Tad Williams, einer der Großmeister epischer Fantasy, lädt erneut nach Osten Ard ein. Von der Neugierde seiner Fans getrieben, hat er sich nach über 20 Jahren darauf eingelassen, seine Saga vom Kampf zwischen Feenwesen und Menschen weiterzuerzählen. Mit dem für Williams Verhältnisse ziemlich kurzen Roman von gerade mal 315 Seiten möchte er sowohl alte Bekannte als auch Neulinge in der Welt von Osten Ard begrüßen. Ob wir uns willkommen fühlen können?
Das Herz der verlorenen Dinge ist als Einstieg in eine mehrbändige Reihe gedacht. Der Roman setzt dort an, wo die vorherige Geschichte Das Geheimnis der Großen Schwerter endete und soll auf das neue Epos Der letzte König von Osten Ard vorbereiten. Die Idee klingt gut, sehen wir uns die Umsetzung genauer an.
Für den Überblick: So ist die Saga Der letzte König von Osten Ard bisher aufgebaut
Darum dreht sich die Handlung
Nachdem die Menschen in einem großen Kampf über die Feenwesen, die Nornen, gesiegt haben, suchen diese nun ihr letztes Heil in der Flucht. Jedoch ist der Hass der Menschen auf die weißhäutigen Feenwesen so groß, dass sie das Volk komplett vernichten wollen. Herzog Isgrimnur zieht den Fliehenden mit seinen Kriegern hinterher, um auch den letzten noch atmenden Weißfuchs zu töten. Währenddessen versuchen die kläglichen Überreste des Nornenheeres so schnell sie nur können ihre Stadt Nakkiga, die im Inneren eines riesigen Berges liegt, zu erreichen. Der Weg dorthin ist beschwerlich, für beide Seiten. Nicht nur, dass alle vom vorherigen Kampf geschwächt sind, auch die Kälte des Nordens fordert auf den Etappen zum Berg ihren Tribut. Doch zäh sind beide Heere und der Kampfgeist der Nornen wird von ihren Anführern immer wieder gestärkt. Durch Einfallsreichtum und Mut gelingt es den Weißfüchsen, ihren Häschern mehrmals zu entwischen, während ihnen die menschlichen Jäger unermüdlich auf den Fersen bleiben – bis beide Heere Nakkiga tatsächlich erreichen.
Zwei Heere – zwei Seiten
Ohne Einzelheiten zu verraten, aber mehr Handlung ist dann auch nicht. Die Menschen jagen den Nornen hinterher. Punkt. Das Buch besteht aus fünf Teilen, die sich alle mit den größeren Etappen der zwei Heere auf ihrem Weg beschäftigen. Natürlich gibt’s einen Showdown, der dann jedoch eine wirklich unerwartete und etwas steife Wendung nimmt.
Wirklich interessant ist, dass die Geschichte aus zweierlei Sicht erzählt wird. Bei den Menschen begleitet man Herzog Isgrimnur, der mit seinen entkräfteten Soldaten den gehassten Feinden nach Nakkiga folgt. Wie es den stark gebeutelten Nornen ergeht, erfährt man durch den Adeligen Yaarike aus dem Orden der Bauleute, der seinem Meister und der Lebensweise seines Volkes treu ergeben ist. Man bekommt Einblicke in zwei unterschiedliche Kulturen und wie sie zugleich die jeweils andere Seite sehen. Zudem kommen noch zwei Nebenerzählstränge hinzu, die dem Ganzen mehr Tiefe verleihen und das Geschehen aus anderen Perspektiven beleuchten.
Aller Anfang …
Der Einstieg in den Roman gestaltet sich durchaus schwierig, vor allem für Osten-Ard-Neulinge. Selbst wenn man Williams Rat befolgt und das kleine, feine Stück fiktive Geschichte am Ende des Romans über die Völker Osten Ards vorneweg liest, wird man in einen zweischneidigen Start des Romans geworfen. Auf den ersten 20 Seiten muss man konzentriert Namen, Begriffe und Rassenbezeichnungen unterscheiden lernen. Das Glossar im Anhang möchte bei der Orientierung helfen, irritiert aber durch die Menge an Begriffen leider auch. Mag sein dass der eingefleischte Osten-Ard-Fan null Problem damit hat, sich (wieder) hineinzufinden. Trotzdem, wer es nicht kennt oder schon sehr lange raus ist, hat Mühe.
An dieser Stelle sei serviceorientiert gleich ein Stolperstein aus dem Weg geräumt. Für die weißhäutigen Feenwesen gibt es drei Begriffe: Nornen, Weißfüchse und Hikeda‘ya. Das ist deshalb wichtig, da man diese von ihren entfernten Verwandten, den Sithi bzw. Zida‘ya, die irgendwie auf der Seite der Menschen aber nicht so ganz gegen die Nornen stehen, unterscheiden muss. Wer die anfängliche Begriffsklauberei und das Namensgewirr durchsteht, ist ab Seite 50 in der Story angekommen.
Das meint Ann
Leser, die gerne Heeresgeschichten schmökern bzw. waschechte Fans der Osten-Ard-Welt sind, werden begeistert sein. Für alle anderen könnte Das Herz der verlorenen Dinge etwas holprig daher kommen. Es gibt zwar mehrere, spannende Situationen im Buch, bei denen man das Gefühl hat, dass ab jetzt richtig Fahrt aufgenommen wird, doch legt sich dieser Eindruck wieder. Man kehrt in den Trott des Gewaltmarsches zurück, was vom Autor wahrscheinlich genauso beabsichtigt wurde, um die Entbehrungen beider Heere zu verdeutlichen.
Handwerklich ist die Geschichte solide geschrieben, da gibt es nichts zu sagen. Einzelne Charaktere auf beiden Seiten sind sympathisch und man gewöhnt sich schnell an sie. Einzig die Atmosphäre bleibt durch die dialoglastige Erzählweise in der ersten Hälfte des Buches etwas auf der Strecke. Doch das wird in der zweiten Hälfte ausgeglichen und dem Leser wird auch mal ein Blick mehr vorbei an den Figuren in die Umgebung gegönnt.
Und, wie ist es nun, fühlen wir uns in Osten Ard (wieder) willkommen? Ein wenig Frösteln mit der Handlung ist da schon. Doch eigentlich ist der ganze Einführungsroman sowieso eher als Vorwort für die kommende Reihe zu sehen, womit wir gut warm werden können. Daher gilt: Weil es Tad Williams ist und sich der im Anhang befindliche Auszug aus dem ersten offiziellen Teil des Epos bereits nett anliest, nehmen wir die Einladung von Herzen gerne an.
Das Produkt wurde kostenlos für die Besprechung zur Verfügung gestellt.
Dieser Artikel ist erschienen bei:
Zauberwelten-Online.de