Ann A. Kalliope (ZWO): Du bist schon lange in der Welt der Mittelalter-Folk-Musik unterwegs. Was fasziniert dich daran?
Gabria: Ich liebe es schon seit meiner Kindheit in andere Welten, andere Leben einzutauchen: Meinen ersten Fantasy-Wälzer Märchenmond habe ich mit 8 Jahren gelesen. Ich liebe historische und fantastische Serien und Filme und spiele seit knapp 18 Jahren LARP. Ich habe sogar Altgermanistik und Theaterwissenschaften studiert!
Es gibt wenige Dinge, die ich spannender und inspirierender finde als sich vorzustellen: Was wäre wenn … die Welt eine andere wäre, andere Regeln gälten, wenn ich nicht ich wäre?
Bei Mittelalter- bzw. Fantasy-Folk trifft das Handgemachte, in meinem Fall akustische Musik, eine breite Instrumentenvielfalt; im Gegensatz zu z.B. Pop oder Rock. Gesang bzw. Stimme haben einen großen Stellenwert – die für mich perfekte Mischung!
Ann (ZWO): Die Szene hat bereits in vielen Ländern, so auch in Deutschland, eine längere Geschichte. Besonders im letzten Jahrzehnt ist sie unglaublich facettenreich geworden. In welche Sparte würdest du dich am ehesten einordnen?
Gabria: Ich halte nicht so viel von Sparten. ;-) Bei PurPur haben wir nicht umsonst immer von instrumental-purpuristischem Mittelalter-Zwillingsfolk gesprochen. Mein Solo-Album bezeichne ich meistens schlicht als "Fantasy Folk": Fantastische Themen, von mittelalterlich über mythisch bis „larpig“, Folkinstrumente, deutsche und englische Texte – Gesungene Geschichten eben.
Interessanterweise ist es ja eher so, dass in Deutschland unser eigenes, traditionelles Liedgut eher unpopulär ist, im Gegensatz z.B. zu Irland oder den nordischen Ländern. Das hat natürlich auch historische Gründe. Ich habe manchmal den Eindruck, Mittelalter-Folk ist eine Art Kunstgriff um Musik machen zu können, die sich „nach alten Zeiten“, nach „archaischen Wurzeln“ anfühlt, inhaltlich aber vor allem der Fantasie entspricht. Einem romantischen Ideal von Vergangenheit anstatt echter, potentiell schwieriger Geschichte. Ich finde das aber auch völlig legitim, solange uns das bewusst ist: Jeder braucht einmal eine Auszeit.
Ann (ZWO): Was sind deine musikalischen Einflüsse?
Gabria: Ich bin mit klassischer Musik und mit Chormusik aufgewachsen, aber durch meinen Großvater und meine Mutter auch mit traditionellem, deutschem Liedgut. In meiner Jugend lag der Fokus auf allem was Gesang hatte, wie Pop, Rock, Metal, Singer Songwriter, Weltmusik, Musical, etc., und von da war dann der Schritt zu Irish Folk, meiner großen Liebe, nicht weit. Die Einfachheit und zugleich zeitlose Schönheit der Melodien und Texte hat mich direkt fasziniert, genauso wie das Nebeneinander von tiefer Melancholie und purer Lebensfreude.
Ann (ZWO): Was waren deine bisher größten und/oder schönsten Auftritte?
Gabria: Das Festival Mediaval ist ganz oben auf der Liste der Gig-Highlights: Sowohl unser allererster PurPur-Gig auf der großen Bühne vor *hust* vielen Jahren, die Auftritte mit der Capella Bardica als Samstagnacht-Closer, der Kleingig im Regen unter der großen Linde… das Ambiente ist einfach großartig, die Zuschauer*innen wahnsinnig wertschätzend und aufmerksam. Für Musik wie die unsere bzw. meine ist das Gold wert!
Diesen Spätsommer bin ich aber tatsächlich in einer kleinen Fernsehdokumentation zu sehen zum Thema LARP-Musik. Das war auch extrem spannend
Ann (ZWO): Du bezeichnest dich selbst als moderne Bardin. Was ist da der Unterschied zur „normalen“ Sängerin?
Gabria: Zum Bardin-Sein gehört für mich einfach mehr: Ich singe ja nicht nur, ich spiele auch diverse Instrumente und schreibe auch selbst Lieder. Außerdem steht für mich das Erzählen von Geschichten, das Entführen in andere Zeiten und Welten und dadurch das Berühren und vielleicht sogar Inspirieren von Menschen bei Auftritten im Mittelpunkt, nicht die große Show oder die möglichst fetteste Party. Auch diese Art von Musik hat absolut ihre Berechtigung, aber es ist eben nicht „mein Weg“: Ich mag das Persönliche, das – oft – Reduzierte, eben das Handgemachte und bisweilen menschlich Unperfekte, aber Ehrliche.
Ich stelle mir gerne vor, da in Fußstapfen eben jener keltischen Barden zu treten, die mit ihren Liedern nicht nur unterhalten, sondern auch belehrt und Geschichte(n) tradiert haben – und damit Menschen zusammengebracht, über Zeit und Raum hinweg.
Ann (ZWO): PurPur, Heiter bis folkig, The fabulos Scarlet Sisters – Du bist vielseitig und ganz schön aktiv. Wie viele Projekte hast du eigentlich am Start?
Gabria: Ich mag einfach Abwechslung! Realistisch betrachtet sind es aber gar nicht so viele Projekte: Heiter bis Folkig ist humorvolle, mehrstimmige Marktmusik; PurPur ist ist eher lyrisch und ruhig aber mittlerweile im Wesentlichen ein CD-Projekt, da meine Schwester beruflich wahnsinnig eingebunden ist und quasi keine Live-Auftritte mehr spielen kann. Die Western-Saloongirl Truppe The Scarlet Sisters ist ein reines Spaß- und Hobbyprojekt, wobei ich tatsächlich überlege neben der geplanten Schlaflieder-CD (ja, noch ein Projekt ^^) eine Saloon-Song EP aufzunehmen! Ich kann halt doch nicht aus meiner Haut.
Ann (ZWO): Und warum nun eine Solo-CD?
Gabria: Damit ich endlich einmal alles so machen konnte wie ICH es wollte ;-) Nein, tatsächlich gab es die Idee schon länger. Seitdem ich auf Patreon aktiv bin, hatte ich angefangen für meine Unterstützer*Innen eigene Songs zu schreiben, unabhängig von HBF und PurPur. Dann kam Corona. Bandproben wurden quasi unmöglich, es gab keine Auftritte und ich brauchte dringend, neben der ganz eigenen Herausforderung „PurPur Liederbuch“ ein musikalisches Projekt: Da war ein Solo-Album naheliegend.
Die Musik dort knüpft natürlich sehr an z.B. die vorherigen PurPur-Alben an, aber geht mit den z.T. orchestralen/Soundscape Ergänzungen auch ein wenig andere Wege.
Gabria's Soloalbum: Gesungene Geschichten
Ann (ZWO): Als Singer-Songwriter, singst du nicht nur, sondern komponierst und arrangierst Lieder auch selbst. Woher nimmst du deine Ideen für die Texte und Musik?
Gabria: Wie die meisten meiner Kolleg*innen vermutlich: Überall her! Ich liebe wie gesagt alles, was mit Fantasy zu tun hat, bin begeisterte LARPerin und finde in den gelesen, gesehenen (z.B. mein Game of Thrones inspirierter Song How many Eyes) und erlebten Geschichten (z.B. der von einem LARP inspirierte Song Wo ich lebe, wo ich sterbe) immer wieder Inspirationen. Gleichzeitig kann es auch sein, dass eine Formulierung aus einer E-Mail, ein Artikel im Internet oder sonst etwas „hängen bleibt“ und sich verselbstständigt.
Auf der anderen Seite recherchiere ich manchmal auch Themen, die ich spannend finde oder aber Lieder entstehen mit Blick auf gewisse Anlässe wie die Kooperation mit Florian Schäfer von Forgotten Creatures (für Ruf der Nixe und Der wilde Reiter).
Ann (ZWO): Und wie viele Instrumente kannst du eigentlich spielen?
Gabria: Das kommt drauf an, wie man ‚Können‘ definiert ;-) Realistisch betrachtet ist das einzige Instrument, das ich wirklich beherrsche, meine Stimme. Ich spiele außerdem Gitarre, ein wenig Bodhrán und Low Whistle, noch etwas weniger Irish Bouzouki, Mandoline und Klavier, Shrutibox, Ukulele... und zuhause wartet auf mich eine wunderschöne Harfe, die ich bisher sträflichst vernachlässigt habe. Typisch Musikerin also, schätze ich.
Ann (ZWO): Das ist schon eine Menge. Aber trotzdem, ganz allein macht man so ein Album ja nicht – oder etwa doch? Und wenn nicht, wer war mit daran beteiligt?
Gabria: Nein, natürlich nicht! Schon im Entstehungsprozess der Lieder waren verschiedene Menschen beteiligt. Bei einigen Texten z.B. eben Florian von Forgotten Creatures und Daniel Köhler bei dem Song Ach Assansol. Dann kann ich natürlich einige Instrumente selbst nicht spielen, habe mir also diverse Gastmusiker*innen – 10 wenn mich nicht alles täuscht – eingeladen, u.a. meine Schwester, Saitenweise, eine Cellistin, aber auch Johanna von Feuerschwanz für ein Stück an der Geige.
Aufgenommen habe ich das Ganze in unserem Haus- und Hofstudio, bei Oskar Schrems in Fürth, der außerdem mit mir gemeinsam das Mixing und Mastering gemacht hat.
Für das CD-Design wiederum habe ich mit einer alten Schulfreundin als Haupt-Fotografin zusammengearbeitet, Antje Hamann, einer weiteren Künstlerin für die Zeichnungen (Pathelome Pathetic vom Künstlerduo Dudettes & Art), sowie mit Ben aka Hygin Graphix, der auch schon CD-Gestaltungen für Szenegrößen wie Faun, Versengold und Feuerschwanz gemacht hat. Letztlich MÖGLICH wurde die CD aber wegen der Unterstützer*innen via Crowdfunding, Patreon und Twitch, wo ich live Musik als Tinifreak streame – ohne sie hätte ich die letzten zwei Jahre Pandemie finanziell nicht überstanden, geschweige denn ein Album produzieren können.
Ann (ZWO): Weil du es gerade ansprichst und es leider immer noch ein weitreichendes Thema ist: Wie hat sich Corona auf dein Leben als Musikerin ausgewirkt?
Gabria: Kurz: Allumfassend. Alles war plötzlich auf Pause, alles war anders, wesentliche Einnahmequellen wie Märkte, Festivals, Auftritte und Hochzeiten, bei denen ich als Rednerin und Musikerin auftrete, fielen plötzlich weg. Im Gegensatz zu vielen meiner Kolleg*innen hatte ich aber das Glück, vorher schon breiter aufgestellt gewesen zu sein: Ich hatte, nach meiner Krebserkrankung 2017, einen Patreonaccount, durch den mich Fans meiner/unserer Musik direkt unterstützen konnten, ganz unabhängig von Live-Auftritten. Und ich hatte auch schon vor der Pandemie angefangen Musik zu streamen, besaß also bereits alles an Equipment, was dazu nötig war. Es war trotzdem extrem hart, vor allem auch psychisch. Etwas anderes zu sagen wäre schlichtweg gelogen.
Ann (ZWO): Kurz vor Schluss noch eine etwas andere Frage: Welche Figur aus einer deiner Gesungenen Geschichten oder aus irgendeiner anderen Geschichte wärst du gerne wirklich für einen Tag?
Gabria: Lol – einige der Figuren war ich schon mehrmals und bin sie immer wieder! Ich spiele im LARP z.B. die Magd und Witwe, von deren Charaktergeschichte das Lied Ein Wyldhund will ich sein inspiriert ist, bzw. die Priesterin, die für ein Ritual zu aller erst Wo ich lebe, wo ich sterbe gesungen hat. Wenn ich es aber völlig frei wählen könnte ... puh … eine? Wie soll ich das entscheiden? Deshalb mache ich vielleicht auch die Musik, die ich mache: Dann muss ich nicht wählen, ich kann jeweils für einen kurzen Moment jede dieser Figuren sein, ein Stück ihrer Leben „erleben“. Wenn man betrachtet, wie tragisch diese Geschichten zum Teil sind, wie rau und gefährlich die Umstände, ist das vermutlich auch die bessere Variante!
Ann (ZWO): Auf dem Festival-Mediaval trittst du mit deiner Zwillingsschwester Leonora als PurPur auf. Was können deine Fans, und solche die es werden wollen, von dir als Gabria als nächstes erwarten?
Gabria: Ich hätte nichts dagegen, auch einmal als Gabria auf dem Festival Mediaval aufzutreten, oder zu anderen passenden Gelegenheiten. Dafür bräuchte ich vermutlich aber eine Band, denn live habe ich leider ja nur zwei Hände und eine Stimme. Momentan ist das noch eher ein Traum als ein Plan – aber wer weiß?
Letztlich trenne ich da aber gar nicht so scharf. Organisatorisch stecke ich schon seit Jahren quasi allein hinter PurPur, und habe auch immer größere Anteile der Kreativarbeit übernommen, da ich nunmal Berufsmusikerin bin und meine Schwester das Ganze nur noch als Freizeitfreude betreibt. Da wird Ende des Jahres ein Cover-Album erscheinen mit Songs im "PurPuresken Stil", wenn alles nach Plan verläuft. Bei Heiter bis Folkig bringe ich mich ja auch seit jeher kreativ ein und ich werde auch weiterhin Solo-Songs schreiben. Wie schon erwähnt, spukt seit Jahren die Idee einer Schlaflieder-CD in meinem Kopf herum und könnte eigentlich 2023 angegangen werden, und auf eine Saloongirl-Piano Scarlet Songs-EP hätte ich einfach wahnsinnige Lust. Außerdem reizt mich das Soundtrack/Epic Gaming Score Thema sehr, da würde ich auch gerne mehr machen.
Insgesamt möchte ich einfach weiter Musik schreiben und spielen, online und live, in Bandprojekten und darüber hinaus, gerne vielseitig, auch in Zukunft eher akustisch, mit Fokus auf Gesang. Ich liebe Kooperationen mit anderen Musiker*innen. Wenn also jemand Lust hat oder eine Idee: Immer her damit, Tini bzw. Gabria wartet! ^^
Ann (ZWO): Vielen Dank für das Interview und alles Gute.