Ann A. Kalliope (ZWO): Liebe Uschi, ich gehe gleich mal in medias res: Du hast unzählige Romane und Serienteile in verschiedenen Phantastikgenres geschrieben. Das Träumende Universum mit seiner Waldseechronik und Perry Rhodan sind dabei die Literaturbühnen, die wohl jedem Phantastikfan selbstverständlich geläufig sind. Zudem hast du Ideen fürs Fernsehen entwickelt und TV-Romane geschrieben. Ganz nebenbei bist du auch noch Reisefotografin und machst Stand-up-Comedy. Du gibst Schreibseminare, arbeitest als Lektorin und in einer Literaturagentur und last but bestimmt nicht least hast du bereits seit Jahrzehnten deinen eigenen Verlag namens Fabylon. Das ist eine wirklich erstaunliche Liste an Tätigkeiten, die einen neugierig macht auf den Menschen Uschi Zietsch. Wir wollen heute über dich, deine Arbeit und dein Lebenswerk sprechen. Zum Einstieg eine Frage, die simpel und doch zugleich vielleicht die wichtigste, weil grundlegendste, ist: Was bedeutet dir die Phantastik im Leben?
Uschi Zietsch: Seit die Menschen sich ums Lagerfeuer versammeln, werden Geschichten erzählt, und das waren zumeist Alltagsgeschichten, aber auch bedeutende Geschehnisse wie etwa Stadtgründungen, Eroberungen und dergleichen, verbrämt in mythische Sagen und Legenden. Historie in eine phantastische Erzählung verpackt, spirituell oder von Götterglauben durchsetzt.
Die Fabuliergabe ist es, die Menschen dazu bringt, durch ein Fenster in andere Welten zu schauen oder gar in andere Welten einzutauchen. Fremdes zu erkunden, Abenteuer zu erleben, die im Alltag nicht möglich wären. Heldinnen und Helden, die als Vorbilder dienen, oder die man selbst gern wäre.
Viele der Geschichten machen den Menschen Mut, sich durch die Fährnisse des Lebens zu kämpfen, bringen sie zum Lachen, aber regen auch zum Nachdenken an. Oftmals geht es um scheinbar Unerreichbares, das letztendlich doch errungen werden kann. Aber auch um Entwürfe einer Gesellschaft, einer Technik, des Städtebaus der Zukunft, die dazu auffordern, Utopien anzustreben und in die Tat umzusetzen.
Das ist damals wie heute aktuell, wir geben uns gern den Träumen hin, dem "was wäre, wenn …"
Ann (ZWO): Dein erster Roman Sternwolke und Eiszauber wurde 1986 veröffentlicht, aber bereits 1978, als 17-Jährige, hattest du dir das Träumende Universum ausgedacht. Wusstest du schon als Kind, dass du Autorin und Verlegerin werden würdest?
Uschi: An den Beruf der Schriftstellerei, und damit einhergehend, zu veröffentlichen, habe ich zuerst nicht gedacht, ich wollte immer nur erzählen. Zuerst habe ich meinem Vater morgens Fortsetzungsgeschichten erzählt, und sobald ich schreiben konnte, habe ich sie aufgeschrieben – in Schulhefte, auf losen Zetteln, was halt greifbar war. Auch meine Briefe habe ich mit solchen Geschichten geschmückt, was seitens der Gleichaltrigen manchmal auf Irritation stieß. Davon konnte ich gar nicht genug kriegen. Deshalb und durch die von mir und einem Schulkameraden gegründete Schülerzeitung mit 14, 15, hatte ich schon eine lange Vorlaufzeit, zu üben und mich zu entwickeln, wodurch ich mit 17, 18 durch den Schubs von besagtem Schulkameraden, "was aus mir zu machen", und "wenn man schreibt, muss man auch veröffentlichen", meine ersten Verlagskontakte bekam und in die Branche "hineintauchte". An die Verlegerin dachte ich erst – und setzte es dann auch gleich in die Tat um –, als nach meinem ersten veröffentlichten Roman wegen Programmkürzungen wieder Schluss sein sollte, mein zweiter Roman aber sozusagen schon angenommen gewesen war mit jeder Menge Vorschusslorbeeren. Da ich ein Tatmensch bin – ich gebe mich nicht damit ab, dass etwas nicht gehen oder vorbei sein soll, das gerade erst begonnen hat –, suche ich immer nach einem Ausweg, solange ich Möglichkeiten habe. Keinesfalls wollte ich mich damit abfinden, wieder in der Versenkung zu verschwinden und jahrelang nur Absagen zu kassieren. Nun hatte ich es tatsächlich so weit gebracht und hatte publiziert, da musste ich dranbleiben, sonst würde das nie was. Und wie sich rasch gezeigt hat, war das der richtige Weg.
Uschi Zietsch 1988 bei einer Lesung in Rodgau
Ann (ZWO): Es blieb bekanntermaßen nicht beim Träumenden Universum. Fantasy, Sci-Fi, Kinder- und Tierbücher, TV-Drehbücher und Krimis – du bist unglaublich vielseitig und hast zahlreiche Geschichten geschrieben. Gibt es bei den hunderten von Storys trotzdem eine oder zwei, die für dich persönlich die wichtigsten sind und warum?
Uschi: Ja, es gibt schon einiges, das mir sehr am Herzen liegt, die umfangreichen Chroniken von Waldsee gehören da natürlich dazu, weil ich da alles reingepackt hatte, was so in mir war, und ich emotional sehr beteiligt war. Aber auch meine Kurzgeschichte Aische, die ich für einen Literaturwettbewerb von Amnesty International eingereicht und den ersten Platz gemacht hatte, bedeutet mir viel. Und ebenso die beiden Mammutserien Elfenzeit und Schattenlord, bei denen ich eine Menge ethnische Mythen verwurstet, Rätsel gelöst und sogar Merlins wahre Herkunft verkündet habe. Eine Weltreise in 35 Bänden, das hat schon was.
Ann (ZWO): Auf jeden Fall, dass ist eine echte Hausnummer! Aber was reizt dich daran, vor allem immer wieder Fantasy zu schreiben?
Uschi: Ich denke, es ist diese ganz bestimmte Form von Eskapismus, gepaart damit, als Weltenschöpfer tätig zu sein. Ich liebe alte Kulturen, ich liebe Märchen und Sagen aus aller Welt, das war schon immer so. Es macht einfach Spaß, auch wenn ich so langsam anfange, wieder andere Wege zu beschreiten.
Ann (ZWO): Das wollen wir später nochmal genauer wissen. An dieser Stelle noch ein ganz anderer Punkt, der auffällt: Susan Schwartz, Prisca Burrows, Ashley Lindisfarne, Anna Leoni, Leonora Sasso – du hast mehrere Pseudonyme. Wieso, wie kam das?
Uschi: Susan Schwartz wurde für Perry Rhodan kreiert, ich wollte damals von der Auftragsarbeit und meinen eigenen Werken trennen. Prisca Burrows – nun, seit den 2010ern sind Verlage wieder mal auf dem Trip, dass man ein Pseudonym brauche, also beispielsweise ein weibliches für Romance, und so was. Der Verlag meinte bei mir, dass "Z" ja wohl der letzte Buchstabe sei und ich damit ganz hinten einsortiert würde … das ist natürlich kompletter Unsinn, schließlich hatte ich ja zuvor und erst recht mit den Waldsee-Chroniken beim selben Verlag schon einen Namen, also wäre es doch besser gewesen, hier weiterzumachen. Aber ich hatte keine Lust auf eine Auseinandersetzung und daher, da es ja ein Halbling-Roman war, einfach in einen Hobbit-Namensgenerator meinen Namen eingegeben, und voilà, Prisca Burrows Frumble kam heraus, was mein echter Name als Hobbitname ist. Damit konnte ich dann gut werben, dass ich passend den Namen zum Roman hatte, und eben nicht als Pseudonym, sondern als Künstlernamen verwendet – so wie Susan Schwartz. Ashley Lindisfarne habe ich für den damaligen Dino-Verlag für die TV-Romane verwendet, die anderen beiden Namen sind Verlags-Pseudonyme, die ich verwenden musste.
Uschi Zietsch aka Prisca Burrows Frumle
Ann (ZWO): Interessant bei Schriftstellerinnen und Schriftstellern ist immer wieder die individuelle Arbeitsweise, wie sie ihren Charakteren Leben einhauchen und eine spannende Story aufbauen, um am Ende eine gute Geschichte zu haben. Mal ganz unabhängig vom Genre oder ob die Geschichte von dir oder jemand anderem geschrieben wurde, was macht für dich grundsätzlich eine gelungene Geschichte aus? Was liegt dir besonders am Herzen?
Uschi: Eine gelungene Geschichte ist es dann, wenn sie mich mitnimmt und ich dranbleibe, ohne sie beiseitezulegen und was anderes anzufangen, bevor ich wieder dort weitermache. Dazu gehören sehr viele Komponenten, und als Autor*in kann man nur schwer ausmachen, wie man das hinbekommt. Ein Zusammenspiel von Atmosphäre, Stimmung, glaubhaften Figuren, Spannungsbogen, originellen Einfällen, vielleicht auch origineller Stil. Lesen ist ja absolute Geschmackssache, jede*r Leser*in stellt andere Erwartungen an Bücher. Denen gerecht zu werden, ist äußerst schwierig. Man muss ausprobieren, das Leserverhalten beobachten und dann entsprechend modifizieren. Jede große Geschichte, die ein großer Bestseller wird, hat grundsätzlich die Seele des Lesers berührt. Er hat darin etwas gefunden, das nur ihm gehört, was "seins" ist. Und das ist bei jedem etwas anderes …
Ann (ZWO): Aber trotzdem muss man irgendwo anfangen und den Anfang macht meist eine Idee. Woher bekommst du deine Inspiration? Wirst du oft aus heiterem Himmel von der Muse geküsst und musst dann sofort loslegen oder hast du viele Ideen im Kopf bei denen du dir sagst: "Das wollte ich schon immer mal schreiben"?
Uschi: Alles zusammen. Ich schreibe im Kopf ständig, entwerfe Ideen, manchmal auch Szenen oder Dialoge, und verwerfe sie wieder. Nur wenige notiere ich, und noch weniger werden dann umgesetzt. Inspiration ist Inspiration. Man kann auch ganz bewusst über ein Mainstream-Thema oder eine aktuelle Lage nachdenken, und dadurch entsteht der Initialfunke. Dazu muss man ein kreativer Mensch sein. Handwerk kann (und muss) man lernen, Kreativität kann man nur bis zu einem gewissen Grad erwerben. Die meisten Menschen sind ja kreativ, es gibt so viele Möglichkeiten.
Ann (ZWO): Bei den Perry-Rhodan-Geschichten geht ja alles sehr strukturiert zu und du musst dich meist in einem engen Exposé-Rahmen bewegen. Aber wie gehst du vor, wenn du an deinen eigenen Ideen arbeitest? Musst du lange recherchieren und planen oder schreibst du einfach drauflos und schaust mal wohin sich das Ganze entwickelt?
Uschi: Man kann keine Trilogie mit über zwei Millionen Zeichen verfassen, indem man einfach drauflosschreibt. Dann bleibt man schon bei der ersten Hürde stecken und bekommt die berühmte, aber eigentlich nicht existierende Schreibblockade. (Es ist ein großer Unterschied zwischen "ich hänge grad" und "Blockade".) Dazu braucht es Struktur und eine zumindest ungefähre Reiseroute. Man braucht Datenblätter über die Personen, sonst hat Held A auf Seite 3 blaue Augen und auf Seite 48 braune. Man braucht den Weltenbau – entweder muss man ihn selbst entwerfen, oder gut Bescheid wissen über den real existierenden Ort, über den man schreibt. Große Geschichten entstehen nicht einfach so, die benötigen eine Menge Vorarbeit und Recherche. Und je besser die Vorarbeit, desto leichter dann das Schreiben, weil man nicht dauernd hängenbleibt, um dies oder das nachschauen zu müssen oder gar einiges vom Anfang umzuschmeißen, weil es zum Rest der Geschichte nicht mehr passt. Damit reißt man sich ständig aus dem Schreibfluss heraus, und dadurch wirkt auch der Stil uneinheitlicher und nicht wie aus einem Guss.
Ann (ZWO): Wie schon eingangs erwähnt, bist du aber nicht nur Autorin, sondern auch Verlegerin und das schon seit langer Zeit. Dein Verlag feiert dieses Jahr sogar sein 35jähriges Jubiläum. Dazu herzlichen Glückwunsch! Aber wie kam es überhaupt, dass du einen eigenen Verlag gegründet hast und wie ist es dir damit ergangen?
Uschi: Wie ich es oben schon angedeutet hatte – ich hatte die Wahl zwischen "unbemerkt in der Versenkung verschwinden" oder "dann mach ich es halt selbst!" Mein Mann und ich haben uns natürlich zuerst grundlegend informiert und eine fachliche Beratung aufgesucht, bevor wir uns drangemacht hatten, ein Konzept aufzustellen, das Logo zu entwerfen, nach einem Setzer zu suchen und nach einer Druckerei. Damals wurde ja noch alles auf Film gezogen (immerhin nicht mehr mit der Hand gesetzt) und es gab nur Offset. Gleichzeitig entschieden wir, wenn wir das schon machen, dann nicht nur für mich, sondern auch für andere Autoren. Da wir realistisch kalkulieren wollten, starteten wir erst mal mit zwei Bänden, geplant waren dann immer vier im Jahr, denn die Buchproduktion war damals noch extrem teuer, auch die Werbung war nicht so einfach, es gab kein Internet, keine Social Media, etc. Und – damals waren Klein(st)verlage noch extrem verpönt und anrüchig, die Indie-Abteilung beim Börsenverein gab es noch nicht. Immerhin, dem Stempel "Selbstverlag" hatte ich einen Riegel vorgeschoben. Das erste Lob erhielten wir dann beim damals berühmt-berüchtigten Heyne-Stammtisch in München, als wir stolz unsere beiden Paperbacks präsentierten und der erste Ausruf war: "Oh, was für schöne Bücher! Warum können wir nicht solche machen?" Dann haben wir den Kurd-Lasswitz-Preis für beide Bände eingeheimst, was wir noch stolzer auf der Frankfurter Buchmesse präsentierten, und so ging es dann vorwärts. Der schwerste Kampf war der gegen das Finanzamt, das der Ansicht war, man müsse schon ab dem ersten Jahr Gewinn machen, alles andere sei nur zur Abschreibung gedacht – weil wir beide noch Hauptjobs hatten. Da wollte sich jemand Neues profilieren, und Finanzämter haben vom Kunstgewerbe keine Ahnung. Nach fünf Jahren hatten wir diesen Kampf dann endlich gewonnen.
Ann (ZWO): Du musstest also einige Schlachten schlagen. Hat es da eine besondere Rolle gespielt, dass du eine Frau bist? Hat das eine große Auswirkung auf deine Verlegerinnen- und Autorinnentätigkeit gehabt?
Uschi: Damals war ja noch die Hochzeit des Patriarchats, insofern wurde mein Name nie als Erster genannt, sondern der meines Mannes, all so was eben. Aber ich war stets das Gesicht des Verlags, ich gab die Interviews, und ich war ja auch noch Autorin. Ich habe damals weniger darauf geachtet, wie Frauen in der Branche wahrgenommen werden (ich war sowieso laut genug, um wahrgenommen zu werden), als vielmehr darauf, als Kleinverlag akzeptiert und respektiert zu werden. Das war schon Kampf genug.
Ann (ZWO): Letztlich hast du es geschafft, dich zu behaupten, und das auf sehr erfolgreiche Weise und jeder, der deutsche Fantasy liest, macht früher oder später Bekanntschaft mit Geschichten aus deiner Feder oder deinem Verlag. Du hast auch schon mehrere Preise für deine Geschichten bekommen. 2017 wurde dir sogar der Deutsche Fantasypreis für anspruchsvolle verlegerische Tätigkeit verliehen und hat dich damit als echte Größe in der deutschen Phantastikliteraturszene geehrt. Was bedeutet dir dieser Preis und wie war der Moment für dich, als du den Preis verliehen bekommen hast? Und wie lebt es sich denn so, als Berühmtheit?
Uschi: Da muss ich jetzt laut lachen. Ja, ich hatte sogar mal meine 10-Minuten-Berühmtheit. In den Jahren 1994 und 1996 war ich einige Male im Fernsehen, nicht nur zu kurzen Interviews (meistens über Perry Rhodan), sondern auch in Shows wie Ilona Christen. Es gab damals noch nicht viele etablierte Frauen als Verlegerinnen und Autorinnen. 1994 war ich anlässlich der Buchmesse zweimal bei RTL, einmal im Buchmesse Spezial, einmal im Frühstücksfernsehen. Und das Frühstücksfernsehen war’s! Ich war damals frisch nach Königsbrunn (bei Augsburg) gezogen, aber im Supermarkt, beim Bäcker, beim Metzger, überall kannte man mich plötzlich und sprach mich an. Damals arbeitete ich noch ganztags in München, in der Nähe des Büros war eine Tankstelle, bei der ich regelmäßig tanken war. Tja, und der Tankwart sprach mich dann an, eher schüchtern, aber da ich schon öfter dagewesen war, wollte er wissen, ob er mich vor ein paar Tagen im Frühstücksfernsehen gesehen habe.
Aber das ist auch schon alles, berühmt bin ich wirklich nicht, im Gegenteil, weit davon entfernt. Ich bin ziemlich unbekannt, denn der Kreis derjenigen, die auch auf Cons und Veranstaltungen gehen, ist doch sehr überschaubar.
Über den Preis 2017 habe ich mich wirklich sehr gefreut, nach 30 Jahren fortgesetzten Kampfes gegen alle Widrigkeiten und Naserümpfen der Branche, weil ich niemals aufgegeben habe und fortgesetzt stolz auf unser kleines, aber feines Programm war. Dafür eine solche Anerkennung zu bekommen, das hat schon was.
Ann (ZWO): Das glaube ich und du hast dir das ja auch wirklich mehr als verdient! Was deine Tipps für erfolgreiches Schreiben sind, wie dein Alltag abläuft und ob du den Stand-Up-Comedians den Rang ablaufen willst, darüber reden wir dann das nächste Mal.
Die Fortsetzung des Interviews mit Uschi Zietsch wird nächsten Sonntag veröffentlicht.