Wer würde nicht gern in die Vergangenheit reisen, um bedeutende Momente der Menschheitsgeschichte hautnah miterleben zu können, oder in die Zukunft reisen, um zu erfahren, wie das Leben auf der Erde in ein paar hundert Jahren aussieht? In der Science-Fiction-Literatur ist das schon lange Thema – sind Zeitreisen also ein alter Hut?
In unserer Reihe Schauplätze in der Phantastik, die in Zusammenarbeit mit PAN – das Phantastik-Autoren-Netzwerk e.V. entsteht, widmen wir uns in jeder Ausgabe einem anderen klassischen oder untypischen Schauplatz phantastischer Geschichten.
Bereits 1771 schickt Louis-Sébastien Mercier den Protagonisten seines Romans Das Jahr 2440: ein Traum aller Träume (frz. L’An 2440, rêve s’il en fut jamais) aus dem 18. ins 25. Jahrhundert. Rund 100 Jahre später beschreibt Edward Page Mitchell in der Kurzgeschichte The Clock That Went Backwards (1881) die erste Zeitreise mit technischen Mitteln, also mit einer Zeitmaschine. Richtig populär wurde das Konzept durch den Roman The Time Machine (dt.: Die Zeitmaschine, 1895) von Herbert G. Wells. Der namenlose Protagonist dieses Werkes reist in das Jahr 802.701.
Viele Autoren und Autorinnen dieser frühen Geschichten halten mit der literarischen Reise in eine andere Zeit ihrer eigenen einen Spiegel vor und kritisieren gesellschaftliche Missstände. Teilweise geschieht das auch heute noch, bei anderen Werken überwiegt die Darstellung einer als faszinierend empfundenen Epoche – wobei auch das mit Sozialkritik verbunden sein kann.
Zeitparadoxa und die Grenzen der Logik
Ob mit oder ohne Zeitmaschine, Zeitreisen können einige Schwierigkeiten mit sich bringen – gerade, was die Logik der Handlung betrifft. Einerseits müssten sich zum Beispiel durch eine Reise in die Vergangenheit theoretisch alle Probleme beseitigen lassen, bevor sie überhaupt auftreten. Andererseits ergibt sich dadurch das berühmte Großvater-Paradoxon (erstmals formuliert 1927 in einem Leserbrief an das SF-Magazin Amazing Stories): Wenn jemand in die Vergangenheit reist und den eigenen Großvater erschießt, bevor dieser selbst Kinder hat, wie hat besagte Figur den eigenen Großvater erschießen können?
Ein solches Zeitparadoxon findet sich zum Beispiel in der Kurzgeschichte ‚– all you zombies –‘ (1959) von Robert A. Heinlein: Die Hauptfigur lässt eine Geschlechtsumwandlung vornehmen, reist in die Vergangenheit, schläft eher unfreiwillig (und unwissentlich) mit sich selbst – und zeugt sich selbst. David Gerrold behandelt das Thema des Zeitparadoxons in seinem Roman The Man Who Folded Himself (1973) noch ausführlicher: Sein Protagonist Danny erbt einen Zeitreisegürtel, benutzt diesen (womöglich etwas zu oft), begegnet sich dadurch immer wieder selbst und beginnt sogar eine Beziehung mit sich selbst. Am Ende sind so viele Dannys gleichzeitig vorhanden, dass er jeglichen Überblick verliert.
Es gibt Geschichten, die solche Zeitparadoxa zu vermeiden suchen. Die Serie Doctor Who behalf sich gegen die schier unendlichen Möglichkeiten der Zeitmanipulationen, zu denen der Doctor theoretisch mit der TARDIS (siehe Exkurs) in der Lage wäre, mit dem Konstrukt der Fixpunkte in der Zeit: Ereignisse, die unveränderlich feststehen und daher durch Eingriffe nicht verändert oder gar verhindert werden können.
Die deutschsprachige Science-Fiction-Serie Perry Rhodan (seit 1961) benutzt zeitweise ein noch radikaleres Konzept: Es geschieht, weil es geschah. Egal, welche Aktionen in der Vergangenheit durchgeführt werden, in der Gegenwart ändert sich nichts, weil alle Änderungen der Vergangenheit zum Zeitpunkt der Gegenwart bereits Geschichte sind.
Andere Werke versuchen, die oben genannten Probleme dadurch zu umgehen, dass die Zeitmaschine nur begrenzt zur Verfügung steht. Ein Beispiel dafür ist Andreas Eschbachs Roman Das Jesus-Video (1998): Hier fällt der Zeitreisende in Israel durch ein Loch in der Zeit, das nur in eine Richtung führt, und taucht zur Lebenszeit Jesu wieder auf.
Mit solchen rigorosen Einschränkungen ist die Gefahr von Logikproblemen und Zeitparadoxa wesentlich geringer.
Exkurs: Bekannte Zeitmaschinen in Film und Serie
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Die TARDIS (Doctor Who)
Die TARDIS (Akronym für Time And Relative Dimensions In Space) aus der Serie Doctor Who ist eine Kombination aus Zeitmaschine und Raumschiff. Sie kann im Prinzip jeden Punkt in Raum und Zeit erreichen. Bei ihrem ersten Flug landete die TARDIS 1963 in Großbritannien und tarnte sich als blaue Polizeinotruf-Telefonzelle. Aufgrund eines Defekts steckt sie in dieser Gestalt fest.
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Der DeLorean (Zurück in die Zukunft)
In der Filmtrilogie Zurück in die Zukunft baut das Genie Doc Brown (Christopher Lloyd) einen DeLorean, einen schnittigen Sportwagen, zu einer Zeitmaschine um. Deren Herzstück ist der sogenannte Flusskondensator (flux capacitor)1, ein Kästchen mit drei in Y-Form angeordneten Glasröhrchen, der über ein Digitaldisplay gesteuert wird. Die Zeitreise geschieht beim Fahren: Sobald der DeLorean 88 mph (miles per hour, ca. 140 km/h) erreicht, startet der Flusskondensator und die Zeitreise beginnt.
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Reise per Bewusstsein
Neben diesen eher klassischen Reisen per Zeitmaschine gibt es Geschichten, die nur das Bewusstsein durch die Zeit senden. Ein frühes Beispiel dafür ist The Shadow out of Time (1936) von H.P. Lovecraft. In dieser Novelle besitzt die außerirdische Spezies Great Race of Yith die Fähigkeit, mit anderen intelligenten Lebewesen – wie etwa Menschen – über die Zeit hinweg die Körper zu tauschen. Der Tausch selbst dauert mehrere Stunden, wobei die betroffene Person zunächst das Bewusstsein verliert.
Ein anderes Konzept, bei dem die Zeitreise über das Bewusstsein geschieht, benutzt Jack Finney in seinem Roman Time and Again (1970). Hier kommen die Zeitreisenden in einen Raum, der genau der historischen Umgebung in der gewünschten Zielzeit entspricht. Durch eine Art Selbsthypnose können sie in diese hinüberwechseln.
Fazit
Seit Wells‘ The Time Machine sind Zeitmaschinen und Zeitreisen aus der Science-Fiction nicht mehr wegzudenken. Auch heute noch erscheinen neue Geschichten, in denen auf verschiedenste Weise durch die Zeit gereist wird. Das Thema ist also keineswegs ein alter Hut, sondern zeitlos.
Text: Volkmar Kuhnle
1 In der deutschen Fassung der Filme fälschlich als Fluxkompensator übersetzt und so auch in die Popkultur eingegangen.
Dieser Artikel erschien erstmals in der Zauberwelten Herbst 2022.
Dieser Artikel ist erschienen bei:
Zauberwelten-Online.de