Da dieses Jahr endlich der vierte Teil der Reihe bei Golkonda erschienen ist, dachte ich mir als großer Fan, der ich nun einmal bin, eine Retrospektive zu den Büchern zu schreiben. Also hintereinander weg, in (hoffentlich) kurzen Zeitabständen, ein Buch nach dem anderen zu rezensieren. Begleitet mich auf die Reise in menschliche Abgründe, quer durch die Hölle und zurück.
Malefiz mit Mephistopheles
Nachfahre einer langen magischen Blutlinie zu sein, scheint auf den ersten Blick nicht das schlechteste Erbe darzustellen. Großes magisches Potential, eine ganze Sippe, die sich der Ausbildung annehmen kann, und, da man ja besagte Sippe im Rücken hat, ein Zugehörigkeitsgefühl, das dem Antihelden von Welt in der Regel fehlt.
Hiob Montag hat diese Vorteile fast vollständig nicht. Und trotzdem spielt er ein Äonen altes Spiel mit dem Teufel. Um seine Seele, aber im Gegenzug auch um die Macht und die Position des Gottes/Teufels.
Hierbei bekommt Hiob Aufgaben verschiedener Schwierigkeitsgrade gestellt, um jeweils einen, zwei oder sogar drei Punkte zu bekommen. Erreicht er achtundsiebzig Punkte, hat er gewonnen und löst den Gott/Teufel ab. Bisheriger Rekord liegt bei siebzehn Punkten.
Himmel, Hölle, Heidenspaß
Wenn hier vom Gott/Teufel gesprochen wird, ist jedoch nicht der biblische Gott oder Teufel gemeint. Auch Himmel und Hölle sind in dieser Buchreihe etwas völlig anderes als im klassischen Sinne.
Besagter Gott/Teufel wird durch ein Wesen verkörpert, das NuNdUuN genannt wird. Er ist der momentane Herrscher über die Hölle, die zusammen mit dem Himmel als das Wiedenfließ bekannt ist. Und als solcher ist er es, der Hiob die verschiedenen Aufgaben stellt oder stellen lässt.
Diese Aufgaben teilen sich in drei verschiedene Arten auf: Die Prognostica stellen lediglich einen Vorgeschmack auf Dinge dar, die werden könnten, und sind die einfachste Schwierigkeitsstufe. Manifestationen sind genau das: Eine Verkörperung dessen, was schließlich zur Katastrophe führen wird, nämlich zur Inundation. Und bei jeder Erscheinung muss Hiob individuell reagieren und einen passenden Lösungsweg finden. Dieser Lösungsweg kann schlicht rohe Gewalt sein, ein magisches Duell, aber auch Dinge, die mehr auf einer Metaebene stattfinden, wie zum Beispiel Charakterentwicklung und grundlegend neues Verständnis der Welt um Hiob herum.
Von einem in Giftmüll mutierten Riesenwurm, der in einer Halde hinter einer verkommenen Irrenanstalt vor sich hin reift, über einen Elektrizitätsdämon bis hin zu Geistern der Vergangenheit (und dem Nikolaus, allerdings erst im zweiten Buch), ist alles dabei, was man sich vorstellen kann. Und noch wesentlich mehr.
Sex, Drugs & Rock ‘n‘ Roll
Doch Hiob muss sich nicht allein den Schergen NuNdUuNs stellen. Ihm zur Seite steht Widder/Aries, ein Sukkubus, die für ihn jedwede weibliche Gestalt annehmen und … nun ja … zur Verfügung stellen kann und ihm zusätzlich mit Rat und Tat und Neckerei zur Seite steht.
Außerdem stehen Hiob auch gewisse Vorteile zur Verfügung, die seinen eigenen Körper betreffen. So altert er nicht, bleibt also ein Leben lang 21, bis das Spiel endet, egal mit welchem Ausgang. Hinzu kommt eine gewisse Unverwüstlichkeit. Klar kann er verletzt werden, empfindet Schmerz und so weiter, aber sein Körper heilt unnatürlich schnell und keine Verletzung, außer sie wird ihm durch Prognosticon, Manifestation oder Inundation zugefügt, kann ihn letztendlich töten. Abgesehen von weißer Schokolade.
Das Töten als eine sozial-historische Grundkonstante in zwischenmenschlichen Verhaltensmustern
Warum macht Hiob das alles eigentlich? Warum begibt er sich in ständige Gefahr? Warum nimmt er es immer wieder mit höllischen Unaussprechlichkeiten auf, lässt den Spot seitens des Fließes, aber auch seiner Verwandtschaft, kontinuierlich über sich ergehen?
Nicht aus Philanthropie heraus, so viel steht fest.
Hiob hat einen magischen Gendefekt, der dazu führt, dass sich Katastrophen, die in der Welt passieren, auch direkt auf ihn auswirken. Soll heißen, den Schmerz der Welt erfährt auch er am eigenen Leib. Um dies zu ändern, will er sich auf den Thron des Fließes schwingen, um das Leid in der Welt ein für alle Mal zu entfernen.
Dabei ist er aber alles andere als nett oder rücksichtsvoll. Wer ihm bei diesem Ziel über die Klinge springt, ist ihm eigentlich ziemlich egal. Massiv misanthrop setzt er seine Magie auch gegen normale Menschen ein, oder einfach, um sich zu bereichern.
Trotzdem ist er ein sehr sympathischer Charakter, mit dem man sich durchaus identifizieren kann. Das gelingt nicht zuletzt dadurch, dass Hiob oft so denkt und handelt, wie man selbst es gern würde, sich aber im realen Leben nicht traut.
Ein Zyklus auf 50 Jahre angelegt
Frauenmörder ist das erste Buch einer auf 50 Jahre ausgelegten Reihe. Und hier scheint es, als wollte Tobias Meißner direkt die Latte der Schmerzgrenze möglichst hochlegen, scheucht er Hiob doch von Anfang an von einer Unappetitlichkeit in die nächste. Das macht er aber derartig pointiert und voller Popkulturreferenzen, dass es trotz vieler Schockmomente ein Vergnügen ist, Hiob zu folgen und sich auf sein Spiel einzulassen.
In der Printausgabe kommen dann noch viele grafische Spielereien hinzu, die das Geschriebene passend untermalen. So streckt sich ein Wort durchaus einmal gern von der Mittelzeile über die physischen Grenzen der Seite hinaus auf die nächste und lässt alles nach der Mitte und vor der nächsten Mitte frei.
Oder mehrere Zeilen sind durchgestrichen und direkt im Anschluss neu aufgeschrieben.
Derartige visuelle Spielereien, von denen unterschiedliche Drucksätze und Formatierungen noch die harmlosesten darstellen, ziehen sich durch sämtlich Bücher, am stärksten jedoch durch die ersten beiden.
Diese Spielereien fallen in den Ebooks leider naturgemäß weg, weshalb die Printausgaben um einiges imposanter wirken.
Ein Vorgeschmack auf die Dinge, die da kommen mögen
Buch 1 der Hiobs Spiel-Reihe ist im Grunde eine Prognosticon. Es wird viel angekündigt und macht unheimlich Lust auf mehr, wenn man sich einmal an den sehr ruppigen Stil und den ungewöhnlichen Umgang mit der mephistophelischen Prämisse gewöhnt hat.
Der zuweilen politisch unkorrekte Humor bzw. das Spiel damit, ob es jetzt politisch korrekter ist, auf eine Fraktion besonders Rücksicht zu nehmen oder alle gleich mies zu behandeln, sowie das stoische Nichternstnehmen seiner Gegner, machen Hiob zu einem interessanten, unterhaltsamen Charakter. Die schnippische, aber stets charmante Widder/Aries stellt entsprechend das Yang zu Hiobs Yin dar. Damit ist sie ein gleichwertiger Gegenpol, der, entgegen seiner Grundfunktion der ständigen sexuellen Verfügbarkeit, stets auf Augenhöhe mit der Hauptfigur agiert – woraus sich natürlich witziges Geplänkel, im Laufe der Reihe aber auch nachvollziehbares Drama ergibt.
Wer sich also von frechem, unartigem, brutalem Humor nicht abgeschreckt fühlt und gleichzeitig eine extrem unkonventionelle Schreibe zu schätzen weiß, sollte wirklich einen Blick riskieren. Die Aufgaben, mit denen Hiob konfrontiert wird, dürften mit das kreativste und spannendste sein, was sich im Modern Fantasy-Bereich so rumtreibt.
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Zauberwelten-Online.de