sie gerne, vorwiegend Fantasy und Krimis. Außerdem näht sie vor allem ihre Kleider für Buchmessen selbst. Ein weiteres großes Hobby ist das Hören von Musik (Heavy Metal) und der Besuch von Konzerten und Festivals.
Mehr mehr erfahren will findet die Facebook-Seite der Autorin hier.
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